Schills Angriffslust ungebrochen

Innensenator ist stolz auf seine Polizei, die am Montagabend St. Pauli belagerte und 269 Menschen ohne Rechtsgrundlage einkesselte. Einige Einsatzführer weigerten sich, hart durchzugreifen. Anwälte der Opfer kündigen Strafanträge an

Die von ihm propagierte Politik der polizeilichen Konfrontation hat sich bewährt. Darin ist sich Innensenator Ronald Schill nach dem zweiten Großeinsatz innerhalb von nur drei Tagen sowie nach der Festnahme und Einkesselung von 269 Menschen in der Hein-Hoyer-Straße auf St. Pauli in der Nacht zu Dienstag ganz sicher. „Deeskalation wird von Rechtsbrechern als Einladung zur Gewalt gesehen“, sagte Schill gestern vor der Landespressekonferenz. „Die Linie, den Chaoten keinen Raum zu lassen, hat sich bewährt“, tönte er im gleichen Atemzug weiter: „Die Gewalttäter haben ihre Angriffslust verloren. Ich rechne nicht mehr in der nächsten Zeit mit gewalttätigen Demonstrationen.“

Bestätigung für seine Hypothese sucht Schill ausgerechnet bei Ex-Polizeidirektor Heinz Krappen. „Herr Krappen hat mir gesagt: Er ist wieder stolz auf die Polizei.“ Der Rechtsbrecher Krappen ist wegen 861-facher Freiheitsberaubung beim Hamburger Kessel auf dem Heiligengeistfeld 1986 vom Landgericht schuldig gesprochen worden.

Im Anschluss an das Fußballspiel des FC St. Pauli hatten sich am späten Montagabend an der Feldstraße knapp 1500 Menschen spontan versammelt, um unter dem Banner von „Bambule“ ihrem Unmut über die Schwarz-Schillsche Repressionspolitik Luft zu verschaffen. „Eine hochmotivierte Polizei und ihr couragiertes Eingreifen verhinderten größere Sachschäden“, behauptet der Innensenator. Beobachtungen vor Ort bestätigen eher das Gegenteil: So waren viele Einsatzkräfte nicht bereit, die Vorgaben aus dem Führungsstab umzusetzen, die Eskalation um jeden Preis zu suchen.

So hatten die Einsatzkräfte am Montagabend bereits in der Stresemannstraße vor der Lerchenwache den Befehl bekommen, die Spontandemo – die laut Schill aus „200 Militanten, 300 Gewaltbereiten und 500 Bürgerlichen bestanden“ hat – aufzulösen. Stattdessen ließen die Hunderschaften den Spaßzug nach St. Pauli marschieren und trotz der Aufforderung, „den Sack endlich zuzumachen“, einige Zeit gewähren.

Auf mehrmalige Aufrufe der Polizei, „die nicht genehmigte Versammlungsroute bitte umgehend in Richtung Neuer Pferdemarkt zu verlassen“, verblieb eine Gruppe von knapp 300 Menschen friedlich und mit dem umgewandelten Fußballlied „Ohne Schill wär‘ hier gar nichts los“ teilweise sitzend auf der Kreuzung Hein-Hoyer/Clemens-Schultz-Straße. Eine andere Gruppe ließ sich von der Polizei, die inzwischen mit Wasserwerfern in Talstraße, Hein-Hoyer-Straße und auch in der Clemens-Schultz-Straße zugegen war, unter Androhung von „Wasser und Schlagstöcken“ in Richtung Paulinenplatz drängen.

Auf dem Weg dorthin setzte die Polizei, ohne dass ein Stein geflogen oder eine Barrikade errichtet worden wäre, ihre Wasserwerfer ein. Die Versammelten entgegneten belustigt in Anlehnung an Fangesänge des FC St. Pauli: „Wir haben Hamburger Wetter, Haaamburger Weeeetter“ und flüchteten vor der Nässe. Als ein Einzelner einen Müllbeutel entzündete, kam es erstmalig zu der Situation, dass der Wasserstrahl direkt auf die Füße des Zündelnden gezielt wurde. Zuvor beschränkte sich die Polizei darauf, den Strahl hoch über den Versammelten abzulassen, um sie zuzuregnen.

Die spätere Einkesselung von 269 Menschen ist nach Ausfassung mehrerer Juristen ohne Rechtsgrundlage erfolgt. Sie sei zunächst nur sehr widerwillig von den Polizeiführern vor Ort umgesetzt worden – ausgenommen vom Einsatzzug Mitte. Der zeichnete wieder mal für Übergriffe verantwortlich. „Eine Frau, die sich offensichtlich auf dem Heimweg befand, sowie deutlich erkennbares Kneipenpersonal sind ebenfalls Opfer polizeilicher Übergriffe geworden“, so Anwalt Manfred Getzmann. Mindestens zwei Personen seien schwer verletzt worden: „Wir werden Strafantrag in allen infrage kommenden Delikten und gegen alle infrage kommenden Beamten stellen“, so Anwältin Barbara Poppenborg.

Denn die Eingekesselten mussten bis zu drei Stunden auf den Abtransport in die „Gefangenen-Sammelstellen“ in der Kälte ausharren. „Das erinnert mich sehr an den Hamburger Kessel“, so Anwalt Andreas Beuth. „nur noch etwas schlimmer.“

kai von appen /
oke göttlich / imke wieters

Diskussions-Veranstaltung zur Bambule: Heute in der HWP um 18.00 Uhr