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Zunehmende häusliche GewaltSchutzwohnungen jetzt auch für Männer

In Hamburg und Hannover wurden erste Unterkünfte für männliche Opfer von häuslicher Gewalt eröffnet. Der Bedarf ist deutlich gestiegen.

Bis zu einem Viertel der Opfer von Gewalt in Partnerschaften sind männlich Foto: Jonas Walzberg/dpa

Häusliche Gewalt in Partnerschaften betrifft überwiegend Frauen, drei Viertel der Opfer sind weiblich. Aber auch Männer sind betroffen, erleben psychische Demütigungen oder physische Übergriffe und brauchen Unterstützung. Für sie gibt es bislang jedoch kaum Angebote.

In Hannover und Hamburg sind Mitte Oktober nun die ersten Schutzwohnungen für männliche Opfer von häuslicher Gewalt eröffnet worden. In Hannover betreibt der Verein Männerbüro seit dem 15. Oktober das erste Angebot dieser Art in der Region.

Die Einrichtung an einer geheimen Adresse bietet Platz für drei Väter und ihre Kinder. Die Wohnung ist familienfreundlich gestaltet. Ergänzt werde das Angebot um eine umfassende Beratung von psychosozialer Begleitung über Behördenhilfe bis hin zur Entwicklung neuer Lebensperspektiven, teilte das Männerbüro am Montag mit. Finanziell getragen wird das Projekt vom Land Niedersachsen, der Region Hannover und der Stadt.

In Hamburg stellt der Träger Lawaetz – Wohnen & Leben ebenfalls seit Anfang September einen Schutzraum für Männer und nichtbinäre Personen bereit, die von Partnerschaftsgewalt betroffen sind. Derzeit gibt es dort einen Schutzplatz, aber es sollen bald mehr werden, so die Stiftung. Kinder können auch hier mit aufgenommen werden.

Bedarf dramatisch gestiegen

Mit der Einrichtung der hannoverschen Wohnung werde eine eklatante Versorgungslücke geschlossen, sagt Projektleiter Tjark van Neer. Der Verein Männerbüro berät in der Stadt seit 20 Jahren sowohl männliche Täter als auch männliche Opfer häuslicher Gewalt. Die Gewaltschutzwohnung ergänze nun als wichtiger Baustein das Gewaltschutzsystem in der Landeshauptstadt, so van Neer.

Das Projekt ist Teil des Hannoverschen Interventionsprogramms gegen Partnerschaftsgewalt (Haip), das Polizei, Justiz und Beratungsstellen vernetzt. Zunächst soll es bis 2027 laufen. Ziel sei, das Angebot dauerhaft zu sichern und auszubauen. Dafür brauche es verlässliche Mittel, die gesellschaftliche Anerkennung männlicher Opfer häuslicher Gewalt und eine Enttabuisierung des Themas, so das Männerbüro.

Der Bedarf ist laut dem Verein dramatisch gestiegen. So habe sich die Zahl der gemeldeten Fälle häuslicher Gewalt gegen Männer in der Region in den vergangenen drei Jahren mehr als verdoppelt: von 510 Meldungen 2021 auf 1.293 im Jahr 2024, das ist ein Plus von über 150 Prozent. Hintergrund sei eine steigende Zahl von Fällen, aber auch eine wachsende Bereitschaft, diese zu melden, so das Männerbüro.

Die Kriminologische Forschungsstelle Niedersachsen (KFN) führt die steigende Zahl der Fälle von häuslicher Gewalt gegen Männer auf die Pandemie und wirtschaftliche Belastungen zurück

Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) der Polizeidirektion Hannover bestätigt den Trend: Demnach wurden 2024 rund 6.814 Fälle häuslicher Gewalt registriert. Bei rund einem Fünftel der Fälle waren die Opfer männlich. Die Zahlen vom Männerbüro basieren auf Beratungs- und Meldezahlen, die die offizielle PKS ergänzen, da nicht alle Fälle polizeilich erfasst werden.

Auch in Hamburg ist die Situation dringlich: Dort gab es laut NDR 2023 mehr als 850 Fälle von einfacher Körperverletzung gegen Männer in Partnerschaften, ein Anstieg um 120 Taten im Vergleich zum Vorjahr.

Die Kriminologische Forschungsstelle Niedersachsen (KFN) führt die steigende Zahl der Fälle von häuslicher Gewalt gegen Männer auf die Pandemie und wirtschaftliche Belastungen zurück: Isolation und Stress förderten Aggressionen in Beziehungen, unabhängig vom Geschlecht. Bei Männern gehe es dabei oft um psychische Demütigung, um wirtschaftliche Kontrolle oder physische Übergriffe in queeren Beziehungen.

Bundesweit sind solche Angebote für schutzsuchende Männer noch selten. Trotz steigender Meldezahlen und des neuen Gewalthilfegesetzes, das geschlechterübergreifenden Schutz fordert, gibt es nur ein lückenhaftes Netz an Einrichtungen. Derzeit gibt es laut Männerbüro bundesweit 53 Plätze in 17 Einrichtungen für männliche Opfer. Die Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz (BFKM) dokumentiert jährlich die Nutzung. Laut deren Zahlen sind sogar ein Drittel der Opfer häuslicher Gewalt männlich.

Im Norden gibt es bislang nur in Oldenburg eine seit 2002 bestehende Schutzwohnung, die ehrenamtlich betrieben wird. In Schleswig-Holstein und Bremen gibt es solche Wohnungen bisher noch nicht. Für Hilfesuchende bleiben dort bislang nur die Beratungsstellen.

Die Bundesfach- und Koordinierungsstelle Männergewaltschutz (BFKM) fordert, die Hilfe für männliche Opfer von Partnerschaftsgewalt massiv auszubauen: Mindestens 500 Plätze seien nötig.

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