Historiker über Gebeine in Uni-Archiven: „In den Kolonien gestohlen“

Die Uni Göttingen gibt menschliche Überreste an die Republik Palau zurück. Wie sie in Göttinger Sammlungen gelangten, erklärt Christian Vogel.

Holzkasten mit alten Karteikarten. Lesbar ist unter anderem "Museum für Völkerkunde, Hamburg"

Es muss nicht immer Papier sein: In den Göttinger Regalen lagern auch ganz andere koloniale Zeugnisse Foto: Uni Göttingen

taz: Herr Vogel, Sie sind einer der Initiatoren des Projekts „Sensible Provenienzen: Menschliche Überreste aus kolonialen Kontexten in den Sammlungen der Universität Göttingen“. Worum geht es da?

Christian Vogel: Das von der Volkswagen-Stiftung finanzierte Projekt untersucht die Herkunft menschlicher Überreste aus der kolonialen Vergangenheit in zwei Göttinger Universitätssammlungen.

Welche sind das?

Zum einen die „Blumenbachsche Schädelsammlung“, die auf den Naturforscher Johann Friedrich Blumenbach zurückgeht. Nach seinem Tod 1840 wurde die Sammlung von seinen Nachfolgern bis in die 1940er-Jahre weitergeführt. Heute befinden sich darin rund 800 Gebeine, davon rund 200 nicht aus Europa. Zum anderen nimmt das Projekt die umfassende biologisch-an­thropologische Sammlung der Universität in den Blick: Hier stammen viele menschliche Überreste aus Ozeanien und Afrika. Im Rahmen des Projekts sind auch schon zweimal Gebeine zurückgegeben worden, an Hawaii und Neuseeland.

Und heute also an Vertreter des pazifischen Inselstaates Palau.

*1978, ist Historiker und Kulturwissenschaftler. Seit 2015 Referent für Wissensforschung an der Zentralen Kustodie der Universität Göttingen.

Es werden Gebeine von sieben Menschen an eine Delegation aus Palau zurückgegeben. Diese Gebeine wurden 1911 im Zuge der sogenannten „Südsee-Expedition“ im Auftrag des Hamburger Museums für Völkerkunde illegal ausgegraben. Ein Teilnehmer war der Ethnologe Paul Hambruch. Er brachte, wie sich durch Tagebucheinträge belegen lässt, mehrere Gebeine in seinen Besitz. Die gestohlenen Gebeine kamen zunächst also nach Hamburg.

Und wann gelangten sie dann nach Göttingen?

Sie wurden in den 1950er- und 1960er-Jahren von dem Hamburger Museum an die Uni Göttingen weitergegeben und lagerten dort seitdem in der Anthropologischen Sammlung.

Es geht heute aber nicht nur um die Göttinger Stücke.

Es werden auch ein Schädel, eine Gipsbüste sowie eine Haarprobe zurückgegeben, die sich zuvor in den Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsens befanden.

Was genau ist geplant?

Digitale Ausstellung „Unpacking Colonialism – Discussing human remains in German collections“. Eröffnung: 25.3.2024, 18.30 Uhr, Forum Wissen/Freiraum, Berliner Straße 28, Göttingen. Online dann unter www.forum-wissen.de

Aus Palau werden der Kulturminister, der Leiter des staatlichen anthropologischen Instituts und zwei weitere Delegationsmitglieder anwesend sein. Das Ganze findet in einem feierlichen Rahmen statt. Es gibt Grußworte des Göttinger Universitätspräsidenten Metin Tolan und eines Vertreters des Niedersächsischen Wissenschafts- und Kulturministeriums. Und dann sprechen drei Vertreter der Delegation aus Palau.

Wie geht es mit dem Provenienz-Projekt weiter?

Insgesamt schätzen wir, dass in den beiden Göttinger Sammlungen noch die Gebeine von rund 1.300 Menschen aus ehemaligen Kolonien liegen. Wir konnten bislang nur einen Bruchteil davon identifizieren und zurückgeben. Die Universität hat zu wenig Geld, um das Projekt weiter zu finanzieren. Es gibt zum Glück aber ein Nachfolgeprojekt, das für weitere zwei Jahre über das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste finanziert wird. Gleichzeitig laufen Forschungen auch vom Hamburger Museum Kulturen und Künste der Welt, dem früheren Völkerkundemuseum. Darüber hinaus suchen wir nach Möglichkeiten, die Provenienzforschung dauerhaft an der Uni Göttingen zu verankern.

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