Schröder legt sich fest

Der Abgeordnete Schröder zur Präimplantationsdiagnostik: „Ist das wirklich etwas, was man unter allen Umständen ausschließen darf? Ich meine nein.“

aus Berlin MATTHIAS URBACH

Entspannt lehnt sich Gerhard Schröder zurück. Ein Arm über der Rückenlehne, der Oberkörper rutscht an der Lehne herunter. So ruht der Kanzler in seinem Sitz. Entschuldigung. Es ist nicht der Kanzler. Heute ist er der „Abgeordnete Schröder“. Dieser Mann sitzt nicht wie gewöhnlich auf der Regierungsbank, sondern in der ersten Reihe der SPD-Sitze im Plenum, zwischen Peter Struck und Wolfgang Wodarg. Und er fühlt sich wohl dabei.

Dies soll, so heißt es seit Wochen, „die Stunde des Parlaments“ werden. Losgelöst von Fraktionszwängen will man die ethischen Konflikte durch die moderne Biomedizin debattieren: um Präimplantationsdiagnostik und Embryonenverbrauch durch die Forschung. In einer vierstündigen Grundsatzdebatte und – das ist äußerst ungewöhnlich – ohne eine Beschlussvorlage. Doch in der SPD gibt es schon seit zwei Wochen Unruhe: Die Fraktionsspitze versucht, den Kanzler davon abzuhalten, in die Rolle des Abgeordneten zu schlüpfen. Vergebens.

„Nicht doch vertretbar?“

Und die SPD wäre nicht die SPD, wenn sie ihrem Kanzler am Ende des internen Zwists nicht gleich den zweiten Redebeitrag der SPD zuschustern würde. Den ersten hält die Sozialdemokratin Margot von Renesse, die auch der Enquetekommission „Recht und Ethik in der modernen Medizin“ vorsitzt. Dann folgen die Gentechnikexperten der anderen Fraktionen. Bis als sechster Redner Schröder an der Reihe ist.

Der Abgeordnete Kanzler tritt ans Podium, und was er sagt, klingt mehr wie eine Regierungserklärung. Gleich als Erstes verteidigt er den Ethikrat, den er als Kanzler, nicht als Abgeordneter eingesetzt hat. Dann legt er sich fest: „Ist das [die Präimplantationsdiagnostik, PID] wirklich etwas, was man unter allen Umständen ausschließen darf? Ich meine nein.“ So weit hat sich Schröder bislang nicht vorgewagt. Und auch die verbrauchende Embryonenforschung erwähnt er mit großem Wohlwollen. Ob es „nicht doch vertretbar“ sei, an bei der künstlichen Befruchtung übrig gebliebenen Embryonen „angesichts der Alternative, dass sie weggeworfen werden, begrenzte Forschung zu ermöglichen?“, fragt er. „Diese Frage wird uns nicht loslassen.“

Die Stunde des Kanzlers

In diesem Moment ist klar, dass des Kanzlers Festlegung die Berichterstattung über die eigentliche Debatte überlagern wird. Denn die Positionen der meisten Abgeordneten, die an diesem Tag sprechen, sind bekannt, Schröders Erklärung aber ist das Neue. Das, was die Stunde des Parlaments sein sollte, wird in diesem Moment die Stunde des Kanzlers.

Wie eingeschüchtert mancher schon ist, offenbart ausgerechnet der Oppositionsführer. Friedrich Merz nutzt seine Rede vor allem, um sich auf den Ethikrat des Kanzlers einzuschießen. „Ich hoffe, Herr Bundeskanzler, dass diese Debatte, die wir heute führen, nicht eine reine Alibifunktion hat“, erklärt der Fraktionschef der Union. „Dieses Gremium ist eine Zumutung für den deutschen Bundestag.“ Er, so Merz, betrachte mit Sorge die „voranschreitende Entparlamentarisierung der Bundesrepublik“. Nun wäre aber für ein neues Gesetz zur Biotechnik immer der Bundestag entscheidend. „Wir alle haben als Parlamentarier jeden Grund, selbstbewusster zu sein als der Fraktionsvorsitzende der CDU“, entgegnete der Grüne Fraktionschef Rezzo Schlauch.

Dass Merz aber doch nicht ganz falsch lag, offenbart SPD-Fraktionschef Peter Struck, der Schröder den Vortritt gelassen hat: „Ich bin weit davon entfernt, Rat geben zu können“, sagt ausgerechnet der Taktgeber der SPD-Fraktion. „Ich suche Rat, um mich entscheiden zu können.“

Nein, Struck legt sich nicht fest. Und lässt so den vorpreschenden Kanzler gewähren. Doch jenseits solcher Unsicherheiten gereicht die Debatte dem Parlament durchaus zur Ehre. Geht man nach den Meinungen der Redner, hat der Kanzler durchaus keine Mehrheit auf seiner Seite. Die Forschung an menschlichen, embryonalen Stammzellen lehnt eine überwältigende Mehrheit ab. Lediglich die FDP ist klar dafür, sowie ein paar versprengte Abgeordnete, darunter Peter Hintze (CDU), der nicht einsehen will, warum man Embryos und Menschen auf eine Stufe stellen wolle. „Für mich steht es im Interesse des Lebensschutzes, die medizinische Forschung nach Kräften zu unterstützen“, argumentiert Hintze. „Als Christen sollten wir Menschen retten, nicht Prinzipien.“

Damit ist er in der Minderheit. Die meisten sehen den Lebensbeginn mit der Verschmelzung von Eizelle und Samen. Angela Merkel stellt diesen Satz gar an den Anfang ihrer Rede – und nennt ihn „den Fixpunkt“ in der Debatte. Für sie habe der Mensch von da an die „volle Menschenwürde“ und genieße den totalen Schutz. Und die meisten Abgeordneten, ob Grüne, Sozialdemokraten oder PDSler folgen ihr dabei. Schon weil ein Embryo außerhalb der Frau besonders gefährdet sei, habe die Gesellschaft eine Verpflichtung, ihn rechtlich „so gut sie kann zu schützen“, sagt etwa die Grüne Monika Knoche.

Regelmäßig wird an diesem Tag erklärt, die Embryonenforschung sei verfassungswidrig. Ein Vorbehalt, den der FDP-Abgeordnete Edzard Schmidt-Jortzig vergeblich mit juristischen Argumenten zu zerstreuen sucht: Zwar sei laut Verfassung die „Menschenwürde“ unantastbar, nicht aber das „Menschenleben“, in das gesetzliche Eingriffe möglich seien. Und für ihn habe ein wenige Zellen großer Embryo noch keine Würde.

Weniger eindeutig ist die Haltung des Plenums zur PID. Während bei Union, Grünen und PDS die Ablehnung überwiegt, können sich außer der FDP auch Teile der SPD und einige CDUler, darunter Angela Merkel, eine Straffreiheit für die Nutzung der PID unter strengen Einschränkungen vorstellen. Margot von Renesse hat diese weit verbreitete Haltung gleich in ihrem Eingangsvortrag auf den Punkt gebracht: „Wir wünschen uns Eltern, die ihre Kinder annehmen, so wie sie sind – und sie nicht erst vors Licht halten, um [sie] zu prüfen.“ Doch so sehr sie grundsätzlich eine Selektion ablehne, man könne nicht Eltern mit dem „Knüppel des Strafrechts“ treffen, die ohnehin „vom Schicksal geschlagen“ seien, weil sie Behinderungen vererben könnten.

Der Tag des Parlaments

Es ist eine der kleinen Offenbarungen, dass auch einzelne Grüne entgegen des jüngsten ablehnenden Fraktionspapiers sich eine PID vorstellen können. „Eine Behandlung zu verbieten, die später im Mutterleib ohne weiteres vorgenommen werden kann“, wendet etwa Rita Grießhaber ein, „das erschließt sich mir nicht.“ Auch andere Abgeordnete spielen auf diesen Widerspruch an. Denn dieselbe Information wie durch die PID am Embryo lässt sich auch am fünf Monate alten Fötus per Fruchtwasseruntersuchung gewinnen – mit der Möglichkeit zur Abtreibung.

Trotz der zum Teil erheblichen Unterschiede sind die meisten mit Andrea Fischer darin einig, dass sich keiner mit seiner Moral über den anderen erheben sollte. Ein paar Ausnahmen gibt es schon. Abgeordnete wie Hubert Hüppe (CDU), der sich selbst einen „Fundamentalisten in dieser Frage“ nennt. Keiner lehnt die PID so entschieden ab: „Wir schaffen das Leid nicht aus der Gesellschaft, indem wir die Leidenden aus der Gesellschaft schaffen. Es gibt keine Ethik des Heilens durch Töten.“

Wenn es noch eine Einsicht gibt, dann dass auch die PDS nicht so geschlossen ablehnend ist, wie ihr Ombudsmann in der Enquetekommission gern behauptet. Pia Maier argumentiert pro PID. „Die Ausstattung des Embryos mit vollen Schutzrechten steht gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau.“

So war es trotz der Irritationen um Schröder, Struck und Merz zumindest eine aufschlussreiche Debatte. Und wenn man die auf diesen Tag fokussierte massive Berichterstattung über die Biomedizin als einen Erfolg der Parlamentarier werten will – dann war gestern auch ein wenig der Tag des Parlaments.