„Esras“ Geschichte bleibt privat

In einem Grundsatzurteil bestätigt der BGH das Verbot eines stark autobiografisch gefärbten Romans von Maxim Biller. Die Begründung: Mit der realitätsnahen Schilderung der Hauptfigur „Esra“ verletze der Autor die Privatsphäre seiner Ex-Geliebten

VON CHRISTIAN RATH

„Esra hatte von Anfang an zu mir gesagt, ich dürfe nie etwas über sie schreiben“, so heißt es auf den ersten Seiten von Maxim Billers Schlüsselroman „Esra“. Aber dann hält sich der Ich-Erzähler nicht an Esras Wunsch und Maxim Biller als Autor auch nicht. Es folgte eine Serie von Prozessen, bis sich gestern auch der Bundesgerichtshof (BGH) mit dem Roman beschäftigte. Ergebnis: Das Buch bleibt verboten.

In „Esra“ verarbeitete Biller seine rund 18-monatige Liebesgeschichte mit der Münchener Deutschtürkin Ayse R. Im Buch ist Biller der junge Schriftsteller Adam, und auch Ayse R. hat mit Esra einen neuen Namen erhalten. Ansonsten ist die weibliche Hauptfigur wohl sehr lebensnah gestaltet. So lebensnah, dass R. und ihre Mutter mit Erfolg eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts rügten. Wie der BGH gestern entschied, muss die Kunstfreiheit des Autors hier zurücktreten. Der BGH bestätigte damit die Vorinstanzen – das Landgericht und das Oberlandesgericht in München.

Die beiden Klägerinnen seien, so die Vorsitzende Richterin Gerda Müller, zumindest „für einen mehr oder minder großen Bekanntenkreis erkennbar“. Die Romanfiguren seien durch zahlreiche Details kenntlich und nur „unzureichend verfremdet“. Faktisch handele es sich um Porträts der beiden Frauen. Übermäßig intime Details oder frei erfundene negative Charaktermerkmale würden daher vom informierten Leser den Deutschtürkinnen zugerechnet.

Verlagsanwalt Achim Krämer berief sich gestern erfolglos auf die Freiheit der Kunst, die es erlaube, auch eine persönliche Liebesgeschichte in einem Roman zu verarbeiten. Selbst die explizite Schilderungen von Esras Sexualleben hielt Krämer nicht für ein Problem: „Wenn eine Liebesgeschichte erzählt wird, gehört die Sexualität einfach dazu.“ Doch der BGH sah hier offensichtlich Grenzen überschritten.

Auch der Vorwurf von R.s Mutter, die sich von Biller übertrieben negativ dargestellt sah, konnte die BGH-Richter überzeugen. Eine Porträtierung als streitsüchtige und herrische Person müsse sie nicht dulden. Das OLG hatte argumentiert, der Leser wisse nicht mehr, was Dichtung und was Wahrheit sei. Für Anwalt Krämer war das aber eine Steilvorlage. „So ist das eben in einem Roman. Hier behauptet ja niemand, dass wie bei einer Reportage nur die Wirklichkeit abgebildet wird.“ Möglicherweise wird der Verlag deshalb das Bundesverfassungsgericht anrufen.

Der dritte Streitpunkt betraf Esras Kind Ayla, das an einer schweren Krankheit leidet – wie auch Ayse R.s Tochter. „Soll das Kind etwa aus einem Roman erfahren, dass seine Krankheit möglicherweise tödlich ist?“, fragte Axel Kortüm, der Anwalt der Klägerinnen.

Dabei zeigte sich der KiWi-Verlag durchaus kompromissbereit. „Wir sind bereit, Änderungen vorzunehmen, die das Gericht für erforderlich hält“, betonte Achim Krämer. Ausdrücklich akzeptierte Krämer auch eine Version mit veränderten oder entfernten Details, die das OLG München zunächst freigegeben, dann aber doch wieder verboten hatte. „Es wäre ein unverhältnismäßiger Eingriff, wenn das Buch faktisch völlig neu geschrieben werden müsste“, argumentierte Krämer. Doch der BGH ignorierte das Angebot.

Das Verbot, „Esra“ zu verkaufen, trifft bisher nur den Verlag, er darf Buchläden und Großhändler nicht mehr beliefern. Diese können ihre Vorräte – geliefert wurden bisher 4.500 Exemplare – aber noch verkaufen. Und trotz aller Medienaufregung ist das Buch bisher noch bestellbar.