Eine Wunschliste gegen den Terror

Gibt es Schutzlücken in Deutschland? Und welche Forderungen der Politiker machen Sinn? Eine Bestandsaufnahme

Kaum hat sich der Schock nach den Londoner Explosionen etwas gelegt, stehen in Berlin wieder die alten Forderungen nach härteren Gesetzen im Raum. Manche haben mehr mit Terrorismus zu tun, andere weniger.

Die Islamistendatei ist schon seit einem Jahr in der Diskussion. Sie soll den Informationsfluss über gefährliche Extremisten zwischen Polizei und Verfassungsschutz beschleunigen. Bisher dürfen Informationen zwar ausgetauscht werden, doch muss die andere Seite jeweils angefragt werden. Die Bearbeitungszeit kann mehrere Wochen dauern. Interessiert an einem gemeinsamen Datenpool ist vor allem die Polizei, die umfassend auf die Informationen des Verfassungsschutzes zugreifen will.

Innenminister Otto Schily plant eine Indexdatei, also ein digitales Fundstellen-Verzeichnis. Wird ein bestimmter Name eingegeben, erfährt der Frager nur, welche Behörde auf Bundes- oder Landesebene hierzu Informationen hat, und muss dann dort direkt anfragen. Immerhin entfällt die Suche nach dem passenden Ansprechpartner.

Der unionsdominierte Bundesrat hatte weitergehende Pläne. Er wollte die Islamistendatei als Volltextdatei ausgestalten, bei der die Polizei, außer in begründeten Ausnahmefällen, auf alle einschlägigen Daten des Verfassungsschutzes hätte zugreifen können. Dagegen gab es Kritik von Verfassungsrechtlern, die das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten in Gefahr sahen, aber auch auch vom Verfassungsschutz. Er will, zum Schutz seiner Quellen, die Kontrolle über die eigenen Daten behalten. Der Gesetzentwurf des Bundesrats wurde im Bundestag Ende Juni mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP abgelehnt. Ein eigener Gesetzentwurf von Rot-Grün liegt noch nicht vor.

Auch über den Einsatz der Bundeswehr im Innern wird schon lange gestritten. Rot-Grün hat im September 2004 mit dem Luftsicherheitsgesetz bereits einen ersten Schritt getan. Es erlaubt der Luftwaffe, entführte Flugzeuge im Extremfall abzuschießen, wenn diese – wie 2001 in den USA – für Terroranschläge benutzt werden sollen. Gegen das Gesetz sind bereits Verfassungsklagen anhängig, unter anderem weil Rot-Grün darauf verzichtete, das Grundgesetz zu ändern.

Im März wurde bekannt, dass Innenminister Schily auch ein Seesicherheitsgesetz plant. Hier soll die Marine künftig die Küstenwache und die Bundespolizei unterstützen dürfen, um entführte Kreuzfahrtschiffe zu befreien oder Sabotageakte zu verhindern.

Der Union geht es allerdings zuerst um den Einsatz von Soldaten an Land, vor allem bei der Bewachung von gefährdeten Gebäuden. Dadurch würden die Polizeikräfte der Länder entlastet. Rot-Grün lehnt dies nicht nur aus historisch-psychologischen Gründen ab, sondern glaubt, dass die Soldaten hierfür auch nicht ausgebildet seien. Für den Einsatz von ABC-Kräften der Bundeswehr nach einem Terroranschlag hält die Bundesregierung gar keine Gesetzesänderung für notwendig.

Genau andersherum ist die Konstellation bei der Forderung nach präventiven Befugnissen für das Bundeskriminalamt (BKA). Dafür setzt sich Innenminister Otto Schily ein; Günther Beckstein, CSU-Innenminister von Bayern, ist dagegen. Vermutlich kommt Schily auch deshalb immer wieder gerne auf das Thema zurück.

Bisher kann das BKA nur zur Strafverfolgung, nicht aber zur Abwehr drohender Gefahren eingesetzt werden. Künftig soll es auch handeln können, wenn es Hinweise auf drohende terroristische Gefahren gibt, zum Beispiel weil so genannte Gefährder aus dem Ausland mit unbekanntem Ziel einreisen.

Für solche Konstellationen sind bislang jedoch ausschließlich die Landespolizeien zuständig, die sich dafür auch gut gerüstet sehen. Würde das Bundeskriminalamt auch präventive Zuständigkeiten erhalten, sehen sie die Gefahr, dass eine übermächtige Bundespolizei entstehen könnte.

Der Streit lässt sich wohl nur im Rahmen einer großen Föderalismus-Reform lösen. Doch die liegt wegen Schröders Neuwahl-Coup derzeit auf Eis.

Wie wichtig für kriminalpolitische Fragen inzwischen auch die europäische Ebene ist, hat Innenminister Schily mit der Einführung von biometrischen Reisepässen gezeigt. Mit biometrischen Personalausweisen will er das wiederholen.

Schon Ende 2001 wollte Schily durch Rechtsverordnung bestimmen können, dass künftig der Fingerabdruck oder die Gesichtsgeometrie in Pass und Personalausweis aufgenommen wird. Auf Druck der Grünen wurde im Sicherheitspaket II aber bestimmt, dass eine solche Passgestaltung nur per Gesetz des Bundestages möglich ist. Doch der trickreiche Schily verfolgte sein Vorhaben auf EU-Ebene weiter – ohne großen Widerstand aus dem schläfrigen Bundestag – und kam im Dezember 2004 mit einer Verordnung zurück, die alle 25 EU-Staaten zur Einführung biometrischer Reisepässe verpflichtet. Ein deutsches Gesetz war somit nicht mehr erforderlich.

Nach dem Anschlag von London sieht sich Schily nun in seinem Vorgehen bestätigt. Der Biometrie-Pass bringe mehr Sicherheit, sagt der Innenminister. Kritiker bezweifeln das, weil deutsche Pässe schon bisher fälschungssicher waren. Die Biometrie-Daten sagen nur, ob Passinhaber und Pass zusammengehören. Offen bleibe aber, ob die Identität des Passinhabers richtig ist und – noch wichtiger – ob dieser gefährliche Absichten hegt.

Doch Schily will im nächsten Schritt auch Personalausweise mit digitalisierten Daten von Fingerabdruck und Foto ausstatten. Eigentlich sollte dabei wieder der Umweg über die Europäische Union helfen. Doch wenn die EU-Verfassung scheitert, erhält die EU keine Kompetenz zum Schaffen einheitlicher Personalausweise. Dann muss der Streit in Deutschland ausgetragen werden.

Wenig Nutzen gegen Al-Qaida-Terroristen dürfte auch die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung bringen. Doch für konservative Rechtspolitiker wie Wolfgang Bosbach (CDU) gehört diese Forderung zum Standardrepertoire – auch nach London.

Erstmals eingeführt wurde die Regelung 1989 mit Blick auf RAF-Terroristen, 1994 wurde sie auf die so genannte organisierte Kriminalität ausgeweitet. Täter, die mit der Polizei kooperieren und bei der Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten helfen, bekamen einen Strafrabatt. Die Regelung hat in der Praxis wenig Wirkung gezeigt, die RAF hatte sich bald ohnehin aufgelöst. Dennoch wurde das nur befristet eingeführte Instrument alle drei Jahre verlängert – bis 1999, als Rot-Grün die Regierung übernahm.

Rot-Grün verhandelt zwar über eine Nachfolge-Regelung und auch Innenminister Schily preschte immer wieder vor – mal forderte er eine Kronzeugen-Regelung für Rechtsradikale, mal für Islamisten –, aber die Grünen blieben hart. Nach ihrer Ansicht lässt sich ein fanatischer Selbstmordattentäter durch einen Strafrabatt wohl kaum zur Kooperation mit der Polizei überreden.

Im Rahmen der bestehenden Strafrahmen kann Mithilfe bei der Aufklärung im Übrigen auch weiterhin strafmildernd berücksichtigt werden. So erhielt der Jordanier Shadi A., der in verschiedenen deutschen Terrorprozessen aussagte, nur vier Jahre Haft und kam anschließend in ein Zeugenschutzprogramm.

CHRISTIAN RATH