Widerstand gegen ESM-Vertrag: Klagen für Karlsruhe

Das Bundesverfassungsgericht muss zügig einen Eilbeschluss zu ESM-Vertrag und Fiskalpakt vorbereiten. Der Bundespräsident will Gesetze vorerst nicht unterschreiben.

Die Empfangsbestätigung einer Klage vom Samstag. Bild: dpa

FREIBURG taz | Ab Freitagabend ging es Schlag auf Schlag. Die Linken schickten ein Fax, Peter Gauweiler sandte einen Boten, „Mehr Demokratie“ schickte den Geschäftsführer, und die Professoren um Karl-Albrecht Schachtschneider kamen am Samstag „fünf vor 12“ sogar persönlich nach Karlsruhe, um ihre Verfassungsbeschwerde abzugeben.

Alle klagen jedenfalls gegen ESM-Vertrag und Fiskalpakt, nachdem am Freitagabend Bundestag und Bundesrat den Verträgen zugestimmt hatten. Der ESM-Vertrag schafft einen dauerhaften Rettungsschirm mit einem Stammkapital von 700 Milliarden Euro, der überschuldeten EU-Staaten zinsgünstige Kredite geben soll. Der Fiskalpakt zwingt alle Eurostaaten zur Einführung einer Schuldenbremse nach deutschem Vorbild. Die Klagen richten sich jeweils gegen die deutschen Zustimmungsgesetze, mit unterschiedlichen Schwerpunkten.

Der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler wendet sich vor allem gegen den ESM-Vertrag. Er wird, wie schon bei früheren Klagen, vom Freiburger Rechtsprofessor Dietrich Murswiek vertreten. – Die Bundestagsfraktion der Linken klagt gegen den Fiskalpakt. Die Abgeordneten der Linken klagen (als Bürger) gegen den ESM-Vertrag. – Der Verein „Mehr Demokratie“ findet, dass beide Verträge zusammen die Verfassungsordnung so sehr verändern, dass ihnen nur nach einer Volksabstimmung zugestimmt werden dürfte.

Die Klage wurde formuliert von Ex-Justizministerin Herta-Däubler-Gmelin (SPD) und dem Professor Christoph Degenhardt. Sie wird unterstützt von rund 12.000 Bürgern, dem Bund der Steuerzahler, den Freien Wählern, der ödp und der Berliner Piratenpartei. – Die Professorengruppe um den Juristen Karl-Albrecht Schachtschneider und den Ökonomen Wilhelm Hankel ist wie schon seit 1993 generell gegen den Euro – und seine Rettung.

Teil eines europäischen Bundesstaats

Die Klagen sind in der Regel mit Eilanträgen verbunden. Die beiden Verträge sollen vom Bundespräsidenten so lange nicht unterschrieben werden, bis Karlsruhe über die Klagen in der Hauptsache entschieden hat. Präsident Gauck hat bereits zugesagt, dass er zumindest bis zur Entscheidung der Eilanträge warten wird. Diese könnte in den kommenden drei Wochen fallen. Ob es eine mündliche Verhandlung gibt, ist noch offen.

Die Kläger behaupten in verschiedenen Variationen, dass Deutschland den Kern seiner Staatsgewalt aufgegeben hat und nun Teil eines europäischen Bundesstaats werde. Allerdings werden mit den beiden Verträgen kaum neue Hoheitsrechte auf die EU übertragen. Die Frage nach einer Volksabstimmung zur Überwindung der deutschen Eigenstaatlichkeit muss wohl erst in Zukunft entschieden werden, falls zum Beispiel eine engere politische Union mit gemeinsamer Haushalts- und Steuerpolitik angestrebt wird.

Im Mittelpunkt der Diskussionen in Karlsruhe wird diesmal wohl stehen, ob der Bundestag beim ESM-Vertrag ein zu großes finanzielles Risiko übernimmt und dadurch das Wahlrecht der Bürger potenziell entwertet. Beim vorläufigen Schutzschirm EFSF hat Karlsruhe im September 2011 noch kein Veto eingelegt und auch nicht angedeutet, dass der ESM-Vertrag ein Problem sein könnte.

Beim Fiskalpakt wird moniert, dass der Bundestag die bereits im Grundgesetz stehende Schuldenbremse künftig nicht mehr abschaffen könnte, wenn er wieder mehr Schulden machen will. Eine solche völkerrechtliche Bindung ist aber nichts Ungewöhnliches und deshalb noch kein Demokratieverstoß. Und Schuldenbremsen finden die Verfassungsrichter sogar ausgesprochen gut.

Signal der Wachsamkeit

Die beim Fiskalpakt außerdem angegriffene Haushaltsüberwachung überschuldeter Staaten ist nichts wirklich Neues. Sie existiert im Wesentlichen bereits im geltenden EU-Recht, inklusive Korrekturempfehlungen und Sanktionen.

Im Kern sind die Erfolgsaussichten der Klagen also nicht allzu groß. Möglicherweise verlangen die Verfassungsrichter aber eine Änderung der Begleitgesetze, in denen die Rechte des Bundestags bei der Eurorettung beschrieben werden. So könnte Karlsruhe ein Signal der Wachsamkeit setzen, ohne Probleme in Europa zu verursachen.

Die jüngsten Änderungen des ESM-Pakts durch den EU-Gipfel von vergangenem Donnerstag und Freitag werden vom Bundesverfassungsgericht noch nicht geprüft, da sie auch vom Bundestag noch nicht beschlossen wurden.

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