Verwahrloste Wohnblocks: Jetzt wird Verslumung gemacht

Delmenhorst will Wohnblocks im Wollepark abreißen und vertreibt die Mieter mit einer Wassersperre, um Investoren den Spaß an Rendite-Objekten zu nehmen

Stehen noch von der letzten Wassersperre bereit: Mobilklos im Delmenhorster Wollepark Foto: Klaus Wolschner

DELMENHORST taz | Am kommenden Montag wollen die Stadtwerke Delmenhorst in den beiden Wohnblocks Wollepark 11 und 12 wieder das Wasser abstellen. Es dürfte dann nicht mehr lange dauern, bis die Gebäude vollends verslumen. Das ist offenbar die Absicht der Stadt, die die Gebäude abreißen will. Die Wohnungen gehören allerdings rund 70 Eigentümern, für die sie bislang keineswegs wertlos waren. Das ist das Problem.

Am Mittwochabend hatte das Nordwestradio Verantwortliche aus den Delmenhorster Behörden, die mit dem Problem der beiden Blocks zu tun haben, in die nahe Volkshochschule eingeladen. Die eine Frage ist, wie es weitergehen kann, die andere, wie es dazu kommen konnte. Denn „schon seit dem Jahr 2000 ist es schlimmer geworden“, berichtete Franz-Josef Franke vom Diakonischen Werk Delmenhorst. Schon vor mehr als zehn Jahren, so die CDU-Politikerin Annette Schwarz, habe man ein Nachbarschaftszen­trum eingerichtet. Rund um das städtebauliche Sanierungsgebiet Wollepark sei viel passiert. Aber eben nur rundherum.

Die Wohnblocks hatte die Neue Heimat in den 1970er-Jahren errichtet, damals für die Nordwolle-Arbeiter. Die Nordwolle ging bald darauf Konkurs. Nach der Neuen Heimat kamen wechselnde Besitzer, schließlich gehörten die beiden Häuser einem Hedgefonds. Die Wohnungen wurden einzeln zwangsversteigert. Vor einem Jahr hat der Immobilien- und Gold-Händler Mehmet Erdem die Verwaltung übernommen und offenbar eine größere Zahl von Wohnungen in seinem Familien- und Freundeskreis weitergereicht.

In den 1970er-Jahren baut die Neue Heimat die Hochhaus-Siedlung Wollepark direkt bei der Textilfabrik „Nordwolle“.

1981 geht die „Nordwolle“ pleite und schließt ihre Tore.

2015 übernimmt die Stadt von den Stadtwerken rund 80.000 Euro ausstehende Gas- und Wassergebühren für die Blocks Wollepark 11/12. Bis heute hat die Stadt nicht mehr als ein Drittel bei Eigentümern eingetrieben.

Am 4. April 2017 stellen die Stadtwerke das Wasser ab – wegen erneut aufgelaufener Schulden, die Rede ist von mehr als 100.000 Euro.

Am 5. April erwirkt der Hausverwalter Mehmet Erdem vor dem Landgericht eine einstweilige Anordnung dagegen, weil die Stadtwerke die Frist nicht eingehalten haben. Er versichert, das Geld werde nachgezahlt.

Am 27. April kommt der Oberbürgermeister zum Fototermin: Abrissbeginn für die stadteigenen Blocks Wollepark 1–5.

Am 28. April stellen die Stadtwerke das Gas in Block 11 und 12 ab – dafür gibt es keine Fristen.

Am 4. Mai stellt das Landgericht Oldenburg fest, dass keine Zahlung eingegangen ist und die Stadtwerke die Wassersperre nun fristgerecht angedroht haben.

Am 9. Mai kündigen die Stadtwerke an, die erneute Wassersperre am 15. Mai zu vollziehen.

Unter Migranten vom Balkan scheint sich die Adresse herumgesprochen zu haben – und vermutlich war die Stadt froh, dass sie nicht für andere Unterkünfte sorgen musste. Wie viele der 350 offiziellen Bewohner von Zahlungen des Jobcenters oder der Stadt leben, hat die Verwaltung nicht ausgerechnet. Sie verweist nur darauf, dass es auch einige gebe, die von einem Job leben oder zeitweise gelebt haben.

Irgendwann muss zwischen Eigentümern und Verwalter die Idee entstanden sein, die Nebenkosten, die zum großen Teil von kommunalen Institutionen gezahlt werden, nicht mehr an die kommunalen Stadtwerke weiterzureichen. Warum haben die das ausstehende Geld nicht schlicht eingeklagt? Das sei nicht üblich bei den Stadtwerken, erklärt deren Prokurist Dieter Meyer, die Praxis des Abstellens sei effektiver.

Das Problem bei den Blocks im Wollepark ist zudem, dass es nicht für jede Wohnung eine Gas- und Wasseruhr gibt, sondern nur pro Block. Die Stadtwerke hätten auch Zähler einbauen können, dann hätten die Bewohner direkt gezahlt. Das passierte jedoch nicht, weil die Stadt die Gebäude eigentlich abreißen will.

Normalerweise reagieren Mieter, wenn ihnen Wasser und Gas abgestellt werden, direkt mit Mietminderung. Aber die Wollepark-Bewohner wüssten nicht um ihre rechtlichen Möglichkeiten, sagte bei der Diskussion am Mittwoch eine Frau, die eine betroffene Familie betreut. Sie fürchteten die rabiaten Methoden der Männer, die kommen und die Miete in bar kassieren. Und sie scheuten das Risiko, einen Anwalt zu nehmen. Oft wüssten sie nicht einmal, wer gerade der Eigentümer ist.

Auf den Gedanken, für die Bewohner eine anwaltliche Vertretung zu stellen, die dann mit Mietminderung die Eigentümer und ihren Verwalter in die Knie zwingt, ist die Stadt nicht gekommen – sie will ja abreißen. Auf die Frage, wohin mit den Bewohnern, wenn sie ausziehen wollen, gibt es den Hinweis: „Die Stadt kann nur Notunterkünfte anbieten.“

Wenn weder Mieter noch Eigentümer ihre Wohnungen zum Abriss freigeben wollen, dann bleibt offenbar nur das Faustrecht: Mit dem Abstellen des Wassers sollen die Mieter aus ihren Wohnungen getrieben werden, die dann wertlosen Objekte würde die Stadt dann von den Eigentümern günstig erwerben. „Wir werden versuchen, rechtsstaatliche Prinzipien durchzusetzen“, sagte Petra Gerlach, Fachbereichsleiterin der Stadt Delmenhorst. Auf dem Weg dahin nimmt man die Mieter als Geiseln, um die Eigentümer zu erpressen.

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