Historiker bald mit einem Bein im Knast

Justizministerin Zypries will das Bestreiten von Völkermord künftig auch außerhalb des NS-Kontextes bestrafen

FREIBURG taz ■ Nächste Woche will der Bundestag Maßnahmen gegen rechtsextreme Versammlungen und Hetzreden beschließen. Doch in dem Gesetzentwurf findet sich auf Betreiben von Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) auch ein Punkt, der eine ganz andere Stoßrichtung hat. Künftig soll auch die Leugnung von Völkermord und Kriegsverbrechen in Jugoslawien und Ruanda strafbar sein.

Bisher war in Deutschland nur die Leugnung und Verharmlosung des NS-Holocaust als Volksverhetzung strafbar. Zypries will dies auf Taten ausweiten, die „unter einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft begangen wurden“. Es drohen bis zu fünf Jahre Haft. Um Streitigkeiten über das Vorliegen eines Völkermords oder eines Kriegsverbrechens zu vermeiden, bezieht sich die neue Strafnorm nur auf Handlungen, die durch die „Entscheidung eines internationalen Gerichts festgestellt“ sind.

Das Ergebnis wirkt dann aber etwas beliebig. Der türkische Völkermord an den Armeniern dürfte weiter straflos geleugnet werden, weil es damals noch keine internationalen Gerichte gab. Auch amerikanische Kriegsverbrechen in Vietnam und im Irak würden nicht erfasst, weil US-Soldaten nie vor internationale Gerichte gestellt werden. Dagegen arbeiten seit zehn Jahren internationale Strafgerichtshöfe die Verbrechen in Jugoslawien und Ruanda auf.

Im Bundestag regt sich nun Widerstand. So fordert der FDP-Rechtspolitiker Max Stadler eine Streichung des Passus. „Es muss auch möglich sein, ein Urteil des Internationalen Jugoslawien-Tribunals zu kritisieren, ohne dass sich der Kritiker strafbar macht“, sagte Stadler der taz. Ähnlich argumentiert auch die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Silke Stokar. „Es kann nicht sein, dass über die Rolle Serbiens auf dem Balkan nicht mehr frei diskutiert werden darf.“

Noch viel härter fällt die Kritik des Schriftstellers Ralph Giordano aus. Er hält es für unerträglich, dass deutsche Politiker „den einmaligen Zivilisationsbruch des Holocaust relativieren, indem sie ihn strafrechtlich mit anderen Verbrechen gleichsetzen“, sagte er dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Justizministerin Brigitte Zypries beruft sich auf völkerrechtliche Pflichten. Die neue Strafnorm setze eine Bestimmung des ersten Zusatzprotokolls zum Übereinkommen des Europarats über Computerkriminalität um. Dieser Vertrag ist bisher allerdings nur von Albanien und Slowenien ratifiziert. Außerdem sieht der Vertrag ausdrücklich die Möglichkeit vor, auf die Bestrafung von historischen Debatten zu verzichten. „Es besteht also überhaupt kein Zeitdruck, die Sache jetzt übers Knie zu brechen“, appelliert auch die Humanistische Union an den Bundestag.

Möglicherweise kommt schon am Montag die Wende, wenn der Innenausschuss Experten zu dem Gesetzentwurf anhört, der bereits am Donnerstag oder Freitag kommender Woche im Bundestag beschlossen werden soll. Hauptpunkt ist der bessere Schutz von Gedenkstätten gegen Aufmärsche von Rechtsextremisten. CHRISTIAN RATH

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