Einbuchten nur mit Haftbefehl

Bundesverfassungsgericht entscheidet, dass auch vorläufige Festnahmen von DemonstrantInnen nur mit richterlichem Beschluss fortgesetzt werden dürfen

KARLSRUHE ap ■ Auch Demonstranten, die nur vorübergehend festgenommen werden, müssen unverzüglich einem Richter vorgeführt werden. Das Bundesverfassungsgericht gab der Beschwerde einer Frau statt, die 2001 an einer Sitzblockade gegen Atomtransporte teilgenommen hatte und 22 Stunden ohne richterliche Vorführung in Gewahrsam gehalten worden war.

Die Frau hatte während des Castor-Transports im November 2001 zusammen mit 200 Personen im niedersächsischen Splietau eine Landstraße blockiert. Die Polizei räumte am Morgen die Straße und erteilte einen Platzverweis. Weil sich die Demonstrantin nicht freiwillig entfernte, wurde sie um 10.20 Uhr in Gewahrsam genommen. Sie wurde erst am Folgetag um 8.23 Uhr entlassen, ohne dass sich in der Zwischenzeit ein Richter mit dem Freiheitsentzug befasst hatte. Die Frau rügte den Gewahrsam als eine Ersatzbestrafung, die Gerichte lehnten ihre nachträgliche Klage jedoch ab. Ihre hiergegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hatte nun Erfolg. Das Landgericht Lüneburg, an das der Fall zurückverwiesen wurde, muss nun den Grund der Verzögerung bei der Einschaltung eines Richters aufklären.

Die Kammer des Zweiten Senats betont in ihrem einstimmigen Beschluss, dass nur ein Richter über Freiheitsentzug entscheiden kann. Grundsätzlich müsse die richterliche Anordnung vorher eingeholt werden, nur in Ausnahmefällen könne sie nachträglich erfolgen. In solchen Ausnahmefällen sei die richterliche Anordnung aber unverzüglich nachzuholen. Im konkreten Fall sei unklar, warum das zuständige Amtsgericht nicht noch am selben Tag über den Freiheitsentzug entschieden habe. Der Antrag auf richterliche Entscheidung sei dort erst am Folgetag eingegangen. Inzwischen sei die Demonstrantin wieder freigelassen worden.

Die Kammer stellte fest, dass dem Staat zuzurechnende Verzögerungen für eine richterliche Entscheidung eine verfassungswidrige Verletzung des Freiheitsgrundrechts und einen Verstoß gegen effektiven Rechtsschutz darstellten. Es müsse auch aufgeklärt werden, warum sich der richterliche Bereitschaftsdienst am Amtsgericht offenbar nur auf den Tag erstreckte, obwohl wegen der Castor-Transporte mit vielen „Ingewahrsamnahmen“ habe gerechnet werden müssen. (Az: 2 BvR 447/05)