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Die Liebe in Zeiten der Präimplantationsdiagnostik: Der Nationale Ethikrat traf sich am Wochenende zu seiner ersten öffentlichen Tagung in Elmau

von SABINE LEUCHT

Nennen wir ihn Max: Der könnte zwei Jahre alt sein, blond – und in den Augen den Widerschein der elterlichen Liebe tragen. Max ist ein Retortenkind, gezeugt in der sterilen Atmosphäre eines gynäkologischen Labors. Die Arme seiner Eltern aber sind so warm, wie ihr Stolz groß ist.

Mara ist sieben und ebenfalls stolz – dass sie denselben Badeanzug trägt wie ihre kleine Schwester. Mara kam mit dem Downsyndrom zur Welt und macht diesen Sommer mit Papa einen Schwimmkurs.

Andere Kinder lernen nie schwimmen. Sie wachsen ungeliebt auf, werden abgetrieben oder erst gar nicht in die Gebärmutter eingelassen: Seit die In-vitro-Fertilisation (IVF) eine viel nachgefragte Dienstleistung bei Unfruchtbarkeit ist (28.845 IVF-Fälle gab es allein im Jahr 2000), werden regelmäßig mehr befruchtete Eizellen erzeugt, als die Paare benötigen – oder mehr, als ihre Geduld lang ist. Eine Weile werden sie in speziellen Kühltruhen kryokonserviert, dann landen sie im Müll. Eine Alternative wäre, sie der Stammzellenforschung zugänglich zu machen. Doch weil auch dabei die Embryonen sterben, fällt dies in Deutschland unter das Embryonenschutzgesetz. Der Import von Stammzellenkulturen aus Ländern wie der Schweiz oder dem Boomland Schweden dagegen hat seit Januar das rechtliche Okay – mit vielen Wenns und Abers. Unter anderem muss gesichert sein, dass die Kulturen vor dem 1. Januar 2001 erzeugt wurden und nicht etwa in Erwartung steigender Nachfrage.

Diesen Rat zur Vorsicht vor dem Markt erhielt die Bundesregierung vom Nationalen Ethikrat, den der Kanzler im Juni 2001 einberufen hat: Ohne eigene Entscheidungsbefugnis spielt das 25-köpfige interdisziplinäre Gremium seine Rolle zwischen biopolitischem Gewissen und Aufklärungsorgan.

Auf der ersten öffentlichen Tagung des Ethikrats, die am Wochenende im bayerischen Schloss Elmau stattgefunden hat, entkräfteten einzelne eloquent den Vorwurf, nur „Konsensbrei“ zu produzieren. Liest man aber die Empfehlungen nach (www.ethikrat.org), die Diskurse bündeln, gibt es zunächst einmal Rhetorik satt. Als würde der Wille zur Meinung von der Komplexität der Gegenstände erdrückt oder erschlagen von der Übermacht der „Furcht als methodologisches Instrument“. So jedenfalls sieht es der Berliner Philosoph Volker Gerhardt, der in Elmau am forschesten an die Selbstverantwortung des Einzelnen appellierte.

Der Mensch als seine eigene Aufgabe – das Projekt der Zivilisation – scheint dem Menschen zuweilen einige Nummern zu groß. Manch einer wäre wohl lieber in Platons Höhle geblieben. Einmal herausgetreten aber, geht man unweigerlich in Opposition zu sich selbst. So hat auch Hans-Jochen Vogel – als Verfechter der menschlichen „Gattungswürde“ Teil der nicht kleinen Minderheit gegen Stammzellenforschung im Rat – seinerzeit als Justizminister der Lockerung des Paragraphen 218 zugestimmt. Wenn aber das Leben mit der Kernverschmelzung beginnt, warum büßt es dann zwischenzeitlich wieder einen Teil seiner Schutzbedürftigkeit ein? Weil das, was auf die andere Seite der Waagschale geworfen wird, ethisch und rechtlich schwerer wiegt? Oder weil man hier den Einzelfall einer leidenden Mutter vor Augen hat und dort bislang nur die anonyme Masse künftiger Therapieempfänger?

Stellen wir uns vor, es gäbe eine kleine Mona mit defektem Rückenmark – oder einen netten Nachbarn Meier, dessen Leben nach dem dritten Herzinfarkt davon abhänge, dass Jahre zuvor einige Embryos das Ihre gelassen haben. – Sobald da Namen sind und Gesichter, wollen wir helfen. Sobald uns diese Namen und Gesichter nahe sind, müssen wir es sogar. Ob wir es je können, sei einmal dahingestellt. Und auch, ob es bis dahin auch andere, lebensfreundlichere Wege gibt. Den Preis, den wir zu zahlen bereit sind, den bestimmt die Liebe.

Liebe ist überdies der einzige legitime Grund, ein Kind in die Welt zu setzen. Und auch – so seltsam das klingt – es nicht zu tun: Aus der Angst oder Ahnung heraus, dass das von den Eltern aufzubietende Quantum an Liebe die harten Fakten nicht überlebt. Mit dieser Angst arbeitet die schon fast zur Vorsorgeroutine gehörende PND, die pränatale Diagnostik.

Über PID, die Präimplantationsdiagnostik, wird der Bundestag in der nächsten Legislaturperiode entscheiden. Der Ethikrat ist hier bislang erst bei der Herausbildung der Fragen. Sagt Vogel. Bei Gerhardt hört sich das so an: „Es gibt gegen PID kein vernünftiges Argument, solange die IVF zugelassen ist.“ Sie wieder abzuschaffen wird von einigen zumindest theoretisch erwogen. Doch warum? Weil es ein „kaltes“ Verfahren ist? Weil die Möglichkeiten des Missbrauchs mit jeder neuen Technik größer werden?

Sicher: Jedes gesetzliche Reglement ist ein Misstrauensvotum gegen das Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen. Und das Misstrauen existiert durchaus zu Recht. Doch sobald der Mensch auf der Welt ist, wird er der Obhut ebendieser Einzelnen überlassen. Es spricht schon für diese Schieflage in unserer Gesellschaft, dass Schwangere jedes Aufbaupräparat auf Krankenschein bekommen und schon Stillende gar nichts mehr. Und vermutlich werden sogar kryokonservierte Eizellen besser betreut als Kinder im Krippenalter. Wenn das nicht scheinheilig ist.

Falls es die Liebe nicht nur im Korintherbrief gibt und in der Bergpredigt, dann brauchen sie vor allem die Lebenden. Lebende wie die Frau, die – warum auch immer – nicht Mutter werden will, Lebende wie Mara oder jener körperbehinderte Mann, der in Elmau darauf bestand, keine Katastrophe zu sein, sondern Künstler. Und von seiner Mutter geliebt zu werden, auch wenn der Anfang schwer war. Auch Eltern von IVF-Kindern sprechen meist nicht mehr über den Akt der Zeugung, sobald sie ihr Kind in den Armen halten.

Liebe entsteht weder im Labor noch im heimischen Bett. Es gibt sie oder es gibt sie nicht. Und wenn es sie gibt, dann kann sie wachsen. Der Technik zum Trotz – und manchmal mit ihrer Hilfe.