Islamisten wandeln sich – unbemerkt

Deutsche Verfassungsschützer haben die terroristischen Anschläge von Madrid analysiert. Die Täter waren von den Behörden unterschätzt worden. Das soll in Deutschland vermieden werden – durch eine intensivere Beobachtung von Islamisten

VON CHRISTIAN RATH

Der Verfassungsschutz plant eine Inventur. Die dem Dienst bekannten in Deutschland lebenden Islamisten sollen neu auf ihre Gefährlichkeit überprüft werden. „Wir kennen die Leute, müssen aber genauer prüfen, was sie gerade machen“, heißt es im Kölner Bundesamt. So will man Überraschungen wie bei den Anschlägen von Madrid vermeiden, an denen zahlreiche von Polizei und Geheimdienst überwachte Islamisten teilnahmen.

Ein Vierteljahr nach den Attentaten auf vier Nahverkehrszüge in Madrid, bei denen rund 200 Menschen starben, haben die Verfassungsschützer ihre Schlussfolgerungen gezogen. Für Beunruhigung sorgte vor allem, wie sich die Madrider Zelle unbemerkt von den observierenden spanischen Sicherheitsbehörden radikalisieren konnte. Zunächst beschäftigten sich diese non-aligned mudjahedin (selbstständig agierende Gotteskrieger) vor allem mit logistischer Unterstützung für den heiligen Krieg. Doch dann wandelten sie sich zu einer aktiv-terroristischen Gruppe, die nach Meinung der Verfassungsschützer sogar „deutlich professioneller und entschlossener“ agierte als vergleichbare Vorgänger.

Als Indizien für die gesteigerte Gefährlichkeit gelten zum Beispiel die Verwendung von gewerblichem Sprengstoff und die kompromisslose Selbsttötung beim Zugriff der Polizei. Außerdem sei die Konspiration deutlich disziplinierter als bisher gehandhabt worden, die Telefonüberwachung hatte deshalb keinen Erfolg. Andere europäische Mudschaheddin-Zellen hatten sich am Telefon verraten, etwa die Meliani-Gruppe, die von Frankfurt aus einen Anschlag auf Synagoge oder Weihnachtsmarkt in Straßburg plante.

Bei der Neubewertung der islamistischen Strukturen wollen die Verfassungsschützer arbeitsteilig mit der Polizei zusammenarbeiten, wie die taz erfuhr. Hilfreich soll dabei das Anti-Terror-Lagezentrum sein, das die Innenministerkonferenz vor zwei Wochen beschlossen hat. Rund um die Uhr sollen hier Experten von Bundeskriminalamt (BKA), Bundesnachrichtendienst (BND) und Verfassungsschutz bereitstehen und eingehende Informationen gemeinsam bewerten. Die Länder werden über Verbindungsbeamte angeschlossen. Die Berliner Dependance des Bundesamts für Verfassungsschutz siedelt mit 240 Mitarbeitern (etwa 10 Prozent der Belegschaft) praktischerweise auf dem alten Kasernengelände am Treptower Park, das auch neuer Sitz des BKA ist. Noch unklar ist allerdings, wie die gemeinsame Islamisten-Datei von Polizei und Geheimdiensten aussehen wird. Eine Arbeitsgruppe auf Beamten-Ebene soll bis zur nächsten Innenministerkonferenz im November Vorschläge erarbeiten.

Einen Schwerpunkt ihrer Überwachung wollen die Verfassungsschützer künftig auf hiesige Islamisten legen, die nach längerem Aufenthalt aus dem Irak zurückkehren. „Hier könnte eine zweite Generation von Mudschaheddin entstehen“, sagt ein hoher Beamter. Die erste Generation waren Kämpfer, die in Tschetschenien oder Afghanistan waren. Befürchtet wird, dass sich um solche (als Helden verehrte) Rückkehrer herum neue selbständige Mudschaheddin-Formationen bilden, die Anschläge in Europa begehen könnten.

Allerdings wissen die Verfassungsschützer in der Regel nicht, was ein Islamist konkret im Irak gemacht hat, ob er wirklich gekämpft oder nur logistische Unterstützung geleistet hat. Am Grenzübergang verliert sich meist die Spur. Deshalb sollen solche Personen nach ihrer Rückkehr künftig umso intensiver beobachtet werden.

Zugeschrieben werden diese Pläne Alexander Eisvogel, dem neuen Abteilungsleiter Islamismus im Bundesamt, einem jungen und nüchternen Analytiker, der vorher als Leiter der Stabsstelle fungierte. Durch personelle Umschichtungen wurde seine Islamismus-Abteilung auch zahlenmäßig gestärkt. Den politischen Konjunkturen entsprechend wurde im Gegenzug der Bereich Rechtsextremismus etwas ausgedünnt, der in den 90er-Jahren stark angewachsen war.