Wasser macht flüssig

von BERNHARD PÖTTER

Das Versprechen lautete: Alles wird besser. Die Realität war der Bürgerkrieg ums Wasser. Im Frühjahr 2000 hatte die drittgrößte bolivianische Stadt Cochabamba auf Druck der Weltbank die Wasserversorgung einem internationalen Konsortium übertragen. Das Unternehmen erhöhte die Wasserpreise drastisch: Vor allem arme Familien zahlten plötzlich bis zu einem Drittel ihres Einkommens für Trinkwasser – mehr als für Nahrungsmittel. Die wütenden Proteste der Wasserkunden gipfelten in tagelangen Straßenschlachten mit der Polizei, bei denen acht Menschen starben. Zuletzt beugte sich die Stadt dem Druck und widerrief den Privatisierungsvertrag.

Cochabamba ist das Seattle für Wasseraktivisten: Ein Fanal gegen die Macht der internationalen Konzerne und die willfährige Politik – und der Beweis, dass Protest sich lohnt. Die Koalition aus Entwicklungspolitikern, Umweltschützern und Globalisierungskritikern, die gegen die aktuelle Wasserpolitik mobil macht, braucht dringend solche Beispiele. Denn die Privatisierung der Wasserversorgung, die auch Deutschland erreicht hat, ist öffentlich bislang kaum ein Thema. Dabei ist eine private Wasserversorgung in mehr als 100 Metropolen des Südens längst Alltag. Auch die Süßwasserkonferenz, die diese Woche in Bonn tagt, beschäftigt sich mit dem Thema „Wasser für die Armen“. Doch Geld verdienen lässt sich besser mit dem Durst der Reichen. Deshalb bohren internationale Wasserkonzerne nach einer neuen Geldquelle: Der Wasserversorgung der Industrieländer.

Lästiges Abwasser

Weltweit wächst der Bedarf an Trinkwasser und Abwasserentsorgung. 1,2 Milliarden Menschen haben nach UN-Statistiken kein sauberes Wasser, 2,5 Milliarden leben ohne Abwassersysteme. Daran sterben jährlich fünf Millionen Menschen. Insgesamt rechnen die Länder der Bonner Süßwasserkonferenz, dass jährlich 180 Milliarden Dollar in die Wasserinfrastruktur investiert werden müssten. „Derzeit werden schätzungsweise 70 bis 80 Milliarden aufgebracht“, heißt es im Entwurf einer Abschlusserklärung. Deshalb müsse alles getan werden, um „diese riesige Lücke zu überbrücken“.

Dazu gehören neben staatlichen Ausgaben vor allem private Investoren, argumentieren Weltbank und IWF. Zwischen 1990 und 1997 übernahmen nach Angaben der Weltbank in 97 Städten des Südens Private die Wasserversorgung, darunter in Hanoi, Mexiko City, Buenos Aires oder Jakarta. In einer Studie zieht die Entwicklungsorganisation Weed nun die Bilanz von zehn Jahren Privatisierung: Zwar gebe es in einigen Städten „durchaus wirtschaftliche Erfolge wie ein Ausbau des Netzes, eine bessere Trinkwasserqualität oder besseren Kundendienst“. Doch an der „Versorgung ländlicher und armer städtischer Bevölkerungsgruppen oder gar um langfristigen Ressourcenschutz haben die Global Players wenig Interesse“, so Barbara Unmüßig von Weed.

Doch es gibt auch positive Beispiele: So wurden im indonesischen Jakarta in drei Jahren 550 Kilometer Leitungen erneuert oder repariert, 40.000 neue Anschlüsse entstanden. Im kolumbianischen Cartagena wurde die Zahl der Anschlüsse um 50 Prozent auf 95.000 erhöht. In Buenos Aires wurden rund 20.000, in Manila etwa 80.000 arme Haushalte mit Wasser versorgt.

Doch die privaten Konzerne pickten nur die Rosinen aus dem Kuchen, moniert die Weed-Studie. So würde oft „die lukrative Wasserversorgung privat betrieben, die aufwändige Abwasserentsorgung aber vielfach vernachlässigt“. Auch bleibe die Ausweitung des Service oft hinter dem vereinbarten Tempo zurück, die Preise blieben nicht sozialverträglich, die Privaten versagten bei der Versorgung der Armenviertel: „Aufwand und Kosten sind besonders hoch, die Zahlungsfähigkeit vieler Haushalte besonders niedrig, Gewinne sind damit so gut wie unmöglich.“

Lechzende Anbieter

Dennoch stehen die Anbieter Schlange: Nach einer Studie der Unternehmensberatung Helmut Kaiser ist „der Wassermarkt der größte Markt im Umweltmarkt mit den höchsten Ertragspotenzialen“ und „Zuwachsraten von deutlich über 10 Prozent pro Jahr“. Der Weltmarkt wird sich danach von 265 Milliarden Mark 1998 auf 555 Milliarden Mark bis 2015 mehr als verdoppeln.

Daran wollen die Privaten ihren Anteil. Global Players sind vor allem die französischen Konzerne Vivendi und Suez. Auf Platz drei liegt seit Übernahme des englischen Wasserkonzerns Thames Water die deutsche RWE. Wasser macht flüssig: Mit nur drei Prozent des Konzernumsatzes erbringt die Wassersparte von RWE 12 Prozent des Gewinns. RWE erwartet laut Finanzvorstand Klaus Sturany, „dass Wasser der profitabelste Bereich im Konzern wird und den größten Ergebnisbeitrag liefert.“

Bisher jedoch trägt die öffentliche Hand die Hauptlast der Investitionen. So bemängelt die Weed-Studie, die Privaten würden ihre Investitionszusagen oft nicht einhalten. Der Wasserexperte und Ex-Greenpeace-Campaigner Klaus Lanz wirft den Unternehmen vor, mit möglichst viel öffentlichem Geld die eigenen Investitionen gering zu halten. „Die Konzerne wollen erreichen, dass künftig Entwicklungshilfe im Wasserbereich direkt an sie und nicht mehr an die Staaten gezahlt wird.“ Dazu diene der Anspruch, nur die Privaten könnten die Probleme lösen, die Staaten seien zu schwach und zu korrupt. „Ironischerweise will man gerade in schwachen Staaten aber der Wirtschaft freie Hand lassen und nicht etwa Regulierungsbehörden aufbauen.“

Lukrative Märkte

Der echte Markt liegt nach Ansicht von Lanz und anderen Experten jedoch in den Industriestaaten. Das bestätigt auch RWE: „In Europa, Nordamerika und Australien lassen Umweltbewusstsein und modernisierungsbedürftige Infrastruktur die Nachfrage nach hochwertigen Wasserdienstleistungen steigen“. Diese bisher oft regulierten Märkte wollen die Konzerne geöffnet sehen: Bei den WTO-Beratungen in Dakar wurde der Wassersektor in die Gats-Verhandlungen über Dienstleistungen einbezogen. Wasser soll danach als Wirtschaftsgut deklariert werden, das zwischen Staaten frei handelbar ist. „Regulierungsmöglichkeiten wie Verbraucherschutz, Subventionen, Zuschüsse und Schutzlizenzen werden verboten“, warnt Weed, „eine Privatisierung kann nicht mehr rückgängig gemacht werden“.

Auch auf europäischer Ebene wird heftig am staatlichen Wassermonopol gebohrt. Im Wirtschaftsausschuss des EU-Parlaments wurde im Herbst ein Bericht vorgelegt, der forderte, „bei der Wasserversorgung den Markt grundsätzlich für private Unternehmen zu öffnen“. Eine Öffnung gefährde „weder die Trinkwasserqualität noch den flächendeckenden Grundwasserschutz“.

Die Praxis lässt an diesem Optimismus zweifeln. So sind zwar die Flüsse Großbritanniens, wo 1988 die Wasserversorgung privatisiert wurde, so sauber wie nie, befand die britische Umweltbehörde. Ermöglicht hatte das ein Investitionsprogramm von 15 Milliarden Pfund, das die Kunden mit einer Tariferhöhung um 35 Prozent bezahlten. Doch Weltbank und britisches Unterhaus ließen kein gutes Haar an der Privatisierung. Die öffentlichen Versorger seien unter Wert verkauft, die Produktivität nicht gesteigert worden, so die Weltbank. Die Investitionen in den Erhalt der Technik sanken, die Profite stiegen um 147 Prozent, so ein Unterhausbericht 1993. Im französischen Grenoble zog die Stadtverwaltung 2000 die Wasserversorgung wieder an sich, die sie 1989 an Suez ausgegliedert hatte: Wegen Missmanagement und Korruption hätten die Bürger in 25 Jahren dem Unternehmen eine Milliarde Franc mehr bezahlt als dem kommunalen Versorger.