Ärzte dürfen weiter Geiselnehmer heißen

Als im vergangenen Jahr die Ärzte gegen die Gesundheitsreform protestierten, nannte die Gesundheitsministerin sie „Geiselnehmer“. Daraufhin klagte ein Arzt gegen Ulla Schmidt. Das Oberlandesgericht Karlsruhe lehnte seine Klage gestern ab

AUS FREIBURG CHRISTIAN RATH

Ärzte, die gegen die Gesundheitsreform protestieren, dürfen weiter als „Geiselnehmer“ bezeichnet werden. Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe lehnte gestern die Unterlassungsklage eines Arztes ab, der dies verhindern wollte. Die Ehre des einzelnen Arztes sei nicht betroffen, wenn schlecht über eine „unüberschaubar große Gruppe“ von Ärzten gesprochen wird.

Konkret ging es um eine Äußerung von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) aus dem Dezember des vergangenen Jahres. Die Ministerin kritisierte damals, dass viele Ärzte an einem Aktionstag ihre Praxen geschlossen hatten, um gegen die geplante Gesundheitsreform der großen Koalition in Berlin zu protestieren: „Mich ärgert, wenn Patienten oder kranke Menschen in Geiselhaft genommen werden für Forderungen nach mehr Geld.“ Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach äußerte sich damals ähnlich.

Über diese Aussagen war der Freiburger Arzt Thomas Rossbach, der als einer der Wortführer an den Ärzteprotesten teilgenommen hatte, sehr empört. Er erhob deshalb Unterlassungsklage. Rossbach forderte von der Gesundheitsministerin einen Widerruf: Schmidt solle erklären, dass Ärzte keine Geiselnehmer sind.

Eine Strafanzeige anderer Ärzte war schon längst zu den Akten gelegt worden, der zivilrechtliche Unterlassungsanspruch schien aber nicht aussichtslos zu sein. Das Oberlandesgericht verhandelte vor rund zwei Wochen erstaunlich ausführlich über die Frage.

Rossbachs Anwalt warf der Ministerin vor, sie betreibe unzulässige Schmähkritik. Die Ärzte würden auf eine Stufe mit Schwerverbrechern gestellt. „Da soll eine Berufsgruppe mundtot gemacht werden“, sagte der Anwalt, „denn mit Geiselnehmern redet man nicht.“ Thomas Rossbach hielt dazu immer wieder das damals aktuelle Stern-Titelbild mit dem von der RAF entführten und später erschossenen Hanns-Martin Schleyer in die Höhe.

Auf der Gegenseite erklärte Anwalt Gernot Lehr, der Ulla Schmidt vertrat, den Prozess für überflüssig. „Politiker müssen sich nun mal pointiert zu Wort melden.“ Das Bild der Geiselhaft werde schließlich auch sonst immer wieder gebraucht.

Der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht, Michael Bauer, sorgte für Spannung, indem er auf neue Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts verwies. Danach müsse bei mehrdeutigen Äußerungen zumindest klargestellt werden, was man nicht meine.

Gestern lehnte Richter Bauer die Klage nun aber doch ab. Weil rund 40.000 Ärzte am Aktionstag ihre Praxen geschlossen hatten, könne sich Rossbach nicht als Individuum beleidigt fühlen. „Je größer der Kreis des herabgesetzten Kollektivs ist, desto mehr verliert sich die Beleidigung in der Unbestimmtheit“, sagte der Richter.

Damit hat das OLG die Meinungsfreiheit in politischen Auseinandersetzungen sicher gestärkt. Ausdrücklich offen ließ das Gericht aber, wie die neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konkret anzuwenden ist und ob von Politikern nun ständig Klarstellungen verlangt werden können. (Az.: 14 U 11/07)