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Schriftsteller Leon de Winter ausgeladenJüdisches Kulturfestival zieht Notbremse

Der Romancier Leon de Winter sollte auf dem Jüdischen Kulturfestival Osnabrück lesen. Wegen einer migrationsfeindlichen Kolumne wurde er ausgeladen.

In Osnabrück ausgeladen: Schriftsteller Leon de Winter Foto: Arne Dedert/dpa

Osnabrück taz | Graffiti-Workshop, Dichtkunst, Klezmer, Spielfilm: Die Bandbreite des Programms des viertägigen 1. Jüdischen Kulturfestivals Osnabrück, Anfang September, ist groß. Sie reicht vom Künst­ler­ge­spräch bis zum Stadtrundgang, von der Sängerin Marina Maximilian bis zur Autorin Rabea Edel.

Das Festival, veranstaltet von der Jüdischen Gemeinde Osnabrück, an namhaften Veranstaltungsorten, unterstützt durch namhafte Partner, tritt an, die jüdische Kultur „in all ihren Facetten“ zu feiern. Es will „Einblicke in jüdische Geschichte, Traditionen und zeitgenössische Kunst“ ermöglichen, Vorurteile abbauen und den Dialog „zwischen Kulturen“ stärken. Über 20 Veranstaltungen umfasst es. Ihr Potenzial, Augen zu öffnen, ist groß.

Ein paar Tage vor dem Start des neuen Formats hat Kulturmanager Avi Toubiana, verantwortlich für die künstlerische Leitung, allerdings ein Problem: Leon de Winter. Das Programm hatte eine Lesung des niederländisch-jüdischen Schriftstellers vorgesehen, aus dessen Roman „Stadt der Hunde“, doch jüngst hat der Veranstalter die Einladung an de Winter zurückgezogen.

Der Anlass war eine Kolumne de Winters Anfang Mai in der Tageszeitung Die Welt zum Thema Migrationspolitik. De Winter kommentiert – und stützt – den AfD-Tweet „Verfehlte Migrationspolitik und Asylmissbrauch haben zum 100.000-fachen Import von Menschen aus zutiefst rückständigen und frauenfeindlichen Kulturen geführt“.

„Bin ich jetzt gesichert rechtsextrem?“

Er schreibt: „Auch ich bin überzeugt, dass die Migrationspolitik gescheitert ist, auch ich sehe, dass zu viele Migranten in Europa aus rückständigen Kulturen kommen, in denen Frauen Männern untergeordnet sind und Juden gehasst werden. Bin ich jetzt gesichert rechtsextrem?“ AfD-Äußerungen bezeichnet de Winter in seiner Kolumne als „ziemlich harmlos“.

De Winters Positionen stünden „in deutlichem Gegensatz zu den Grundwerten der Jüdischen Gemeinde und dem, was wir mit unserem Festival erreichen wollen“, sagt Michael Grünberg, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Osnabrück und Mitinitiator des Festivals.

Der künstlerische Leiter Toubiana, profiliert auch als Intendant der Jüdischen Kulturtage Berlin und Geschäftsführer des Landesverbands der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, kann das „verstehen und respektieren“, wie er der taz sagt, hat aber zugleich Verständnis und Respekt für de Winter, den er ins Festival-Programm geholt hat. Er schätze ihn als „großen Schriftsteller“. Der Ausfall des „Stars“ tue dem Festival aber keinen Abbruch. „Wir haben ja noch viele andere Highlights.“

De Winter hat unterdessen nochmal nachgelegt, in einer weiteren Kolumne der Welt Ende August. Er könne in seiner Argumentation „nichts Faschistisches oder Neonazistisches finden“. Er schreibt: „Normalerweise werde ich einfach nicht eingeladen, wenn Veranstalter Befürworter einer unbegrenzten Immigration junger islamischer Männer sind.“

Auch in bin überzeugt, dass zu viele Migranten aus rückständigen Kulturen kommen

Leon de Winter, Schriftsteller

Nun sei er „in Osnabrück tabu“, schreibt de Winter. Dann gießt er weiteres Öl ins Feuer: „Ich meine, dass Europa Männern bis 55 Jahren kein Asyl gewähren sollte. Wenn sie vor Unrecht und Tyrannei fliehen – und davon ist die Welt voll –, dann sollen sie für Frieden und Freiheit in den Ländern kämpfen, aus denen sie fortgegangen sind. Europa kann ihnen für einige Monate eine sichere Umgebung bieten, in der sie lernen, sich zu organisieren und Waffen zu bedienen, und danach sollen sie zurückkehren.“

Zur Ausladung des Niederländers, der Deutschland in seiner ersten Welt-Kolumne zur „kulturellen, wirtschaftlichen und industriellen Seele Europas“ überhöht und ihm rät „Lass Deine Fahnen wehen“, bleibt die Jüdische Gemeinde Osnabrück, von der taz um Kommentierung gebeten, stumm.

Die Stadt, deren Oberbürgermeisterin Katharina Pötter (CDU) die Schirmherrschaft des Festivals innehat, stellte für Mittwoch eine Stellungnahme in Aussicht, und deutete an, die Entscheidung der Gemeinde respektieren zu wollen.

„Den Vertrag mit Herrn de Winter haben wir Anfang April gemacht“, erklärt Toubiana. „Im August sind wir dann auf seine Kolumnen-Äußerungen aufmerksam gemacht worden.“ Das ganze „Spektakel“ sei „wirklich sehr traurig“. Politisch wolle das Festival nicht sein. Ob das funktioniert, bei diesem Thema?

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17 Kommentare

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  • Es hat eine gewisse Ironie, wenn jetzt das selbsternannte progressive Lager aufheult, wenn ein Konservativer feststellt, dass in bestimmten Kulturen ein Gesellschaftsbild vorherrscht, dass man sicherlich als rückständig bezeichnen kann was so etwas wie Minderheiten- und Frauenrechte angeht. Man kann über Art und Weise der Äußerung gerne streiten und es mag nicht für alle Migranten gelten, aber dass es diese Probleme gibt lässt sich doch nicht von der Hand weisen. Wir sehen es doch wenn auf den Straßen für eine Kalifat demonstriert wird, Juden oder Drusen der Tod gewünscht wird und Homosexuelle ihre Neigung in bestimmten Gegenden Berlins besser nicht offen zeigen sollten so sie Wert auf körperliche Unversehrtheit legen. Das ist doch das Gegenteil von progressiv.

    • @Fran Zose:

      Wir sollten auch aufheulen, wenn Menschen wegen Ihrer Religion (oder Nicht-Religion) in billige Schubladen gesteckt werden, Juden, Muslime, Christen, Baha'i, ...



      auch, wenn Palästinensern der Tod gewünscht oder zehntausendfach bereitet wird



      Ich spüre da auch noch die bequeme Denkabkürzung, man selbst oder "die Deutschen" wären ja zum Glück ganz anders.



      Fragezeichen.

  • www.youtube.com/watch?v=dCd9di3O1Mo



    Wer Herrn de Winter näher kennenlernen möchte, sollte mal auf obigen Link klicken. Ich musste mich wirklich an die Kandare nehmen, um bis zum Ende durchzuhalten.



    Wegen des hohen Aufkommens unsachlicher und beleidigender Beiträge hat YouTube die Kommentarfunktion übrigens abgeschaltet. Schade!

  • Leon Winter steht also für die höhere Kultur im Gegensatz zur "rückständigen Kultur". Außerdem meint er, Deutschland mit Friedrich Merz sei der kulturelle Mittelpunkt Europas.

    Das ist schon fast lustig, wenn es nicht so dumm wäre.

    • @Uns Uwe:

      Wieso " höhere Kultur"?

      Der Gegensatz zu " rückständig" ist "progressiv ".

      Wenn man sich hat für progressiv hält, muss es auch irgendjemanden geben, der rückständig ist.

      Herr de Winter wäre nun nicht der Einzige in unserem Land, der sich für progressiv hält.

      Was ist daran genau dumm?

      Ich frage nur für einen Freund.

      De Winter sagte wohl, Deutschland sei die kulturelle, wirtschaftliche und industrielle Seele Europas“

      Von Merz sagte er anscheinend nichts.

      Ob es dumm ist, wissen wir, sobald de Winter seine Begründung liefert.

      Eine gewisse wirtschaftliche Vormachtstellung etwa lässt sich schlecht in Abrede stellen.

      • @rero:

        Ein Land, in dem eine progressive Kultur dominant ist, wird wohl kaum einen Merz zum Kanzler haben, keine AfD in Landtagen und im Bundestag, keine Wir-sind-wieder-wehr-Großkotzigkeiten mit, keine Forderung nach "auch die Frauen in die Bundeswehr!" (Hach! Welch "Emanzipation"!), keinen Sozialabbau, keine Wohnungsnot, keine Tierquälerei, kein rückstandiges Verkehrssystem mit Autobahnen und SUV-Kultur und Priorität für Ökologie zu Luft, Boden und Wasser und in Lebensmitteln.

        Und nein, L. de Winter ist kein Progressiver, weil er genau für so etwas steht. Und doch, er meint durchaus "höhere", "überlegene Kultur" und das hat in Deutschland Tradition.

        Ergo: de Winters "Kultur" ist nichts anderes als eine Rückkehr in die deutsche Vergangenheit. Und was ist das anderes als Rückständigkeit?

        Wer also im deutschen Glashaus sitzt, sollte nicht versuchen, einen clash of civilizations anzufangen. Das geht nämlich nach hinten los.

    • @Uns Uwe:

      Ein Gedankenspiel: Ein, sagen wir weißer Mann aus Deutschland befindet Frauen gehören an den Herd, haben sich vornehmlich um die Kinder zu kümmern, dürfen öffentlich keinesfalls aufreizende Kleidung tragen und sollten sich am besten verhüllen. Überhaupt gelte ihre Meinung nicht, da im Haus immer noch der Mann das sagen habe. Wie würden Sie diesen Mann bezeichnen? Meiner Meinung nach vertritt er ein rückständiges Weltbild, oder?

      • @Fran Zose:

        rero & Fran-zose, der Ausdruck redete doch nicht von konkreten Personen, sondern von "Import von Menschen aus zutiefst rückständigen und frauenfeindlichen Kulturen", s.o.

        Vielleicht können wir uns alle darauf einigen, dass Schubladen, in die mensch Menschen einsperrt, meist nicht zielführend sind. Ein Weltbild kann zumindest nach meinen Werten rückständig sein, etwa, wenn es Mutterkreuze verleiht oder sonstwie Frauen und Männern Schubladen zuweist. Selbstbewusste Frauen gibt es dabei in Teheran wie Tittling im Woid. Progressive Männer auch.



        Nach 1945 haben Deutsche hierzulande sich ansonsten auch entwickelt.

      • @Fran Zose:

        Aber kommt er aus einer rückständigen Kultur?

        • @Francesco:

          Ja, kommt er. Dieses Beispiel dürfte sicher recht gut dem Gesellschaftsbild der 50er Jahre entsprechen. Dieses würden Sie doch aus jetziger als rückständig bezeichnen, oder? Für mich ist es das jedenfalls.

  • De Winter vertritt solche Ansichten ja schon seit Jahren. Dass die Veranstalter von seinen jüngsten Einlassungen überrascht waren, kann man sich also nur schwer vorstellen. Die Frage bleibt also, wieso man sich entschlossen hat, ihn einzuladen (zumal Toubianas Distanzierung allzu halbherzig klingt).

  • Leon de Winter war nicht erst seit neulich zwar auch ein halbwegs interessanter Autor, vor allem aber ein unverhohlen abwertender, fanatischer bis rassistischer Polemiker, was ja auch Juden mal geschehen kann.



    Wäre er denn ein exzellenter Autor (ich finde: nicht; sein Niederländisch ist von arg überschaubarer Schönheit) und würde er genau über sein Werk reden und sich nicht wahrscheinlich um Kopf und Kragen, so hätte ich vielleicht noch eine Lesung verteidigt, denn große Kunst kann sich von ihrem Autoren lösen.



    Hier sehe ich gerade aber gar keinen Grund.

  • Ob Herr de Winter "gesichert rechtsextrem" ist, muss der Bundesverfassungsschutz beurteilen. Menschen wie Waren als "Import" und ganze Kulturen als "zutiefst rückständig" zu beurteilen ist jedoch abscheulich.

  • ""Auch in bin überzeugt, dass zu viele Migranten aus rückständigen Kulturen kommen. Leon de Winter, Schriftsteller""

    Archaische, patriarchalische Verhaltensweisen halte ich als westlich sozialisierte Frau für rückständig, unabhängig davon, von welcher Kultur sie verkörpert bzw. gelebt werden.

    • @*Sabine*:

      Ich könnte mir vorstellen, dass auch nicht-westlich sozialisierte Frauen ein Leben ohne männliches (oder auch weibliches) Machtgehabe vorziehen könnten.

    • @*Sabine*:

      Es wird ja keine "westlich sozialisierte Frau" gezwungen, in so einer "archaischen oder patriarchalischen Kultur" zu leben und so einen "zugereisten" Mann zu heiraten.



      A propos "archaisch". Von einer gleichberechtigten Kultur kann hier auch noch keine Rede sein. Es sind immer noch die Frauen, die zugunsten der Kinder auf eine berufliche Karriere verzichten, die Kinder zum Hort bringen, zur Elternsprechstunde in die Schule tippeln und bei Erkrankung der Kinder zuhause bleiben. Und am Herd, an der Waschmaschine und am Bügelbrett sehe ich selten mal einen Mann. Und wenn dann nach dem Familienessen der Tisch abzuräumen ist, dann springen die Frauen als erste auf und räumen das Geschirr in die Spülmaschine.



      Kein Wunder, das ledige Frauen länger leben als ledige Männer. Ohne die Pflege der Frauen haben die nämlich eine kürzere Lebenserwartung als verheiratete Frauen.



      Soviel zu unserer westlichen Kultur!

      • @Il_Leopardo:

        "Es wird ja keine "westlich sozialisierte Frau" gezwungen, in so einer "archaischen oder patriarchalischen Kultur" zu leben und so einen "zugereisten" Mann zu heiraten."

        "In" einer solchen ""archaischen oder patriarchalischen Kultur"" zu leben nicht, da haben Sie recht. Aber "mit" diesen Männern und ihren archaischen und patriarchalischen Verhaltensweisen, unabhängig von ihrer Herkunft, leben müssen sie durchaus (in Verkehrsmitteln, öffentlichen Räumen usw.).

        "Von einer gleichberechtigten Kultur kann hier auch noch keine Rede sein."

        Auch damit haben Sie selbstverständlich recht. Die Unterschiede zu noch weniger gleichberechtigten Gesellschaften sind jedoch deutlich und ich persönlich wünsche Frauen/Mädchen/weiblichen Kindern/LGBTQIA+ kein Leben in einer noch stärker "archaisch und patriarchalisch" geprägten Kultur. Aber auch das ist nur mein subjektiver Blick als westlich sozialisierte Frau und selbstverständlich nicht repräsentativ.