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: Die „Stärke des Rechts“ hat Muskelschwund

Die Debatte um die Überflugrechte nervt. In der aktuellen Kriegslage handelt es sich wohl nur um einen Randaspekt. Warum also so viel Aufhebens machen? Wird hier nicht die Mücke zum Elefant, nur aus linker Rechthaberei? Will man nur die eigenen Vorurteile bestätigen, dass auf Rot-Grün friedenspolitisch eben doch kein Verlass ist?

 Nein, die Diskussion um die Überflugrechte ist aus einem anderen Grund von großer Bedeutung. Sie zeigt nämlich, wie wenig ein eigentlich zentrales außenpolitisches Konzept in dieser Regierung und ihrer Koalition verankert ist. Angetreten war Rot-Grün mit der Forderung, die „Herrschaft des Rechts“ müsse weltweit zum Maßstab werden. Konflikte sollen in internationalen Organisationen gelöst werden, Kriegsverbrecher vor dem neuen Internationalen Strafgerichtshof abgestraft werden. Dafür hat sich die Bundesregierung auch durchaus konsequent eingesetzt. Selbst der zur „Durchsetzung der Menschenrechte“ geführte Kosovokrieg kann– trotz des fehlenden UN-Mandats – noch in diese Linie gestellt werden. Man wollte neues, für notwendig erachtetes Recht – das Recht zur humanitären Intervention – schaffen.

 Nun aber verweigert diese Regierung und ihre Koalition seit Monaten jede rechtliche Aussage zum angekündigten und jetzt durchgeführten US-Angriff auf Irak. Der Kanzler sagt aus, man werde „keine Juristerei betreiben“, der Außenminister erklärt, man könne das Problem „so oder so“ sehen, der Verteidigungsminister nennt juristische Diskussionen „sinnlos“.

 So darf eine Regierung die das „Recht des Stärkeren“ durch die „Stärke des Rechts“ ersetzen wollte, nicht sprechen. Sie macht sich nicht nur lächerlich, sondern auch politisch völlig unglaubwürdig. Es ist doch nur zu offensichtlich, dass die plötzliche Lustlosigkeit der Regierungsmitglieder zu klarem Denken etwas damit zu tun hat, dass man den US-Verbündeten keinen Völkerrechtsbruch vorhalten will, und dass man sich nicht den Weg abschneiden will, die Überflugrechte und andere Unterstützungsleistungen weiter zu gewähren.

 Die „Stärke des Rechts“ bekommt also plötzlich Muskelschwund, wenn es gegen einen Stärkeren geht. So kann kein europäisches Gegenkonzept zur militärischen Machtpolitik der USA entstehen. Es sind genau diese doppelten Standards, die Länder der Dritten Welt so verbittern. Deutschland und Europa müssen den Mut haben, schwarz als schwarz zu bennenen und weiß als weiß. Nur dann können Deutschland und Europa zum Kristallisationspunkt einer globalen zivilen Ordnung werden.

CHRISTIAN RATH