Harlem Colossus

Bei seinem Kölner Konzert zeigte sich Ausnahmesaxofonist Sonny Rollins noch einmal als überzeugter Kulturarbeiter, der mit tiefer Stimme über das Erbe des Jazz wacht

In aufrechter Haltung wacht er über seine Würde. Helge Schneider sitzt vor ihm in der ersten Reihe. 2.200 Karten zwischen 45 und 110 Mark gingen in den vergangenen Wochen über den Tresen, die Kölner Philharmonie ist ausverkauft. Es war das erste von zwei Konzerten, die der Saxofonist Sonny Rollins dieses Jahr in Deutschland gibt. Er tritt nur selten auf, seine Gagen zählen zu den höchsten im so genannten Jazzbusiness, er ist der Event.

Jazz sollte mehr können, als eine Backgroundmusik für Champagner und Cocktails zu sein, hat Rollins immer wieder gesagt. Zwischen den Titeln ballt Rollins seine rechte Faust zum Gruß, für einen knappen Moment und bis Kopfhöhe nur – schließlich braucht die soziale Sprengkraft seines Sounds kein aufdringliches Gehabe. Leichtes schwarzes Designer-Outfit mit dunkler Brille und weißem Bart, Sonny hat immer darauf geachtet, gut rüberzukommen: Vor vierzig Jahren uniformierte er seine Band mit teuren Anzügen, heute ist der größte gemeinsame Nenner des Band-Outfits ihre Krawattenlosigkeit.

Wenn Rollins seine Ansagen macht, versteht man sofort, warum nur wenige Stars der aktuellen amerikanischen Szene sich trauen würden, ihn anzusprechen, falls sie ihm einmal im Fahrstuhl begegnen sollten. Seine Stimme ist tief und kratzig, sein Saxofonsound spröde und bissig. Rollins hat sie alle überlebt – Miles Davis, John Coltrane, Thelonious Monk. Die Erfinder des Jazz, mit denen er in den Fünfzigerjahren auf den legendären Bühnen stand. Später empfand es Rollins dann als diskriminierend, wenn man ihn für Festivals buchte, ihn aber nicht zum Headliner machen wollte. Benny Goodman wurde einst der King of Swing genannt, für Rollins Ausdruck einer vom Rassismus dominierten Sprachregelung und Wahrnehmung. Denn Goodman war weiß – und da liegt das Problem, das Rollins immer wieder thematisiert. In jedem seiner Soli zitiert er die große Tradition des Jazz, und die ist aus seiner Sicht eine originär afroamerikanische Kulturleistung.

Mit „Salvador“, dem Kernstück seiner aktuellen CD „This Is What I Do“, eröffnet der siebzigjährige Rollins, von der New Yorker Wochenzeitung Village Voice schon vor Jahren als „The Greatest Living Jazz Musician“ bezeichnet, sein Konzert. In dieser Hommage an die Haupstadt Bahias, einer Region Brasiliens, in der wesentliche afrikanische Kultursegmente der einstigen Sklaven bis heute überlebt haben, sind die Rhythmen zentral. Rollins hat zwar über dieses Phänomen bisher nur gelesen, war selbst also noch nicht in Bahia gewesen, doch für ihn sind die Drums, die Beats das wesentliche Bindeglied der verschiedenen Ausprägungen schwarzer Musik.

Rollins wuchs im New Yorker Stadtteil Harlem auf, aber dank des Einflusses seiner Mutter, die von den Virgin Islands stammte, führte er einst mit seinen Kompositionen „St. Thomas“ und „Don’t Stop The Carnival“ karibisch-orientierte Rhythmen und Melodien in den Jazz ein. Rollins, ein Meister der Ballade, in seiner Version des Billie-Holiday-Klassikers „In My Solitude“ auch eindrucksvoll in Erinnerung gerufen, machte den besseren Schnitt im zweiten Set. Lauter und intensiver vor allem, als hätte er seiner anfangs eher müde wirkenden Band in der Pause den Gehaltszettel vorgelesen.

Dann war es vor allem der Pianist Stephen Scott, den Rollins zu Höchstleistungen animierte, wobei selbst bei den schweren Grooves seiner „Global Warming“-CD alles im kontrollierten Rahmen bleibt. Rollins verlangt viel Respekt und hinterlässt doch selbst den Eindruck einer latenten Steife. Alles, was er macht, zielt auf Haltung, kompromisslos schön, aber auch leicht verschroben. Und da er in seinem Sextett einfach keinen Musiker beschäftigt, der ihm selbst nahe kommen könnte – sei es nun durch Leistung, Image oder einfach nur Mut –, bleibt seinen Musikern die Rolle der Dienenden, nicht die der Kämpfer. Aufrecht wacht Rollins über das Bühnengeschehen, der letzte große Event der Jazzgeschichte belohnt Standing Ovations mit vier Zugaben.

CHRISTIAN BROECKING

Am 12. 5. in Stuttgart