Vier Typen, die ein Stück Musik erfinden

30 Jahre freies Spiel: Das Jazzensemble Oregon entwickelte auf klassischer Basis einen Gruppensound, der sich auch für indische Ragas offen zeigte. Zu Hause gerieten sie damit unter New-Age-Verdacht. Ihre eigentlichen Erfolge feierte das Kollektiv aus New York aber auf den Off-Bühnen Europas

Ohne das Münchner ECM-Label hätte Oregon vermutlich nicht überlebt

von CHRISTIAN BROECKING

Es war ein Schock für die Jazz-Mafia. Die stilistische Offenheit und der improvisatorische Erfindungsreichtum ihrer Debüts „Our First Record“ (1970) machte Oregon von Anfang an zum ungewöhnlichsten Ensemble des zeitgenössischen Jazz.

Entstanden aus der New Yorker New-Folk-Musikszene, sollte ihr Bandname damals vor allem andeuten, dass diese Musik weit entfernt war von dem, was damals so genannte Tradition war. Frisch und neu wollte man klingen, sagt der Oboist Paul McCandless, das „soundwise“ assoziative Pendant zum New Yorker Jazz wollte man sein. Und an dieser Attitüde hat sich bis heute wenig geändert.

Der 1984 bei einem Autounfall ums Leben gekommene Oregon-Perkussionist Colin Walcott galt – gefördert und inspiriert durch den Trompeter Don Cherry – als einer der Protagonisten der New-Jazz-Fraktion, die besonders für andere Kulturen offen war. Er spielte Tabla und Sitar, indische Ragas und Tagas tauchten wie selbstverständlich in der Musik Oregons auf. Der kammermusikalische Gruppensound mit 12-saitiger akustischer Gitarre, Klavier, Sopransaxofon, Bassklarinette, Oboe und Bass – gelegentlich ergänzt durch den Synthesizer „Prophet 5“ – ist bis heute im Jazz einzigartig geblieben. Der klassische Background der Musiker, die seit Gründung der Band zusammen spielen, hat ganz besonders ihre kollektiven Improvisationen geprägt. Sie benutzen Material aus der modernen klassischen Musik, ein Unterschied zwischen notierter und spontan improvisierter Musik ist bei Oregon schwer auszumachen. Der Bassist Glen Moore zitiert dazu gern den amerikanischen Komponisten Aaron Copeland, der nach einem Oregon-Konzert gesagt haben soll, dass diese Band live so spiele, wie Luciano Berio schon seit langem zu komponieren versuche.

Als Oregon für das aktuelle Album „Oregon In Moscow“ für vier Grammies nominiert war, schwärmte die amerikanische Fachzeitschrift Down Beat auf einmal von der besten amerikanischen Band, die man in den USA nie zu Gesicht bekommt. Moore bezweifelt, dass Oregon als Kollektiv in New York überlebt hätte, wenn nicht der Chef des Münchner Independent-Labels ECM, Manfred Eicher, die Band damals produziert und sie aus den New Yorker Folkclubs auf kammermusikalische Off-Bühnen in Europa geholt hätte.

Moore und der Gitarrist Ralph Towner wuchsen in Oregon auf und gingen 1968 nach New York, doch der Bandname war die Idee von McCandless „Als dann bei unserem ersten Oregon-Konzert zehn Leute kamen, die wir vorher nicht kannten, da behielten wir den Namen.“ Auf dem Höhepunkt des New-Age-Hypes bekam Oregon lukrative Angebote vom Windham-Hill-Label, in den florierenden Markt einzusteigen. Doch das improvising team lehnte ab. Moore witzelt, dass das New-Age-Ding in Europa wohl deshalb nicht so gut lief, „weil das Bildungsniveau einfach höher sei“.

Dennoch kam Oregons Musik dem Northern California Acoustic Movement in Music, kurz New Age Music genannt, zumindest teilweise sehr nahe. Keith Jarretts Pianokonzerte waren en vogue, und Oregons singbare Melodien schienen sich einer weiteren Simplifizierung nicht zu sperren. Allein der Oregon-typische Mix aus instrumentalen Kunstliedern, experimentellen Sounds und freien Improvisationen taugte dann doch nicht so recht als Audio-Tapete der Post-68er-Generation.

Instant composing und kollektive Erfahrung prägen den Oregon-Sound, Towner spricht von „vier Typen, die ein Stück Musik erfinden“. Oregon machte die Komposition des indianischen Saxofonisten Jim Pepper, „Witchi Tai To“, schon in den Siebzigerjahren zu einem Konzerthit, „es wurde zu einer Art Hymne für uns“, sagt Towner. Wie Jan Garbarek, der seinen Lieblingssong „Witchi Tai To“ ebenfalls seit fast 30 Jahren im Repertoire hat, nahm auch Oregon den Pepper-Song (Pepper stammte übrigens selbst aus Oregon) wiederholt auf – die gelungenste Oregon-Einspielung findet sich auf der 1978 erschienenen Platte „Out of the woods“.

Der Gitarrist und Pianist Ralph Towner hat auch ein umfangreiches Repertoire unter eigenem Namen beim ECM-Label veröffentlich.

„Anthem“, die aktuelle Solo-CD des 62-jährigen Musikers und Komponisten, der mit seinen Stücken ganz wesentlich die musikalische Ästhetik von Oregon geprägt hat, war eine der spannendsten Veröffentlichungen des vergangenen Jahres. Für Towner geht es in der Musik um existenzielle Erfahrungen, die nicht mit Worten kommuniziert werden, „der Sound reicht tiefer als eine gut erzählte Geschichte, er versetzt mich an einem magischen Ort“.

Tour: 18. 3. Koblenz,19. 3 München, 20. 3. Friedrichshafen