Sowohl Deutsche als auch Ausländer

Immer mehr Aussiedler haben zwar die deutsche Staatsangehörigkeit, sprechen aber fast kein Deutsch

Als Familie gelten neben dem Ehepartner und Kindern auch Enkel und Schwiegerkinder

KARLSRUHE taz ■ Die linke Soli-Szene weiß sehr viel über Immigranten und Flüchtlinge. Doch für die Spätaussiedler aus Osteuropa hat sie sich bisher kaum interessiert. Vielleicht liegt es daran, dass Aussiedler automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten und damit theoretisch auch zum privilegierten Teil der Bevölkerung gehören. Zudem gelten die Statusdeutschen aus Russland, Kasachstan und Rumänien eher als konservativ und „Stimmvieh für die CDU“.

Zahlenmäßig handelt es sich allerdings um eine ziemlich große Gruppe. Von 1950 bis 1985 kamen rund 1,3 Millionen Deutsche aus Osteuropa in die Bundesrepublik. Und dann, mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs, ging es erst richtig los. Bis heute wanderten weitere 3,6 Millionen Aussiedler nach Deutschland ein. Im Spitzenjahr 1989 waren es allein 377.000 Menschen.

Auch unter dem Eindruck der damaligen Asyldebatte wurde 1992 die Aufnahme auf 220.000 Aussiedler pro Jahr begrenzt. Rot-Grün senkte die Zahl im Jahr 2000 nochmals auf jährlich 100.000 ab. Doch das Kontingent wird nicht einmal mehr ausgeschöpft. 2003 kamen nur noch 70.000 Aussiedler nach Deutschland. Jochen Welt (SPD), der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, schätzt, dass noch etwa eine Million Deutschstämmige (inklusive Familien) theoretisch kommen könnten. Da die Bundesregierung Deutsche in Osteuropa aber auch gezielt durch Ausbildungsprogramme unterstützt, sehen viele der Gebliebenen ihre Zukunft nicht mehr in Deutschland.

Lange Zeit waren Polen und Rumänien die Hauptherkunftsländer. Seit 1993 wird bei Aussiedlern aus diesen Ländern jedoch der Nachweis eines individuellen Kriegsfolgenschicksals verlangt. Daraufhin fielen die Zahlen schnell gegen null. Eine kollektive Verfolgungslage wird seitdem nur noch für die Nachfolgestaaten der Sowjetunion angenommen. Seit 1997 sind daher 98 Prozent der neu ankommenden Aussiedler Russen, Kasachen oder Kirgisen. Versuche aus SPD-Kreisen, auch hier ein individuelles Verfolgungsschicksal zu verlangen, scheiterten bisher.

Als Aussiedler gilt, wer deutsche Volkszugehörigkeit nachweisen kann und diese in seinem Land auch durch Sprache, Kultur oder Erziehung ausgedrückt hat. Mit der Sprache haben aber viele Antragsteller Schwierigkeiten, weil sie diese oft schon seit langem nicht mehr anwenden konnten. Seit 1996 muss im Heimatland ein mündlicher Sprachtest absolviert werden, bei dem die Fähigkeit zu einem „einfachen Gespräch“ über Familie, Arbeit und die eigene Zukunft verlangt wird. Mehr als die Hälfte der Antragsteller bestehen den Test nicht. Eine Wiederholung ist ausgeschlossen.

Wer jedoch den Sprachtest erfolgreich absolviert hat, kann die ganze Familie mitbringen, auch wenn diese nicht Deutsch spricht. Als Familie gelten bei Aussiedlern neben dem Ehegatten und minderjährigen Kindern auch erwachsene Söhne und Töchter sowie Enkel, Schwiegersöhne und -töchter.

Waren zu Beginn der 90er-Jahre nur rund 75 Prozent der Aussiedler deutscher Volkszugehörigkeit, ist diese Zahl inzwischen auf unter 25 Prozent gesunken. Mehr als drei Viertel der Aussiedler sind heute also Familienangehörige, die kaum deutsche Sprachkenntnisse haben. Hierin wird auch ein Hauptgrund für die Integrationsprobleme der letzten Jahre gesehen.

Im rot-grünen Zuwanderungsgesetz ist daher eine Verschärfung der Einreisebestimmungen vorgesehen. Demnach müssen auch alle Familienangehörigen im Herkunftsland einen Sprachtest bestehen. Da es hier nicht um den Status geht, sondern um die Verbesserung der Integrationsfähigkeit, können die Angehörigen den Test beliebig oft wiederholen, bis sie ihn bestehen. Derzeit hängt das Zuwanderungsgesetz allerdings noch in der Luft, weil SPD und Union sich nicht einigen können. Die SPD macht daher immer wieder die CDU/CSU für die Probleme der Aussiedler verantwortlich.

Auf dem Arbeitsmarkt ist die Situation allerdings gar nicht so schlecht. Seit Jahren sinkt die Zahl der arbeitslosen Aussiedler, da sie oft bereit sind, auch Tätigkeiten unter ihrer Qualifikation anzunehmen. Frauen haben allerdings mehr Probleme als Männer, einen Job zu finden. Für ihre erlernten Tätigkeiten im Erziehungs- und Dienstleistungsbereich ist gute Sprachbeherrschung wichtiger als bei Mechanikern und Industriearbeitern.

Die Kriminalitätsbelastung sei übrigens auch nicht höher als bei anderen Bevölkerungsgruppen, so Welt. Das allerdings ist schwierig zu belegen, da die Kriminalstatistik nur zwischen Deutschen und Ausländern unterscheidet und Aussiedler nicht besonders ausweist. Welt kann sich nur auf punktuelle Untersuchungen beziehen. Dass bei den 18- bis 24-Jährigen Kriminalität und Drogen ein Problem sind, räumt aber auch er ein. Frustrationen in der Schule, Probleme bei der Arbeitssuche und allgemeine Perspektivlosigkeit sind die Ursachen. „Doch auch das wird langsam besser“, meint Welt.

Weil die jungen Aussiedler miteinander oft nur Russisch sprechen, werden sie umgangssprachlich oft als „Russen“ bezeichnet. Sie fühlen sich daher ausgegrenzt und ziehen sich erst recht in ihre Cliquen zurück. Während sonst die Integration von Immigrantenkindern am besten gelingt, ist es bei den Aussiedlern eher umgekehrt. Viele junge Zuwanderer wollten eigentlich gar nicht nach Deutschland kommen. Auch wenn sie formal Deutsche sind, fühlen sie sich genauso (wenn nicht sogar stärker) abgelehnt als Ausländer ohne deutschen Pass. Soli-Projekte hat das bisher aber kaum inspiriert. CHRISTIAN RATH