Schleichend zum Ziel

Afrikanische Tempelpriesterin, Nachfolgerin von Billie Holiday, heißer Scheiß in Sachen neuer Soul: Erykah Badu gelang in Hamburg, ihren Spirit und seelenvollen Minimalismus auch live zu performen

von HARALD FRICKE

An den Schuhen kann man sie nicht auseinander halten. An den Hosen auch nicht. Die Girls nebenan haben sich das Bündchen unten aus ihren Karatehosen herausgetrennt, damit der Schlag besser schlabbert. Dazu tragen sie schwarze und rote Kapuzenshirts plus abgewetzte Lederjacken. Die Girls singen sonst bei TicTacTwo und haben heute Abend freibekommen für Erykah Badu. Überhaupt ist das Konzert des US-Soulstars im Hamburger Stadtpark ein Medientreffpunkt: Die längste Warteschlange befindet sich am Einlass für die Gästeliste, oberhalb der Freilichtbühne gibt es einen gelb überdachten VIP-Stand mit Caipirinha-Ausschank für die Branche. Vielleicht haben sich Jazzy und Sara dann doch irgendwann dort untergestellt, als es eine Stunde lang regnete.

Die anderen fünf-, vielleicht sechstausend Freunde von Badu stehen auf angenehm ungerührt hanseatische Art alle Schauer durch. Sie begutachten skeptisch den Bauch der Sängerin von Cultured Pearls, die als deutsches R’n’B-Glanzprodukt bei Badus Vorband spielen, weil Isaac Hayes abgesagt hat. In der Umbaupause finden sie Kinderkriegen aber total süß und geben das auch an ihre Bekannten weiter, die sie aus Langeweile anrufen, um zu erzählen, dass sie gerade auf einem Konzert sind und eine Gruppe gesehen haben, deren Sängerin schwanger war. Einige regeln noch ein paar Geschäfte per Handy, selbst während des Auftritts von Badu, für den sie 70 Mark bezahlt haben. Das passt zum noblen Desinteresse echter Norddeutscher.

Auch Erykah ist unterkühlt am Anfang, das gehört zur Inszenierung. Ihre Band spielt ein altes Funk-Cover von Roy Ayers, ihre drei Sängerinnen wiegen sich auf Hockern schnippend in den Hüften und verkünden „you have to wait one minute“, bevor SIE kommt, von der man sagt, sie sei eine afrikanische Tempelpriesterin, die Nachfolgerin von Billie Holiday oder eben ziemlich heißer Scheiß in Sachen Nouveau Soul, den Kedar Massenberg vor vier Jahren entdeckt hat. Damals war Badu noch HipHop mit billig produzierten Homeboyrecordings, heute verkörpert sie einen gewissen natural flow, der dem kommerziellen Powackler-Gehabe auf MTV immer mehr abgeht. Badu jedenfalls ist darker als Maria Carey, inbrünstiger als Janet Jackson und gottesfürchtiger als Lil’ Kim.

Gelohnt hat es sich trotzdem. Massenberg ist heute Präsident des Motown-Labels, und Erykah hat weltweit an die acht Millionen Platten verkauft. In den Siebzigerjahren wären solche Erfolge afroamerikanischer Musiker mit gewaltigen Streichorchestern, gigantischen Live-Shows und Musical-artig durchchoreografierten Tanzeinlagen gefeiert worden – das ganze Diana-Ross-Prächtigkeitsprogramm, in Tüll, Taft und Seide gehüllt.

Nicht so bei Badu: Sie trägt einen Flokati-Teppich als Wickelrock und einen lässig geknoteten Turban dazu, weil der selbst gemachte Look extrem fly ist, wie sie in dem Song „Cleva“ singt. Auch die Bühne ist eher karg möbliert, nur die üblichen Instrumente, und für die Chefin ein weiß gedeckter Tisch mit Teekanne und Kerze. Wegen der Atmosphäre, damit der Spirit, von dem Badu so sehr schwärmt, nicht verloren geht in der Unterhaltungsmaschinerie.

Tatsächlich fügt sich der seelenvolle Minimalismus sehr gut ins Geschehen. Auch musikalisch. Baustein für Baustein werden Rhythmen und Basslines aufgeschichtet, über denen Badu nur zu summen braucht – der Groove stellt sich praktisch von selbst ein. Es ist diese klare Geometrie, dieses abgespeckte Soundgerüst, das viel Platz lässt für die fast schlafwandlerischen Monologe vom on and on des Lebens. Schleichend kommt der Mensch zum Ziel.

Gleichzeitig beherrscht Badu auch das professionelle Spiel mit Gesten. Ganz allmählich pellt sie sich stückchenweise aus ihrem Kostüm, legt Teppich und Turban ab, bis sie in einem sandfarbenen Ballettdress auf der Bühne steht, mit kahl geschorenem Kopf. Das ist der Höhepunkt, eine Orgie der purification, die das Publikum anzieht wie fragil leuchtende Glühwürmchen auf einer Waldlichtung. Natürlich ist Liebe mit von der Partie, nur viel reduzierter als im gestählten Bodywork einer Madonna. Badu reicht es, wenn sie ein bisschen Sex zwischen den Zeilen andeutet, den Rest muss man sich hinzuimaginieren.

Wo aber alles naturbelassen sein soll, hat auch der Zufall eine Chance. Mit jedem neuen Lied gerät das Konzert dabei ein wenig mehr aus der Spur. Von ihren Gefühlen angespornt, tanzt Badu plötzlich Jazzfiguren oder sie bricht mitten in einem Song über gescheiterte Beziehungen ab, weil eine ihrer Backingsängerinnen friert und sie deshalb Decken holen muss. Erst mit „Bag Lady“ als Zugabe ist der Soul wieder bei sich selbst angelangt: Dann greift sich Badu ans Becken, und der spitz herausgestoßene Ton ihrer Stimme bleibt lange stehen über dem Himmel von Hamburg.