Flugzeuge abschießen – oder auch nicht

Die noch amtierende rot-grüne Regierung verteidigt ihr umstrittenes Luftsicherheitsgesetz bei der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht schwach und uneinheitlich. Nun sieht alles danach aus, dass das Gesetz nicht genehmigt wird

AUS KARLSRUHE CHRISTIAN RATH

Das rot-grüne Luftsicherheitsgesetz, das im Extremfall den Abschuss eines entführten Passagierflugzeuges erlaubt, wird in Karlsruhe wohl kassiert. Offen ist nach der gestrigen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts aber noch die Begründung. Monieren die Richter nur die fehlende Änderung des Grundgesetzes? Oder wird eine derartige Regelung generell für unzulässig erklärt? Gegen das Gesetz, das Anfang 2005 in Kraft trat, klagte unter anderem der FDP-Politiker Burkhard Hirsch.

„Zum ersten Mal nimmt sich der Staat außerhalb eines Krieges das Recht, Menschen zu töten, die sich völlig rechtmäßig verhalten haben.“ Für Burkhard Hirsch verstößt das Luftsicherheitsgesetz deshalb gegen das Grundrecht auf Leben und die Menschenwürde. Auch zur Verhütung eines Terroranschlags dürften Unschuldige nicht legal geopfert werden.

Die rot-grüne Koalition, die geschäftsführend ja immer noch die Bundesregierung stellt, gab ein desolates Bild ab und konnte sich nicht einmal darauf einigen, was sie eigentlich beschlossen hat. Innenminister Otto Schily ging davon aus, dass es faktisch gar keinen Anwendungsfall für die Abschussbefugnis gibt. Nur wenn völlig sicher sei, dass das Leben der entführten Passagiere „besiegelt“ ist, könne die Luftwaffe eingreifen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass bei den Anschlägen vom 11. 9. 2001 irgendeine rechtzeitige Möglichkeit zur Einwirkung bestanden hätte“, argumentierte Schily.

Christian Ströbele von den Grünen ging noch weiter. Nach seiner Auffassung würde das Luftsicherheitsgesetz den Abschuss eines Flugzeuges gar nicht erlauben: „Wenn noch lebende Passagiere an Bord sind, darf keine Waffengewalt angewandt werden.“ Darauf hätten die Grünen geachtet. Möglich sei der legale Abschuss eines Jets nur, wenn er ohne Passagiere und Personal gekapert worden sei oder diese bereits tot seien. Schily und Ströbele betonten fast unisono, dass Menschenleben nicht zur Rettung anderer Menschenleben eingesetzt werden dürften.

Ganz anders die Darstellung von Dieter Wiefelspütz, dem innenpolitischen Sprecher der SPD. „Ich will mich nicht aus der Verantwortung stehlen und hier Klartext sprechen.“ Natürlich ziele das Luftsicherheitsgesetz auch auf Fälle wie die Angriffe von New York. „Das ist ja kein theoretisches Konstrukt, sondern real passiert“, sagte Wiefelspütz, „und es kann sich schon morgen überall in der Welt wiederholen.“ Deshalb brauche der Verteidigungsminister und die Bundeswehrpiloten Rechtssicherheit, wenn sie versuchen, einen Terroranschlag zu verhindern. Es sei „unwürdig“, die Beteiligten auf den umstrittenen „übergesetzlichen Notstand“ zu verweisen.

Klaus-Peter Stieglitz, der Inspekteur der Luftwaffe, berichtete, dass es in diesem Jahr bereits rund 350 Fälle gegeben habe, bei denen der Funkkontakt zu einem Flugzeug abgebrochen sei. In 31 Fällen hätten sich Jagdflugzeuge der Bundeswehr per Sichtkontakt am Cockpit des Jets davon überzeugt, dass keine Entführung vorliege. Vom Abschluss eines Flugzeugs sei man stets „weit entfernt gewesen“. Darüber denke er auch gar nicht nach, sagte der Offizier lakonisch.

Für die unionsregierten Länder Bayern und Hessen, die in Karlsruhe ein Parallelverfahren führen, kritisierte der Münchener Rechtsprofessor Peter Badura, dass das Luftsicherheitsgesetz in der Luft hänge, weil die Bundesregierung auf eine Verfassungsänderung verzichtet hatte: „Die Amtshilfe mit Abfangjägern ist im Grundgesetz nicht vorgesehen.“ Während der Rechtsprofessor der Bundesregierung Gerhard Robbers das Grundgesetz gewahrt sah, gab sich Minister Schily konziliant: „Wir erwarten vom Gericht Hinweise, ob eine Klarstellung in der Verfassung erforderlich ist oder nicht.“ Auf diese abwartende Linie hatte sich jüngst auch die große Koalition in Berlin geeinigt.

Das Urteil wird erst in einigen Monaten verkündet.