Wahl im Kongo: Showdown im Tränengas

Für die Armen in Kinshasa ist Oppositionsführer Tshisekedi ein Held. Für die Staatsmacht ist er Provokateur. Der Wahlkampf geht in Gewalt unter.

Blutiger Wahlkampf: Ein Anhänger Tshisekedis am Wochenende in Kinshasa Bild: Yannick Tylle/dpa

KINSHASA taz | Die ersten Jugendlichen tanzen schon in Flaggen gehüllt auf den Straßen, kaum dass über Kongos Hauptstadt die Sonne aufgegangen ist. Musik dröhnt aus Lautsprechern auf einem Lastwagen, der im Schritttempo durch die schmutzigen Gassen tuckert.

Die jungen Männer kleben Plakate. Sie zeigen Kongos beliebtesten Oppositionellen: Etienne Tshisekedi. Der Schriftzug unter dem Gesicht des 79-Jährigen lautet: „Das Volk zuerst“. Eine Parole, die dessen Anhänger im Kanon durch die Straßen grölen.

Am Flughafen von Kinshasa, 24 Kilometer außerhalb des Stadtzentrums, sollen an diesem Morgen die beiden Hauptkonkurrenten um das Präsidentenamt landen, Amtsinhaber Joseph Kabila und Oppositionsführer Etienne Tshisekedi. Vier Wochen lang waren sie durch das Land getourt, das so groß ist wie Westeuropa. Jetzt, am letzten Tag des Wahlkampfs, wollen sie ihre Stärke in der Hauptstadt zeigen.

Montag, den 28. November, wählen die 73 Millionen Einwohner der Demokratischen Republik Kongo einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament. Die Wahl ist logistisch eine gigantische Herausforderung: 32.024.640 registrierte Wähler sollen in 63.865 Wahllokalen zwischen elf Präsidentschaftskandidaten und 18.835 Parlamentskandidaten, aufgeteilt nach 500 Wahlkreisen, entscheiden. Bis jetzt ist unklar, ob die Wahlmaterialien rechtzeitig am richtigen Ort sein werden und die Wahlen damit regulär stattfinden können, da Kongo kaum Infrastruktur hat und derzeit extreme Wetterverhältnisse herrschen.

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Etienne Tshisekedi (79), Anführer der historischen Demokratiebewegung aus der Zeit der Mobutu-Diktatur im früheren Zaire, ist bei der Präsidentschaftswahl der wichtigste Gegenkandidat von Präsident Joseph Kabila (40). Bei den letzten Wahlen 2006 hatte Kabila mit 58 Prozent den ehemaligen Rebellenführer Jean-Pierre Bemba besiegt.

Zehntausende meist arbeitslose junge Männer strömen also den frisch sanierten vierspurigen Boulevard Lumumba durch die gigantischen Slums zum Flughafen nach Ndjili hinunter. Die meisten sind Tshisekedi-Fans. Er macht mit seiner Partei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt) der großen Masse Hoffnung.

Der „Mandela des Kongo“

Fahnenschwenkend preisen sie in Sprechchören vor der Flughafeneinfahrt ihren „Mandela des Kongo“. Tshisekedi will mit seinen Fans in die Innenstadt fahren und vor dem Parlamentsgebäude seine letzte Wahlkampfveranstaltung abhalten – nur wenige hundert Meter vom Märtyrer-Stadion entfernt, in welchem Präsident Joseph Kabila zur gleichen Zeit laut Pressemitteilung eine „amerikanische Star-Show“ zelebrieren will. Doch alles kommt ganz anders.

Als Tshisekedi um elf Uhr immer noch auf sich warten lässt, beginnen die ersten Fans aus Ärger die zahlreichen Kabila-Poster am Flughafeneingang herunterzureißen. Sie werfen Steine auf die Busse, welche rund hundert Kabila-Anhänger zu einem separaten Flughafen-Terminal kutschieren – eine frisch eröffnete VIP-Lodge mit edlen Mahagoni-Möbeln, die auf 15 Grad herunterklimatisiert ist, sodass man fröstelt, während draußen die Tropenhitze bullert.

Mit Schrammen und Schnittwunden von den zerborstenen Fensterscheiben des Busses, doch ausstaffiert mit neuen Kabila-T-Shirts und Schildmützen, wedeln die knapp hundert Jungen und Mädchen vor der frisch geteerten VIP-Einfahrt mit Kabila-Flaggen. Einige zerlumpte Straßenkinder gesellen sich dazu. Das also ist Kabilas Empfangskomitee in Kinshasa?

Zwei Geländewagen mit wehenden Kabila-Flaggen kommen noch angebraust. Evariste Boshab, Generalsekretär der Regierungspartei PPRD (Volkspartei für Wiederaufbau und Entwicklung), steigt aus. „Diese Leute da draußen sind gewalttätig, ich werde wohl für unseren Präsidenten heute sterben müssen“, keucht ein Gehilfe aufgeregt.

Kabila als „Ausländer“

Kabilas Plan ist, winkend die rund 20 Kilometer vom Flughafen bis zum Stadion zu marschieren und sich bejubeln zu lassen. Aber draußen stehen keine Kabila-Jubler. Da stehen Zehntausende wütende Tshisekedi-Fans.

Kinshasa gilt nicht als Hochburg des Präsidenten. Die Lingala sprechenden „Kinois“ bezeichnen den Swahili sprechenden Kabila als „Ausländer“. Der Swahili-Slogan auf Kabilas Wahlplakaten „Mit dem Präsidenten sind wir 100 Prozent sicher“ empfinden sie als Provokation. An den Plakaten lassen sie ihre Wut aus. Bald ist von den Kabila-Postern fast nichts mehr übrig.

Sirenen heulen in der Ferne. Gepanzerte Tränengaswerfer bahnen sich den Weg. Hochgerüstete Hundertschaften mit Helmen und Schlagstöcken steigen von nagelneuen Mannschaftswagen. Die Präsidentengarde kommt, in Camouflage und mit schweren Maschinenpistolen. Sie hat einen klaren Befehl, so scheint es: Die Straße für den Präsidenten zu säubern.

Die Tränengaswerfer feuern in die Menge, Tausende Jugendliche flüchten auf die Wiese jenseits der Fahrbahn. Nachdem der Wind das Gas davonweht, wagen sich die ersten Mutigen wieder zurück. Da verliert die Garde die Geduld. Sie schießt – immerhin über die Köpfe hinweg. Von anderen Richtungen feuern Polizisten Gummigeschosse. Mindestens zwei Menschen sterben im Kugelhagel, die taz zählt sechs Schwerverletzte. Die Opposition spricht später sogar von zehn Toten und über hundert Verletzten.

Kabilas Maschine dreht ab

Soll Kabila wirklich durch Tränengas laufen, an Leichen und steinewerfenden Oppositionellen vorbei? Die Präsidentenmaschine dreht vor dem Landeanflug ab. Kabila fliegt direkt in seine Residenz, bestätigt später eine Quelle aus seinem Lager. Und die Sicherheitsorgane erklären: Alle Wahlkampfveranstaltungen sind abgesagt, mit sofortiger Wirkung. Es herrscht absolutes Versammlungsverbot.

Aber draußen vor dem Flughafengelände stehen sie noch, zu Zehntausenden, lauter zerlumpte knochendürre junge Männer. Sie warten auf Tshisekedi, ihren Helden. Sie nähern sich unbeirrt dem Flughafenterminal. Die Soldaten und Polizisten müssen sich langsam zurückziehen. Die Sprechchöre steigern sich zu wüsten Songs: „Wir beten, dass Diktator Kabila sterben wird“, brüllen sie und spucken der Präsidentengarde vor die Stiefel.

Unterdessen kreist Tshisekedis Maschine bereits eineinhalb Stunden über der Hauptstadt und bekommt keine Landeerlaubnis. Letztlich landet sie auf der Piste Ndolo in der Innenstadt, vor fünf Jahren Stationierungsort der Bundeswehr. In einem knallroten Hummer-Geländewagen braust Tshisekedi in Richtung Ndjili: Er will seinen Triumphmarsch durchziehen.

Tshisekedi kommt rechtzeitig, um seine Fans zu beruhigen, bevor sie die Militärs überwältigen. Japsend winkt der erschöpfte alte Mann aus dem Dach seines Jeeps. Seine Fans brüllen und kreischen. Wie ein Großvater mahnt er sie zur Ruhe: „Ich danke dem kongolesischen Volk, dass es mich bereits jetzt zum Präsidenten der Republik gekürt hat“, sagt er. Er werde seine Rallye fortsetzen, Verbot hin oder her.

Kaum will sich der Konvoi in Bewegung setzen, blockieren Polizeiautos den Weg. Erneut sprüht Tränengas, Schüsse fallen. Die Fans laufen jetzt in alle Richtungen davon.

Tshisekedi eingekesselt

Es ist früher Abend. Während die knallrote Sonne allmählich untergeht, wird es still und leer um den Flughafen. Tshisekedis Konvoi, umzingelt, kann sich keinen Schritt bewegen. „Das ist doch keine Demokratie, das ist ein Polizeistaat!“, brüllt Tshisekedis Berater Valentin Mubake und redet sich in Rage: „Kabila soll nach Ruanda oder Tansania zurückkehren, wo er herkommt, er ist doch nicht einmal einer von uns!“

UDPS-Generalsekretär Jacquemin Shabani bemüht sich um eine sachliche Verhandlung. Vergeblich. Ein Armeegeneral lässt sich blicken, gibt dem Polizeichef Anweisungen. Tshisekedi selbst bekommt kaum etwas mit. Er döst in seinem Wagen, hinter getönten Scheiben.

Es wird dunkel. Den Polizisten ist es gelungen, die Massen mit Gewalt zu vertreiben. Eine Handvoll Journalisten, deren Autos von der Polizei blockiert sind, sind die einzigen Zeugen. Eine Einheit UN-Blauhelme trifft ein. Sie fordern ein Mediationsteam an, welches Tshisekedi überzeugen soll, sich mit einer UN-Eskorte in seine Residenz fahren zu lassen, um den Spuk zu beenden. Tshisekedi bemüht sich nicht einmal, mit den Mediatoren zu reden. Er schickt Funktionäre vor. Generalsekretär Shabani willigt zuerst ein, dann aber doch nicht. Auch die Nummer zwei der Monusco, Fidèle Sarassoro, kann keine Einigung erzielen.

Als Berater Mubake aus der VIP-Lounge zu den blockierten Wagen zurückkehrt, flucht er über die UNO: „Die stecken doch mit Kabila unter einer Decke“, brüllt er – so laut, dass die Polizisten, die mittlerweile auf dem Asphalt dösen, aufschrecken. „Wir wollen keine Eskorte nach Hause!“ ruft er. „Wir wollen unsere Rallye abhalten! Das ist unser Recht!“ Die UNO solle dafür sorgen, dass die Polizisten die Blockade aufgeben. Es ist 22 Uhr.

Der UN-Vize steigt unverrichteter Dinge wieder in seinen Wagen, auch die Blauhelme ziehen ab. Kaum ist der Konvoi außer Sichtweite, kommt Bewegung in die Sache. Der Polizeikommandeur pfeift seine schlafenden Einheiten zusammen. Vor Hunger und Durst schlecht gelaunt, klettern sie auf die Mannschaftswagen. Motoren starten, Hoffnung schimmert auf.

Da stürmen Dutzende Polizisten blitzschnell los, reißen die Türen zu Tshisekedis Wagen auf, zerren seinen Fahrer sowie Generalsekretär Shabani mit Gewalt heraus. Eine weitere Mannschaft stürzt sich auf die Journalistenautos. Mit Fäusten und Schlagstöcken trommeln sie auf die Fensterscheiben ein. Aus dem Rückspiegel beim Davonfahren ist zu erkennen: Ein Polizist schwingt sich auf Tshisekedis Fahrersitz, lässt den Motor an. Der Alte hat keine Wahl. Er wird mit Gewalt nach Hause gefahren. Der Wahlkampf ist zu Ende.

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