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Soziale NetzwerkeBaerbock, Bagel und Big Apple

Die Außenministerin a.D. inszeniert ihre ersten Tage in New York wie eine Folge „Sex and the City“. Eine Bitte um mehr Komplexität im Internet.

Annalena Baerbock bei ihrer Wahl zur Präsidentin der UN-Vollversammlung am 2.Juni in New York Foto: Richard Drew/ap/dpa

Berlin taz | Soziale Medien sind heute fester Bestandteil der Kommunikationsstrategie vieler Menschen, deren beruflicher Erfolg von ihrer öffentlichen Wahrnehmung abhängt. Po­li­ti­ker*in­nen profitieren von Content, der den Menschen hinter dem Amt erlebbar macht und bestenfalls auch das Vertrauen erzeugt, das für die Vermittlung politischer Inhalte gebraucht wird.

Annalena Baerbock, die zweite deutsche Kanzlerkandidatin und erste Außenministerin a. D., ist seit 2018 auf Instagram aktiv. Mehr als 700.000 Menschen folgen ihrem verifizierten Account, der private Einblicke („Fußball ist sooo geil. Mega Glückwunsch DFB Frauenteam“) mit Momenten aus ihrem politischen Alltag mischt. Neuerdings berichtet sie auch über ihre Rolle als Präsidentin der Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) in New York.

In einem Video winkt Baerbock auf hohen Absätzen ein Yellow Cab heran – eine Anspielung auf die Serie „Sex and the City“. Im Taxi schreibt sie in ein Notizbuch mit der Aufschrift „Better together“, dem Motto der 80. UN-Sitzungsperiode, das für die Bedeutung des Multilateralismus steht. Doch in den Kommentaren geht es nicht um Multilateralismus.

Das liegt an der Logik von Social Media: Zugänglich sollen die Inhalte sein. Zuspitzen, Emotionen auslösen und zum Mitreden einladen. So kommt es dann, dass Po­li­ti­ker*in­nen klingen wie Influencer*innen. Der eine schwärmt von Fast Food, die andere ermutigt dazu, an die eigene Vision zu glauben.

Bald auch im Angebot: Der neue Baerbock-Tiktok-Account

Die „Sex and the City“-Referenz funktioniert, weil viele New York durch die Serie kennen. Je­de*r kann etwas dazu kommentieren, und sei es nur, dass die Referenz verstanden wurde. Aber einen Nachteil hat das eben auch: Statt über Baerbocks politische Arbeit wird über den Content diskutiert. Ist sie jetzt Travel­influencerin? Und was trägt sie schon wieder? Hohe Schuhe?

Auch der Spiegel gibt eine Social-Media-­Kritik ab und schlägt vor, Baerbock solle typische New Yorker Speisen wie Bagels einbauen, daran hätte Foodinfluencer Markus Söder gewiss gedacht. Prompt zeigt Baerbock im nächsten Video, wie sie ihren Tag in einem Bagel­laden beginnt. Mit Creamcheesegebäck und Kaffee geht es zu den UN. Letzteres bleibt allerdings außerhalb des Videos. Die Kommentare? Der Kaffee ist in einem Einwegbecher! Wer mit Baerbock sympathisiert, muss nun ihre Ehre verteidigen, statt etwas über die Arbeit der UN zu erfahren.



Für ein internationales Publikum hat Baer­bock nun einen neuen, noch unverifizierten Tiktok-Account. Auf Englisch verspricht sie dort Einblicke in die „Backstage of World ­Politics“. Vielleicht dienten die ersten Videos ihrer UN-Ära nur der Einstimmung auf komplexere Inhalte. 

Als Außenministerin postete sie bereits regelmäßig auf Tiktok, oft mehrmals täglich. Tiefere Inhalte wurden aber auch da nicht in selbst erstellten Videos vermittelt, sondern, wenn überhaupt, durch Ausschnitte aus Gesprächen mit Traditionsmedien geteasert.

Inhaltlich bleibt ein Tiktok-Video oder ­Instagram-Reel, auch aufgrund der jeweiligen Zwänge der sozialen Plattformen, oft auf Schlagzeilenebene: Wer traf wen wo wofür? 
Auch die im Taxi ins Notizbuch geschriebenen Worte bleiben uns verborgen. Der Blick hinter die Kulissen ist ein Blick auf Bürostühle und Räume, in denen gerade etwas geschah. Diese taz-Social-Media-Kritik ist demnach kein Ruf nach mehr Authentizität durch Backwaren, sondern eine Bitte um Komplexität – auch gegen die Logik der Plattformen.

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2 Kommentare

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  • Ist doch schön für sie, dass sie ihre politischen Ziele jetzt erreicht hat: in Glanz und Glamour ganz oben zu sein. Wertebasiert, irgendwie.

  • >Auch die im Taxi ins Notizbuch geschriebenen Worte bleiben uns verborgen.<

    Hoffentlich nicht für immer.