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: Was Guido Westerwelle und Lara Croft verbindet

That’s Entertainment

Trotz günstiger Prognosen und trotz eines engagierten Wahlkampfs musste bei den Wahlen zum amerikanischen Kongress im Jahre 1867 der republikanische Kandidat Phineas Taylor Barnum eine vernichtende Niederlage einstecken. Als Zirkusdirektor, Kuriositätenschausteller und Konzertmanager war Barnum ein Profi der Unterhaltungsindustrie und einer der ersten Kulturmanager – nur dass bei den Wählern des 19. Jahrhunderts eine solche Karriere noch als windig bis anrüchig galt. Zudem hatte Barnum zuvor seine Autobiografie veröffentlicht, die jetzt in gekürzter Fassung unter dem Titel „König Humbug“ vorliegt, und sich darin als zwar gesetzestreuer, aber listiger Unternehmer geoutet, der ebenso naiv wie entschlossen alles betrieb, was das Publikum amüsierte und ihn bereicherte.

Ein gutes Jahrhundert später hatte das amerikanische Wahlvolk keinerlei Bedenken mehr, sich einen drittklassigen Schauspieler zum Präsidenten zu wählen und die Kluft zwischen Showbusiness und Politik endgültig zu nivellieren. Ronald Reagan wurde damit zwar nicht zum ersten, aber doch exponiertesten Repräsentanten dessen, was heute unter dem Schlagwort „Politainment“ segelt und auch hierzulande profilneurotische Politiker dazu treibt, sich in den Big-Brother-Container sperren oder beim neckischen Planschen im Pool fotografieren zu lassen. Andreas Dörners Studie über „Politainment“ (siehe taz vom 16. 5. und 28. 8.) sieht in solchen Tendenzen jedoch weniger die öffentliche Selbstdemontage von Politikern und Politikerdarstellern als vielmehr die Chance, politikverdrossenen, unterhaltungsfixierten Couchpotatoes eine Teilnahme am politischen Diskurs zu ermöglichen.

Auch Thomas Meyer räumt in seinem Buch „Mediokratie. Die Kolonisierung der Politik durch die Medien“ ein, dass in der Mediengesellschaft Inszenierungen als Kommunikationsform unvermeidbar sind. Jedoch weist er darauf hin, dass politische „Inhaltlichkeit für den Durchschnittsrezipienten in der sinnlichen Inszenierung“ lediglich simuliert und suggeriert wird, ohne tatsächlich zu informieren oder gar aufzuklären. Angesichts solcher „Informationsillusionen“ wähnt sich der TV-Glotzende „mittendrin in der Politik und bestens im Bilde über sie und kommt kaum noch auf den Gedanken nachzufragen“.

Wenn Dörner feststellt, dass in der digitalisierten Zukunft „die Wahrnehmungswelt des Politischen ohne professionelles Politainment nicht mehr vorstellbar sein wird“, wäre es allerdings über kurz oder lang nur konsequent, virtuelle Politiker antreten zu lassen, künstlich animierte Gestalten, ausgestattet mit maßgeschneiderter Telegenität. Wenn Lara Croft, die virtuelle Heldin des Computerspiels „Tomb Raider“, zu einer Kulturikone werden kann, sollte es möglich sein, uns endlich solche Politiker zu programmieren, die wir wirklich wählen wollen. Astrid Deuber-Mankowsky zielt in ihrer Studie über „Lara Croft. Modell, Medium, Cyberheldin“ zwar weniger auf die medienpolitische Dimension als vielmehr auf die Medialisierung des Körperlichen in dieser Figur. Allerdings überschreitet Lara Croft nicht nur die Grenzen zwischen den Geschlechtern, sondern auch die zwischen Virtualität und Realität und trägt damit dazu bei, die User mit dem Medium zu verschmelzen. Wenn einer wie Westerwelle in den Container einrückt, könnte eine wie Lara Croft allemal politische Karriere machen.

Dass sich die Love Parade als politische Demonstration begreift (oder zumindest als solche zu verkaufen sucht), wäre gleichfalls ein Symptom für die wachsende Verwechselbarkeit der vormals politischen Sphäre mit einem allgegenwärtigen Entertainment. Peter Wickes Kulturgeschichte der Popmusik mit dem Titel „Von Mozart zu Madonna“ belegt unter anderem, dass bislang alle Versuche, in einer „kommerzialisierten Kultur mittels Kreativität die Kontrolle über die Inhalte kultureller Prozesse zurückzugewinnen“, gescheitert sind.

KLAUS MODICK

P. T. Barnum: „König Humbug“. ATV, 222 Seiten, 15,90 DMPeter Wicke: „Von Mozart zu Madonna“. suhrkamp tb, 320 S., 19,90 DMAndreas Dörner: „Politainment“. edition suhrkamp, 256 Seiten, 21,90 DMThomas Meyer: „Mediokratie“. edition suhrkamp, 232 Seiten, 19,90 DMAstrid Deuber-Mankowsky: „Lara Croft“. edition suhrkamp, 109 Seiten, 16,90 DM