„Jedenfalls kann es nicht schaden“

Germanist Thomas Niehr, 41, wähnt die Gesellschaft sensibel und sieht den Wandel der Sprache gelassen

taz: Herr Niehr, hat der Feminismus es geschafft, mit der Sprache auch die Welt zu verbessern?

Thomas Niehr: Insgesamt ist sicherlich ein gesellschaftlicher Bewusstseinswandel eingetreten. Es kann sich niemand mehr leisten, nur von Schülern zu reden, wo auch Schülerinnen sitzen, und das hat zur Wahrnehmung von Mädchen und Frauen beigetragen.

Aber denken die Politiker jetzt auch anders als früher?

Das wage ich zu bezweifeln. Der Gebrauch der weiblichen und männlichen Formen hat sich wahrscheinlich einfach eingeschliffen. Auf jeden Fall aber kann er nicht schaden.

Hat der Vorwurf der Political Correctness die feministische Sprachkritik unmöglich gemacht?

Natürlich gab es eine Lobby, die extreme erfundene Beispiele – etwa die „MitgliederInnen“ – herauspickte, um die Forderungen der Feministinnen zu denunzieren. So funktioniert eben Polemik. Auch jetzt noch, etwa wenn abwertend von „Gutmenschen“ gesprochen wird. Aber ich glaube, das ist vorbei – die Sensibilisierung der Gesellschaft dafür, dass mit Worten diskriminiert werden kann, ist gelungen.

Worte können also diskriminieren. Können sie auch lügen?

Nein, ein Wort an sich kann nicht lügen. Es kann allerdings missbraucht werden. Nehmen Sie das berühmte Beispiel von der „Sonderbehandlung“. Der Begriff war ein mieser Euphemismus der Nazis, das weiß jeder, der je etwas über die letzten sechzig Jahre gelesen hat. Ich glaube jedoch, dass unsere Kinder oder Enkel das Wort unbefangen benutzen werden, ohne sich etwas zu denken.

Wenn keiner mehr versteht, was ein Wort bedeutet hat oder bedeuten kann, ist es also nicht mehr böse. Also ist Bewusstlosigkeit der sprachlich günstigste Zustand, weil alle Wörter benutzt werden können.

Zugespitzt: Ja. Wörter können durch Sprachwandel, der auch ein Bedeutungswandel ist, rehabilitiert werden.

Sehen Sie diesen Wandel nicht etwas zu gelassen?

Die Linguistik an den Universitäten sieht sich als deskriptive, also beschreibende Wissenschaft. Sie will nicht werten. Es wäre aber nützlich, wenn die Laien-Linguisten, etwa die Anglizismenjäger vom Verein Deutsche Sprache, manches wissenschaftliche Basiswissen zur Kenntnis nähmen – zum Beispiel, dass die Welt noch nicht dadurch besser wird, dass man Dinge bei ihrem vermeintlich richtigen Namen nennt.INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN