Leugnen verboten

VON CHRISTIAN RATH

Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) plant weitgehende Beschränkungen der europäischen Meinungsfreiheit. Rassistische Ausfälle und geschichtsverfälschende Diskussionen sollen in ganz Europa bestraft werden. Für rechte Hetzer soll es keine liberalen Rückzugsorte mehr geben, die Staaten sollen bei ihrer Verfolgung europaweit zusammenarbeiten und Täter ausliefern.

In einem von Zypries jetzt vorgestellten „Rahmenbeschluss zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit“ sollen sich die 27 EU-Staaten vor allem zu Folgendem verpflichten: Die öffentliche Aufstachelung zu Hass und Gewalt „gegen eine nach den Kriterien Rasse, Hautfarbe, Religion, Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft definierte Gruppe von Personen“ soll EU-weit strafbar sein. Das Gleiche gilt für das öffentliche „Billigen, Leugnen oder Verharmlosen“ des Holocaust oder anderer Völkermorde, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen. Die Höchststrafe soll in beiden Fällen zwischen einem und drei Jahren liegen. Die Strafverfolgung soll auch ohne Antrag von Opfern stattfinden. Wenn die Tat zu „Gunsten“ einer Partei oder Vereinigung begangen wurde, soll es auch gegen sie Sanktionen geben, etwa den Ausschluss aus finanzieller Förderung oder die „richterlich angeordnete Auflösung“ der Vereinigung.

Ein EU-weites Verbot von Hakenkreuz-Darstellungen wird dagegen nicht angestrebt. Eine entsprechende Ankündigung von Zypries Anfang Januar war offensichtlich ein Versprecher der Ministerin.

Der Beschluss soll von den EU-Justizministern noch im ersten Halbjahr 2007 – während der deutschen EU-Präsidentschaft – gefasst werden. Eine politische Einigung strebt Zypries auf dem Ratstreffen am 19. und 20. April an. Ein derartiger Rahmenbeschluss in der Rechtspolitik kann nur einstimmig zustande kommen.

Ob alle Staaten diesem Entwurf zustimmen, ist zweifelhaft, weil er weit in die Meinungs- und Pressefreiheit eingreift. Nach Zypries’ Ansatz könnte auch die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen strafbar sein oder die Verharmlosung von US-Kriegsverbrechen im Irak. Die Klausel zu juristischen Organisationen könnte genutzt werden, um missliebige Parteien wie die NPD wegen Hetzreden einzelner Mitglieder aufzulösen.

Der Zypries-Entwurf sieht daher zahlreiche Möglichkeiten vor, wie einzelne Staaten die rigiden Strafbarkeitsregeln wieder einschränken können, um ihre freiheitlichen Verfassungstraditionen nicht allzu sehr zu beeinträchtigen: Rassistische Hetze und Völkermord-Leugnung müssen nicht bestraft werden, wenn sie „keine Drohung, Beschimpfung oder Beleidigung“ darstellen oder wenn sie „nicht geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören“. Hetze gegen Religionen muss nicht bestraft werden, außer sie dient als Vorwand für rassistische Hetze oder die „Drohungen“ sind darauf gerichtet, religiösen Hass zu säen. Die Bestrafung der Völkermord-Leugnung kann auf historische Vorfälle eingegrenzt werden, deren Bewertung von einem internationalen oder nationalen Gericht bereits rechtskräftig festgestellt wurde. Diese Ausnahmen gelten aber nur für die Staaten, die von der Möglichkeit zur Abmilderung des Rahmenbeschlusses ausdrücklich Gebrauch machen wollen.

Ein solcher Entwurf wird bereits seit fünf Jahren diskutiert. Wegen des Zwangs zur Einstimmigkeit blieb er aber immer liegen. Jetzt, da Verweigerer Silvio Berlusconi in Italien abgewählt wurde, macht sich Ministerin Zypries Hoffnungen, das Projekt unter ihrer Ägide abschließen zu können.

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