Streit um Verfassungsgerichtsbesetzung: Rechtsaußen nehmen Ann-Katrin Kaufhold ins Visier
Nun beginnt auch gegen die zweite SPD-Kandidatin fürs Bundesverfassungsgericht eine Kampagne. Die Vorwürfe gegen Kaufhold sind ebenfalls hanebüchen.

Die Kampagne gegen sie läuft bereits: Ann-Katrin Kaufhold sei „ebenso wenig wählbar wie Frauke Brosius-Gersdorf“, schreibt Ulrich Vosgerau (CDU-Mitglied und häufiger Rechtsvertreter der AfD) auf der Plattform X. „Es gäbe für die Union gute Gründe, Kaufhold ebenso entschieden abzulehnen wie Brosius-Gersdorf“, befindet auch der frühere Focus- und Cicero-Redakteur Alexander Kissler auf dem rechtspopulistischen Portal Nius. Denn angeblich beabsichtige Kaufhold „einen Komplettumbau der Gesellschaft“. Autor Josef Kraus, der frühere Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, sieht bei Tychis Einblick in Kaufhold „wohl die noch größere Gefahr für die Demokratie“.
Wer also ist Ann-Katrin Kaufhold? Die 49-Jährige ist Rechtsprofessorin in München. Sie promovierte und habilitierte in Freiburg bei Andreas Voßkuhle, der von 2010 bis 2020 Präsident des Bundesverfassungsgerichts war. Fachlich bekannt wurde sie mit ihrer Arbeit „Systemaufsicht“, in der sie nach der Lehmann-Finanzkrise komplexe Modelle für eine effiziente Finanzmarktaufsicht entwickelte.
Vorgeworfen wird Kaufhold zunächst, dass sie sich auch mit Klimaschutzrecht beschäftigt und dabei Gerichten eine wichtige Rolle zubilligt. In einem analytischen Interview stellte sie 2023 fest, dass Parlamente dazu tendieren, „unpopuläre Maßnahmen nicht zu unterstützen“, während Gerichte (und Zentralbanken) unabhängig seien und sich deshalb besser eignen, „unpopuläre Maßnahmen anzuordnen“. Obwohl Kaufhold zugleich feststellte, dass die politische Legitimation von Parlamenten deutlich höher ist als die von Gerichten, werfen ihr Kritiker:innen nun vor, sie wolle „Klimapolitik ohne Parlament“ machen und sei eine „Klimaaktivistin“.
Plumpe rechte Propaganda
Wer sich näher mit ihr beschäftigt, weiß allerdings, dass die Professorin im großen Klimaverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht nicht auf Seiten der klagenden Umweltverbände stand, sondern Bundestag und Bundesregierung vertrat. Zwar hält Kaufhold Klimaschutz für eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, aber da ist sie ganz auf einer Linie mit dem Bundesverfassungsgericht, das 2021 den Klimaschutz zum Staatsziel erklärte.
Dieser Klimabeschluss erging in Karlsruhe einstimmig, also auch mit den Stimmen der von Union und FDP nominierten Richter:innen. Was die Kritiker:innen auch übersehen: Ann-Katrin Kaufhold soll an den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts berufen werden. Für Klimapolitik ist aber der Erste Senat zuständig.
Zweitens wird Kaufhold vorgeworfen, sie sei eine „Enteignungsbefürworterin“, weil sie Mitglied einer Berliner Kommission war, die sich mit der „Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen“ beschäftigte. Allerdings ging es in dieser Kommission nicht um das Für und Wider von Sozialisierungen. Für Vergesellschaftungen hatte sich die Berliner Bevölkerung bereits 2021 bei einem Volksentscheid mit einer Mehrheit von 57,6 Prozent der Abstimmenden ausgesprochen. Die daraufhin vom Berliner Senat eingesetzte Kommission sollte vielmehr Wege zu einer rechtssicheren Umsetzung des Volksentscheids erarbeiten.
Sozialisierungen sind in Artikel 15 des Grundgesetzes als Möglichkeit ausdrücklich vorgesehen. In Berlin soll davon nun erstmals Gebrauch gemacht werden – zumindest theoretisch. Es wird zwar damit gerechnet, dass das Sozialisierungsgesetz vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden muss, weil die Wohnungskonzerne klagen. Allerdings ist auch hier der Erste Senat zuständig und nicht der Zweite Senat, in den Kaufhold gewählt werden soll.
Aberwitzige Verschwörungstheorie
Schließlich wird Kaufhold als Teil eines „Staatsstreich“-Projekts der SPD gesehen, wie es etwa Vosgerau oder auch der Augsburger Rechtsprofessor Josef Franz Lindner an die Wand malen: Die SPD schlage als Verfassungsrichterinnen gezielt Personen vor, die ein AfD-Verbot befürworten – und wenn die AfD dann verboten ist, fielen alle AfD-Sitze im Bundestag weg und die SPD könne eine rot-rot-grüne Koalition bilden, mit Lars Klingbeil als Kanzler.
An dieser aberwitzigen Verschwörungstheorie ist aber schon die Vorannahme falsch: Das Bundesverfassungsgericht kann auf absehbare Zeit gar kein AfD-Verbot beschließen, weil es schon keinen Verbotsantrag geben wird, solange die Union ein Verbot der größten Oppositionspartei ablehnt.
Für Parteiverbote wäre zwar tatsächlich der Zweite Senat zuständig. Doch die von den Kritiker:innen zitierte Aussage Kaufholds ist nicht so eindeutig, wie sie behaupten. Tatsächlich hatte sich Kaufhold in einer Talkshow nur über die „Ängstlichkeit“ mancher Verbotsbefürworter:innen mokiert, die aus Angst vor dem Scheitern erst gar keinen Antrag stellen wollen. Das fände sie „nicht überzeugend“, sagte Kaufhold, denn der politische Prozess könne ein Scheitern in Karlsruhe durchaus aushalten. Mit so einer vagen Aussage wäre Kaufhold im Verfahren wohl nicht einmal befangen.
Mal sehen, ob es den Rechts-außen-Meinungsmachern auch bei Kaufhold gelingt, so viele CDU/CSU-Abgeordnete zu agitieren, dass im Bundestag keine Wahl mit Zweidrittelmehrheit möglich ist. Am 11. Juli war die Abstimmung über Frauke Brosius-Gersdorf, Ann-Katrin Kaufhold und den CDU-Kandidaten Günter Spinner, einen Bundesarbeitsrichter, abgesetzt worden. Nach der Sommerpause soll erneut gewählt werden. Ob dieselben Kandidat:innen dann zur Wahl stehen werden, gilt mittlerweile als offen.
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