Juristen dürfen mehr

Bundesverfassungsgericht erlaubt einem pensionierten Richter, weiter kostenlos Totalverweigerer zu beraten

FREIBURG taz ■ Berufserfahrene Juristen dürfen künftig unentgeltlich Freunde, Verwandte oder politisch Nahestehende beraten. Dies folgt aus einem gestern bekannt gemachten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Geklagt hatte der pensionierte Richter Helmut Kramer aus Wolfenbüttel. Er war nach einer Selbstanzeige zu einer Geldstrafe von 600 Mark verurteilt worden, weil er vor Gericht zwei Totalverweigerer vertreten hatte.

Die Geldbuße wurde damit begründet, dass Kramer kein zugelassener Rechtsanwalt sei. Nach bisheriger Auslegung gilt schon die mehrfache kostenlose Beratung als „geschäftsmäßig“ und ist damit verboten.

Das Rechtsberatungsgesetz war 1935 eingeführt worden. Im NS-Staat sollte den mit Berufsverbot belegten jüdischen und regimekritischen Rechtsanwälten jede juristische Berufsausübung unmöglich gemacht werden. Nach dem Krieg blieb das Gesetz bestehen, diente jetzt aber dem Verbraucherschutz. Die Bürger sollten mit der Anwaltspflicht vor schlechter Beratung und dem Verlust von Rechtspositionen bewahrt werden. Mieterverein und Gewerkschaften dürfen nur ihre Mitglieder beraten.

Das Bundesverfassungsgericht bestätigte erneut, dass das Gesetz an sich nicht dem Grundgesetz widerspricht. Allerdings sei das Beratungsverbot im Fall von Helmut Kramer unverhältnismäßig. Immerhin war der heute 74-jährige Kramer früher Richter am Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig. Da sahen die Verfassungsrichter keine Gefahr für Verbraucherinteressen.

Die Begründung dürfte auch für andere erfahrene Juristen in vergleichbaren Fällen gelten. Und man muss wohl nicht OLG-Richter gewesen sein, um als sachkundiger Jurist zu gelten.

Ausdrücklich werden Gesetzgeber und Gerichte zur Prüfung aufgefordert, ob das Rechtsberatungsgesetz änderungsbedürftig sei. Auch Gesetze unterliegen einem „Alterungsprozess“, heißt es im Karlsruher Beschluss. Damit rammen die Verfassungsrichter allerdings offene Türen ein. Justizministerin Brigittte Zypries (SPD) will noch vor dem Juristentag im September einen Diskussionsentwurf zur Reform des Rechtsberatungsgesetzes vorlegen. Anlass ist unter anderem, dass es nur in Deutschland ein derartiges Gesetz gibt, was als Indiz für Überregulierung gilt. Wirtschaftlich bedeutsam ist die Frage, ob künftig auch Rechtsschutzversicherungen durch angestellte Juristen Rechtsberatung betreiben dürfen.

Justizstaatssekretär Alfred Hartenbach (SPD) hat im März angedeutet, dass die kostenlose Rechtsberatung im persönlichen Bereich, also bei Freunden, Verwandten und Nachbarn, völlig freigegeben werden könnte. Aber auch bei karitativen Organisationen, die Obdachlose und Flüchtlinge beraten, sollen die Zügel gelockert werden. Durchgesetzt wurde das Rechtsberatungsverbot hier auch bisher nur sehr selten, es konnte aber zumindest zur Einschüchterung benutzt werden. Der Deutsche Anwaltverein begrüßt die Pläne nur unter der Bedingung, dass bei den Initiativen Rechtsanwälte als Berater angestellt werden.

CHRISTIAN RATH