Orchester-Flashmob in der Ukraine: Alle Menschen werden Brüder

Mitten auf einem Markt im ukrainischen Odessa spielt ein Orchester die Europahymne. Das Video berührt sowohl musikalisch als auch politisch.

Zwischen Fischständen und Theken voller Sonnenblumenöl spielen Odessaer Musiker für den Frieden. Tabelle: http://www.youtube.com/watch?v=rwBizawuIDw

BERLIN taz | Kiloweise türmen sich die Fische, wohin man auch blickt. Roh, geräuchert, ausgenommen oder filetiert. Die Theken auf dem Privoz, dem größten Markt der ukrainischen Stadt Odessa, biegen sich unter der Last der silbern glänzenden Tiere. Ein dunkel gekleideter Mann schiebt sich vorsichtig durch die Menge. In seinen Händen hält er einen Kontrabass.

Dies ist der Beginn eines Videos, dass seit dem Wochenende im Internet seine Kreise zieht. Mitten auf dem Markt beginnt er zu spielen. Leise erst, zwischen all den Marktgeräuschen, den Wortfetzen, Verhandlungen und dem Kindergeschrei ist er kaum zu hören.

Nur allmählich wird erkennbar, was er spielt: Es ist Beethovens neunte Sinfonie. Zwischen Barschen und Forellen ertönt das Hauptthema der berühmten Sinfonie und ruft einem sofort die dazugehörende Textzeile in den Kopf: „Freude schöner Götterfunken“.

Zwei weitere Streicher tauchen aus dem Meer an Fischen und Marktbesuchern auf, dann ein Oboist. Allmählich bemerken die Menschen, dass dieser Marktbesuch kein alltäglicher ist. Die ersten ziehen ihre Smartphones aus der Tasche und beginnen zu filmen. Hinter einer Theke mit Tütensuppen und Sonnenblumenöl erscheint eine Gruppe Violinisten.

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Die Gruppe der Musizierenden wächst immer weiter an, ebenso die der Schaulustigen. Inzwischen hat sich ein ganzes Orchester auf dem Privoz versammelt. Das bunte Treiben hat aufgehört, die Menschen stehen und lauschen.

Ein Mann mit heller Hose und dunklem Hemd schiebt sich an den Zuschauern vorbei. Es handelt sich um Hobart Earle, den musikalischen Leiter des Philharmonischen Orchesters Odessa. Er stellt sich in die Mitte des Marktes und beginnt zu dirigieren. Sanft und leise fließen die Töne dahin. Dann macht er einen Satz, das Orchester donnert und aus der Menge der Zuschauer ertönt ein Chor: „Freude schöner Götterfunken“.

„Odessaer Musiker für Frieden und Brüderlichkeit", heißt es im Titel des Videos. Die neunte Sinfonie Beethovens ist nicht nur eines der bekanntesten Stücke klassischer Musik weltweit, ihr Hauptthema wurde außerdem 1985 zur Hymne der Europäischen Union bestimmt. Es ist nicht nur die Wirkung der Musik allein, die dem Zuschauer einen Schauer über den Rücken laufen lässt.

Die Krise in der Ukraine, die Konfrontation auf der Krim und die Angst vor einer weiteren Spaltung des Landes beherrschen seit Wochen die internationalen Medien. Und so ist es vor allem eine politische Aussage, dass in Odessa, einer kulturell stark russisch geprägten ukrainischen Stadt, ein Orchester aus voller Inbrunst die Europahymne darbietet. Ein Aufruf zur Einheit, von Schiller vor über 200 Jahren verfasst: „Deine Zauber binden wieder / Was die Mode streng geteilt / Alle Menschen werden Brüder / Wo dein sanfter Flügel weilt.“

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