Heiliger Streit ohne Ende

Der hintergründige Essay von Bernard Wasserstein erklärt, warum das Problem Jerusalem nicht zu lösen ist

Jerusalem, die „auf ewig vereinte Hauptstadt“ des Staates Israel, ist die am tiefsten gespaltene Hauptstadt der Welt. Besonders nach der israelischen Eroberung des arabischen Ostteils im Juni 1967 war sie Schauplatz von Anschlägen, Unruhen, Rebellionen und Unterdrückungsmaßnahmen. Seit dem Ausbruch der Al-Aksa-Intifada im Herbst 2000 ist sie geteilter denn je. „Die israelische Regierung übt keine effektive Souveränität über die arabischen Teile der Stadt aus, noch kann sie dies auf lange Sicht“, fasst der britische Historiker Bernard Wasserstein in seinem Buch „Jerusalem. Der Kampf um die heilige Stadt“ die aktuelle Lage zusammen.

An Plänen für eine Lösung der Jerusalem-Frage fehlt es dabei nicht. Eine Untersuchung von 1995 zählt gleich 63 solcher Vorschläge auf. Zahlreiche davon stellt Wasserstein in seinem Werk vor. Dabei geht es ihm nicht um einen weiteren Abriss der wechselvollen und komplexen Geschichte der Stadt, sondern um die Rolle, die sie in der internationalen Diplomatie spielt. Wer also eine erste Einführung sucht, sollte zu einem anderen Buch greifen. Wer es aber genauer wissen möchte, kommt hier auf seine Kosten.

Das Jerusalem-Problem erscheint wie ein verworrener Knoten aus mehreren Schnüren. An ihren Enden zerren gleich zwei nationale Gruppen – Israelis und Palästinenser, die über die Souveränität der Stadt streiten – und drei Religionen – Juden, Christen und Muslime, die um die „heiligen Stätten“ zanken. Zudem war Jerusalem immer auch ein Mikrokosmus für breiter angelegte, globalere Interessen. Heute stellt sich der Konflikt um die „heiligen Stätten“ (Tempelberg) vor allem als ein jüdisch-muslimischer Streit dar, eine Folge politischer und damit einhergehender demografischer Veränderungen.

Bemerkenswert ist, wie der Autor die Entwicklung auf jüdisch-israelischer und muslimisch-arabischer Seite nachzeichnet, die zu der heutigen symbolischen Bedeutung Jerusalems geführt hat – eine vergleichsweise junge Entwicklung. Vor der Unabhängigkeit Israels war es für die Zionisten keinesfalls klar, dass Jerusalem die neue Hauptstadt werden müsse. Mit Ausnahme des Obersten Gerichtshofs zog keines der wichtigen Staatsorgane aus dem moderneren und dynamischeren Tel Aviv nach Jerusalem um. Und obwohl die PLO 1964 ihre Gründungskonferenz in Jerusalem abhielt, wurde die Stadt zunächst nicht einmal in der palästinensischen Nationalcharta erwähnt. Erst ab Mitte der Siebzigerjahre wurde Ostjerusalem zur Hauptstadt eines künftigen palästinensischen Staates auserkoren.

Der Beginn der Jerusalem-Frage in seiner modernen Form geht allerdings zurück auf die Zerfallsperiode des Osmanischen Reiches. Wer die aktuellen politischen Kontroversen verfolgt, wird mit Interesse registrieren, wie viele Vorläufer die in den letzten Jahrzehnten diskutierten Vorschläge für die Stadt hatten. Schon aus dem Jahr 1840 stammt der erste Plan, der auf eine Art Internationalisierung Jerusalems hinauslief – ein Konzept, das die Diplomaten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lange beschäftigen sollte. Wie ähnliche derartige Vorschläge später auch wurde er aus einer Position der Schwäche heraus formuliert, so Wasserstein.

Nach 1967 kam die Frage der Zukunft der Stadt erst dann wieder in Bewegung, als die USA begannen, Palästinenser als Gesprächspartner zu akzeptieren, und nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende des Krieges gegen den Irak die Madrider Nahost-Konferenz und der Friedensprozess von Oslo, der freilich inzwischen komplett zusammengebrochen ist, möglich wurden. Hinsichtlich der jüngsten Entwicklung hebt Wasserstein das Rahmenabkommen zwischen dem damaligen stellvertretenden israelischen Außenminister Jossi Beilin und dem palästinensischen Politiker Mohammed Abbas (Abu Mazen) von 1995 hervor, das einen Versuch darstellte, alle zwischen beiden Seiten offenen Fragen, einschließlich Jerusalems, zu lösen. In der Frage, wer letztlich die Souveränität über die Stadt ausüben darf, konnte jedoch keine Einigung erzielt werden; dies verschob man auf spätere Gespräche, ohne dass die restliche Vereinbarung dadurch beeinträchtigt wurde. Dieser Ansatz, der laut Wasserstein einem Plan für eine Lösung der Jerusalem-Frage „sehr nahe“ kam, fand ein abruptes Ende mit der Ermordung des damaligen israelischen Regierungschefs Jitzhak Rabin.

So muss die Bilanz Wassersteins letzendlich düster ausfallen. Die eingangs aufgeworfene Frage, weshalb das Problem als so unlösbar erscheint, greift er in seiner abschließenden Bewertung nicht explizit wieder auf. Doch wenn man seiner Argumentation folgt, wird klar, wo er heute den Grundkonflikt ansiedelt: Während den Muslimen der Tempelberg als Ganzes heilig ist, ist den Juden die Stadt als Ganzes heilig. Kein Wunder, dass auch Beilin und Abu Mazen scheiterten. Der Autor schließt mit der sympathischen, aber etwas hilflosen Hoffnung, die Stadt müsse früher oder später mit sich ins Reine kommen. BEATE SEEL

Bernard Wasserstein: „Jerusalem. Der Kampf um die heilige Stadt“, Übers. H. J. Bußmann, 432 S. mit 12 Karten, C. H. Beck, München 2002, 24,90 €