Provenienzforschung in Passau: Eine Stadt sucht Naziräuber
Wer ist der Künstler? In Passau geht man bei der Suche nach möglicher NS-Raubkunst neue Wege. Die ganze Stadt ist aufgefordert mitzumachen.
Ein Haufen Kisten liegt jetzt mitten in der Passauer Innenstadt herum. Normalerweise dienen solche Behälter zum Transport von Kunstwerken. In diesem Fall allerdings ist ihre Aufgabe eine andere: Sie sollen Aufmerksamkeit erzeugen, sagt die Kunsthistorikerin Anke Gröner. Aufmerksamkeit für zwei Plakate, die dort zu sehen sind.
„Wer ist der Künstler?“, heißt es unter einem abgebildeten Ölgemälde, das Diana mit ihren Gefährtinnen zeigt, möglicherweise ein französisches Bild aus dem 18. Jahrhundert. „Kennen Sie diesen Mann?“, lautet die Frage zu einem anderen Bild, auf dem ein Soldat mit Mütze zu sehen ist.
Die Fragen sind ernst gemeint. Die ganze Stadt Passau ist aufgefordert, die Rätsel dieser Bilder zu knacken. Ziel ist es, die rechtmäßigen Besitzer zu finden. Denn es gibt deutliche Hinweise darauf, dass es sich um Raubkunst handelt, genauer um Werke, die die Nazis verfolgten jüdischen Besitzern gestohlen haben. „Gehört das Ihnen?“ lautet der Name der ganzen Aktion.
Die Arbeit der Provenienzforschung
Normalerweise ist die Suche nach NS-Raubkunst eine Angelegenheit von Provenienzexperten, die akribisch die Rückseite von Gemälden untersuchen, auf der Suche nach Namen, Nummern oder Adressen, die diese mit Inventarverzeichnissen von Museen oder Sammlern vergleichen, dazu Werkverzeichnisse wälzen und Ergebnisse mit der internationalen Lost-Art-Datenbank abgleichen.
So geht auch Gröner bei ihrer Arbeit vor, jedenfalls normalerweise. Oft genug allerdings überwiegt bei gewissen Museen und Ministern der Wunsch, Kunstwerke eben nicht an die Nachfahren der früheren Besitzer zu restituieren, sondern diese weiterhin schmückend auszustellen. Den Verdacht erheben immer wieder Rechtsvertreter der bestohlenen Erben – gerade gegenüber der bayerischen Staatsregierung.
Im niederbayerischen Passau ist alles anders. Auch dort war das Thema lange Tabu. Das habe „vierzig Jahre lang niemanden interessiert“, sagt Gröner. Doch dies habe sich grundsätzlich geändert. Der Stadtrat beschloss vor einigen Jahren, jedwede Kunst auf jeden Fall an Berechtigte zurückzugeben. Seit rund einem Jahr arbeitet nun Anke Gröner hoch oben über der Dreiflüssestadt in der Veste Oberhaus und untersucht, ob sich in der großen Sammlung des städtischen Museums Naziraubkunst befindet.
Die Herkunft vieler Werke ist unklar
Gründe dafür, dies anzunehmen, gibt es reichlich. Von 1933 bis 1945 vergrößerte sich die Sammlung im damals Ostmarkmuseum genannten Haus um 1.400 Objekte, deren Herkunft in vielen Fällen bis heute unklar geblieben ist.
Fest steht allerdings: Nach der Einnahme Passaus durch die US-Army brachten die US-Militärbehörden im Oktober 1946 89 der Objekte in den Central Collecting Point in München, berichtet Gröner. Solche Annahmestellen dienten dazu, Naziraubkunst zu untersuchen und den Besitzern zurückzugeben. Nicht in allen Fällen gelang das. Von den Passauer Bildern kamen schließlich alle bis auf eines in den 1950er Jahren zurück auf die Veste Oberhaus.
Vier dieser Bilder konnten in jüngster Zeit den Nachfahren ihrer früheren Besitzer zurückgegeben werden. Sie waren in der Nazizeit aus einem französischen Möbellager gestohlen worden. Gröner gelang es, zwei Bilder zu identifizieren, die der tschechischen Jüdin Johanna Tauber gehörten.
Oberbürgermeister Jürgen Dupper (SPD)
Eines davon trug einen Aufkleber aus Pittsburgh, wo es einmal als Leihgabe ausgestellt worden war. Das brachte Gröner auf die richtige Spur. Auch Tauber hatte die Bilder in Frankreich einlagern lassen. Sie beging im Mai 1944 kurz vor ihrer Deportation Suizid. 80 Jahre später erhielten die Urenkel Taubers die Bilder aus Passau.
Bei anderen Bildern kommt Gröner nicht weiter. Sie hat nur noch ein Jahr Zeit für ihre Suche, dann endet ihr Zeitvertrag in Passau. Das sei eigentlich „viel zu kurz“, sagt sie. Vor ihrem Studium hatte Gröner als Werbetexterin gearbeitet. Und so kam sie auf die Idee mit den Plakaten und einem Aufruf an die Bevölkerung. „Die Idee ist eigentlich ganz simpel“, sagt sie.
Die Idee erhält viel Zuspruch
Die Stadt gehe glücklicherweise sehr offen mit dem Thema um. Oberhaus-Museumsleiterin Stefanie Buchhold war begeistert. „Ich fand das super“, sagt sie. Eigentlich beschäftigt sich das Museum mehr mit dem Mittelalter. „Man will es wissen. Das ist wichtig für die Identität des Hauses“, sagt sie zu der Suche nach den gestohlenen Bildern. „Unsere Geschichte verpflichtet uns, NS-Raubgut zu identifizieren und zurückzugeben“, erklärt Oberbürgermeister Jürgen Dupper (SPD) dazu.
„Die meisten Menschen denken, das Thema sei durch“, sagt Gröner. Mit der Aktion werde die Problematik in die Öffentlichkeit gebracht. Alle drei Wochen werden auf dem Ludwigsplatz neue Gemälde vorgestellt, sodass bis zum November bei acht Kunstwerken nach Details zu Bild und Besitz gefragt werden wird.
Ob sich jemand melden wird? „Ich habe keine Ahnung, wie die Aktion ankommt“, bekennt Gröner. Aber ich hoffe, dass es etwas bringt.“
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