Romanverfilmung von Tom Tykwer: Eine Zukunft voller Nichts

In „Ein Hologramm für den König“ gibt Tom Hanks einen abgehalfterten Geschäftsmann. Er ist auf verzweifelter Mission in Saudi-Arabien.

Warten in der Wüste: Yousef (Alexander Black) erklärt Alan Clay (Tom Hanks) Saudi-Arabien Foto: X-Verleih

Wüstensand. Wolkenfreier Himmel. Eine Straße fast ohne Autos. Die wenigen Menschen, denen man begegnet, sitzen selbst hinter Lenkrädern. Über allem brennt die Sonne.

Wie eine stilisierte Traumlandschaft wirkt die Szenerie, durch die der US-Geschäftsmann Alan Clay fährt. Er träumt tatsächlich viel, und oft sehr schlecht, doch diese Einöde ist ausnahmsweise real. Hier soll er arbeiten. Für eine IT-Firma. In Saudi-Arabien, wo er, als abgehalfterter Geschäftsmann jenseits der fünfzig, eine letzte Chance bekommt, um seine angeknackste Karriere vom Schlingerkurs abzubringen.

Alan Clay wird in „Ein Hologramm für den König“ von Tom Hanks verkörpert. Es ist das zweite Mal nach „Cloud Atlas“ von 2012, dass der Schauspieler mit Regisseur Tom Tykwer zusammenarbeitet. Wieder fiel die Wahl auf eine Literaturverfilmung. Dave Eggers’ Roman ist im Vergleich zu „Cloud Atlas“ zwar deutlich übersichtlicher strukturiert, mit verschiedenen Ebenen spielt aber auch diese Vorlage.

Denn Alan Clay ist ein Tagträumer, der sich gern von einer Sekunde auf die nächste an bessere Tage erinnert, in der Arbeit und in der Familie. Nachts hingegen holt ihn die Angst ein, dass ihm die Reste seiner Mittelklasseexistenz endgültig abhanden kommen. Zwischen diesen Bewusstseinszuständen wechselt Tykwer spielerisch hin und her.

So sieht man Hanks gleich in der ersten Szene in einer Art Musikvideo zum Song „Once in a Lifetime“ der New-Wave-Band Talking Heads: Hanks steht vor einem properen Vorort-Einfamilienhaus, neben ihm eine Frau und ein SUV. Dazu spricht er die – gegenüber dem Original leicht abgewandelten – Zeilen: „You may find yourself without a beautiful house, without a beautiful wife / And you may ask yourself: Well … How did I get there?“, während das Haus, die Frau und das Auto sich nacheinander in pinkfarbenen Rauch auflösen. Schnitt. Clay fährt aus dem Schlaf hoch, schweißgebadet.

Den eigenen Job wegrationalisiert

Im Song der Talking Heads von 1982 ging es noch um Entfremdung im Wohlstand. Clay jedoch hat den Zenit seiner Laufbahn schon eine Weile hinter sich. Als Vorstandsmitglied des Fahrradherstellers Schwinn leitete er einst den Bau einer Fabrik in China in die Wege, was erst die Belegschaft im Chicagoer Stammhaus und schließlich seinen eigenen Job überflüssig machte. Die Globalisierung, an der er so mitgewirkt hatte, holt ihn seither immer wieder ein, auch in der sengenden Hitze Saudi-Arabiens wird er sie nicht ausschwitzen können.

Clay soll in der King’s Metropolis of Economic Trade dem König eine neue Hologramm-Kommunikationstechnologie für Telefonkonferenzen präsentieren. Sein Auftraggeber gestattet Clay exakt eine Option: den Auftrag holen. Die King’s Metropolis of Economic Trade, wie sie im Film heißt, ist eine auf dem Reißbrett entworfene Stadt nahe Dschidda, deren reales Vorbild King Abdullah’s Economic City heißt. Das ehrgeizige Projekt stellt sich als halbfertiges Baustellenensemble heraus. Der König wurde zuletzt vor anderthalb Jahren gesehen. Es gibt zwar ein Bürogebäude mitten in der Wüste, in dem ein Ansprechpartner arbeiten soll, doch immer wenn Clay am Empfang vorspricht, wird er vertröstet.

Ausgerechnet in der Fremde setzt sich Clay mit seinem drohenden Scheitern auseinander

Sein Team hockt derweil in einem schwarzen Zelt neben dem Hauptgebäude, in dem nicht einmal das Internet richtig funktioniert. Tykwer erzählt die untätige Wartezeit als eine Abfolge von Routinen in geschlossenen Räumen: Clay schrickt morgens im Hotelzimmer aus einem seiner Alpträume hoch, regelmäßig verschläft er den Shuttle zum Zelt. Das Hotel organisiert ihm täglich einen Fahrer, in dessen angerostetem Wagen sich eine Art Freundschaft zwischen den beiden Männern entwickelt. Auch wenn Yousef (distinguiert ambivalent: Alexander Black), der in den USA studiert hat, bei seinen Versuchen, die eigene Begeisterung für angelsächsische Bands – Electric Light Orchestra, Chicago – mit seinem Fahrgast zu teilen, nur begrenzt erfolgreich ist. Dafür erklärt Yousef dem Handlungsreisenden die Gepflogenheiten seines Landes.

Von dort geht es für Clay ins abgedunkelte Zelt oder, wenn wieder etwas nicht läuft, ins Hauptgebäude der King’s Metropolis mit den ewiggleichen Hinhaltespielchen. Nebenbei macht Clay die eine oder andere Frauenbekanntschaft: mit der dänischen Mitarbeiterin Hanne (Sidse Babett Knudsen als tapfer frustrierter Expat), die ihn in die inoffizielle Welt der Vergnügungen im sittenstrengen Land einführt. Und mit einer saudischen Ärztin (perfekt britisches Understatement: Sarita Choudhury), die ein sonderbares Geschwür an Clays Rücken untersucht.

Dezente Culture-Clash-Komik

Zwischen diese Serie von Innenräumen setzt Tykwer die in der Westsahara gefilmte – für Saudi-Arabien bekam er keine Drehgenehmigung – Wüstenlandschaft als Lokalkolorit-Kontrast. Und zur Erinnerung daran, dass Clay in der Fremde ist. Die Figur des Yousef dient dabei als Vermittler zwischen den Kulturen und sorgt für dezente Culture-Clash-Komik. Ausgerechnet in der Fremde setzt sich Clay dann so gründlich mit sich selbst und seinem drohenden Scheitern auseinander wie nie zuvor.

„Ein Hologramm für den König“ ist, wie die Romanvorlage, eine Nachfinanzkrisengeschichte, die sich der Generation von Mittelstandsamerikanern annimmt, die in eine Zukunft voller Nichts hineinsteuern. Im Roman wird das Elend Alan Clays mit einer schnörkellosen Schlichtheit geschildert, die in ihrer Lakonik so erschreckend wie komisch wirkt.

Bei Tykwer ruht viel von der Komik auf dem Können von Tom Hanks, der diese Figur, die einst dafür geschätzt wurde, dass sie unübersichtliche Situationen weniger kompliziert erscheinen lassen konnte, jetzt aber selbst den Überblick verloren hat, mit einer Mischung aus fassungslosem Staunen und pragmatischer Schicksalsergebenheit spielt. Clays Gefühlslage wird oft nur in kleinsten mimischen Verschiebungen sichtbar. Etwa wenn er das Zelt betritt, um seinen Mitarbeitern zu eröffnen, dass der König wieder mal nicht kommen wird, und auf dem Weg vom Eingang bis zu den provisorischen Arbeitsplätzen für eine Sekunde so aussieht, als wolle er in Tränen ausbrechen, seine Züge dann aber mit einem Ruck zu einem gequälten Lächeln ordnet.

„Ein Hologramm für den König“. Regie: Tom Tykwer. Mit Tom Hanks, Sarita Choudhury u. a. Deutschland/Großbritannien 2016, 98 Min

Wenn Clay andererseits dazu ansetzt, seiner Tochter eine E-Mail zu schreiben – was er nie zu Ende bringen wird –, beginnt plötzlich ihr Profilbild lebendig zu werden und bläst dem Vater aus dem Computerbildschirm heraus Zigarettenrauch ins Gesicht. Die Grenze zwischen Realität und Fantasie bleibt bei Tykwer fast bis zum Ende fließend, ähnlich dem Roman, dem Eggers ein Zitat von Samuel Beckett aus seinem Stück „Warten auf Godot“ vorangestellt hat: „Uns braucht man nicht alle Tage.“ Womit zugleich die dominierende Bewegung des Plots und seines Protagonisten beschrieben ist, dessen Stagnation der Film vielleicht weniger bebildert als mit Songs kommentiert – am eindeutigsten „Turn to Stone“ von Electric Light Orchestra.

Dass Tykwer sich für eine im Vergleich zum Romanende klar optimistische Schlusswendung entscheidet, nimmt der Geschichte einiges von ihrer gesellschaftskritischen Schärfe. Unter der leichtfüßig flirrenden Oberfläche schimmern jedoch noch Reste von Eggers’ Biss hindurch.

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