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Flughafen schließtEs ist vorbei, bye, bye, Tempelhof

Nun ist endgültig Schluss: Nach 85 Jahren stellt der Flughafen Berlin-Tempelhof den Flugbetrieb am Donnerstagabend ein. Grund genug für viele BerlinerInnen, Luftfahrtnostalgiker und Rosinenbomber-Mythologen, ein paar letzte Tränen zu vergießen.

Kurz vor dem Ende des Flugbetriebs hat die Nostalgie Tempelhof fest im Griff. Während im Vorraum die Autovermieter ihre Schilder abschrauben und Handwerker Teile von Servicetresen wegtragen, herrscht in der Abflughalle Hochbetrieb. Touristen bestaunen die Architektur, eine Gruppe vorwiegend älterer Herrschaften sammelt sich vor den historischen Flugzeugmotoren im Mittelgang und verschwindet, angeführt von einer Dame im U.S.-Army-Kostüm, durch eine Tür mit der Aufschrift "Offizierslounge Frank Hellberg". Ein Herr mit grauem Schnäuzer und eine Dame im lila Strickkleid bleiben vor dem Wandgemälde zurück, das ein blondbezopftes Mädchen mit einem Rosinenbomberpiloten zeigt. Er flog 1948 als junger Pilot selbst in der DC-3 über Berlin, seine Begleiterin sammelte als Mädchen die abgeworfenen Schokoladenbällchen auf. Heute ist er ihr Schwiegersohn.

Sie sind zum Flughafen gekommen, um Abschied zu nehmen: ein letztes Foto vor dem Wandbild, dann weiter zu Sektempfang und Filmvortrag in der Lounge. Höhepunkt ist ein Rundflug über Berlin im Rosinenbomber. "Endlich mal selbst drinsitzen", will das ehemalige Trümmermädchen, endlich wieder drinsitzen der ehemalige Rosinenbomberpilot.

Die Tempelhof-Abschiedstouren werden von "Air Service Berlin" organisiert. Vor ihrem Büro ganz am Ende der Abflughalle staut sich eine Schlange. Die Touren sind beliebt und bis zum letzten Tag fast ausgebucht, sagt die junge Frau am Schalter. Der 35-minütige Rundflug kostet, zusammen mit Sektempfang, Häppchen und Filmvorführung, 179 Euro.

Ein alter Herr mit Schiffermütze kauft zwei Tickets, ein Geburtstagsgeschenk für seinen Bruder, der "echter Flugzeugfan" ist. Die Geschwister werden unter den letzten Passagieren sein, die vom Rollfeld abheben, bevor heute Nacht endgültig Schluss ist. Traurig sei er nicht, sagt der Pankower. "Die Rosinenbomber fliegen auch von Schönefeld weiter. Und einen Flughafen in der Innenstadt braucht bei vernünftiger Verkehrsplanung kein Mensch."

Dass es sich bei dem neuen Zentralflughafen BBI um eine "vernünftige Verkehrsplanung" handelt, wird am Schalter von Brussels Airlines heftig bezweifelt. "Kein normal denkender Mensch" könne verstehen, warum man Tempelhof nicht bis zur Inbetriebnahme von BBI offen halte, sagt einer der wenigen Passagiere. "Wieder eine dieser typischen Berliner Senatsentscheidungen", ruft er, bevor er mit seinem Aktenkoffer in Richtung Flugsteig verschwindet. Die Lautsprecherdurchsage, die "alle Passagiere gebucht nach Brüssel zum Ausgang A2" bittet, wirkt inmitten der Museumsstimmung geradezu surreal.

Die beiden Mitarbeiterinnen, die am Tresen von "Brussels Airlines" ausharren, wollen ihre Namen nicht in der Zeitung lesen. Aber sie sehen ihrem letzten Arbeitstag in Tempelhof mit Wehmut entgegen. Seit 1995 arbeite sie hier, sagt die eine - "und immer gerne". Ab 1. November sei Schönefeld ihr neuer Arbeitsplatz, die Kollegin gehe nach Tegel. Schön sei das nicht, aber wenigstens sei jetzt Schluss mit dem ewigen Hin und Her. Zur offiziellen Abschiedsparty heute Abend sind die beiden nicht eingeladen. "Wir werden einfach den Tisch räumen und das Licht ausmachen. Schade eigentlich."

Schade um Tempelhof. Das findet auch der "Verkehrspolitische Informationsverein", der eins der leeren Büros in der Abflughalle bezogen hat und unverdrossen zur Unterschriftensammlung gegen die drohende Provinzialisierung Berlins aufruft. Man solle den Flughafen privatisieren und für Privat- und Regionalflieger nutzen, so der Vorschlag der Initiative. "Tempelhof MUSS Flughafen bleiben!!", fordern kämpferische Schilder. Trotzdem zieht es nur vereinzelte Passanten ins Büro der Tempelhof-Initiative. Die meisten beschäftigen sich lieber mit der Vergangenheit. Oder der Zukunft, die in einem Glaskasten in der Hallenmitte ausgestellt wird: Wo früher Zeitungen und Souvenirs verkauft wurden, lädt jetzt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zur Diskussion über die Zukunft des denkmalgeschützten Flughafengebäudes ein.

Im Seitenarm des Hauptgebäudes soll die Vergangenheit in die Zukunft gerettet werden. Das zumindest wünscht sich Eva-Maria Jaffé-Rießler, Betreiberin des Casinos. Das soll auch nach Ende des Flugbetriebs geöffnet bleiben, ebenso wie der benachbarte Revueclub "La Vie en Rose". Das holzgetäfelte Casino war einst Dining Room für die US-Soldaten, später Kantine für Mitarbeiter des Flughafens und der im Seitenflügel angesiedelten Betriebe: Polizeiwache, Bundeswehr und die Dekra-Akademie, die bis 2003 Mitbetreiber war. Nach deren Rückzug aus dem Betrieb übernahm die gelernte Bankkauffrau Jaffé-Rießler mit einem Koch den Laden. "Der einzigartige Charme des Casinos wird auch in der Zukunft Gäste anziehen", hofft sie. "Die Durststrecke wird hoffentlich bald vorbei sein."

Die Flughafenschließung macht sich im Casino schon seit einem halben Jahr bemerkbar. Deutlich weniger Besucher als früher kommen, um im historischen Ambiente deutsche Klassiker wie Erbseneintopf, Eisbeinsülze und Speckpfannekuchen zu genießen. Jaffé-Rießler musste alle Angestellten bis auf die Küchenmeisterin entlassen. Die beiden Frauen schmeißen zusammen den Mittagsbetrieb und organisieren abends und am Wochenende Catering für Veranstaltungen. "Konferenzen, Jubilarsfeiern, Hochzeiten und Gartenpartys - wir haben die idealen Räume und das Essen." Die Geschäftsfrau geht voran durch den Grauen und den Blauen Raum, in dem sich Deckenleuchter aus den Dreißigerjahren mit Teppichen und Möbeln aus späteren Jahrzehnten mischen. "Für heutigen Geschmack ein bisschen plüschig und piefig", gibt Jaffé-Rießler zu. "Aber einzigartig." Im hintersten Raum erinnern bunte Glasfenster und die Umrisse eines Altars an seine Geschichte als Kapelle der US Air Base. Die Fenster wurden von den Unteroffiziersfrauen (NCO wives) zum Gedenken an die Opfer der Luftbrücke gespendet.

Heute empfängt hier Polizeichef Dieter Glietsch ausländische Gäste und die Polizeigewerkschaft nutzt die Räume für ihre Skatabende. Ehrensache, dass die Pro-Tempelhof-Initiative ihren Kongress zur Flughafenzukunft im Casino veranstaltete. Doch nicht nur Tempelhoffreunde wüssten das historisch-skurrile Ambiente zu schätzen, betont die Chefin. Mit Kanapées, Käseigeln und Schlemmerbuffets für bis zu 200 Personen versucht sie ihren Betrieb in die neue, flughafenlose Zeit zu retten. Die Schließung hält sie für eine "beispiellose Dummheit", nicht nur des eigenen Geschäfts wegen. "Andere Städte beneideten uns um diesen kleinen Innenstadt-Flughafen", sagt sie und blickt kopfschüttelnd in den Garten, den eine wild lebende Füchsin verwüstet hat. "Und was macht unser Senat? Der macht die Flughafenfrage zu einer Lachnummer!"

Auch Marina Piccolo würde dem Regierenden Bürgermeister "nicht ein einziges Brötchen" verkaufen. Leider hat sich Klaus Wowereit nie in ihrem Imbiss im Eingangsbereich des Zentralgebäudes blicken lassen. Genauso wenig wie der Berlin-Saarbrücken-Pendler Oskar Lafontaine, der immer mit wehendem Mantel direkt zur Abflughalle gehastet sei. CDU-Mann Friedbert Pflüger werde wohl auch nicht mehr kommen, sagt die blonde Frau mit dem freundlichen Gesicht. Die Stammgäste der "Bottega Piccolo" sind die Taxifahrer, die zwischen den Touren auf einen Kaffee, eine Stulle und einen Plausch vorbeischauen. Richtige Freundschaften hätten sich mit der Zeit entwickelt, sagt Piccolo.

Vor 14 Jahren fing die Karlshorsterin beim "Air Snack" auf der anderen Seite des Eingangs an. Vor zweieinhalb Jahren eröffnete sie ihren eigenen Laden. Erst mit Blumen und Geschenken, dann mit italienischem Kaffee und selbst geschmierten Graubrotstullen für die Taxifahrer. Eine gute Wirtin müsse zuhören, aber auch ordentlich austeilen können, sagt sie. Dabei hat sie anscheinend den richtigen Ton getroffen. "Marina - Engel von Tempelhof" steht auf einer Zeichnung, die ihr dankbare Gäste eines studentischen Architekturprojekts gemalt haben.

Ausgeharrt hat der Engel von Tempelhof bis zum Schluss, damit Sohn Mario seine Ausbildung abschließen kann. "Das ist doch hier nur noch traurig", sagt Piccolo. Strategisch habe man den eigentlich rentablen Kleinflughafen ruiniert, um ihn leichten Gewissens schließen zu können. Wenn die Großkopferten, die für das Desaster verantwortlich sind, heute ihre große Abschiedsgala geben, will die Wirtin der "Bottega Piccolo" Trauerflor an die Taxifahrer verteilen. Und mit ihnen bei ein paar Bier die Einrichtung abbauen. Für sie wird es mit einem neuen Imbiss in Kreuzberg weitergehen. Ihre Stammkundschaft wird ihr die Treue halten, hofft sie. "Die sind zum Glück mobil."

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