Zugunglück und Starkregen: Das neue Normal
Konstruktionen wie Bahndämme wurden in der Zeit vor dem Klimawandel geplant. Die Normen von gestern taugen nicht mehr für die Zukunft.

W ann der nebel im summer off zücht, Bedüt am tag oder am morgen fücht.“ Das ist eine der Bauernregeln, die 1508 erstmals im Buch „Bauern-Praktik“ veröffentlicht wurde. Grundlage waren Beobachtungen im mitteleuropäischen Klima, die seitdem die Arbeit der Bauern bestimmten: Wenn es im Sommer frühmorgens Nebel gibt, sollte besser nicht geerntet werden. Zu feucht eingefahrenes Getreide droht zu verderben.
500 Jahre später sind es DIN-Normen, die gute fachliche Praxis vorschreiben: Sie definieren technische Standards, die in Deutschland Qualität und Sicherheit von Bauprojekten, Produkten oder Dienstleistungen garantieren. Brot backen, Benzin herstellen, Gebäudedämmung oder der Bau von Bahnstrecken: Alles in diesem Land wird nach den Normen des Deutschen Instituts für Normung hergestellt. Das arbeitet seit 1917, einer Zeit also, in der es noch keinen Klimawandel gab.
Noch sind die Untersuchungen zum Bahnunglück in Oberschwaben nicht abgeschlossen, aber alles deutet darauf hin, dass Regen die Ursache war. Sicherlich kein normaler Regen, aber doch einer, vor dem die Wissenschaft schon im 20. Jahrhundert warnte: Wenn wir keinen Klimaschutz betreiben, werden extreme Regenfälle das neue Normal. Die vergangenen Jahre zeigen, wie weit wir sind: Simbach in Niederbayern erlebte 2016 ein Jahrhunderthochwasser, 2017 traf es Goslar, 2018 erwischte es das Vogtland und die Eifel, 2019 war Kaufungen nahe Kassel dran, 2020 dann das fränkische Herzogenaurach und Mühlhausen in Thüringen.
2021 folgte die Ahrtal-Katastrophe, 2023 das Weihnachtshochwasser in Norddeutschland. Bahndämme wurden ohne den Klimawandel gebaut – die Bauvorschriften berücksichtigen heutige Starkregenereignisse nicht.

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.
Deshalb müssen wir uns anpassen. Klimawandel entwertet kollektives Erfahrungswissen, die DIN-Normen von gestern taugen nicht mehr für die Zukunft. Vor allem aber müssen wir anfangen, echten Klimaschutz zu betreiben. Denn wenn wir dies nicht tun, sind neue DIN-Normen schon in wenigen Jahren wieder überholt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Zugunglück und Starkregen
Das neue Normal
Jan van Aken
„Keine Solidarität mit Hungermördern“
Wirtschaftsministerin Katherina Reiche
Im Klassenkampfmodus
Rechtsextremist Horst Mahler gestorben
Ein deutsches Leben
Zahlen der Jobcenter
Keine Belege für eine große Bürgergeld-Mafia
CSDs und die Mehrheitsgesellschaft
Queere Menschen machen es vor