piwik no script img

Neue „Mitte-Studie“ der FESWeniger Sonntagsreden, bitte

Stefan Reinecke

Kommentar von

Stefan Reinecke

Erfreuliche Nachrichten: Die Gesellschaft kippt nicht nach rechts. Um das zu stabilisieren, wären konkrete Verbesserungen und mehr Demokratie gut.

Saubere Sache, die Straßenbahn in Dresden – damit lassen sich Bürger eher überzeugen, als durch salbungsvolle Sonntagsreden Foto: Robert Michael/dpa

D ie Mitte-Studie erfasst seit Jahren wissenschaftlich präzise das Verhältnis der Deutschen zur Demokratie zu Minderheiten und Rassismus. Solche Studien funktionieren aber auch nach den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie. Umso alarmistischer die Demokratiegefährdung klingt, umso besser lässt sie sich medial verkaufen: Only bad news are good news.

Umso erstaunlicher ist das Ergebnis der Studie 2025. Entgegen der durch die AfD-Erfolge geschürten Erwartung kippt Deutschland nicht nach rechts um. Das Bild ist anders, ja konträr. Die Zahl der harten Rechtsextremen ist von 8 auf 3 Prozent gesunken. Noch bemerkenswerter ist, dass mehr als zwei Drittel der BürgerInnen Rechtsextremismus für eine virulente Gefahr halten. Die Widerstandskräfte der Gesellschaft gegen die rechtsextremen Sirenengesänge sind viel vitaler, als es das allgemeine Lamento über die ausgedörrte, dem Untergang geweihte Demokratie erwarten lässt.

Es ist indes nicht alles rosarot – so steigt die Affinität der Jüngeren für Rechtsextreme an. Aber die Erzählung vom unaufhaltsamen Aufstieg der Rechten ist falsch. Die Studie legt zwei Folgerungen nahe. Erstens: Die Brandmauerrhetorik wirkt oft wie Selbstlähmung. Aber angesichts der Tatsache, dass 70 Prozent Rechtsextremismus scharf ablehnen, sollte die Union gegenüber der AfD bei der politischen Quarantäne bleiben – und nicht mit Zusammenarbeit kokettieren. Zweitens: In scharfem Kontrast zum eher abnehmenden Rechtsextremismus steht der anschwellende Demokratieverdruss. Doppelt so viele Bürgerinnen wie 2019 zweifeln, dass die Demokratie funktioniert.

Was tun? Es ist richtig, die Institutionen gegen möglichen Einfluss der AfD zu imprägnieren – aber die Demokratie muss gleichzeitig offener gegen Kritik werden. Mit weihevollen Ansprachen über die Vorteile der Gewaltenteilung, dem rituellen Ruf nach mehr Bildung oder der AfD-Verbotsdebatte wird sich das Unbehagen in der Demokratie nicht einhegen lassen. Man könnte es mit pünktlichem ÖPNV, besseren Schulen, auch mehr Bürgerräten und direkter Demokratie versuchen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • "Man könnte es mit pünktlichem ÖPNV, besseren Schulen, auch mehr Bürgerräten und direkter Demokratie versuchen."

    In Bremen möchte die mitregierende Linkspartei das Ergebnis des Volksentscheids zur sogenannten Galopprennbahn ignorieren und das Gelände bebauen statt eine öffentliche Grünfläche zu entwickeln. So wird das nichts mit Demokratie.

  • Unsere *Repräsentative Demokratie* scheint eher ein Übergangsmodell zu sein. Denn ganz offensichtlich sind unsere Volkvertreter an vielen Stellen weit enger mit den Interessen von Industrie- und Lobbyvertretern vertraut, als mit den Sorgen und Nöten der Menschen. Wobei sich gleichzeitig eine Form von Populismus ausbreitet. Sprich man erzählt den WählerInnen was sie hören wollen..schließlich will man ja wieder gewählt werden..







    Da lohnt also der Blick auf andere- stabilere Demokratieformen..wie etwa der Schweiz, in der nicht nur weit mehr (wirklich verbindliche) *Direkte Demokratie* existiert, sondern auch der Genossenschaftsgedanke in Theorie und Praxis viel tiefer in der Gesellschaft verankert ist..







    Die Ergebnisse dieser Studie zeigen nun, daß die Demokratie auch hier zu Lande als das bessere Modell wahrgenommen wird. Und sie zeigen, daß viele Menschen durchaus bereit sind, mehr für die Demokratie zu tun.



    Und das bedeutet: es gibt ein signifikantes Potenzial für eine Weiterentwicklung unserer Demokratie..einer die mehr im Interesse aller ist..die Menschen mehr einbindet und ihnen mehr zutraut..die mehr das Gemeinschaftsgefühl befördert und dabei auch noch weit stabiler ist..

  • >Doppelt so viele Bürgerinnen wie 2019 zweifeln, dass die Demokratie funktioniert.<

    Es geht um die Auswahl der Regierung. Die Demokratie funktioniert gut, wenn wir gut regiert werden. Wir sind uns wohl alle einig - wir werden nicht gut regiert.

    Der Zweifel der Bürger ist wohl nicht ganz unberechtigt.

  • Reden kosten eben nichts.

    Und wenn geredet wird in diesem Land, dann inzwischen vorwiegend über Rentenkürzung, längere Lebensarbeitszeit, Verschärfungen für Bürgergeldempfänger und vor allem Abschieben.

    Geredet wird seit Jahrzehnten

    Es geht um immer neue Narrative, nach denen dem dummen Bürger vermittelt werden soll, dass sein Leben „alternativlos“ immer schlechter werden muss, weil Klimawandel, weil Putin, weil China, weil wir die Dritte Welt ausbeuten, weil…

    Nur eine positive Perspektive hat niemand. Nichtmal die Linke. Nur Dystopie. Die Reichen enteignen, danach die Mittelschicht, eigenes Haus ist ja auch bäh pfui dynastisch.



    Und wenn der Bums dann verfrühstückt ist: Ratlosigkeit.

    Eine Mitte gibt es nicht mehr.

    Rechts ist Blackrock pur, reiner Zynismus.

    Und nach ganz rechts muss man nicht schauen, weil gottlob keinerlei Machtperspektive und sowieso nur Faschismus.

    Also am besten gehackt legen, und wenn jemand zur Sonntagsrede ansetzt: abschalten. Vera….n kann man sich alleine.

  • Reden täuschen nun mal Aktivität vor.



    Gestern habe ich mir eine knappe Stunde Bundestag im TV angetan.



    Wie immer gings um das Verreißen von offensichtlich schwachsinnigen AfD-Anträgen, aber bei anderen Themen kommt außer "wir müssen/planen/sollten/ziehen eventuell in Erwägung" auch meistens nichts Vernünftiges zustande.



    Egal wo, ob bei Klimakonferenzen, Umweltgipfeln, Armuts/Hungerbekämpfungsaugenwischereien - nach dem Reden sind alle überzeugt, ihren Beitrag geleistet zu haben, und dabei bleibts dann auch bis zur nächsten Schwafelrunde.

  • Warum wird an der Stelle nicht mehr Demokratie am Arbeitsplatz gefordert? Das ist der Ort, an dem viele Menschen ein Drittel oder sogar noch mehr ihres Tages verbringen und das Verhältnis zwischen jenen, die arbeiten und jenen, die arbeiten lassen, ist maximal undemokratisch mit Betriebsräten, die viel zu wenig mitbestimmen dürfen - wenn sie überhaupt existieren.

    Aber ja - alle paar Jahre zur Wahl gehen und n Kreuzchen machen dürfen reicht nicht aus. Hier kann man sich mal Ideen aus dem Anarchismus anschauen ;-)

  • Ein Vergleich mit der Leipziger Autoritarismus-Studie wäre sicher konstruktiv. Das vermeintliche Statistik-Ergebnis der FES-Studie wirkt auf den ersten Blick durchaus verblüffend.



    Zum Vergleich (2024): www.boell.de/de/le...oritarismus-studie

  • Wenn doch bloß alle Menschen dieses Landes (einschließlich aller Regierungsvertreter) in die Veranstaltungen von Hagen Rether gehen würden!!! Ich habe noch nie eine bessere ausgiebige Analyse zur Lage der Nation und der weltweiten Demokratie-Entwicklung gehört.

    • @snowgoose:

      Hagen Rether und andere sind anscheinend für ihre Zielgruppen und Zielpersonen noch keine Gefahr.



      Sollte sich das einmal ändern, wird schnell ein Riegel vorgeschoben werden.

    • @snowgoose:

      Ja wenn alle Menschen die eigenen Werte und Meinungen teilen würden wäre die Welt ein besserer Ort... ;)

      Das wäre das genaue Gegenteil von Vielfalt und gelebter Demokratie. Diese Einstellung finden Sie 1:1 bei der AfD.

  • Für direkte Demokratie sind grundsätzlich auch alle Parteien in Deutschland, bis auf drei. Dummerweise regieren zufällig genau die gerade im Bund.



    Die Sache hat allerdings einen Haken:



    Noch mehr als sonst in einer Demokratie können dabei Sachen herauskommen, die echten oder selbsternannten Meinungsführern nicht schmecken - und das in alle denkbaren und vorher nicht erdenklichen Richtungen.



    Im Moment weht der Zeitgeist der Politik stark in die Richtung, Mehrheiten machtpolitisch zu übergehen, zum Beispiel durch Klagen, durch internationale Verträge oder über die EU. Ein Geklüngel im Ministerrat entwertet Wahlergebnisse sowohl in der EU als auch in den Mitgliedsstaaten. Und ein Klimaabkommen oder Pandemiestaatsvertrag ist genauso eine Entmachtung des Volks als Souverän wie ein Freihandelsabkommen im Stile CETA.

  • Die Studie ändert an den tatsächlichen Zuständen in Deutschland wenig. Rechtspopulisten sind im Aufwind. Unter welcher Kategorie das verortet wird ist in der Hinsicht erstmal zweitrangig.

    Das schwindende Vertrauen in die Demokratie hat ja bereits die Leipziger Autoritarismus-Studie 2024 aufgezeigt.



    Ein direkter Vergleich zwischen Demokratie und Autoritarismus ergibt da schon ein anderes Bild.

    Ein Staat der die Belange seiner Bürger nicht ernst nimmt und sie zudem nur eingeschränkt an der Demokratie partizipieren lässt, untergräbt zwangsläufig das Vertrauen in die Demokratie. Die Auswirkungen machen sich dann in Zeiten multipolarer Krisen verstärkt bemerkbar.

    Länder in denen das Vertrauen der Bürger zum Staat sehr groß ist, sind da wesentlich gefestigter. Die Mechanismen sind auch überall gleich, egal ob Schweiz, Kanada, Norwegen oder Dänemark, es funktioniert nach dem Prinzip des gehört und wahrgenommen werdens und dessen Umsetzung in staatliches Handeln.

    Davon war und ist Deutschland weit entfernt. Die politische Klasse lebt hierzulande in ihrer eigenen Blase und nur auf äußeren Druck wird überhaupt nachjustiert, wenn es nicht gleich nur bei Lippenbekentnissen bleibt.