Wir müssen weiter!

Love Parade und kein Ende (1): Kaum jemand freut sich noch auf den Technoumzug in der Hauptstadt. Dennoch wird es wieder ganz toll werden – dies Jahr besonders

von DETLEF KUHLBRODT

Seltsam, wie die Zeit vergeht. Während man in den letzten Jahren spätestens eine Woche vor dem Beginn der Love Parade das Gefühl hatte, große und schöne Dinge stünden bevor, ist es dies Jahr anders.

Die Love Parade findet statt, eine halbe Million Leute werden erwartet, aber so recht scheint das keinen mehr zu interessieren. Vielleicht haben die seltsamen Rangeleien im Vorfeld dazu beigetragen, die Anteilnahme zu verringern: erst wurde die Parade verlegt, weil Naturschützer für den lange geplanten Termin eine Demonstration mit 25.000 erwarteten Teilnehmern angemeldet hatten, zu der dann 500 Leute kamen, dann wurde ihr der Demonstrationsstatus entzogen, und sowieso hat sie ja schon längst ihre Exklusivität verloren: Die „Love Parade“ gibt es mittlerweile in Wien, Tel Aviv, Paris und Moskau. In München, Hannover und Zürich finden Technoumzüge unter anderem Namen statt.

Das wird vermutlich dazu führen, dass die Parade wieder auf Normalmaß schrumpfen wird. Die Veranstalter rechnen mit einem Drittel der Besucher vom Vorjahr. Als Besucher wird man in diesem Jahr also vermutlich sogar wieder tanzen können. Eigentlich prima; seltsam nur, dass ich kaum einen kenne, den die Love Parade und die angeschlossenen Partys noch interessieren. Die einen fahren aufs Land, die anderen gehen auf irgendwelche Goapartys.

Mittlerweile habe ich das Gefühl, der letzte Fan der Love Parade zu sein. Wer aus meinem Bekanntenkreis noch hingeht, macht es distanziert. „Jetzt gehen wir mal Deppen gucken“, so in dem Stil. Als seien sie nicht selber auch Deppen, nur eben mit einem ausgeprägten Distinktionsbedürfnis, das sich in der Masse nicht so entfalten kann.

Ein Freund meinte, das sei doch grauenhaft, dies individuelle Darstellungsbedürfnis auf der Parade, das sich in der Masse doch ad absurdum führen würde, und man denkt dann immer: Das ist doch Unsinn. Die meisten Teilnehmer wollen doch eher das Gegenteil: sich in der Musik in der Masse verlieren und ab und zu blöde grinsend auftauchen und sich an der Unterschiedlichkeit der Leute freuen.

Die großstädtische Massenerfahrung, über die Poe und Walter Benjamin klassische Texte schrieben, kann man im normalen Berliner Alltag schon lange nicht mehr machen. Normalerweise ist Berlin ja menschenleer, verglichen mit Bangkok etwa. Gerade wenn man ansonsten eher einzelgängerisch gesinnt ist, bringt es Spaß, in der Masse zu sein. Und am besten ist es immer in der Nacht zum Montag im Tresor!

Mein letztes Massenerlebnis war im Berliner Olympiastadion beim Pokalendspiel. Mein Lieblingsverein gewann zwar, aber letztlich war es furchtbar. Nach dem Abpfiff feierten die Spieler und meine Mitfans zur schlimmsten deutschen Gemütlichkeitsmusik, die man sich vorstellen kann. Ich freu mich jedenfalls aufs Wochenende! Es wird sicher ganz toll werden. „Wir sind anders und müssen weiter“, lautet übrigens der letzte Satz von Dr. Mottes Rede.