udo di fabios wertepredigt
: Drei Kinder für alle

Die armen Konservativen. Sie wollen mit einer hochflexiblen Wirtschaft am Weltmarkt bestehen und zugleich alte Sicherheiten nicht verlieren. Wie das zusammenpasst, versuchen sie immer wieder zu erklären. Meist kommen jedoch nur Floskeln heraus, die sich kaum vom Wahlprogramm der SPD unterscheiden.

Einen neuen Anlauf hat jetzt der parteilose Jurist Udo Di Fabio unternommen, der zurzeit als Bundesverfassungsrichter das Urteil über mögliche Neuwahlen vorbereitet. Di Fabio wurde dadurch eher zufällig zum neuen Star des obersten Gerichts, doch sein Buch ist kein juristisches Werk, sondern eher ein Aufruf an das deutsche Volk. Motto: Entdeckt Anstand und Fleiß wieder und zeugt möglichst drei Kinder pro glückliches Ehepaar.

„Die Kultur der Freiheit“ heißt das flott geschriebene Traktat. Di Fabio fordert darin einerseits mehr Freiheit und Respekt für die Leistungsbereiten. Andererseits soll anerkannt werden, dass jede Freiheit ihre kulturellen Bedingungen pflegen muss. Gemeint sind damit traditionelle Institutionen wie Familie, Nation und Religion. „Gerade die offene Gemeinschaft muss sich als Gemeinschaft wollen, sich selbst achten, sich mögen.“ Eine erfolgreiche Gesellschaft müsse vital und selbstgewiss sein.

Vitalität – das klingt nach Reformhaus und nach aktivem Altern. Doch bei Di Fabio geht es vor allem um Kinder. Eine Gesellschaft ist für ihn nur vital und lebensbejahend, wenn sie genügend Nachwuchs hervorbringt. Nun hat der 51-jährige Richter und Soziologe mit seiner Frau schon vier Kinder gezeugt und kann seine Botschaft damit glaubwürdig vertreten. Allerdings hat er den nicht ganz so Gebärfreudigen wenig mehr anzubieten als ein Plädoyer für die alte bürgerliche Familie mit der Mutter als emotionalem Mittelpunkt im Haushalt und dem „treu sorgenden“ Familienvater in der „beruflichen äußeren Welt“.

Natürlich weiß er, dass diese Rollenbilder heute überholt sind, doch kommt er immer wieder darauf zurück. Er nennt sie einfach „neue bürgerliche Werte“ und formuliert sein Leitbild poppig als „Eros lebenslanger Bindung“. Dabei sieht er sich ständig in einem durch 68 geprägten Abwehrkampf gegen eine „destruktive“ Institutionenkritik. Er erkennt aber nicht, was viele Studien längst belegen: Die Jugend heute sagt durchaus Ja zu Bindung und Nachwuchs. An den Werten liegt es offensichtlich nicht.

Auch Sitte und Anstand sind in unserer Gesellschaft nicht zu knapp vorhanden. Nur: Moderne Antidiskriminierungsgesetze, die sicherstellen, dass auch Schwarze in die Disko kommen und Behinderte nicht des Lokals verwiesen werden, lehnt Di Fabio als „freiheitseinschränkend“ ab. In der Anerkennung der Homopartnerschaft sieht er ängstlich eine Relativierung von Ehe und deren „Anspruch auf Abgrenzung“.

Di Fabio ist ein Werteprediger, der sich in der Zeit geirrt hat. Er trauert alten Traditionen nach und kann den gemeinschaftsstiftenden Wert des Neuen nicht erkennen. Er ist letztlich selbst ein kulturkritischer Romantiker, der die westliche Welt so, wie sie nun mal ist, einfach nicht mag. Für die Mehrzahl der heute lebenden Menschen mit ihren individualisierten und pluralistischen Lebensentwürfen trägt er wenig Nützliches bei.

Wissenschaftlich abwegig ist auch sein Versuch, die deutsche Geschichte allein aus einer positiv empfundenen Nationalkultur zu bestimmen. Der Faschismus wäre darin nur das Werk des „Dämons“ Hitlers, der die Deutschen verführt und belogen hat. Immerhin, an der „Reue über begangenes Unrecht“ will er nicht rütteln, obwohl die Deutschen scheinbar ja gar nichts dafür konnten.

Di Fabio bietet konservative Stammtischweisheiten auf hohem Niveau und nennt das „Alltagsvernunft“. Zum Glück bekommt er als Luhmann-geschulter Soziologe meist noch die Kurve und driftet nicht ins offen Reaktionäre ab. Fest steht nur: Die Konservativen müssen weiter auf moderne Konzepte warten.

CHRISTIAN RATH

Udo Di Fabio: „Die Kultur der Freiheit“. Verlag C.H. Beck, 295 Seiten, 19,90 Euro