„Die Terrorgefahr ist nicht vorbei“

Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz verteidigt die Entscheidung der Regierung, dem Bundesnachrichtendienst (BND) trotz aller Skandale neue Befugnisse einzuräumen

taz: Herr Wiefelspütz, ist es nicht ziemlich provokativ, dass die Bundesregierung den Geheimdiensten gerade jetzt neue Befugnisse gibt, während der Bundesnachrichtendienst (BND) von einem Skandal zum nächsten schlittert?

Dieter Wiefelspütz: Tut mir Leid, wenn Ihnen der Zeitpunkt nicht gefällt, aber wir konnten ihn nicht aussuchen. Das Gesetz, mit dem wir den Nachrichtendiensten nach dem Anschlägen von 2001 neue Befugnisse gegeben haben, läuft nun mal Ende des Jahres aus.

Die Nachrichtendienste haben die meisten ihrer neuen Auskunftsrechte bei Banken, Flug- und Telefongesellschaften, die sie seit 2001 haben, kaum benutzt. Könnte man sie nicht einfach abschaffen?

Wollen Sie jetzt kritisieren, dass die Nachrichtendienste von ihren Fragerechten maßvoll Gebrauch gemacht haben? Dadurch verlieren die Befugnisse doch nicht ihren Sinn. Die terroristische Gefahr ist keineswegs vorüber, wie die Anschläge von Madrid und London gezeigt haben.

Die neuen Befugnisse können künftig auch leichter angewandt werden. Statt des Bundesinnenministers oder des Chefs des Bundeskanzleramts können bald einfach Beamte der Regierung die Auskunftsersuchen anordnen. Warum ist das nötig?

Bisher hat das Gesetz Gürtel, Hosenträger und einen Fallschirm. Das mussten wir etwas praxistauglicher machen.

Wird es nach den jetzt beschlossenen Änderungen dabei bleiben, dass die Nachrichtendienste zwar fragen dürfen, die Unternehmen aber nicht verpflichtet sind, zu antworten?

Dabei bleibt es. Manche in der Union wollten das zwar verändern. Aber Sie sehen, wie maßvoll wir bleiben.

Wie hoch ist denn bisher die Kooperationsbereitschaft bei den angefragten Unternehmen?

Ich kenne keinen Fall, in dem den Nachrichtendiensten die Auskunft verweigert wurde. Schon deshalb mussten wir an diesem Punkt das Gesetz nicht nachbessern.

Verschärft haben Sie aber an anderen Punkten. Befugnisse, die explizit für die Terrorbekämpfung eingeführt wurden, gelten jetzt auch gegen Extremisten …

So allgemein kann man das nicht sagen. Wir haben die Befugnisse auf ein winziges, aber wichtiges Segment des Extremismus erweitert, auf Leute, die die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt fördern, zum Beispiel islamistische Hassprediger.

Woran wollen Sie eigentlich erkennen, was die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt fördert? Wird ein Fundamentalist, der sagt „die Deutschen stinken“, jetzt mit Terroristen gleichgestellt?

Die Beleidigung als solche wird nicht ausreichen. Nach aller Erfahrung kann aber Hetze bei anderen Menschen zu Gewalttätigkeit führen. Im Übrigen werden wir in fünf Jahren erneut überprüfen, wie die Praxis des Gesetzes aussieht. Dann aber wird sich die Regierung nicht mehr selbst evaluieren, wie noch im Vorjahr, sondern es wird ein vom Bundestag mit ausgewählter Wissenschaftler hinzugezogen. Das halte ich geradezu für beispielhaft.

Alle neuen Befugnisse, die dem Verfassungsschutz nach dem 11. September 2001 eingeräumt wurden, sollen jetzt auch der BND und der Militärische Abschirmdienst (MAD) erhalten. Sie wollen wohl Eifersüchteleien zwischen den Diensten vermeiden?

Diese Analyse halte ich für bösartig. Der BND bleibt für das Ausland und der MAD für die Sicherheit der Bundeswehr zuständig, auch dort kann es terroristische Gefahren geben.

INTERVIEW: CHRISTIAN RATH