Neue Analyse des Weltklimarats: Ohne Agrarwende kein Klimaschutz

Laut einem Bericht ist die Erderhitzung nur mit naturnaher Landwirtschaft zu stoppen. Bisher trägt der Agrarsektor zu stark zum Klimawandel bei.

Die Erde gesehen vom Weltraum: Rauchschwaden, die sich mit einem größeren Sturmsystem vermischen, ziehen über Sibirien.

Schön bedrohlich: Den Rauch von gigantischen Waldbränden in Sibieren sieht man sogar aus dem All Foto: dpa

BERLIN taz | Nur mit einer weltweiten Agrarwende ist effektiver Klimaschutz machbar – und nur echter Klimaschutz sichert die Land- und Forstwirtschaft, die die Lebensmittel für die Menschheit produziert. Diese gegenseitige Abhängigkeit von Klima und Landnutzung ist der Kern des neuen Berichts des Weltklimarats IPCC. Demnach lässt sich nur mit einer naturnäheren Landwirtschaft, dem Ende der Waldzerstörung und weniger Fleischkonsum die Erderhitzung bis 2100 bei 1,5 oder 2 Grad stoppen. Gleichzeitig sei aber auch eine schnelle Reduktion der Treibhausgase nötig, um die fruchtbaren Böden zu sichern, die Wüsten zurückzudrängen und die Ernährung von demnächst etwa 9 Milliarden Menschen zu garantieren.

Der „Sonderbericht zu Klimawandel, Wüstenbildung, Landverschlechterung, nachhaltigem Land-Management, Ernährungssicherheit und Treibhausgasflüssen in terrestrischen Ökosystemen“ wurde am Donnerstag in Genf vorgestellt. Etwa 107 Autoren aus 52 Ländern hatten über Jahre die relevante Literatur ausgewertet und seit letzter Woche in einer der berüchtigten IPCC-Marathonsitzungen mit den Regierungen der UN-Staaten abgestimmt. Herausgekommen ist ein Paukenschlag der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, der die Politik weiter unter Druck setzt, in der Klimapolitik zu handeln.

Denn die Fakten sprechen für sich und gegen ein „Weiter so“: Die Menschen nutzen 70 Prozent der eisfreien Erdoberfläche für die Landwirtschaft, sie beanspruchen ein Viertel bis ein Drittel aller weltweit erzeugten Lebens- und Futtermittel, des Holzes und der Energie für sich. Momentan trägt die Land- und Forstwirtschaft 23 Prozent zum menschengemachten Treibhausgaseffekt bei. Noch nie war der Bedarf an Süßwasser und Kalorien durch die Menschen so hoch wie heute.

Das hat Konsequenzen: Ein Viertel allen urbaren Landes hat nach dem Bericht der ExpertInnen durch menschliche Aktivitäten bereits an Qualität verloren, 500 Millionen Menschen waren zwischen 1980 und 2000 von wachsenden Wüsten betroffen – und 2 Milliarden Menschen weltweit haben Übergewicht, während 821 Millionen unterernährt sind.

Wasserarmut, Feuer und Dürren

Unter der Hitze und den zunehmenden Dürren und Extremniederschlägen leiden Äcker, Wälder und Graslandschaften ganz besonders, stellen die Forscher fest: Während sich der Globus im Durchschnitt gegenüber der Zeit von 1850 bis 1900 um 0,87 Grad Celsius erwärmt hat, ist es über den Kontinenten im Schnitt um 1,53 Grad wärmer geworden. Die Vegetationsgebiete dehnen sich zu den Polen aus, aber in der Nähe des Äquators wird es für den Anbau von Mais und Weizen schwierig.

Koko Warner, Wissenschaftlerin beim UN-Klimasekretariat und eine der Autorinnen des Berichts, weist auf die „Kombination der Risiken“ aus Wasserarmut, Feuer, Dürren und dem Verlust von Böden hin. Wenn sich das Klima um mehr als 3 Grad erwärme – was mit den bisherigen Klimaplänen der Staaten gut möglich ist –, „könnten wir einen katastrophalen Rückgang der Ernten in den Tropen sehen“. Die Theorie, dass solche Rückgänge durch besseren Welthandel auszugleichen sind, „hat leider in den letzten Jahren nicht funktioniert.“

Auch die Hoffnung, höhere Temperaturen und mehr CO2 in der Luft führten zu besserem Wachstum von Pflanzen, teilt der Report nicht. Er notiert zwar dieses „globale Ergrünen“ auf mehr Fläche als den Gegentrend, das „globale Erbraunen“, wenn die Vegetation vertrocknet. Allerdings seien mit weiter steigenden Temperaturen „die Trends hier negativ“, sagt Hans Otto Pörtner, Meereswissenschaftler vom Alfred-Wegener-Institut und einer der Leitautoren.

Während die ExpertInnen in Genf tagten, breiteten sich die Waldbrände in Sibirien auf eine Größe aus, die etwa der Hälfte Deutschlands entspricht. Deshalb warnt der Landbericht des IPCC auch ausdrücklich vor höherer Gefahr durch Waldbrände und durch auftauenden Permafrostboden. Aufforstung und Wiederherstellung von Wäldern werden begrüßt, allerdings warnt der Bericht davor, darin ein Allheilmittel zu sehen: Für Aufforstung, die einen Einfluss auf die CO2-Pegel hätte, sei eine Fläche von etwa 7 Millionen Quadratkilometern mit Bäumen zu bepflanzen – das wäre zweimal die Fläche Indiens.

Noch lässt sich umsteuern

Sorge macht den Experten auch, dass die Aufnahme von CO2 durch die Pflanzen, die im letzten Jahrzehnt jährlich bis zu 6 Milliarden Tonnen ausmachte (etwa ein Sechstel dessen, was die Menschen in die Luft blasen), nachlassen könnte. In den Ozeanen, die den Löwenanteil des menschengemachten CO2 schlucken, ist dieser Trend schon zu beobachten – auch deshalb wird im September der nächste IPCC-Bericht zu den Ozeanen mit Spannung erwartet.

Die Wissenschaftler haben aber auch positive Nachrichten: Durch ein Umsteuern lassen sich manche Effekte vermindern oder vermeiden, was zu mehr Klimaschutz, sichereren Ernten und besseren Lebensbedingungen führen könne. Die Potenziale für eine grüne Wende sind demnach gigantisch: Bisher verdirbt fast ein Drittel der Ernte, bessere Planung und Technik könnten das effizienter machen. Und ein Ende der Entwaldung könne jährlich bis 5,8 Milliarden Tonnen CO2 sparen, eine andere Viehhaltung und Landwirtschaft bis zu 9,6 Milliarden Tonnen und eine andere Speisekarte der Menschen (mehr Pflanzen, weniger Fleisch) bis zu 8 Milliarden Tonnen. Im Optimalfall ließen sich so über die Hälfte aller heutigen Emissionen einsparen – trotzdem brauche es einen schnellen Ausstieg aus den fossilen Energien, betont der Bericht.

Die Zeit drängt nämlich. Das hat nicht zuletzt der letzte Sonderbericht des IPCC vom Oktober 2018 zum „1,5-Grad-Ziel“ gezeigt. Die Experten schlagen deshalb der Politik „zeitnahe Aktion“ vor: Bessere Aufklärung über Anbaumethoden, Gebrauch von digitaler Technik auf dem Feld, Kampf gegen die Wüsten, Sicherung der fruchtbaren Böden. Die Rechnung könne aufgehen, meinen die ExpertInnen: Landsicherung in Trockengebieten bringe „drei- bis sechsmal so viel Ertrag wie der Bodenwert“, nachhaltige Landwirtschaft zahle sich nach 3 bis 10 Jahren aus. Dafür brauche es allerdings Investitionen am Anfang von im Schnitt 500 Dollar pro Hektar.

Das aber würde sich lohnen. Denn der Wert aller Dienstleistungen, den die Natur erbringt, entspricht laut IPCC-Bericht der gesamten weltweiten Wirtschaftsleistung: etwa 90 Billionen US-Dollar.

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