VS geht gegen Linken-Abgeordneten vor: Der Wächter wird selbst zur Gefahr
Der Hamburger Verfassungsschutz will Deniz Celiks Kritik an der Behörde juristisch verbieten. So schützt man keine Demokratie, so untergräbt man sie.
E s ist ein Lehrstück darüber, wie dünnhäutig staatliche Macht werden kann, wenn sie selbst zum Thema wird: Der Hamburger Verfassungsschutz (VS) will den Linken-Abgeordneten Deniz Celik mit juristischen Mitteln zum Schweigen bringen.
Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion soll eine Unterlassungserklärung abgeben, dass er den VS nicht mehr als Behörde bezeichnet, die „immer wieder durch den Schutz rechter Netzwerke aufgefallen ist“. Andernfalls drohe ein Gerichtsverfahren.
In einer Pressemitteilung der Fraktion zu geplanten Regelabfragen der Stadt beim Verfassungsschutz hatte Celik geschrieben: „Wer künftig im öffentlichen Dienst arbeiten will, soll erst durch das Nadelöhr des Verfassungsschutzes – eines Inlandsgeheimdienstes, der sich demokratischer Kontrolle weitgehend entzieht und durch Vertuschung, V-Leute-Skandale und immer wieder auch durch den Schutz rechter Netzwerke aufgefallen ist.“
Diese Einschätzung ist keine schrille Meinung, sondern lässt sich historisch belegen – eben etwa durch die Rolle des Verfassungsschutzes im gescheiterten NPD-Verbotsverfahren, durch das Agieren im NSU-Komplex und die Vernichtung von Akten im Nachgang der NSU-Morde.
Dass der Inlandsgeheimdienst nun mit juristischen Schritten gegen einen gewählten Parlamentarier vorgeht, ist politisch hochproblematisch und berührt die Grenze zum Eingriff in das freie Mandat – und damit in den demokratischen Kernbereich parlamentarischer Arbeit.
Denn Abgeordnete sind ja nicht dazu da, der Exekutive zu gefallen, sondern sie zu kontrollieren. Wenn eine Behörde Kritik an sich selbst als „unzulässig“ erklärt, zeugt das nicht von juristischer Souveränität, sondern von einem autoritären Reflex.
Denn juristisch mag das Schreiben aus der Innenbehörde als präventiver Rechtsschutz bezeichnet werden – politisch ist es ein Einschüchterungsversuch. Wenn die Exekutive versucht, über Kanzleien Einfluss auf die Rede eines gewählten Abgeordneten zu nehmen, verwischt die Grenze zur Legislative und damit das Prinzip der Gewaltenteilung. Das sendet ein gefährliches Signal: Wer den Sicherheitsapparat kritisiert, riskiert eine Abmahnung.
Das hat einen „chilling effect“ – der demokratische Diskurs kühlt aus: Wenn Abgeordnete überlegen müssen, ob sie sich Kritik leisten können, bevor sie eine Pressemitteilung schreiben, ist etwas gründlich falsch. Und was heute einen Parlamentarier trifft, kann morgen Journalist:innen, Wissenschaftler:innen oder Aktivist:innen treffen.
Eine Institution, die sich selbst als Wächter der Demokratie versteht, reagiert auf Kritik wie ein beleidigter Monarch. Statt transparent auf berechtigte Vorwürfe zu reagieren, wird die juristische Keule geschwungen. Das erinnert mehr an Machtinstinkt als an Verfassungstreue.
Vor allem Linke im Visier
Tatsächlich zeigen zahlreiche Untersuchungsausschüsse und Studien: Der VS hat über Jahrzehnte rechte Strukturen verharmlost oder gedeckt, während linke Bewegungen überproportional beobachtet wurden. Diese Schieflage ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer Organisationskultur, die sich über Feindbilder stabilisiert – und so selbst Teil des Problems wird. Dass diese Geschichte nicht aufgearbeitet, sondern verdrängt wird: Das ist das eigentliche Sicherheitsrisiko.
Geschaffen wurde der Verfassungsschutz, um autoritäre Entwicklungen zu verhindern. Heute agiert er oft wie eine Behörde, die sich demokratischer Kontrolle entzieht und Kritik als Angriff begreift. Für eine ohnehin unter Druck stehende Demokratie ist das ein gefährlicher Trend.
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