Syrien trifft Hamburg: Der Krieg schwingt immer mit

Das Elbphilharmonie-Festival „Salam Syria“ präsentiert hoch professionelle Musik, arrangiert zu einem genialen interkulturellen Dialog.

Kinan Azmeh organisiert auch Benefizkonzert für Flüchtlinge Foto: Claudia Höhne

HAMBURG taz | Eigentlich will man im Konzert nicht weinen. Aber dann tut man es doch, wenn der deutsch-syrische Projektchor auf der Elbphilharmonie-Bühne steht und arabische Lieder singt. Die rund 60 Flüchtlinge und Einheimischen haben sich für das Festival „Salam Syria“ zusammengetan und seit Oktober geprobt: arabische Weisen mit Achtel- und Sechzehntel-Tonabständen, was den Deutschen anfangs schwerfiel. Ein schöner Rollenwechsel, sind es hier mal die Flüchtlinge, die mehr können, der Anpassungsdruck des Alltags wird aufgehoben.

Warum man an dem Abend weint? Weil von der Heimat dieser Leute nur Lieder blieben. Weil sie Kulturbotschafter wider willen sind, ihr Exil ein fremdbestimmtes. Und weil sie tief fielen, zu No-Names in engen Unterkünften wurden und jetzt als Star auf der Bühne stehen.

„Syrien trifft Hamburg“ war der Abend übertitelt, der zweite von drei Festivaltagen, einer freundlichen Übernahme der Elbphilharmonie durch neue Klänge. Wer allerdings gedacht, gefürchtet, gar gewünscht hatte, vor allem arabische Exotismen zu hören, irrte. Profimusiker des einstigen Syrian National Symphony Orchestra saßen zwischen Hamburger Musikhochschulstudenten. Gemeinsam spielten sie arabische wie europäische Klassik und Moderne, als sei es kinderleicht.

Das war kein pseudofreundliches Nebeneinander, sondern eine echte Kooperation mit blitzschnellen Intonations- und Stimmungswechseln: Im arabischen Teil spielten alle einen Achtelton tiefer, und man dachte kurz, das klingt aber schief. Bis man merkte: Das ist die arabische Intonation, weit komplexer übrigens als die europäische. Und man begriff: Dies ist Kulturtransfer vom Feinsten, gerade aus der Kombination verschiedener Hörgewohnheiten kann Neues wachsen. Die Vorstellung von „richtig“ und „falsch“ gehört auf den Prüfstand.

Und die eurozentristische Überheblichkeit gleich mit. Denn Damaskus galt bis 2011 als Schmelztiegel der Region, war 2008 Kulturhauptstadt der arabischen Welt. Trotzdem begann der Exodus syrischer Musiker lange vor 2015. Seit etlichen Jahren leben die Solisten des „Salam Syria“-Festivals in den USA, wo sie ursprünglich nur studieren wollten: Klarinettist Kinan Azmeh reiste aus New York an, die Sopranistin Dima Orsho aus Chicago. Beide sind für Klassik ausgebildet; die arabische Musik haben sie in den 2000er-Jahren im Exil entdeckt und touren seither oft gemeinsam.

Tänzeln wie ein Jazzer

Für den „Syrien trifft Hamburg“-Abend hat Klarinettist Azmeh eine Suite für Orchester und einen improvisierenden Solisten geschrieben. Das ist natürlich er, sein Spiel wirkt ganz und gar nicht improvisiert, und genauso will er es haben.

Auch steht Azmeh nicht, wie viele europäische Solisten, regungslos vorm Publikum, sondern tänzelt, einem Jazzer gleich, vor dem Orchester her. Schaut mal schelmisch, mal ernst und erzeugt auf der flüsternden, singenden, schnarrenden Klarinette die passenden Geräusche. Azmeh ist, wie der jüdische Klarinettist Giora Feidman, ein Geschichtenerzähler und bewegt sich, als sei das hier ein Pub und kein Saal mit 2.100 Zuhörern.

Überhaupt ist das ein Abend der Bewegung. Ein unkonventioneller Event, der der Elbphilharmonie für ein paar Stunden den Ruch des Großbürgerlichen nimmt. Denn erstens sind viele – durch „Konzertpaten“ kostenlos in die Elbphilharmonie gebrachte – Flüchtlinge im Publikum, das erstmals wirklich weltoffen wirkt.

Zweitens sprengt das Konzert auch organisatorisch ein bisschen den Rahmen. Es beginnt einen Hauch zu spät, ist etwas wuseliger und emotionaler. Das ist ein Quentchen nur, ein Symbol, die Regeln des Konzertbetriebs werden angetippt, nicht bockig gebrochen, alles bleibt professionell. Denn man will keine Konfrontation, sondern einen Gruß von einem anderen Ort der Welt. Hier wird ein blinder Fleck, eine Wissenslücke gefüllt, hier ist mal Syrien zu Haus und der Hamburger fremd.

Trauer am Euphrat

Dabei sind Geschichte und Gegenwart immer verwoben. „Die Vergessenen von den Ufern des Euphrat“ heißt ein Stück von Dima Orsho, das an die uralte Stadt Deir Al Zour am Euphrat erinnert, einen Fixpunkt des syrischen Kollektivgedächtnisses. Die beklagte Stadt ist uralt, aber die Trauer über den aktuellen Krieg überträgt sich sofort; mehr Empathie können auch Worte nicht generieren.

Sacht und melancholisch beginnt das Orchester, quasi die Leinwand fürs Gemälde. Folgt von einer linken Empore ein Sänger, der Bass Kai Wessel. Dann singt er höher, wird Tenor, wird Altus. Da übernimmt auf der rechten Empore Dima Orsho steigt vom Sopran herab zum Alt. Ein genialer interkultureller Transgenderdialog, diesmal nicht auf Augen-, sondern auf Tonhöhe.

Fehlt noch die Physis. Sängerin und Sänger steigen zur Bühne ab, treffen sich, lesen Brecht’sche Antikriegstexte auf Deutsch und Arabisch. Und weil das immer noch nicht reicht, weil auch noch der Link zwischen Instrument und Stimme geschehen muss: Darum tritt Klarinettist Azmeh hinzu, übernimmt die Tonhöhe der Singenden, lässt Klarinette wie Stimme klingen und macht das Trio perfekt.

Da stehen die drei, lachen, wandern, erzählen sich was, und der Chor steht wie in einer klassischen griechischen Tragödie hinten und schaut und atmet den verlassenen Krieg. Und so sehr man sich bemüht: Man schafft es nicht zu vergessen, dass viele dieser Menschen in Unterkünften lebten oder noch leben; eine Ambivalenz, die den Abend so berührend macht.

Nicht endgültig angekommen

Denn außer den Solisten ist fast keiner der syrischen Mitwirkenden endgültig angekommen. Die Orchestermitglieder etwa entstammen dem Syrian Expat Philharmonic Orchestra (SEPO), das der Kontrabassist Raed Jazbeh 2015 nach seiner Flucht in Bremen gründete. Über Facebook suchte er europaweit Kollegen zusammen, die inzwischen international touren.

Wichtig dabei: „Expat“ bedeutet „im Ausland arbeitende Fachkraft“, und als solche Fachkräfte wollen die Musiker verstanden werden. Als weltläufige Profis, die internationale Klassik spielen und doch ihre Identität wahren. Das bedeutet zum Beispiel, dass sich in Azmehs Orchester-Suite arabische Rhythmusinstrumente wie die Darbuka mischen. Und zwar nicht als Folklore, sondern als gleichberechtigter Part.

Wieder stockt man leicht, besinnt sich und begreift: Da gibt es keine Hierarchie. Die Komponistin Sofia Gubaidulina etwa integriert seit Jahren Volksmusikinstrumente in ihre Orchesterparts. Und haben sich nicht Europas Komponisten des 19. Jahrhundert intensiv bei der Volksmusik bedient?

Genau, Enthierarchisierung und Durchlässigkeit sind die Themen. Diese Art von Osmose will man an so einem Abend, der ausnahmsweise mal die kulturelle Facette der Flucht zeigt. Und das Konzept geht auf: Das ist kein Mitleidsabend in kolonialistisch-gönnerhaftem Gutmenschenduktus. Sondern zwei Stunden hochkarätiger, mitreißender Kultur.

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