„Ohne gesetzliche Grundlage“

Der Rechtsexperte Florian Geyer hält den baden-württembergischen Leitfaden für Einbürgerungswillige für nicht gerichtsfest. Antragsteller könnten Antworten verweigern

taz: Herr Geyer, Baden-Württemberg testet vor der Einbürgerung von Ausländern mit einem Gesprächsleitfaden die Einstellung zu westlichen Werten, Gleichberechtigung und Homosexualität. Was passiert, wenn ein Ausländer sich weigert, diese Prüfungsfragen zu beantworten?

Florian Geyer: Dann wird die Behörde wohl seinen Antrag auf Einbürgerung ablehnen. Allerdings kann der Ausländer dagegen beim Verwaltungsgericht klagen. Er muss dann eingebürgert werden, wenn er ansonsten einen Anspruch auf Einbürgerung hat.

Warum sind Sie so sicher, dass der Kläger vor Gericht Erfolg haben wird?

Weil ein solcher Test im Staatsangehörigkeitsgesetz einfach nicht vorgesehen ist. Der Antragsteller muss laut Gesetz nur unterschreiben, dass er die freiheitlich demokratische Grundordnung bejaht und dass er keine extremistischen Bestrebungen verfolgt. Ein Gesinnungstest ist nicht vorgesehen.

Aber man kann sich doch nur zu etwas bekennen, das man kennt …

Mag sein. Allerdings geht es bei den baden-württembergischen Einbürgerungstests ja gar nicht um Wissensfragen über Demokratie, Rechtsstaat und Grundrechte, sondern es werden Meinungen und Einstellungen abgefragt. Dafür gibt es im Gesetz keine Grundlage.

Nehmen wir an, die große Koalition im Bundestag findet die Idee aus Baden-Württemberg gut und schreibt nun im Bundesgesetz vor, dass das Bekenntnis zum Grundgesetz von den Behörden überprüft werden kann. Wäre das zulässig?

Im Prinzip ja. So wie Sprachkenntnisse geprüft werden, könnte auch das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung überprüft werden.

Anhand der Fragen des Stuttgarter Leitfadens?

Nein, diese Fragen sind zumeist ungeeignet. Die private Einstellung eines Menschen zur Gleichberechtigung oder zur Homosexualität geht den Staat nichts an. Die Grundrechte schützen vor Eingriffen des Staates, regeln aber nicht das Verhältnis unter Privatpersonen.

Dass jemand aus einem islamischen Land kommt, genügt nicht, um Zweifel an seiner Einstellung zu haben?

Natürlich nicht. Was kann jemand dafür, dass er vor langer Zeit in einem bestimmten Land geboren wurde? Es geht hier doch vor allem um Menschen, die schon mehr als acht Jahre in Deutschland leben und deshalb einen Anspruch auf Einbürgerung haben. Da kann man doch nicht einfach unterstellen, dass die von unseren Werten völlig unberührt geblieben sind.

Ist es zulässig, jemandem später die deutsche Staatsbürgerschaft wieder zu entziehen, der im Einbürgerungstest unwahre Angaben gemacht hat?

Ob dies grundsätzlich möglich ist, prüft derzeit das Bundesverfassungsgericht. Eigentlich heißt es im Grundgesetz „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.“

Aber wenn die Staatsbürgerschaft erschlichen wurde, ist das doch nicht schützenswert?

So sieht das wohl die herrschende Meinung in der Rechtswissenschaft. Bei den Einbürgerungstests geht es allerdings um komplexe Wertungen. Ich weiß nicht, wie eine Behörde Jahre später feststellen will, dass man bei der Einbürgerung „unwahr“ geantwortet hat. Man kann ja auch seine Meinung über die Gleichberechtigung später wieder ändern. Mir kommt es so vor, dass man sich hier vor allem einen Hebel schaffen will, um Leute, die später auffällig werden, wieder auszubürgern, um sie dann ausweisen und abschieben zu können.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH