Prolog

Gekommen, um zu bleiben

Eine „Linke Tageszeitung für die BRD und Westberlin“. So wurden wir vor 40 Jahren auf dem Tunix-Kongress in Berlin angekündigt. Den Medien, die sich im Deutschen Herbst 1977 freiwillig an die Nachrichtensperre der Bundesregierung hielten, wollten die taz-Gründer*innen etwas entgegensetzen. Linken, unabhängigen und undogmatischen Journalismus. Wobei: Ist die taz links? Und wenn ja: Was heißt das? Darüber streiten wir seit Tag 1 bis heute. Mittlerweile sind die Medien andere, Flugblätter sind heute Online-Petitionen. Und auch die Bundesrepublik ist eine andere als 1978. Eine rechtspopulistische Partei sitzt im Bundestag, Mieten werden unbezahlbar, Digitalkonzerne bestimmen die Öffentlichkeit im Internet. Heute wie damals braucht es ein Medium, das den Status Quo bedingungslos kritisiert und nach Utopien sucht. Das den Fokus auf Themen und Länder richtet, auf die andere nicht schauen. Das ist die taz. Unsere Arbeit braucht es heute genauso wie vor 40 Jahren. Die Frage ist: Haben wir die Weichen in Richtung Zukunft richtig gestellt?

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Bei der taz ist vieles anders. Probleme, die andere Zeitungen quälen, kennt sie nicht. Zum Beispiel Verleger*innen, die Rendite fordern, auch in Zeiten, in denen die Anzeigenmärkte einbrechen. Und wenn die Profite nicht stimmen, werden Redaktionen zusammengelegt oder geschlossen. Wir haben Verleger*innen, die das nicht interessiert, die sogar Jahr für Jahr weiter Geld in das Projekt stecken. Hinter der der taz steht eine feste und immer weiter wachsende Genossenschaft mit über 17.500 Mitgliedern, die im Notfall bestimmt wieder eine Soliaktion für ihre taz starten wird, um unsere Arbeitsplätze zu retten. Über Anzeigen hat sich die Zeitung nie zu großen Teilen finanziert. Und unser freiwilliges Bezahlmodell taz zahl ich unterstützen bereits über 11.500 Leser*innen. Schön ist das.

Bei der taz ist aber auch einiges gleich: Unsere Printauflage sinkt. Vielleicht nicht so schnell wie die anderer Zeitungen, aber nach allem, was man prognostizieren kann, werden wir mit der gedruckten Zeitung in drei Jahren nicht mehr genügend Geld verdienen, um den Journalismus zu finanzieren, den wir machen wollen, den wir machen müssen. Nicht mehr genügend Geld, um unseren Job zu behalten.

Und es gibt etwas, das ist seltsam anders: die Online-Reichweite sinkt. Das ist einmalig in der Presselandschaft. Und es ist nicht schön. Es ist erschreckend.

Tschüss, taz, es war schön mit dir.

Erstaunlich, wie relaxt wir alle trotzdem noch sind. Vielleicht denken wir: Die taz hat ja bisher jede Krise überlebt. Die Zuständigen werden es schon schaukeln, die Chefredaktion, die Geschäftsführung, der Vorstand, notfalls die Genossenschaft. Wir haben ja bald ein tolles neues Haus.

Aber wenn wir uns weiter so langsam in Richtung Digitalistan bewegen wie jetzt, droht das Haus zum Goldenen Käfig zu werden. Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig.

Die Digitalisierung und die Entwicklungen auf dem Medienmarkt verlaufen so rasant, dass man leicht abgehängt wird. Wer nicht rechtzeitig und richtig investiert, verliert. Ja, wir verdienen mit der täglichen Printzeitung noch das meiste Geld. Aber es wird eben sichtbar weniger. Unsere digitalen Erlöse können die Verluste nicht ausgleichen. Es sind schlicht zu wenige. Wir brauchen mehr.

Drei verantwortliche Personen mit anderthalb Stellen für unser freiwilliges Bezahlmodell taz zahl ich schaffen eben nur so viel, wie anderthalb Personen schaffen können. Beim britischen Guardian, der inzwischen ein ähnliches Onlinefinanzierungsmodell hat, machen diesen Job etwa 50 Personen. Wir sind nicht der Guardian, wir brauchen auch keine 50 Personen. Aber wir müssen aufhören, digitale Entwicklung nur auf Sparflamme zu betreiben.

Alles, was in der taz mit Digitalem zu tun hat, ist schwierig. Schwierig zu planen, schwierig umzusetzen. Personen, die sich bei uns mit Digitalem beschäftigen, werden aufgerieben. Die Strukturen dafür sind sich mühsam durch das Zeitungshaus schlängeld gewachsen und funktionieren nicht in der Schnelligkeit, in der wir sie brauchen.

Schnelligkeit ist häufig nicht möglich, weil es kein Wissen gibt. Keine Zeit. Kein Geld. Es gibt in der taz ein Layout, eine Werbegrafik – aber niemand in diesen Abteilungen ist Ansprechpartner*in für Webdesign. Es gibt eine Social-Media-Redaktion, die pro Tag aus zwei Personen besteht, die auch noch alle Kommentare auf taz.de überblicken müssen.

Es gibt niemanden, der ernsthaft daran arbeitet, dass unsere Texte im Netz besser gefunden werden. Die allermeisten in der Redaktion arbeiten auf einen Printredaktionsschluss hin, auch wenn im Netz unser Publikum viel größer ist. Wir machen primär weiter eine Tageszeitung und online so gut, wie’s eben geht. Das wird nicht mehr lange funktionieren.

An dieser Stelle hilft es, einmal den Blickwinkel zu wechseln.

In Hamburg trafen sich Ende 2017 300 Journalist*innen zu einem Innovationskongress. Die Medien-Avantgarde diskutierte die Zukunft der Branche zwischen Chatbot, Ambient Journalism und Darknet-Recherche. Auch ein US-amerikanischer Webdesigner war zu Gast, der Tech-Konferenzen und ihre Silicon-Valley-Euphorie für Innovationen gewohnt war. Er kam irritiert von der Veranstaltung zurück: Das Ganze sei ihm wie ein Angst-Club vorgekommen.

Wir Journalist*innen und viele unserer Bemühungen um Veränderung sind getrieben von Furcht: Wir werden untergehen, deswegen müssen wir etwas tun. Uns irgendetwas Neues ausdenken. Schnell, sonst ist es zu spät.

Wir bauen eine Arche, weil uns das Wasser schon bis zum Hals steht. Aber wir bauen kein tolles Schiff, weil wir fasziniert wären von den Weiten des Ozeans.

Die wichtigsten Innovator*innen im Journalismus waren in den letzten zehn Jahren Leute, die von neuen Möglichkeiten begeistert waren. Eines der interessantesten Interaktivteams in Deutschland hat seinen Ursprung in Feierabendprojekten. Viele nachhaltig erfolgreiche Onlineprojekte starteten mit der Lust am Ausprobieren oder mit dem Interesse für eine Sache, für die in anderen Medien kein Platz mehr da war. Klingt im taz-Kosmos doch irgendwie bekannt.

Natürlich gibt es auch bei uns Leute, die Dinge ausprobieren. Der erste taz-Journalist, der mit Periscope live von einer Recherche streamte, tat dies nicht, nachdem die Strategierunde der taz beschlossen hatte, hier müsse die taz endlich mal aktiv werden. Audios und Videos in leichter Sprache für Menschen mit einer geistigen oder Lernbehinderung waren keine Idee der Ressortleiter*innenrunde. Menschen in ihrer Begeisterung zu Neuem zu ermutigen und strukturell zu unterstützen, ist eine Hauptaufgabe für die taz der Zukunft.

Innovation entsteht nicht aus Angst, sondern aus Neugier. Und aus der dringlichen Gewissheit, dass es nötig ist. Genauso wie vor 40 Jahren.

„Und da kommen wir, ohne einen Pfennig Geld, ohne eine einheitliche politische Linie, ohne eine Partei oder einen Verleger im Hintergrund, ohne großartige Profi-Erfahrung, aber mit unseren sprichwörtlichen Gruppenstrukturen und unserem festen Willen und dem starken Bewußtsein von der Wichtigkeit (und den Möglichkeiten) einer unabhängigen Zeitung, von der wir nicht richtig wissen, ob wir sie nun links-radikal, links-pluralistisch oder überhaupt links bezeichnen sollen. Ungeheuerlich!“

Vera Gaserow, taz vom 17. 4.1979

Die taz heißt taz, weil sie 1978/79 als eine „tageszeitung“ gegründet wurde. Aber was wäre die taz, wenn man sie heute neu erfinden würde? Sie wäre mit Sicherheit keine gedruckte Tageszeitung. Sie wäre viel eher ein Graswurzel-Digitalkollektiv, das einfach mal ausprobieren würde, wie man in diesem Internet tollen und wichtigen Journalismus machen kann.

Sie würde die gleichen Themen wie damals in die Welt knallen und darüber streiten, ob ein Fokus auf Feminismus oder Antirassismus nun links ist oder nicht. Sie würde experimentieren und neue Formate ausprobieren, von denen andere sagen würden, was ist das denn? Sie würde sagen, scheiß auf Print, Papier ist zum Po-Abwischen; sie wäre ein Labor für den Journalismus der Zukunft und wäre deswegen auch ziemlich gut aufgestellt für das, was kommen mag.

Alles für den Arsch?

Die gute Nachricht ist ja, dass die taz und die tazler*innen Lust auf Veränderung haben. Das haben wir bei der Recherche für diesen Report gemerkt. Überall im Haus warten gute Ideen darauf, umgesetzt zu werden. Von Leser*innen und Genoss*innen kommt auch regelmäßig tolle Inspiration zu uns. Die taz ist beweglich und wir wollen sie bewegen.

Auf Initiative der Chefredaktion haben sich acht taz-Mitarbeiter*innen aus Redaktion und Verlag zusammengetan, um über neun Monate hinweg neben ihrer täglichen Arbeit für diesen Report zu forschen.

Wir haben unter allen Mitarbeitenden eine Umfrage durchgeführt und mit vielen Mitarbeiter*innen im Haus ausführlich gesprochen. Wir haben hausinterne Gesprächsrunden organisiert, haben bereits vorhandene Erhebungen durchgearbeitet, Expert*innen getroffen, haben uns andere Redaktionen angeschaut. Wir haben Fokusgruppenbefragungen mithilfe der Genossenschaft initiiert und sind wie Investigativjournalist*innen im Haus herumgeschlichen, um Probleme zu verstehen.

Andere Häuser haben ebenfalls schon solche hausinternen Recherchen organisiert. Die waren fast immer geheim, die Ergebnisse unter Verschluss. Weil dabei mitunter Sachen zutage treten, die man nicht unbedingt in der Öffentlichkeit wissen möchte. Die vielleicht peinlich sind. Nach außen soll alles glänzen, auch wenn es drinnen kräftig am Rauchen ist. Transparenz ist aber unser Prinzip. Wir haben nichts zu verbergen – auch nicht die vielen guten Ideen, die in diesem Report stehen.

Dieser Report ist öffentlich, weil wir unseren Leser*innen gehören. Wir sind nicht irgendwelchen Konzerninteressen oder einzelnen Verleger*innen im Hintergrund verpflichtet, sondern den vielen Eigentümer*innen, also unseren mehr als 17.500 Genoss*innen und unseren Leser*innen, von denen mittlerweile fast 11.500 freiwillig für unseren Journalismus im Netz bezahlen. Die einen Journalismus finanzieren wollen, der sich – das gehört zur Unabhängigkeit dazu – selbst infrage stellt. Sie sollen mitbekommen, was wir vorhaben. Sie können wertvolles Feedback geben.

Wir wollen Feedback auf das, was wir in diesem Bericht ausführen. Basierend auf unseren Recherchen skizzieren wir in sechs Thesen, was sich in der taz ändern sollte, damit wir unseren Journalismus noch möglichst lange betreiben können. Teils haben wir sehr konkrete Vorschläge, teils Ideen, die weiter ausgearbeitet werden müssen. Aber natürlich gibt es noch viel mehr Möglichkeiten. Kann sein, dass wir sie übersehen haben, vielleicht am Ende auch weggelassen haben, weil sie uns zu utopisch erschienen oder zu kleinteilig. Es ist auch nicht auszuschließen, dass wir Dinge neu erfunden haben, für die schon längst jemand im Haus ein Konzept in der Schublade liegen hat – die wir aber nicht gefunden haben. Deshalb gibt es in den nächsten vier Wochen die Möglichkeit, auf dieser Seite überall zu kommentieren, was Ihr kommentieren möchtet.

Die taz-Mitarbeiter*innen unter Euch werden sich fragen: Warum steht da jetzt 2021? Zuvor war mal von 2022, dann 2023 die Rede. Es gibt zwei Gründe: Uns als Reportgruppe wurde bei der Recherche klar: Es ist nicht sinnvoll, zu weit in die Zukunft zu blicken. Eine Menge Dinge sollten besser gestern als morgen verändert worden sein. Aber, so würden Moloko es singen: The time is now. Das Feld der wilden Zukunftsprognosen können andere bestellen.

Der zweite Grund: 2011 prognostizierte Karl-Heinz Ruch, Geschäftsführer der taz, dass es in zehn Jahren unter der Woche keine gedruckte taz mehr geben werde und es deshalb einen Fokus auf die Wochenendausgabe und die taz im Netz geben müsse. Kurz bevor die zehn Jahre verstrichen sind, unterziehen wir die These und den Ableitungen aus dieser einem Realitätscheck. Stirbt die gedruckte Tageszeitung wirklich? Und wenn ja: Wie können wir überleben, wenn die Erlöse aus Print immer weiter zusammenschmelzen?

Unsere Recherche hat gezeigt: Wir haben alles, was es braucht, um anders weiterzumachen. Wir haben ein Haus voller Mitarbeitenden, die mehrheitlich aus Überzeugung bei der taz sind und sich Veränderung wünschen. Wir haben eine Community mit Genoss*innenschaft, Leser*innen und Fans, die uns derart sympathisch finden, dass sie uns immer weiter unterstützen. Und: Wir machen einen Journalismus, den es heute genauso braucht wie vor 40 Jahren. Vielleicht sogar noch stärker als je zuvor.

Sterben? Wir doch nicht!

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Thesen

Dafür wurde die taz gegründet

Wie wir früher erkennen, was morgen unsere Themen sind

Die taz lebt davon, dass sie unterscheidbar ist. Mainstream ist kein Schimpfwort für uns, denn die taz lebt von Öffentlichkeit. Weil unsere Inhalte einen Unterschied machen. Die taz würde es heute nicht mehr geben, wenn die Katastrophe von Tschernobyl nicht passiert wäre. Was vorher als Nischenthema belächelt war, schien plötzlich unverzichtbar. Das darf für die Zukunft allerdings nicht heißen: Einmal Atomkraft, immer Atomkraft. Sondern: Was ist Atomkraft 2021? Bei neuen Debatten innerhalb von taz-Profilthemen sind wir oft zu langsam und zu schwach in der Recherche – wie zuletzt etwa bei #metoo. Um das zu ändern, brauchen wir für unsere Fachredakteur*innen flexiblere Unterstützung auf Zeit. Zwei Zukunftsthemen sollten wir besonders stärken: Wir müssen das Feld soziale Gerechtigkeit neu entdecken. Und wir müssen ein Leitmedium im Bereich digitale Demokratie werden.

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© Judith Schwyter

© Judith Schwyter

„Wir brauchten damals und wir brauchen heute eine tägliche taz – nicht zur Kultivierung unserer Reflexe, sondern zur Reflexion.”

Arno Widmann, taz-Mitbegründer und taz-Chefredakteur von 1994 bis 1995

Einleitung

Als die taz gegründet wurde, wollten wir den Medien, die sich im Deutschen Herbst 1977 freiwillig an die Nachrichtensperre der Bundesregierung hielten, etwas entgegensetzen. Heute setzen uns Lügenpresse-Rufer*innen mit anderen etablierten Medien gleich. Kritik gibt’s auch im eigenen Kiez. Auf einem Plakat in Berlin-Kreuzberg stand letztes Jahr: „Sie haben FAZ und taz, wir haben: Sozi36.“

Ein alter Vorwurf: Die taz sei nicht mehr links genug. Ob die taz überhaupt links sein soll, darüber haben tazler*innen schon vor 40 Jahren gestritten. Und wenn die taz linken Journalismus macht – was heißt das eigentlich? Die Medienlandschaft ist linker geworden – stimmt. Themen wie Feminismus und Antirassismus spielen auch woanders eine wichtige Rolle. Wir haben selbst dazu beigetragen: ehemalige taz-Redakteur*innen sitzen eben auch in der FAZ.

Verschwörungstheoretiker*innen wittern hier eine neue Gleichschaltung. Einer der wichtigsten Männer dieser Welt glaubt an das Recht auf eigene Fakten, und auch deutsche Politiker*innen am rechten Rand produzieren längst Fake News – obwohl es heute so einfach ist wie nie, Behauptungen zu überprüfen. Die Welt ist kompliziert geworden. Wir wollen den Zustand unserer Demokratie kritisieren und sie gleichzeitig vor neuen Allianzen von rechts verteidigen. Wir wollen anders sein als alle anderen Medien, aber dabei keine Sätze benutzen, in denen Formulierungen wie „in allen anderen Medien“ auftauchen.

Das Gute daran: Wir leben in einer Zeit, in der sich der Journalismus wieder seines gesellschaftlichen Anspruchs versichert. Das könnte eine Chance sein – auch ökonomisch, wie man in den USA sieht. Dort steigern Qualitätsmedien wie die New York Times oder die Washington Post in Zeiten des Trump ihre Auflagen deutlich.

Aber welche Rolle hat dabei die taz? Sonderlich subversiv fühlen wir uns jedenfalls nicht mehr. Wir lassen uns sogar dazu hinreißen, eine Seite 1 mit Liebeserklärungen an Angela Merkel zu veröffentlichen. Folgt noch vor dem Untergang des Abendlandes der Untergang der undogmatisch linken taz?

Quatsch.

Die taz braucht es heute genauso dringend wie vor 40 Jahren. Als vor drei Jahren alle Medien über den Abgang von Jürgen Klopp beim BVB berichteten, haben wir mit einer Todesanzeige für 400 im Mittelmeer gestorbene Geflüchtete aufgemacht. Wir sind die einzige Zeitung, die eine eigene Redaktion und eine eigene Plattform für türkischen Journalismus im Exil gegründet hat: taz gazete. Und wir können noch immer, wie zum G20-Gipfel in Hamburg, problemlos einen unverhältnismäßigen Polizeieinsatz anprangern.

In einer Zeit großer Polarisierung, in die wir gerade schlittern, sollte es ein Ziel von Journalismus sein, auf Faktenbasis eine gesellschaftliche Debatte zwischen verschiedenen Gruppen aufzubauen. Eine Diskussion anzuregen, die Verständnis ermöglicht. Das heißt: Erst mal zuhören, was die Menschen zu sagen haben. Erst mal hingucken, wie die Dinge wirklich sind. Erklären, was ist, bevor man sich schon eine Meinung gebildet hat.

Es geht um die Inhalte, ohne Inhalte ist alles nichts.

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Ballast abwerfen

Weil die taz nicht irgendeine Zeitung ist, fragen wir uns immer wieder, was uns eigentlich unterscheidet. Bloß kein Mainstream! Auf alle Fälle links! Aber was heißt das heute eigentlich? Und ist Mainstream sein wirklich so schlecht? Schließlich wollen wir gehört werden – wir wollten schon immer unseren Blick mit einem möglichst großen Publikum teilen. Wollten das „tazzige“ in den Mainstream bringen. Und wir wollten stets streiten für die Meinungsvielfalt. Undogmatisch, immer wieder zum Ärgern: Ja, das kriegen heute garantiert auch die angeblich so angepassten jungen Journalist*innen hin. Vom Klischee des „früher war alles besser“ sollten wir uns deshalb auf alle Fälle freimachen.

Warum Mainstream für uns kein Schimpfwort sein sollte

Schon früher hatte die taz kein Monopol auf Gegenöffentlichkeit. Nachrichten aus und für die Nische hatte bereits vor uns der Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten. Heute muss man nur ins Netz sehen, wo tausende Blogs und Portale zum Teil hochprofessionell ihre alternative Sicht auf die Gegenwart publizieren.

Nein, die taz wollte da sein, wo viele Leser*innen waren: am Kiosk, im Briefkasten. Heute ist sie deshalb auch bei Facebook und Instagram. Denn Ziel von Journalismus ist, Öffentlichkeit herzustellen, und zwar die breite. So gesehen war die taz schon immer im Mainstream. Mittlerweile sind dort aber auch unsere Themen gelandet: Frauenbewegung, Ökologie, alternative Formen des Lebens und Wirtschaftens.

Früher haben nur die langhaarigen Spinner gegen Atomkraft protestiert, jetzt verkündet eine CDU-Kanzlerin den Atomausstieg. Früher lungerten taz-Redakteur*innen bekifft auf der Treppe, heute sitzen taz-Redakteur*innen auch bei Anne Will in der Talkshow.

Die einen sind stolz auf diese Entwicklung, anderen treibt es die Schamesröte ins Gesicht. Wir müssen diese Ambivalenz schlicht anerkennen. Wir sind relevant geworden, das ist eine publizistische Erfolgsgeschichte. Nur wegen des Gehörtwerdens können taz-Autor*innen kluge alternative Gedanken in Diskurse einspeisen, eine Brückenfunktion einnehmen und Themen und Stimmen in breitere Öffentlichkeiten bringen. Ein Medium zu sein, das darauf zielt, ausschließlich innerhalb sehr kleiner, hermetischer Gruppen wahrgenommen zu werden, ist langweilig und ja: unemanzipatorisch.

Unseren Blick auf die Welt sollen die Menschen da draußen gefälligst mitbekommen. Es hilft, wenn ein taz-Titel umhergereicht wird wie damals, 2005, als wir nach der Wahl Angela Merkels zur Bundeskanzlerin titelten: „Es ist ein Mädchen“. Ja, wir wollen Reichweite! So viel wie möglich! Nur dann können wir Teil einer kritischen Öffentlichkeit sein.

Spätestens jetzt muss das Aber kommen. Etwa: Mainstream okay, aber natürlich nicht um jeden Preis. Oder: Wir wollen uns aber nicht anpassen, brav werden, um für mehr Menschen lesbar zu sein. In diesem Aber steckt ein großer Denkfehler. Die taz wird niemals deswegen an Reichweite gewinnen, weil sie braver wird, sich verstellt. Das wäre ihr Untergang, sie würde nicht mehr wahrgenommen. Weil sie ihre Unterscheidbarkeit einbüßt. Die Streitlust, das Unerwartete ist das, was die taz interessant macht.

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Warum früher nicht alles besser war

Eine Erzählung mancher tazler*innen geht so: Früher, da saßen hier ganz viele engagierte Leute, die aus Überzeugung eine Zeitung gemacht haben. Man stritt nicht über das beste Verb im Einstiegssatz, sondern über politische Meinungen. Heute ist die taz voll von jungen Leuten aus Journalistenschulen, die für sich nutzen, dass sie bei der taz größere Freiheit haben sich auszuprobieren als bei anderen Medien. Die taz sehen diese jungen Menschen als Zwischenstation auf dem Weg zu Süddeutsche, Zeit oder Spiegel. Und sie schreiben so, dass sie sich damit ja keine Karriereoptionen verbauen.

Zwischenruf einer jüngeren Kollegin: Heult doch! Es gibt auch viele unangepasste junge Meinungen in der taz. Aber die Alten scheinen sehr genaue Vorstellungen zu haben, wie unangepasst es denn sein darf. Die Kolumne einer jungen Kollegin ist manchen im Haus zu vulgär, zu unreflektiert, zu platt. Wie dürfen die rebellischen Jungen von heute denn sein? Hättet Ihr sie gerne etwas widerspenstiger, oder gesprächsbereit?

Dieser Alt-Jung-Gegensatz bringt letztlich nichts – und er stimmt auch nicht. Drei Viertel aller taz-Mitarbeitenden sagen, dass sie aus Überzeugung bei der taz arbeiten. Und dieser Wert ist bei den unter 40-Jährigen sogar etwas höher. Die taz ist heute im Gegensatz zu ihrer weitgehend altershomogenen Gründungsgeneration ein Mehrgenerationenprojekt. Sie ist keine junge oder mittelalte oder greise Zeitung.

Gut möglich, dass wir uns sogar mehr streiten als früher. Denn zu streiten gibt es noch immer viel. Über kulturelle Aneignung, über die Grenze zwischen Vergewaltigung und Vergewaltigungskultur – und ob es diese Grenze überhaupt gibt, über Kapitalismus, über Arbeitszeiten, über ein solidarisches Miteinander in Zeiten von niedrigst bezahlten foodora-Ausliefer*innen.

Aus Überzeugung bei der taz zu arbeiten, das heißt nicht nur bestimmte Themen im Blick zu haben, sondern auch die Art des Journalismus wertzuschätzen, die wir täglich machen. Dass bei uns keiner sagt: „Das recherchier‘ mal besser nicht.“ Dass wir spontan auch schräge Ideen in die Zeitung bringen können. Dass man auch einfach mal alberne Witze machen darf. Dass, egal welche Autoritäten kritisiert werden, das ohne falsche Rücksicht geschehen darf.

Warum Pluralismus unser größter Schatz ist

Täglich eine linke, radikale Zeitung: Das wurde damals bei der Gründung der „tageszeitung“ als Ziel ausgerufen. Ob die taz das jemals war, darüber gibt es im Haus Diskussionen seit 1978. Ist die taz überhaupt links? Arno Widmann schrieb provokativ in der ersten taz am 17. April 1979: „Die Tageszeitung ist ein sexistischregionalistisches, klassenkämpferischfeministisches, militaristisch-internationalistisches, öko-phallokratisches, linksradikal-pluralistisches, pazifistisch-antiprovinzialistisches Hetzblatt.“

Was ist taz? Auf der Sinnsuche entstand irgendwann das Wort tazzig im Sinne von „taz-typisch“. Für alle im Haus heißt „tazzig“ etwas anderes – das hat auch unsere Mitarbeitendenbefragung gezeigt. Die Definitionen reichen von „pointiert, mit Haltung, widersprüchlich“ über „albern bis banal, Hauptsache, witzig.“ Aber auch:„Originell um die Ecke gedacht“. Eine Person schreibt: „Das Wort tazzig gehört verboten.“ Typisch taz ist also: uneinig sein.

Ganz sicher ist Pluralismus unser größter Schatz. Streitkultur und Dissenz in der taz sind ein Pfund, das wir nicht gering schätzen sollten – auch wenn es im konkreten Fall nerven kann. Denn Pluralismus als gemeinsames Ziel unterscheidet uns von den Rechten. Die taz hat sich zwar einst auf den Begriff Gegenöffentlichkeit bezogen, wollte damit aber das Meinungsspektrum ergänzen. Rechte, die heute von Gegenöffentlichkeit reden, wollen hingegen die Vielfalt der Meinungen einengen. Das ist ein entscheidender Unterschied.

Themen erkennen

Es gibt da diesen alten Spruch: Seltsam, dass immer genau so viel in der Welt passiert, wie in die Zeitung passt. Das war natürlich noch nie der Fall. Aber heute wissen es die Menschen auch, weil sie Nachrichten aus allen möglichen Kanälen bekommen.

Was packen wir in die Zeitung, über was berichten wir in der taz? Diese Frage stellen wir uns jeden Tag. Im Herbst 2017 gab es bei der Reform der täglichen Printausgabe eine grundsätzliche Entscheidung: Kurznachrichten tauchen dort fast nicht mehr auf, wir berichten über weniger Themen als zuvor. Dafür werden die Themen, über die wir schreiben, größer.

Warum wir Erstmedium sein wollen

Sind wir überhaupt noch eine „Erstzeitung“, wie es im taz-Redaktionsstatut festgeschrieben ist? „Erstzeitung“, das ist ein Begriff aus einer anderen Zeit. Kann er überhaupt noch in einer Gesellschaft gelten, in der immer weniger Menschen eine Tageszeitung abonnieren und noch weniger davon mehr als eine? Was heißt denn Erstzeitung, wenn sich niemand mehr allein über ein Medium die Welt erschließt?

Die taz ist keine Erstzeitung mehr in dem Sinne, dass in der taz alles steht, was eben in der Welt passiert ist. Weil die reine Information keinen Wert mehr hat – sie kann überall herkommen. Aber die Einordnung, die Analyse, die Kommentierung mit dem taz-Blick – die gibt’s nur bei uns. Wir sollten heute anstreben, das Erstmedium unserer Leser*innen zu sein.

Erstmedium bedeutet, dass es zwischen Schreibenden und Lesenden eine Verbundenheit gibt, ein Vertrauen. Verbundenheit kann ganz konkret bedeuten, der taz App einen der wenigen Plätze auf dem Homebildschirm des Smartphones zu geben. Verbundenheit kann aber auch bedeuten, zu den Themen, die einem wichtig sind, bei der taz zuerst die Hintergründe zu erfahren. Es kann bedeuten, in einer bestimmten, verunsichernden Themenlage – etwa nach einem Terroranschlag – bewusst auf taz.de zu klicken. Weil man sich dort eine Einordnung fernab etwa von eindimensionalem Islam-Bashing verspricht.

Es ist nicht das Vertrauen, dort alles zu finden. Sondern das Vertrauen, dort zu allem, was wirklich relevant ist, adäquat informiert zu werden. Immer wieder beschreiben Kolleg*innen von außen, die eine Website-Kritik bei uns machen, dass sie auf taz.de nicht klicken, um sich zu informieren, sondern um die taz-Perspektive auf Aktuelles oder Abseitiges zu erfahren.

Die taz als Erstmedium: Da gibt es keine nackten Nachrichten, sondern diskursive Nähe – und die Antwort auf die Frage, welches politische Medium der besten Freundin zu empfehlen ist. Diese Rolle des Erstmediums können wir stärken – wenn wir durch eigene exklusive Recherche selbst Nachrichten generieren in den Themenbereichen, die uns als taz wichtig sind. Wir sind Erstmedium, wenn die Leser*innen sicher sein können: Bei diesen Themen lese ich von der jüngsten Schweinerei dazu als Erste*r.

Warum wir Gefühle zulassen müssen

Die taz wurde 1978 gegründet, weil in der damaligen Medienlandschaft viele wichtige Themen überhaupt nicht vorkamen: Umweltschutz, Frieden und Nachrüstung, Gleichstellung von Frauen, Migration, Rassismus und die Lage im globalen Süden.

Interessant ist, dass die taz-Mitarbeitenden heute eine ganz ähnliche Einschätzung davon haben, was die Kernthemen der taz sind. Bei einer Umfrage für diesen Report wurden folgende Themen zu je mindestens 50 Prozent als „Kernthema“ bezeichnet, unabhängig davon, wie oft sie in der taz auftauchen:

Wir wissen also ganz gut, in welchen Bereichen wir besonders präsent sein wollen. Und auch unser Publikum weist uns in diesen Bereichen eine besondere Kompetenz zu, wie Umfragen von taz-Forscher Prof. Dr. Bernd Blöbaum zeigen konnten.

Wir als taz sind aber noch nicht gut genug darin, unsere ureigenen Themen immer wieder neu zu entdecken. Gerade jüngere Onlinemedien erreichen mit Feldern, in denen die taz eigentlich stark ist, größere Reichweiten: Vice.de hat einen eigenen Reiter „LGBTQ“, gleichberechtigt mit zum Beispiel „Politik“. Bei Bento.de gibt neben „Sport“, „Style“ und „Tech“ auch „Gerechtigkeit“, „Grün“ und „Queer“. Mit Feminismus, Antirassismus und veganem Käsefondue wird hier eine junge Leser*innenschaft angesprochen – und es funktioniert.

Wir müssen uns, als Redakteur*innnen, als Ressortleiter*innen, als Chefredaktion, darin ermutigen, Dinge immer wieder neu zu erzählen. Dinge, die einige in der Redaktion vielleicht für einen alten Hut halten. Wir sollten die Emotionalität, die jemand an den Tag legt, der einen Zusammenhang gerade neu entdeckt, nicht reflexhaft mit kühler Abgeklärtheit wegwischen.

Emotionalität war stets ein starkes Erkennungsmerkmal der taz. In der ersten Ausgabe am 17. April 1979 schrieb Arno Widmann: „Nur indem wir die verschiedenen Auffassungen konfrontieren, sie aufeinanderhetzen, sie dazu zwingen, sich aufeinander zu beziehen, werden wir nach und nach dahinterkommen, wie die Dinge jeweils wirklich liegen.“ Ausbrüche mit Verve zum Erkenntnisgewinn: Das ist das „Hetzblatt mit Körpersprache“, das die taz auch schon immer war.

Wir müssen keine Angst vor Redundanz haben. Soziale Ungerechtigkeiten sind jeden Tag ein Aufreger. Wenn wir mit unseren Themen langfristig durchdringen wollen, ist Wiederholung sogar notwendig. Wir sollten außerdem versuchen, bei taz-typischen Themen schneller mit eigenen Stücken online präsent zu sein – und zwar nicht nur mit Meinungsartikeln, sondern auch mit weiterführenden Recherchen, entwaffnenden Zahlen. Weil sonst die Debatte längst andere führen.

Wir wissen doch, was wir wichtig finden. Es passiert mitunter, dass wir bestimmte Themen als nicht so relevant erachten – und uns dann aus verschiedenen Gründen getrieben fühlen, relativ viel darüber zu berichten. Ein Beispiel dafür ist das Tötungsdelikt an einer Jugendlichen in Kandel Ende 2017. Als andere Medien darüber schrieben, weil es sich bei dem Tatverdächtigen um einen minderjährigen Flüchtling handelte, zögerten wir erst. Und bildeten dann eine aufgebauschte Debatte über die Altersbestimmung von Flüchtlingen zu einem Zeitpunkt intensiv ab, als das Thema schon fast wieder in der Versenkung verschwunden war.

Warum wir neue taz-Themen konsequenter besetzen müssen

Bei der taz ist das Fachredakteur*inprinzip stark ausgeprägt. In den klassischen Ressorts wie Inland, Ausland und Kultur sind bestimmte Kolleg*innen für sehr klar definierte Themenbereiche zuständig, teilweise bereits seit vielen Jahren. Paradoxerweise führt das zum Teil dazu, dass Themenentwicklungen, die für uns als Medium bedeutend sind, durchrutschen. Etwa weil der*die zuständige Kolleg*in gerade im Urlaub ist, in Elternzeit oder ein Buch schreibt. Oder weil er oder sie die neueste Entwicklung als nicht so wichtig erachtet – ist schließlich alles schon mal vor 20 Jahren vorgekommen. Oder weil es sich um neuere taz-Themen handelt, von denen viele einfach noch keine Ahnung haben – wie etwa bestimmte digitale Themen.

Wenn wir bei manchen Themen einen besonders hohen Anspruch an uns selbst haben, bedeutet das nicht, dass wir einen Themenkatalog aufstellen, der auf ewig gültig ist. Er muss jederzeit und schnell erweiterbar sein. Was einst die Atomkraft war, kann und wird morgen etwas ganz anderes sein. Und manchmal geht es ja auch nur um neue Erscheinungsformen eines alten Themas.

In manchen Bereichen können wir in der taz Themen schneller erkennen als andere Medien. Weil wir bei der Politikberichterstattung nicht nur auf den parlamentarischen Betrieb schauen, sondern ein breiteres Bild haben. Manche bezeichnen die taz heute noch als „Bewegungszeitung“, weil sie sozialen Bewegungen immer näher stand als andere Medien – auch wenn es von Anfang umstritten war, ob man Interessengruppen unkritisch Raum geben sollte. Diese Diskussion führen wir heute zu Recht nicht mehr. Die Gruppen können ihre Schriften einfach selbst online veröffentlichen.

Aber eine gewissen Sehnsucht ist noch da. Die taz war früher nicht nur für Fritz Teufel, sondern für ein ganzes Milieu die „Frau meiner Träume“. Schon 1979 schrieb Vera Gaserow in der taz, es gebe gar keine richtige linke Bewegung (mehr). Und wo ist die Bewegung heute?

Unsere Berichterstattung rund um den G20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg kam in ihrer Unmittelbarkeit gut an. So wie sich das Feld der sozialen Bewegungen in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat, so muss sich auch der taz-Zugang zu ihnen wandeln. #metoo etwa ist eine Bewegung ohne feste Struktur, die enorme Kraft entfaltet. Für uns darf nicht die Professionalität einer Organisation oder eines sozialen Netzwerks darüber entscheiden, wie stark wir ein Thema aus dem Bereich sozialer Bewegungen einschätzen.

Ein Tweet kann heute eine größere Wucht entfalten als das, was Basisgruppen auf mehrtägigen Konferenzplenen diskutieren. Und auf solche Entwicklungen müssen wir in Zukunft aufmerksamer reagieren. Wie interessant finden wir es, für wie relevant halten wir es? Das sind die entscheidenden Fragen für uns.

#metoo ist auch in anderer Hinsicht ein gutes Beispiel. Denn sexuelle Gewalt ist schon länger ein großes Thema für uns: Aber selbst systematisch Fälle von sexuellen Übergriffen zu recherchieren, hat nicht geklappt – auch wenn das auf Konferenzen immer wieder angedacht und angemahnt wurde. Den einen fehlten die Ressourcen, andere fühlten sich nicht zuständig oder waren mit aus ihrer Sicht interessanteren Recherchen beschäftigt.

Ein Redakteur bemängelt: „Wir erkennen unsere Themen zwar, aber wir betreuen sie oft nicht langfristig. Wir verdaddeln sie auch gern mal.“ Es fehlen Allrounder*innen, die Zeit, Interesse und Ressourcen haben, einen Themenbereich spontan zu verstärken. Auch sind Querschnittsrecherchen entlang verschiedener Ressorts nicht eingeübt und Redakteur*innen schlicht überlastet. Dazu kommt: Wir sind immer noch ganz stark vom Tageszeitungmachen geprägt.

Für die Zukunft sollten wir jetzt lernen, ein für die taz wichtiges Thema schnell mit Recherchepower zu besetzen – nicht für ultimo, aber für so lange wie nötig.

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Themen besetzen

Es gibt offenbar Themen, die sowohl die Macher*innen als auch ihre Leser*innen wichtig finden, die aber zu wenig in der taz vorkommen. Warum ändern wir das nicht?

Bei der jüngsten Leser*innenbefragung zur taz am wochenende von Bernd Blöbaum gaben 67 Prozent der Leser*innen an, sehr interessiert am Thema „soziale Gerechtigkeit“ zu sein – nur am politischen Geschehen hatten mit 71 Prozent noch mehr Interesse. 26 Prozent interessierten sich für das Thema „Datenschutz“, mehr als für Wirtschaft, Sport und Reisen.

Warum wir „soziale Gerechtigkeit” in den Fokus rücken sollten

Unsere Wirtschaftsredakteurin Ulrike Herrmann meint, der taz hätte „von Anfang an die Auseinandersetzung und Expertise gefehlt bei den Themen Geld, Armut, Verteilungsfragen und Wissen um das Wirtschaftssystem. Polemisch gesagt: Armut gab es für die taz nur in Entwicklungsländern.“

Soziale Gerechtigkeit interessiert sowohl die Leser*innen als auch die taz-Redakteur*innen. Letztere sind ebenso persönlich betroffen, wenn es an ihr mangelt – Stichwort niedriges Gehalt und drohende Altersarmut.

2017 war eine der am besten verkauften Ausgaben der taz am wochenende diejenige, auf deren Titelseite eine alte Frau aus einem See vom Schwimmen kommt. Titelzeile: „Im Alter arm“. Barbara Dribbusch traf für diese Geschichte drei Frauen, ihre Geschichten sind kein Sozialdrama, sondern erzählen vom Alltag mit wenig Geld. So simpel. Und so bestechend, selbst am Kiosk. Der Text war Ergebnis einer Analyse, dass das Thema soziale Gerechtigkeit in den großen Wochenend-Artikeln unterbelichtet ist, und des gezielten Versuchs, eine solche Geschichte zu bekommen.

Dass wir über soziale Gerechtigkeit offenbar trotzdem zu wenig berichten, hat ganz verschiedene Ursachen. Es gibt nicht viele nachrichtliche Ereignisse, an denen sich hier Berichterstattung aufhängen lässt. Geschichten verharren in der Opferperspektive und wiederholen sich, leider. Das macht es für Journalist*innen schwierig, sie immer wieder neu zu erzählen. Die „Täter*innen“-Seite ist unsichtbar oder schwer zu fassen, Systemfragen heißt es, sind nicht leicht anschaulich umsetzbar. Für eine Tageszeitung gilt nicht zuletzt ein aktueller Aufhänger als Kriterium für ein Thema. Doch Armut ist eben oft ein leiser, latenter Zustand.

All diese Gründe sollten uns nicht davon abhalten, das Thema stärker in den Fokus zu nehmen. Dann müssen wir eben kreativer werden, neue Erzählformen finden – etwa in Langzeitprojekten, unmittelbaren Protokollen von Betroffenen oder Systemanalysen, die die Problematik greifbar machen. Warum nicht einmal im Jahr einen taz-Armutsbericht, der selbst Anlass schafft?

Warum es Zeit für ein Ressort „digitale Demokratie“ ist

Die Volkszählung 1987 war ein riesiges Thema für die taz. Gemessen daran, was damals skandalisiert wurde, haben wir gar nicht genug Platz, um das zu beschreiben, was heute passiert.

Internetkonzerne wissen in bestimmten Bereichen mehr über uns als wir selbst. Geheimdienste schöpfen permanent Daten ab. Regierungen versuchen, im Internet Wahlen zu beeinflussen. Künstliche Intelligenz erleichtert möglicherweise das Leben von vielen, bringt andererseits aber auch Gefahren mit sich, wie etwa Jobverlust.

Über den NSA-Untersuchungsausschuss etwa, bei dem es um die Machenschaften des BND und der NSA ging, haben wir nur punktuell berichtet. Über den „Staatstrojaner“, der im Januar Schlagzeilen machte, gab es 2015 einen Text – bei der ersten öffentlichen Diskussion. Außerdem einen, als das Staatstrojaner-Gesetz verabschiedet wurde, und eine Kolumne im Sommer 2017. Warum kommt das Thema digitale Demokratie und Datenschutz bei uns zu kurz?

Es ist eine komplexe Thematik, für die es Fachwissen braucht, es haben wohl zu wenige Kolleg*innen Zeit, sich in Gänze einzuarbeiten. Außerdem betrachten wir das Thema aus zu ähnlichen Blickwinkeln. Eine kulturell-gesellschaftliche Auseinandersetzung und eine aus Verbraucherschutzperspektive sind noch am stärksten in der taz vorhanden. Was fehlt, ist eine harte politische Auseinandersetzung in den Ressorts Inland und Ausland – hier wäre auch der internationale Kontext wichtig.

Es ist taz, wenn ein Textredakteur den Kollegen aus der EDV fragt, was er denn von den Breitbandausbauplänen der Beinahe-Jamaika-Koalition halte. Und dessen Antwort dann in die Zeitung bringt. Sehr nötig ist es aber auch, dass scharfe inhaltliche Interviews, wie wir sie jetzt mit Politiker*innen über Familiennachzug, Mietenpolitik oder den Schwangerschaftsabbruch führen, auch Trojaner, Netzneutralität oder den Einsatz von künstlicher Intelligenz in Bundesämtern zum Gegenstand haben. Ein Ressort Digitale Demokratie klingt erstmal utopisch – wäre aber ein klares Signal der taz, die Wichtigkeit des Themas zu unterstreichen.

Digitale Demokratie ist wie soziale Gerechtigkeit ein Feld, in dem der Erzähl- und Erklärjournalismus mit dem Fokus auf größere Stücke eine wichtige Rolle spielt. Wir haben ihn in den vergangenen Jahren erfolgreich gestärkt. So kann es funktionieren, ein Thema mit eigenen Recherchen und Zugängen immer wieder auf die Agenda zu setzen, auch wenn die dpa-Themenvorschau und der Sitzungsplan des Bundestags das nicht vorgeben.

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Mehr Kapitalismus wagen

Wie wir mit Journalismus genügend Geld verdienen

Noch bringt die gedruckte Tageszeitung der taz mit Abstand das meiste Geld ein. Aber die Auflage sinkt und der Verkauf von Wochenendabos, ePaper, Kaffee und Fahrrädern kann das nicht ausgleichen. Wir müssen im Netz Geld verdienen und haben mit dem freiwilligen Bezahlen auch ein Modell dafür. taz zahl ich kann nur funktionieren, wenn mehr Menschen die taz im Netz lesen. Aber die Zahl sinkt sogar – entgegen dem Branchentrend. Wir müssen Reichweite wollen! Um langfristig Geld zu verdienen, sollten wir welches ausgeben: Nicht nur für die Steigerung der Reichweite, sondern auch für die Entwicklung starker digitaler Produkte. Mithilfe der Genossenschaft können wir konkrete Projekte finanzieren. Das müssen wir gezielter für Investitionen in die Zukunft nutzen. Denn wir brauchen sogar mehr Geld als bisher. Wir können uns nicht leisten, dass Mitarbeiter*innen Nebenjobs haben, die das größte Gut der taz gefährden: Unabhängigkeit. Deswegen müssen wir taz-Mitarbeitende besser bezahlen.

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© Judith Schwyter

„Revolution ist Mist, wenn am Monatsende doch Strom und Wasser bezahlt werden müssen.“

Kai Schöneberg, taz Hausblog, 2011

Einleitung

Die taz verkauft ein Lebensgefühl: Das Haus ist unabhängig von großen Medienkonzernen oder seltsamen Verleger*innen, ein Ideal der Pressefreiheit in Reinform. Die taz ist die Zeitung, die sich für die einsetzt, die sonst keine Stimme haben, und sie muss keinen Profit für Anleger*innen, Verleger*innen oder Aktionär*innen erwirtschaften. Wir sind Kirche, Verein, Mythos, anfassbares Lebensgefühl einer alternden linksökologischen Szene, ein gesellschaftspolitisches Zuhause.

Dafür zahlen unsere Genoss*Innen und Abonnent*innen: Genoss*Innen nennen als häufigste Beitrittsgründe: Pressevielfalt, Gemeinwohlökonomie und Genossenschaftswesen. Wer bei unserem freiwilligen Online-Finanzierungsmodell taz zahl ich (tzi) mitmacht, findet unabhängigen Journalismus, die Idee des Solidarmodells, die politische Bedeutung und ein Überleben der taz im digitalen Zeitalter wichtig.

Doch unsere Stärke ist gleichzeitig unsere Schwäche. Wir verlassen uns zu sehr auf die Idealist*innen: Immer weniger Printabonnent*innen tragen die Kosten für die werktägliche Zeitung und schlucken immer höhere Abokosten. Sie steuerten 2016 satte 15,58 Millionen Euro zu unseren Erlösen bei – das macht 57 Prozent. Es gibt das Argument, die Einstellung der Werktagsausgabe würde ja auch Kosten sparen, etwa für Druck, Vertrieb und Zustellung, aber insgesamt wären das momentan nur 6,33 Millionen Euro.

Jedes verlorene Abo unter der Woche schmerzt besonders, weil wir damit am meisten Geld einnehmen – im Vollabo 47,90 Euro im Monat, tzi-Unterstützer*innen geben uns im Schnitt 5,95 Euro im Monat. Um ein Printabo unter der Woche zu ersetzen, reicht ein ePaper (zum jetzigen Preis) oder ein Wochenendabo nicht, geht man davon aus, dass Redaktion und Verlag nicht schrumpfen sollen.

Die taz muss also ihre journalistische Arbeit an mehr Menschen verkaufen. Das kann klappen, denn immer mehr Menschen zahlen auf einem der verschiedenen Kanäle für ein journalistisches Produkt der taz.

Das läuft aber auch auf einen Bewusstseinswandel in der Redaktion hinaus: Wir müssen bereit sein, dafür zu kämpfen, unseren Journalismus zu verkaufen. Die Zeit des blinden Vertrauens darauf, dass die Genossenschaft und die Geschäftsführung das Ding schon schaukeln werden, muss vorbei sein.

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Unabhängigkeit ist unser Kapital

Die taz sollte ihr wichtigstes Kapital, ihre Glaubwürdigkeit, besser schützen. Momentan ist es der journalistischen Ethik einzelner Redakteur*innen überlassen, wie mit Interessenkonflikten umzugehen ist, etwa bei Nebenverdiensten. Hier bedarf es dringend klarer Regeln – für Verlag und für Redaktion.

Die taz muss ihre Glaubwürdigkeit verteidigen

Einzelne Geschäftsbereiche lassen sich zwar monetär getrennt bilanzieren – aussagekräftig ist aber nur die taz-Gesamtbilanz, weil die einzelnen Bereiche voneinander abhängig sind: Der Shop macht Gewinn und etabliert sich gerade als eigene Marke – dennoch ist er vom publizistischen Image der taz und ihrer Reichweite digital wie analog abhängig. Die Genossenschaft findet neue Mitglieder auch unter tzi-Unterstützer*innen, taz Shop-Kund*innen, unter Leser*innen von Le Monde diplomatique oder Futurzwei. Fans zahlen online freiwillig, weil sie vielleicht mal Abonnent*innen oder Genoss*innen waren oder sind – ein Drittel der tzi-Unterstützer*innen unterstützt die taz noch immer auch auf anderen Wegen – oder gerade weil sie die Paywahl-Methode sympathisch finden. Doch egal, wie jemand zahlt, die taz ist essenziell von ihrem Ruf abhängig. Daraus ergeben sich folgende Schlussfolgerungen.

Die Mitarbeitenden müssen besser bezahlt werden

Berlin wird immer teurer. Mit dieser Entwicklung endet ein Teil des ungeschriebenen Geschäftsmodells der taz in einer Stadt mit günstigen Mieten und bezahlbarem Bier: arme Stadt, armer Lohn. In einigen Kiezen haben sich die Mieten aber seit 2009 fast verdoppelt.

73 Prozent der taz-Mitarbeitenden sind laut der Umfrage zu diesem Report mit ihrer Bezahlung überhaupt nicht oder weniger zufrieden. Derzeit liegt das Gehalt, inklusive Zulagen wie etwa Fahrtgeld, für normal angestellte Redakteur*innen im 8. Berufsjahr bei 2545,42 Euro brutto, weitere Steigerungen nach Berufsjahren gibt es nicht. Der Tarif liegt laut DJV vom 4. bis 6. Berufsjahr bei 3775 Euro, dann bei 4356 und ab dem 11. Berufsjahr bei 4793 Euro – Zulagen sind da noch nicht enthalten. Wir bekommen also bei für uns günstiger Rechnung zwischen 67 und 53 Prozent des normalen Gehalts.

Die Geschäftsführung versucht diese Lohnlücke allmählich zu verkleinern. Seit der Jahrtausendwende gab es, außer 2003, jährliche Gehaltserhöhungen, zuletzt 2,5 Prozent per annum, der DJV-Tarif sah nur 1,6 Prozent vor. Geht es in diesem Tempo weiter, bekommen wir um das Jahr 2100 herum Tariflohn. Etwas besser sieht es bei unserem Zeilengeld für freie Autor*innen aus, das von Ressort zu Ressort variiert und bei 45 bis 89 Cent liegt. Der Tarif liegt bei 79 bis 102 Cent, allerdings für längere Zeilen. Rechnet man das mit ein, zahlt die taz zwischen 55 und 109 Cent pro Zeile.

Aus dem steigenden wirtschaftlichen Druck kann eine Gefahr für das Geschäftsmodell der taz resultieren: Schon heute sind viele Mitarbeitende auf Zusatzverdienste angewiesen, auch um für die Rente sparen zu können. Weil viele heute in Rente gehende Kolleg*innen von Altersarmut bedroht sind, arbeitet die taz an einem Fonds, um die schlechten Altersbezüge aufzubessern. Vermutlich werden es immer mehr werden. Es gibt allerdings keine Evaluierung im Haus zu der Frage, wie sich die neue Lage in Berlin auf die Mitarbeitenden auswirkt. Die zunehmend prekäre ökonomische Situation der Mitarbeiter*innen kann dem Ruf der Zeitung, unabhängig zu sein, schaden.

Daraus ergeben sich drei Schlussfolgerungen:

  • Die schlechte Bezahlung der taz-Mitarbeitenden führt dazu, dass viele Nebenjobs nachgehen. Da der Druck hier ansteigt, sind dringend neue Compliance-Regeln erforderlich (siehe nächster Punkt).
  • Die Lohnlücke der taz kann nicht von einem auf den anderen Tag geschlossen werden. Dennoch fehlt eine klare strategische Ausrichtung und Priorisierung, um das Tempo zu erhöhen.
  • Ohne eine deutliche Ertragssteigerung ist das Problem niedriger Gehälter nicht zu lösen. Die ist nur zu erreichen, wenn das ganze Haus bereit ist, Strategien für eine höhere Reichweite online und zum Erreichen neuer Leser*innen mit zu erarbeiten und umzusetzen.

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Die taz braucht Compliance-Regeln

Die Compliance-Regeln der taz, also die Kodizes und Maßstäbe, wie wir unsere Unabhängigkeit sichern, sind unklar, sowohl für Redaktion als auch Verlag. Das Redaktionsstatut von 2008 enthält lediglich die Aufforderung, externes Sponsoring bei Reisen und Recherchen sichtbar zu machen, was die Redaktion teilweise auch umsetzt.

Als Redakteur*in muss man unterschreiben, dass man nicht für Konkurrenzmedien arbeitet, die auf einer sogenannten Ausschlussliste stehen. Es gibt aber keinerlei schriftlich fixierte Regeln zur Annahme von Geschenken, Einladungen zu Essen oder Reisen durch Institutionen oder für Nebentätigkeiten, sei es die Mitarbeit in der Öffentlichkeitsarbeit einer Organisation oder die Moderation von Veranstaltungen.

In anderen Häusern ist geregelt, dass Journalist*innen „grundsätzlich nicht über nahestehende Personen“ berichten und sich mit ihren Vorgesetzten abstimmen müssen. Das muss laut der „Leitlinien zur Sicherung der journalistischen Unabhängigkeit bei Axel Springer“ etwa geschehen, „falls durch Mitgliedschaft, Bekleidung eines Amtes oder durch ein Mandat in Vereinen, Parteien, Verbänden und sonstigen Institutionen, durch Beteiligung an Unternehmen, durch gestattete Nebentätigkeit oder durch eine Beziehung zu Personen oder Institutionen der Anschein erweckt werden könnte, dass dadurch die Neutralität ihrer Berichterstattung über diese Vereine, Parteien, Verbände, Unternehmen, Personen und sonstigen Institutionen beeinträchtigt würde“.

Ein*e taz-Redakteur*in darf zwar ohne Genehmigung nicht für die Welt oder die Zeit schreiben, es gibt aber keinerlei fixierte Regeln darüber, dass PR-Arbeit etwa für die Industrie genehmigt werden muss oder gar verboten wäre. Ressortleiter*innen haben von alleine darauf ein Auge.

Die taz greift in ihrer Berichterstattung auch auf externe freie Autor*Innen und Korrespondent*Innen mit Pauschalistenverträgen zurück, bei denen mögliche Interessenkonflikte nicht systematisch abgefragt werden oder angezeigt werden müssen.

Unabhängigkeit und freie Berichterstattung sind aber essenziell, um das Geschäftsmodell der taz zu schützen. Aus diesen Gründen sollte die taz dringend geeignete Compliance-Regeln erarbeiten.

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Der Verlag muss seine Unabhängigkeit hüten

Die taz hat Geld von Google „geschenkt“ bekommen, um damit ihre taz zahl ich-Funktion zu verbessern. Darüber gab es im Dezember 2016 eine Debatte im Tagesthema, dem taz-weiten Mailverteiler, und eine etwa zweimonatige Diskussion in der Onlinerunde der taz inklusive Gastbeitrag eines kritischen Redakteurs, der die Entscheidung infrage stellte. Es folgte ein Hausblog-Eintrag von Geschäftsführer Andreas Bull, um die Annahme der Finanzspritze – die an keinerlei Bedingungen gebunden war – zu erklären.

Bei der Annahme solcher Gelder besteht ein Grundkonflikt mit dem Selbstverständnis der taz, die sich als konzernunabhängig definiert. Im Haus und seitens vieler Leser*innen gibt es außerdem immer wieder Debatten darüber, warum die taz Anzeigen der Bundeswehr druckt. Auch da geht es um die Frage, ob die taz ihren Ruf schädigt. Ein Stimmungsbild unter Genoss*innen ergab 2016 eine Mehrheit für Bundeswehranzeigen.

Dennoch ist es notwendig, dass ein neues Statut der taz Regeln enthält, wie mit solchen Fällen umzugehen ist. Wie wird Transparenz hergestellt über die Erlöse aus umstrittenen Quellen und wer definiert, was umstritten ist? Vorstellbar wäre eine Berichtspflicht gegenüber Genoss*innen und mitarbeitenden Genoss*innen.

Teil dieser Berichtspflicht wäre auch, möglicherweise geschäftsschädigende Auswirkungen etwa durch Anzeigen der Bundeswehr zu evaluieren. Mitarbeitende in Aboabteilung und Genossenschaft führen persönliche Telefonate im Falle von Kündigungen. Es wäre also möglich, Zahlen zu monetären Verlusten wegen Erlösen aus umstrittenen Quellen zu erheben und GenossInnen und Mitarbeitenden zugänglich zu machen.

2021 geht uns die Kohle aus

2011 schrieb taz-Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch ein Strategiepapier, in dem er prognostizierte, dass die taz am 26. Juni 2021 beschließen wird, die gedruckte Zeitung unter der Woche einzustellen. Hintergrund der Analyse 2011 war die Annahme, dass der Axel-Springer-Konzern die Papier-Ausgabe der Bild-Zeitung abgeschafft haben wird. Dadurch wären wichtige Vertriebsstrukturen unwirtschaftlich geworden, zum Beispiel das Logistiknetz, mit dem nachts die überregionalen Tageszeitungen durch die Republik gekarrt werden.

Damit wäre auch die Postzustellung nicht mehr möglich, weil die taz von Speditionen nachts direkt von den Druckereien in die Postzentren gefahren werden muss. Nur so gelangt sie am nächsten und nicht am übernächsten Tag in die Briefkästen der Leser*innen.

Vertrieb und Geschäftsführung der taz halten es heute für denkbar, dass Print zunächst in einigen, etwa ländlichen Regionen, am Kiosk und in Bahnhofsbuchhandlungen stirbt, weil einzelne Grossisten ihr Geschäft dort einstellen. Doch selbst wenn Springer die gedruckte Bild einstellt – derzeit scheint sie als bundesweit sichtbarer Imageträger für Axel Springer weiter wichtig zu bleiben –, könnten die verbliebenen Tageszeitungen durchaus neue Wege für den Vertrieb finden. Sie könnten etwa die Zahl der Nachtfahrten reduzieren und effizienter auslasten, sagt der Vertrieb der taz.

Der Druck der taz ist in absoluten Zahlen günstiger geworden – die Kosten pro gedruckter Ausgabe steigen aber beständig, wegen der sinkenden Auflage. Die Gesamtkosten für Druck, Trägerdienste, Postzustellung und Spedition lag 2010 bei 9 Millionen Euro, 2016 bei 8,13 Millionen Euro. Ob das noch weiter gelingt, ob eine Reduzierung der Druckstandorte und der absoluten Kosten weiter möglich ist – alles offen.

Karl-Heinz Ruch schreibt heute, dass eine „Bodenbildung“ beim Aborückgang nur für Optimisten erkennbar sei – und auch nur im günstigsten Fall, wie bei den Bundestagswahlen 2017 mit teuren Testabokampagnen. „Wenn man diese Kurve linear fortführt, werden 2024 noch 15.000 Abos gedruckt und vertrieben. Das wird vertriebs- und drucktechnisch wirtschaftlich nicht möglich sein. Spätestens dann gibt es keine gedruckte tägliche taz mehr“, so Ruch heute.

Sollte sich diese Aussage als zu radikal erweisen, zeigt eine Prognose doch ganz deutlich: Falls wir am Wochenende und mit dem ePaper nicht deutlich mehr einnehmen als bisher, dann können wir die Ertragslücke durch sinkende Zahl der Vollabos bis 2021 nicht schließen. Nur taz zahl ich wächst schneller als nach diesem Modell nötig. Allerdings ist hier die Prognose sehr unsicher. Das Printabo unter der Woche im Jahr 2021 einzustellen, ist utopisch, sollte es keine Wunder in allen Bereichen geben. Die Rechnungen sind exemplarisch. Sie berücksichtigen viele Faktoren nicht, wie den taz-Shop, LMd, die Anzeigen oder die Kostenseite der taz.

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Das ePaper und das Wochenende wachsen zu langsam

Die Abozahlen der Werktagsausgabe sinken kontinuierlich – bei der taz immerhin langsamer als bei FAZ, SZ oder Handelsblatt. Mit der Abokampagne zur Bundestagswahl und dem Relaunch gab es von September 2017 bis Januar 2018 zwar ein Plus der Vollabos von 6,2 Prozent auf 29.557, Stand KW2/2018. Allerdings sind Zuwächse in den letzten Monaten eines Jahres normal, durch politische Großlagen oder eben gute Kampagnen. 2015 hatten wir im selben Zeitraum ein Plus von 5,4 Prozent – eine generelle Trendumkehr der Abokurve ist also nicht zu erwarten: Ende 2016 hatten wir noch 30.526 Vollabos, 2017 waren es im Schnitt 30.067.

Immerhin flacht die Geschwindigkeit des Rückgangs der Abozahlen in den letzten Jahren, vor allem 2017, ab. Allerdings zum Preis sehr hoher Werbekosten durch unrentable Probeabos.

Dafür war das Wachstum in den vergangenen vier Jahren bei der taz am wochenende und den ePaper-Abos kontinuierlich niedrig. Bleibt das so, werden wir zu wenig einnehmen, um die erodierende taz unter der Woche zu ersetzen. Aus den Entwicklungen der letzten Jahre lassen sich folgende Szenarien für die Printzeitung unter der Woche ableiten.

  • Das reine Wochenende plus das Wochenende in Kombination mit dem ePaper wuchsen von 2014 bis 2017 kaum (plus 258 Abos im Jahresmittel).
  • Der Zuwachs beim reinen ePaper von 2014 bis 2017 war gering (circa plus 400 Abos pro Jahr).
  • Die tzi-Kurve wächst, könnte aber wie alle taz-Produkte abflachen – vor allem, wenn unsere Reichweite online noch weiter sinkt.
  • Die Erlöse (ohne Abzug der Kosten) des Shops sind von 2012 bis 2016 um rund 200.000 Euro gewachsen, ein ähnliches Wachstum bis 2021 trägt nur unwesentlich zur Kompensation der fehlenden Printerlöse bei.
  • In der Vergangenheit hat der Verlag die Abopreise erhöht, um die sinkende Auflage zu kompensieren. Wann das Prinzip ausgereizt ist, ist nicht zu sagen. Spätestens dann, wenn das letzte Abo für 19 Millionen im Jahr zu haben ist.

Hier mal durchgespielt, wie viel uns fehlt:

Die Printzeitung 2021 einzustellen, scheint momentan utopisch zu sein:

[Anmerkungen zu den Zahlen: Durchschnittlicher Erlös taz Vollabo wird mit 41,9 Euro kalkuliert, Einnahmen pro tzi-Unterstützer*in mit 5,95 Euro. Abozahlen sind bei der IVW um rund 1.000 höher, weil hier beispielsweise Sammel-Abos an Organisationen mit eingerechnet sind. Verlust von 9,23 Mio Euro bei einem Ende der Werktagsausgabe 2021 ergibt sich aus Aboeinnahmen Werktags 2016, abzüglich gesparter Druck- und Vertriebskosten zzgl Druck- und Vertriebskosten am Wochenende]

Wie viele Reserven hat die taz, sollte die Erlöslücke nicht geschlossen werden? Zuletzt sprang bei Verlusten die Genossenschaft ein. Doch die könne sich größere Zuschüsse an den taz Verlag wie zuletzt 2012 nicht mehr leisten, schreibt der Aufsichtsrat: „Die Mittel der taz eG wären schnell aufgebraucht.“

Bei andauernden Verlusten könnte die taz Rettungskampagnen starten, ihr neues Haus teuer vermieten und in eine billige Platte nach Marzahn ziehen oder Leute entlassen. Letzteres wäre kein Novum – betriebsbedingt geschah das zuletzt 2007 bei der Schließung der NRW-taz.

Oder aber – und darauf baut dieser Report – wir nutzen die Zeit der relativen Stärke, um eine Zukunftsoffensive zu starten.

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taz zahl ich-Einnahmen sind anders

Wie sich taz zahl ich entwickelt, ist kaum abzuschätzen. In der Vergangenheit gab es bei neuen taz-Produkten stets ein starkes Wachstum zu Beginn – da schlugen die Fans zu – und dann ein allmähliches Abflachen. Weil taz zahl ich anders ist, sind diese Erfahrungen schwer übertragbar. Unterstützer*innen können auch niedrige Beträge beisteuern. Eine Umfrage 2016 zeigte, dass mehr als drei Viertel der jüngeren Unterstützer*innen bis 40 Jahren sonst keine taz-Produkte konsumieren. Wir sprechen also offenbar eine neue Zielgruppe an.

Schlussfolgerung: Wir sollten nicht warten, bis die Phase des schnellen Wachstums bei taz zahl ich vorbei ist – sondern bereits jetzt über mehr Personal und neue Konzepte nachdenken. Eine Idee wäre etwa, auch als Antwort auf SZ Plus, Bild+ und Spiegel Plus, wäre eine Diversifizierung von taz zahl ich. Bei besonders exklusiven Texten, also Doppelseiten, LMd-Stücken, Nahaufnahmen, Berlin-Reportagen etc., steht online ein kleiner Button im Teaser: „tazextra“ oder „tazzig“ oder „TRLTAZ“ (täglich eine radikale linke tageszeitung). Die Texte sind weiterhin kostenlos. Wir blenden aber an prominenter Stelle ein, dass es sich um einen besonders umfassend recherchierten Text handelt, für den es sich vielleicht ziemen würde, extra zu zahlen. Damit wäre auch unsere Idee, grundsätzlich immer kostenlos zugänglich zu sein, nicht verletzt. Es ist auch denkbar, für bestimmte Leistungen online wirklich Geld zu verlangen, etwa für eine spezielle Kuratierung der Texte.

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Die sinkende Online-Reichweite trifft alle Produkte

„Wie alle Zeitungen auch muss die taz ihre Digitalisierung massiv vorantreiben, um die abbröckelnde Printauflage perspektivisch auszugleichen“, schreibt der Aufsichtsrat der Genossenschaft. Die Reichweite der taz ist online seit 2012 nach allen verfügbaren Messmethoden gesunken. Bei der Konkurrenz sieht das anders aus. Die Seiten von Tagesspiegel, FAZ, Morgenpost oder Zeit haben im gleichen Zeitraum zugelegt. Wir spielen laut AGOF-Zahlen vom Dezember 2017 mittlerweile bei Desktop-Klicks von der Reichweite her in einer Liga mit der Heilbronner Stimme und Hallo-Eltern.de.

Dabei haben wir exzellente Voraussetzungen, das zu ändern. Die taz hat, im Verhältnis zu ihrer Druckauflage, beispielsweise überproportional viele Fans auf Facebook und eine starke Offline-Community in Form unserer sehr erfolgreichen Genossenschaft. Nur übersetzt sich das nicht auf Seitenzugriffe auf taz.de – und nur so bekommen wir Leser*Innen und potenzielle Kund*innen, die taz-Sushimesser kaufen oder ein ePaper bestellen. Mehr dazu in der nächsten These.

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Es gibt trotzdem Geld für Innovationen

Das Geschäftsmodell der taz funktionierte in den letzten Jahren. Die taz mit Shop, Le Monde diplomatique und Verlag nahm – vor allem wegen steigender Abopreise – immer mehr Geld ein, um es umgehend wieder auszugeben, vor allem für Personal. Das ist auch im Sinne der Genoss*innen, die eine ideelle, keine materielle Rendite erwarten. Die taz ist seit Gründung im Schnitt defizitär.

In der Vergangenheit hat die taz immer wieder Geld gesammelt – vor der Jahrtausendwende, um die Insolvenz mit Rettungskampagnen abzuwenden, 2003 dann mit einer Zukunftsstrategie: Die Entwicklungs-KG sammelte ab 2003 von Anleger*innen 2,9 Millionen Euro an Kapital ein, um eine Regionalausgabe der taz in Nordrhein Westfalen zu finanzieren. Das Experiment scheiterte, im Sommer 2007 wurden die NRW-Seiten wieder eingestellt, um ein Aus der Gesellschaft zu verhindern. Die KG wird aktuell saniert, der Wert der Anteile der Anleger*innen soll dabei wieder auf 40 Prozent steigen. Mit Teilen des Geldes ist ab 2007 auch die damals entstandene Onlineredaktion finanziert worden.

Obwohl sich Investitionen in den Betrieb der taz in der Regel nicht monetär ausgezahlt haben, war es stets möglich, große Summen einzusammeln. Das neue Haus bildet eine Ausnahme, es ist tatsächlich eine verzinste Geldanlage, weil hier konkreter Gegenwert in Form einer Immobilie entsteht, es stellt also keine Investition in den laufenden Betrieb dar.

Es gibt keinen Grund, warum es nicht auch heute möglich sein soll, mit einem klaren Zukunftskonzept große Summen von unseren Fans einzusammeln – um neue Produkte on- oder offline zu entwickeln und so den Ertrag der taz zu steigern. Redaktion und Verlag sollten jetzt gemeinsam beginnen, eine entsprechende Strategie zu erarbeiten.

Wir erweitern das Sortiment

„Das Problem der taz sind nicht die fehlenden Ideen. Die tazler sind kreativ und schlau“, so drückte es Aufsichtsrätin Stefanie Urbach in einem Gespräch zu diesem Report aus. Das Problem der taz scheint vielmehr, Ressourcen für dauerhafte Änderungen umzuschichten und Ideen konsequent zu evaluieren und notfalls zu beenden. Im Rahmen des Reports haben wir einige Ideen gesammelt – und kamen immer wieder zu dem Schluss, dass nichts umsetzbar ist, wenn wir nicht radikale Schritte wagen, um Ressourcen freizuschaufeln.

Produkte weiterentwickeln

Ein Produkt auf den Markt werfen und es dann nicht mehr anfassen – das funktioniert nicht. Lesegewohnheiten von Printleser*innen verändern sich. Alte Vertriebswege schließen sich, neue öffnen sich. Produkte wie das ePaper werden nur noch als App interessant sein. Darauf müssen wir reagieren.

Die 16-Seiten-taz

Alle Vorschläge sind nichts, wenn wir nicht wissen, woher die Ressourcen dafür kommen. Im Zuge der Recherche für diesen Report haben wir einige Ideen angerissen. Etwa die, die taz täglich radikal auf 16 Seiten zu reduzieren. Das würde Arbeitszeit freisetzen, für eine längere Besetzung der Ressorts und hochwertige Geschichten etwa – wie viel, wäre zu evaluieren. Die Umstellung müsste offensiv kommuniziert werden, nicht als Verzicht, sondern als Schritt zur Transformation: Wir schaffen nicht weniger Inhalte, wir schaffen sie an anderer Stelle.

Dagegen spricht: Unklar ist, ob damit Kosten gespart werden können, weil die Drucklogistik ja trotzdem aufrechterhalten würde. Wir würden ausgerechnet die treuen Leser*innen ärgern, die trotz höherer Abopreise und häufig schlechter Zustellung der taz die Treue halten. Außerdem haben wir eben einen Relaunch gehabt und viele neue Abos gewonnen, da wäre es das falsche Signal, jetzt zu schrumpfen.

Ebenso radikal wäre es, die Zeitung gleich nur noch Montag, Mittwoch und Freitag zu machen. Dann müssten wir uns in tazt umbenennen. tazt, die Tageszeitung Alle Zwei Tage. Ein solcher Vorschlag kam auch von einer Leserin während einer Fokusgruppenbefragung.

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Das Wochenende vorziehen

Jetzt schon entscheiden sich viele Leser*innen, als Ergänzung zum täglichen digitalen Nachrichtenkonsum einmal in der Woche die Zeitung auf Papier zu lesen. Die Wochenzeitung hat – auch wegen besserer Vertriebsmöglichkeiten – eine deutlich höhere Lebenserwartung als die tägliche Printzeitung. Allerdings bekommen viele Leser*innen die taz am wochenende schlicht nicht rechtzeitig. Viele erhalten sie per Post erst am Nachmittag, andere gar erst am Montag. In einer Umfrage unter Wochenend-Abonnent*innen wurde das häufig als Kritik geäußert. Also fehlt die Zeitung beim Frühstück am Samstagmorgen. Als Ersatz verschickt oft der Ressortleiter ein PDF-Exemplar per Mail.

Perspektivisch wäre es eine Lösung, die taz am wochenende schon am Freitag auszuliefern, damit die Zeitung auf jeden Fall im Briefkasten ist, wenn man von der Arbeit nach Hause kommt – „das Wochenende beginnt jetzt schon früher“.

Das wäre vor allem dann angebracht, falls die Logistik für den Vertrieb der täglichen Printausgabe zusammenbricht. Die Wochenend-Zeitung würde Donnerstagabend gedruckt und postalisch versandt. Im Idealfall könnten wir sie so früh verschicken, dass wir auch auf die heute übliche nächtliche Lieferung der gedruckten Zeitung zu den Postzentren verzichten können und die Zeitung trotzdem sicher am Freitag ausgeliefert wird.

Es wäre auch möglich, schon auf dieses Modell umzustellen, wenn es noch einen täglichen Vertrieb gibt. Die Freitagsausgabe wäre dann die dicke taz fürs Wochenende – und die Redaktion hätte freitags printfrei. Das würde enorme Ressourcen freisetzen, in manchen Ressorts wie taz.eins, Layout oder Fotoredaktion ein sattes Fünftel, in Fachressorts etwas weniger, weil die ja nach wie vor freitags online Texte veröffentlichen würden. Mit den eingesparten Ressourcen ließen sich diverse Ideen umsetzen: Layouter, die Grafiken für online machen. Ressorts, die bis 20 Uhr arbeiten.

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Vom ePaper zur App

Als digitales Produkt ist zu Recht die taz-Smartphone-App in jüngster Zeit stärker ins Blickfeld geraten. Sie ist inzwischen eine richtige App für das Apple-Betriebssystem iOS, und bei Android waren wir sogar schneller als andere. Sie ist nicht mehr wie zuvor eine Art eBook. Nach wie vor wird aber einfach die aktuelle Ausgabe der Printzeitung in die App eingespielt, die als „ePaper“ bezeichnet und beworben wird. Es gibt keine extra Elemente und auch keine Aktualisierung nach dem sehr frühen Printredaktionsschluss (17 Uhr, für manche Seiten bereits deutlich früher).

Nutzer*innen sind grundsätzlich bereit, für ein App-Produkt Geld zu bezahlen. In diesem Produkt liegt also – gerade bei den nahezu verschwindenden Vertriebskosten – großes Potenzial, das noch nicht erschöpfend genutzt wird. Nur 9 Prozent der Redakteur*innen bezeichnen das ePaper auf dem Smartphone als „attraktiv“. Dass es unattraktiv ist, liegt vielleicht auch mit daran, dass es als „ePaper“ bezeichnet wird und nicht konsequent als App auf dem Smartphone. Zumindest das ließe sich leicht und schnell ändern, zumal im Laufe des Jahres 2018 die Faksimile-Ansicht (sieht aus wie eine Zeitung) ohnehin auf eine von der Printansicht unabhängige umgestellt werden soll.

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Inhalte mehrfach verwerten

Wir generieren jeden Tag hochwertige journalistische Inhalte, die meisten davon verschwinden aber nach der Veröffentlichung schnell im Archiv. Andere Verlage haben  damit begonnen, besonders gute Artikel in anderer Form bzw. in neuer Zusammenstellung als Magazin erneut zu veröffentlichen, etwa die SZ Langstrecke. Als einzelne Projekte gab es in der taz schon Bücher mit zusammengestellten Artikeln. Solche Wege, unsere Inhalte mehrfach zu verwerten, können wir konsequenter verfolgen.

Viele taz-Autor*innen schreiben Bücher, viele davon erscheinen in denselben Verlagen. Was es nicht gibt: ein offizielles Label „taz Buch“ (analog zum Spiegel-Buch). Das wäre doch eine Möglichkeit, die Marke präsent zu haben und vom Ruhm und von der Sichtbarkeit der eigenen Autor*innen etwas abzubekommen.

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Radikal neue Produkte

Wenn wir möglichst viele Menschen mit unserem Journalismus erreichen wollen – und das wollen wir ja, weil er gut ist –, brauchen wir auch neue und vielleicht ganz andere Produkte. Vor allem, um junge Leser*innen zu gewinnen.

Krawallo – das neue Portal für junge Linke

Die taz muss dringend jeden Hype mitmachen. Bento und ze.tt setzen wir etwas Eigenes entgegen. Krawallo – das taz-Portal für junge Linksradikale. Mit Themen wie:

  • Pro & Contra: Sex mit Nazis
  • Fernbeziehung mit einem Öko: Mein Freund fährt immer mit dem Fahrrad von Stuttgart nach Berlin
  • Getroffen vom Wasserwerfer: Dieses Make-up hält garantiert
  • Zehn Gründe, warum man Netflix gucken darf, obwohl das alles Kapitalistenarschlöcher sind
  • Warum GoT antifeministischer Bullshit ist (trotz Arya Stark)
  • Darf man AfD-Kommiliton*innen K.-o.-Tropfen ins Bier kippen und ihnen dann mit Edding ein Hakenkreuz auf die Stirn malen?
  • Fairtrade bei H&M – darf ich da wieder kaufen?
  • Zehn Tipps, wie man nervige Leute auf MDMA beleidigt
  • Und überhaupt: taz2 soll das einfach machen

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Platin – die radikal reduzierte taz

taz platin​ ​ist​ ​die​ ​neue​ ​App​ ​der​ ​taz,​ ​die​ ​im​ ​besten​ ​Sinne​ ​radikal​ ​ist.​ ​Sie​ ​löst​ ​die​ ​bisherige taz-App​ ​nicht​ ​ab,​ ​sondern​ ​ergänzt​ ​die​ ​Produktangebote​ ​der​ ​taz​ ​um​ ​ein​ ​weiteres​ ​Angebot. ​„Drei​ ​Texte,​ ​drei​ ​Euro.​ ​Lohnt​ ​sich.“

taz platin​ ​ist​ absolute​ ​Reduktion,​ ​absolute​ ​Qualität​ ​und​ ​absolute​ ​Fokussierung​ ​auf journalistische​ ​Texte.​ ​Auf​ ​taz platin​ ​gibt​ ​es​ ​keine​ ​Schnörkel,​ ​nur​ ​Texte.​ ​Platin-Texte sind​ ​die​ ​besten​ ​Texte​ ​aus​ ​der​ ​Redaktion​ ​der​ ​taz.​ ​Auf​ ​taz platin​ ​gibt​ ​es​ ​jeden​ ​Tag​ ​nur​ drei neue​ ​Texte.​ ​Jeder​ ​Platin-Text​ ​kostet​ ​in​ ​der​ ​App​ ​einen​ ​Euro. ​Die​ ​App​ ​besticht​ ​durch​ ​minimalistischstes,​ ​aber haptisches​ ​Design.​ ​Sie​ ​ist​ ​auf​ ​Android​ ​und​ ​Apple​ ​verfügbar.​

Im​ ​Mosaik​ ​der​ ​taz​ ​besetzt​ ​die​ ​App​ ​eine​ ​Nische,​ ​die​ ​bislang​ ​unbesetzt​ ​ist:​ ​Sie​ ​bietet​ ​an,​ ​für Journalismus​ ​adäquat​ ​zu​ ​bezahlen,​ ​ohne​ ​etwas​ ​spenden​ ​zu​ ​müssen.​ ​Sie​ ​bietet​ ​dafür​ ​einen hochklassigen​ ​Gegenwert.​ ​Die​ ​App​ ​steht​ ​nicht​ ​gegen​ ​unser​ ​bisheriges​ ​Preismodell,​ ​sondern ergänzt​ ​es:​ ​Sie​ ​richtet​ ​sich​ ​an​ ​alle​ LeserInnen,​ ​die​ ​bereit​ ​sind,​ ​für​ ​guten​ ​Journalismus​ ​zu​ ​bezahlen​, ​und​ ​die​ ​dafür​ ​nicht angebettelt​ ​werden​ ​wollen.​ ​Platin-Texte​ ​sind​ ​nicht​ ​der​ ​Platin-App​ ​vorbehalten. Sie​ ​können​ ​auch​ ​auf​ ​anderen​ ​Wegen​ ​verbreitet​ ​werden.​ ​Aber​ ​nirgendwo​ ​erscheinen​ ​sie​ ​so radikal​ ​kuratiert​ ​wie​ ​in​ ​der​ ​App.

Platin-Nutzer*innen​ ​sind​ ​turbosolidarisch.​ ​Sie​ ​wissen,​ ​dass​ ​sich​ ​das​ ​lohnt.​ ​Sie​ ​zahlen​ ​mehr als​ ​alle​ ​anderen​ ​für​ ​Texte​ ​der​ ​taz.​ ​Platin-Nutzer*innen​ ​erhalten​ ​daher​ ​auch​ ​eine​ ​besondere Aufmerksamkeit​ ​der​ ​taz.​ ​Wer​ ​100​ ​Platin-Texte​ gekauft ​hat,​ ​erhält​ ​ein​ ​Geschenk​ ​aus​ ​dem taz-Shop.​ ​Wer​ ​500​ ​Platin-Texte​ gekauft ​hat,​ ​erhält​ ​einen​ ​persönlichen​ ​Brief​ ​aus​ ​der Redaktion.​ ​Wer​ ​1.000​ ​Platin-Texte​ gekauft ​hat,​ ​erhält​ ​eine​ ​Mitgliedschaft​ ​in​ ​der Genossenschaft.

Podcasts – die taz auf die Ohren

Nähe entsteht auch durch Stimme, das zeigen die Fokusgruppenbefragungen für diesen Report. Menschen hören gern Radio und Podcasts, folgen bestimmten Autor*innen. Podcasts zeigen sich schon jetzt als zukunftsfähigeres journalistisches Format als etwa Videos, deren Hype zuvor große Bemühungen in der Medienbranche erzeugten.

Unschlagbarer Vorteil des gehörten Worts: Ich kann nebenbei noch putzen, Fahrrad fahren oder Fotos sortieren. In einer Zeit, in der alle Menschen sich immer gestresster fühlen, ist ein Medienkonsum, der Platz für andere Tätigkeiten lässt, ein großes Versprechen.

Die Fachexpertise vieler taz-Redakteur*innen kann in diesem Format gut zur Geltung kommen. Dominic Johnson könnte zum Beispiel einmal die Woche einem interessierten Publikum erzählen, was es Neues in Afrika gibt, oder Ulrike Herrmann könnte den Kapitalismus kritisieren – ausführlicher und tiefergehender, als es in der Zeitung möglich ist.

Der Vertrieb über Plattformen wie Spotify oder Audible zwingt Medienhäuser zwar, mit Konzerngrößen wie Amazon zu arbeiten, nur dass im Unterschied zu Facebook die Zusammenarbeit standardmäßig auch zu einem Geldfluss in Richtung der Medienhäuser führt.

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Wischen – die taz tindern

Wir sind überzeugt: Unsere Inhalte funktionieren generationenübergreifend. Wir müssen sie nur je nach Zielgruppe auf den richtigen Kanälen mit der richtigen Ansprache verbreiten. Zum Beispiel als App nach dem Vorbild Tinder. Artikel werden mit Überschrift, Teaser und Bild angezeigt. Wischt man nach links (das heißt: gefällt mir), so wandert der Artikel in eine Leseliste (bei Tinder ist es rechts, aber wir finden nur links gut). Wischt man nach rechts, verschwindet der Text einfach. Zwischendurch wird mal ein Tom eingeblendet oder eine Karikatur.

Die App dient auch als Plattform für den Verlag und die Werbung. Denkbar wäre etwa, dass nach einer noch zu definierenden Anzahl von Artikeln ein Produkt aus dem taz-Shop eingeblendet wird. Nach einer bestimmten Anzahl von Texten wird ein taz-Redakteur oder eine taz-Redakteurin eingeblendet, und zwar im Stil unserer alten „Danke für Ihr Abo“-Kampagne.

Die App wählt automatisch Artikel aus dem Angebot von taz.de aus, muss aber noch händisch administriert werden. Sie wird einmal am Tag aktualisiert, jeden Abend ab 18 Uhr kann man so das best of taz frisch tindern. Teaser, Überschriften und Bilder sind identisch mit taz.de und erfordern keinen weiteren Aufwand.

Zur Umsetzung der App bräuchte es lediglich eine*n Projektmanager*in, ein*e Techniker*in für die Spezifizierung für eine externe Firma, ein*e Vertreter*in aus Werbung, Redaktion sowie Kommune.

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täzchen – die taz für die Kleinen

Eine Teilnehmerin unserer Fokusgruppenbefragungen meinte, wir hätten einen „geerbten Vertrauensvorschuss“: Weil die taz schon bei ihren Eltern auf dem Frühstückstisch lag, ist die Marke bei den Kindern schon verankert. Das müssen wir auch in die nächste Generation retten, indem wir Leser*innen mit Kindern die Möglichkeit geben, ihre Kinder an die taz heranzuführen.

Unsere Umfragen ergeben außerdem, dass etwa ein Drittel der taz-Leser*innen am Wochenende und auf taz.de Kinder haben. Auch ein Argument! In den Fokusgruppenbefragung, in Form eines Leser*innenbriefs und als Wunsch aus der taz-Belegschaft kam ebenfalls bereits das Thema eines Angebots der taz für Kinder auf. Das kann eine Seite sein, ein kleines Heft oder eine App.

Ein Konzept für eine Kindertaz (das ​„täzchen“) gab es sogar schon einmal, überzeugte dann aber als einzelne Seite doch nicht. Denkbar wäre eher eine vierseitige regelmäßige Beilage, am besten in Kooperation mit einem (Kinderbuch-)Verlag. Für aktuelle Leser*innen wäre die Beilage ein Mehrwert ähnlich wie die Le Monde diplomatique einmal im Monat oder der taz Plan in der Berlintaz jede Woche.

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Wir sind keine Zeitung mehr

Wie wir die taz im Netz neu gründen

Laut, plakativ, geistreich – so ist die taz. Auf Papier. Online ist unser Journalismus limitiert und schlecht durchdacht. Dabei sind dort unsere Leser*innen. Und bald nur noch dort. Es muss unsere absolute Priorität sein, das taz-Profil ins Netz zu bringen. Dabei müssen wir nicht die Ersten sein, die neue Technologien ausprobieren, aber wir sollten schneller das übernehmen, was uns hilft, besseren Journalismus zu machen. Zehn Jahre nach der Einführung des Smartphones eine richtige Mobilversion von taz.de zu entwickeln, ist zu spät. Ab sofort müssen wir systematisch daran arbeiten, neue Nutzer*innen zu gewinnen. Dafür brauchen wir eine neue Form für die Betreuung unserer Social-Media-Kanäle. Wir müssen ernsthaft Suchmaschinenoptimierung betreiben. Und wir brauchen eine neue Webseite, die permanent weiterentwickelt wird. Hier wollen wir Besucher*innen mehr bieten als Texte mit Fotos. Um auf ihre Bedürfnisse wirklich eingehen zu können, dürfen wir Datenanalyse nicht verteufeln. Sonst nehmen wir unsere Leser*innen nicht ernst.

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© Judith Schwyter

„Das nächste große Projekt der taz ist es, für meine Generation ein Zuhause zu werden. Genauso, wie sie es für ihre Gründergeneration ist und war. Und das geht nur online.“

Amna Franzke, 24, taz-Redakteurin

Einleitung

Die taz ist eine Netzpionierin. Im Mai 1995 war sie die erste überregionale Zeitung Deutschlands, die man auch im Internet lesen konnte, unter der Adresse http://www.prz.tu-berlin.de/~taz. Damals wurden alle Texte aus der Tageszeitung eins zu eins online gestellt – kostenlos. So ging das viele Jahre, erst 2007 wurde ein eigenständiges Onlineressort gegründet. Die Inhalte sind immer noch kostenlos – wenn auch zeitversetzt veröffentlicht oder etwas unkomfortabler zu finden.

Ihre Pionierstellung hat die taz nicht verteidigen können und heute enormen digitalen Nachholbedarf. Die gedruckte taz hat es geschafft, dass ihre Wahrnehmung weitaus größer ist als ihre verkaufte Auflage, so wird etwa die Seite 1 immer wieder im Fernsehen gezeigt und erreicht eine hohe Reichweite auf Facebook und Twitter. Diesen „Hast du schon gesehen?“-Effekt gibt es für die Webseite nicht, allenfalls manchmal für den Facebook-Auftritt. Dabei ist die taz heute nicht mehr nur eine Zeitung und schon gar nicht nur eine „tageszeitung“ wie bei ihrer Gründung: Die taz ist ein Medienhaus mit einer starken Marke, das unter anderem eine Zeitung herausgibt. Daran müssen wir stärker denken, wenn wir Journalismus machen – und viel stärker als bisher darauf schauen, wie wir unseren Journalismus im Netz gestalten.

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Wir brauchen eine Strategie

In unserem journalistischen Geschäft müssen so schnell wie möglich digitale Vertriebswege im Zentrum stehen, auf absehbare Zeit wird die mobile Nutzung am wichtigsten sein. Laut einer repräsentativen Bitkom-Umfrage ist für fast zwei Drittel der Internetnutzer das Smartphone das bevorzugte Gerät, um Nachrichten zu lesen. Besonders unter den „Millennials“, den 15- bis 35-Jährigen, hat das Smartphone sich inzwischen „als dominantes Endgerät zur mobilen Kommunikation, Information, Publikation und Interaktion durchgesetzt“, schreiben die Medienforscher Stephan Weichert und Leif Kramp. Was nicht auf das Handy passt, wird es schwer haben durchzudringen.

Dass die Internetnutzung heute immer stärker mobil stattfindet, besonders auch beim Nachrichtenkonsum, wurde in der taz lange verschlafen. Erst im September 2017 wurde eine mobile Webseite eingeführt, die im Funktionsumfang der Desktopversion ebenbürtig ist. Durch diese jahrelange Verzögerung gingen Millionen Seitenzugriffe verloren. Dass der überfällige Mobilrelaunch so lange verschleppt wurde, liegt daran, dass in Verlag und Redaktion Prioritäten falsch gesetzt und Kapazitäten zu spät erweitert wurden. Einen solchen strategischen Fehler kann sich die taz nicht noch einmal leisten.

Die Platzierung der Texte wird immer noch auf der Desktopseite vorgenommen, auch wenn immer mehr Leser*innen die mobile Seite nutzen, auf der nicht alle Elemente der Desktopvariante angezeigt werden. Andere Nachrichtenseiten setzen in der Praxis längst auf „mobile first“.

Wir müssen viel intensiver analysieren, diskutieren und entscheiden, wie wir unseren Journalismus im Netz gestalten und präsentieren: Wie nachrichtensicher, wie schnell will und kann die taz im Netz sein? Auch vor dem Hintergrund, dass die gedruckte Zeitung nach der jüngsten Blattreform eine stärkere Schwerpunktsetzung betreibt? Muss die taz nach wie vor den Anspruch „Erstzeitung“ ins Netz verlagern, hier der Chronistenpflicht mehr nachkommen oder ist der Anspruch nicht ohnehin überholt? Auf welchen Plattformen wollen oder müssen wir überhaupt präsent sein?

Eine wirkliche Strategie, was die taz im Netz will und leisten kann, ist bisher nicht zu erkennen. Das dürfte auch daran liegen, dass über die digitale Frage im Haus wenig gesprochen wird und vor allem nicht kontinuierlich und strukturiert. Es gibt in der taz eine „Strategierunde“, die sich aber nicht grundsätzlich mit Online beschäftigt, und es gibt eine „Onlinerunde“, bei der es aber nicht um Strategien geht. Es gibt sogar eine „Online-Strategierunde“, die tagt aber unregelmäßig und nur, um auf höchster Ebene Probleme zu lösen, nicht um Strategien zu entwickeln. Manchmal wird im Haus an aktuellen Beispielen über digitale Strategiefragen diskutiert, aber nicht grundsätzlich.

Dass dann manche Dinge einfach so sind, wie sie sind, zeigt folgendes kleines Beispiel: Immer wieder machen auf Facebook oder Twitter taz.de-Artikel die Runde, die seltsam daherkommen: Sie haben keinen Online-Teaser und Platzhalter anstelle von Fotos. Wer das sieht, muss ein komisches Bild von taz.de bekommen – die Marke taz wird dadurch beschädigt. Denn was nicht deutlich wird: Diese Artikel sind in einer Archivversion dargestellt. Auf sie wird häufig – gerade von Redakteur*innen – verlinkt, wenn der Text noch nicht „offiziell“ online veröffentlicht worden ist. Es war auf taz.de schon immer so, dass alle Texte automatisch und unaufbereitet online gingen.

Aber ist es heute noch sinnvoll? Wohl kaum.

Im Juni 2011 wurde ein Prozess in Gang gesetzt, er beinhaltete mehrere Klausuren mit allen Entscheidungsträger*innen der taz. Im Rahmen dieser Treffen wurde die Strategie für eine erfolgreiche Zukunft der taz in Print und Digital erarbeitet. Die dort getroffenen Entscheidungen waren wegweisend für den Relaunch von taz.de 2013, die neue Digitalstrategie des Verlags, der Start auf Facebook, die Einführung eines Trackingsystems, die Konzentration auf die taz am wochenende und das Digital-Abo mit der gedruckten Wochenend-Ausgabe. Seit sechs Jahren gab es keinen solchen konzentrierten Austausch mehr. Die wöchentliche Strategierunde vermag es nicht, sich mit den Credos von 2011 auseinanderzusetzen, diese weiterzuentwickeln oder infrage zu stellen.

Es ist höchste Zeit, dass sich die Stakeholder*innen der taz erneut für einen Zeitraum aus dem Tagesgeschäft lösen und mit Weitblick die Zukunft der taz diskutieren. Was wollen wir in Zukunft sein? Wer ist unsere Zielgruppe? Wie können wir diese wo erreichen?

Auch die Chefredaktion sollte sich jeden Tag stärker mit digitalen Strategien beschäftigen und weniger mit der Produktion, die ja seit der jüngsten Blattreform im Herbst 2017 ohnehin von Themen- und Nachrichtenchef*in gelenkt werden, die sowohl Print als auch Online im Blick haben sollen. Produktentwicklung muss Chefsache sein. Wenn wie bisher ganz viele und damit niemand zuständig ist, überlebt die taz nicht.

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Das taz-Profil digitalisieren

Überschriften und Bildunterschriften sind auch auf taz.de oft auffallend anders als woanders. Grundsätzlich schaffen wir es aber nur eingeschränkt, die journalistische Herangehensweise, Witz und Ironie, wie sie aus der Zeitung bekannt und beliebt sind, auf taz.de zu übertragen. Das liegt auch daran, dass eine Webseite nicht als ein geschlossenes Produkt wahrgenommen und konsumiert wird, sondern sehr punktuell.

Die taz-Webseite hat kein klares Profil. Lange Reportagen stehen – ohne besondere Kennzeichnung und im selben Erscheinungsbild – direkt unter kurzen Nachrichtentexten der dpa. Es ist unklar, welche Themen möglichst aktuell auf die Seite kommen und welche Rolle Geschwindigkeit überhaupt spielen soll. Tickertexte werden oft nicht mit eigenem Material angereichert oder zumindest abgeglichen, was immer wieder dazu führt, dass Agenturtexte auf taz.de qualitativ hinter die gewöhnliche Berichterstattung zum Thema zurückfallen oder Formulierungen zu lesen sind, die taz-Autor*innen aus inhaltlichen Gründen nicht benutzen würden.

Unsere Arbeit der Online-Realität anpassen

Die Strukturen der Redaktion sind immer noch sehr stark auf die Produktion der täglichen Printzeitung ausgerichtet. taz.de wird im Regelfall im Zeitraum von maximal 12 Stunden am Tag aktualisiert, werktags von 8 bis 20 Uhr. Selbst das Neue Deutschland steht früher auf. Eigene taz-Inhalte werden nur in einem deutlich kürzeren Zeitraum generiert. Samstags ist taz.de sehr dünn besetzt. Unter anderem aus diesen Gründen ist die Seite vergleichsweise langsam und inaktuell. Vor allem dann, wenn die Leute informationshungrig sind, bieten wir ihnen zu wenig.

Wer sich morgens am 8 Uhr auf dem Weg zur Arbeit informieren will, bekommt bei taz.de keine aktuelle Analyse aus den USA, sondern Artikel vom Vortag. Wenn taz.de am frühen Abend eine Geschichte online bringt, über die am Morgen lange in der Konferenz diskutiert wurde, ist die Debatte bei der Konkurrenz oft schon einen Schritt weiter. Am frühen Abend, wenn die Texte aus der Zeitungsproduktion fertig sind, stauen sich dann die Artikel auf taz.de und haben deshalb auf der Startseite einen sehr schnellen Durchlauf.

Schnelligkeit ist nicht alles im Netz, aber mitunter können sich unsere Leser*innen auch bei Themen, die für sie interessant sind, nicht aktuell auf taz.de informieren.

So etwa bei der Nachricht, dass Andreas Nahles vom SPD-Vorstand als neue Parteivorsitzende nominiert wurde. Am 13. 2. lief die Eilmeldung dazu um 19.34 Uhr über die Ticker. taz.de-Leser*innen erfahren davon erst am nächsten Morgen um 8.40 Uhr. Veröffentlicht wird ein simpler-Nachrichtentext, der aus zwei Agenturtexten zusammengestellt ist und keinen taz-Mehrwert bietet. Bei der Konkurrenz gibt es um diese Zeit herum nicht nur die Nachricht vom Vortag, sondern auch Analysen, Kommentare oder weiterführende Interviews.  Weil wir langsamer sind als andere, werden unsere Texte auch schlechter bei Google gefunden.

Unsere Artikel kommen im Netz sehr statisch daher. Etwaige Fehler werden ausgebessert, klar. Es passiert aber zu selten, dass wir einen Text auf taz.de noch einmal anfassen, um ihn im Zuge einer Nachrichtenentwicklung oder weiterer Recherchen zu aktualisieren, zu erweitern oder schlicht Überschrift oder Teaser zu verbessern; das ist in unseren Arbeitsprozessen nicht systematisch vorgesehen. Dabei ist das doch ein entscheidender Vorteil gegenüber der gedruckten Zeitung. Und auch das hat Auswirkung auf die Platzierung bei Suchmaschinen.

Dass die taz noch immer ziemlich analog tickt, davon ist auch eine Mehrheit der taz-Beschäftigten überzeugt. Gut die Hälfte der Mitarbeitenden sagt: „Die taz ist noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen.“ Auffällig sind die unterschiedlichen Wahrnehmungen in Redaktion und Verlag, was diese Aussage angeht. Die Mitarbeitenden in der Redaktion schätzen die Lage deutlich dramatischer ein. Fast zwei Drittel der Redakteur*innen stimmen der Aussage zu, von den unter 40-Jährigen sind es fast 80 Prozent.

Auch bei anderen digitalen Fragen gibt es auffällige Unterschiede. 41 Prozent der Verlagsmitarbeitenden geben an, keine Nachrichten auf dem Smartphone zu lesen (in der Redaktion nur 12 Prozent). Verlagsmitarbeitende sind auch deutlich weniger in den sozialen Netzwerken unterwegs als die Kolleg*innen der Redaktion. Drei Viertel der Redakteur*innen sind mindestens einmal die Woche bei Facebook, aber nur knapp die Hälfte der Verlagsmitarbeitenden. Während 70 Prozent der Redakteur*innen mindestens einmal wöchentlich auf Twitter sind, sind es nur 20 Prozent der Mitarbeitenden im Verlag. Diese Werte sind Beispiele dafür, dass viele im Haus gar nicht so richtig wissen können, was „in diesem Internet“ gerade so passiert und wie die taz da mitmischen sollte. So kann man heutzutage keine konkurrenzfähigen journalistischen Produkte entwickeln.

Was die Verbreitungswege der taz angeht, findet die Redaktion die mobile Webseite und die App wichtiger als der Verlag; dieser wiederum findet Veranstaltungen wichtiger. Auch das Marketing ist noch nicht in der digitalen Welt angekommen, Onlinemarketing wird nur sehr vereinzelt gemacht und der Erfolg nicht systematisch gemessen.

Printanzeigen oder Beileger müssten mit all ihren Kosten (Arbeitszeit der Werbeabteilung und Werbegrafik, ggf. externe Agentur, Druckkosten, Beilagekosten) mit Onlinewerbung verglichen werden. Wir experimentieren seit einigen Jahren sporadisch mit „Sponsored Posts“ bei Facebook und könnten diese Aktionen auch auf andere soziale Netzwerke ausweiten. Die Erfahrungen zeigen, dass es sinnvoll ist, unser Werbebudget verstärkt in diese Kanäle zu lenken. Ein Sponsored Post, um das Probeabo anlässlich des Relaunchs der Print-taz zu bewerben, kostete 100 Euro – und brachte 45 Abo-Abschlüsse.

Ein Drittel der Startseite von taz.de wird vom Verlag (Sitemanagement) bespielt. Auf diesen Plätzen werden taz-Produkte und -Publikationen beworben. Diese Art der Reklame wurde jedoch bisher kaum mit einbezogen, wenn eine Agentur mit einer Werbekampagne für die taz beauftragt wurde. Unsere Webseitenplätze erfordern ein bestimmtes Fotoformat und werden über unser Redaktionssystem bespielt, klassische Werbebanner passen hier nicht hin. Dabei wäre eine sorgsam dirigierte Kampagne auf unseren eigenen Plätzen auf taz.de sehr sinnvoll, da diese nicht vom Adblocker blockiert werden und deshalb immer sichtbar sind. Auch eine Facebook-Kampagne von einer externen Agentur wäre denkbar. Schon jetzt werden nur noch unter 10 Prozent unserer Abos aufgrund von gedruckten Anzeigen oder Beilegern abgeschlossen.

Eine gute Nachricht ist, dass es im Haus grundsätzlich Bereitschaft für Veränderungen gibt. Mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden stimmen der Aussage zu: „Wenn die taz überleben will, müssen wir die gewohnten Strukturen aufbrechen.“ Von den unter 40-Jährigen Redakteur*innen unterschreiben das fast zwei Drittel.

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Innovationen besser managen

Niemand weiß genau, wie Nachrichten und andere journalistische Formate in drei, zehn oder dreißig Jahren konsumiert werden. Niemand weiß, ob morgen noch jemand von Snapchat spricht oder ob vielleicht StudiVZ wieder kommt; ob wir alle im Badezimmerspiegel Nachrichten lesen oder die News uns direkt ins Gehirn geschickt werden. Will die taz in der stetig wandelnden Digitalwelt präsent sein, muss sie aber in der Lage sein, die vorhandenen Kanäle zu bespielen. Das heißt nicht, dass wir das in allen Fällen machen sollten. Aber das Interesse, neue Verbreitungsmöglichkeiten für Inhalte und Marke zu finden, ist notwendig, um nicht digital abgehängt zu werden.

Keiner verlangt, dass wir als Erste technologische Neuigkeiten identifizieren und auf allen neuen Plattformen sofort präsent sind. Das können wir mit unseren Ressourcen auch nicht leisten; wir sind ja nicht die New York Times. Wir brauchen aber Strukturen, um zu erkennen, auf welche Kanäle wir setzen sollten und wie wir diese dann schneller als bisher anfangen zu bespielen. Bei dieser Aufgabe kann eine neu zu schaffende Stelle des/der der Chefredaktion unterstehende*n Redakteur*in für digitale Entwicklung helfen. Auch die Ressortleitungen müssen die digitale Entwicklung ins Zentrum ihrer Arbeit stellen.

Die Ressorts kämpfen heute nach wie vor um Plätze in der Zeitung. Mit derselben Verve müssen sie sich dafür interessieren, wie und wann ihre Themen im Netz veröffentlicht werden, wie sie gelesen werden, wann sie weitergedreht werden müssen. Das dürfen sie nicht ignorieren, auch wenn es erst mal Mehrarbeit bedeutet.

Seit Herbst 2016 gibt es im Verlag die Abteilung „Digitale Transformation“. In dieser Abteilung wird einerseits das Alltagsgeschäft aller Onlineaktivitäten des Verlags bewältigt (ein Drittel der taz-Startseite mit Verlagsinhalt bespielen, taz zahl ich betreuen, Bewegung, Blogs, Onlineanzeigen etc.), andererseits werden neue Erlösstrategien entwickelt. Was bisher zu kurz kommt: die Zusammenarbeit mit der Redaktion. Denn nur mit einzigartigen taz-Inhalten können wir im Internet Geld verdienen.

Die Digitale Transformation muss in der Redaktion sichtbarer, der gegenseitige Austausch Grundlage für fruchtbare Zusammenarbeit werden. Sei es, um aufwändige Print-Sonderausgaben zu bewerben oder um redaktionelle Projekte außerhalb der Reihe auf taz.de zu platzieren (Radiosendungen, Bücher, Dossiers etc.).

Es muss auf beiden Seiten die Bereitschaft zur engen Zusammenarbeit bestehen.

Da die Digital-/Webentwicklung den Kern der redaktionellen Arbeit betrifft, sollte sie künftig Teil der Redaktion sein, andere Onlinemedien haben damit gute Erfahrung gemacht. Sie sollte auch personell deutlich aufgestockt werden, denn „auch wenn wir doppelt so viel wären, dann wären wir immer noch nicht genug“, so drückt es einer der Webmaster aus. Deshalb muss auch die Zusammenarbeit mit externen Entwicklern verstärkt werden.

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Die Reichweite steigern

Während die Internetnutzung in Deutschland in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist, konnte die taz im Netz nicht zulegen, im Gegenteil: Die Zugriffszahlen von taz.de gingen sogar zurück. Von 2014 bis 2017 sanken die Seitenbesuche (Visits), um 8,2 Prozent (mobil & Desktop), bei der Zeit, der FAZ, dem Tagesspiegel oder der Berliner Morgenpost stiegen sie laut IVW um 30 bis 40 Prozent. Mehr als zwei Drittel der Besucher*innen verlassen die Seite gleich wieder, die sogenannte Bounce-Rate liegt bei 69 Prozent. Sie ist in den vergangen Jahren leicht gestiegen. Von den Besucher*innen der Startseite ist rund die Hälfte wieder weg, ohne auf einen Artikel geklickt zu haben.

Bis heute fehlt im Haus eine grundlegende Analyse, woher der Einbruch bei taz.de kommt, sowohl technisch als auch inhaltlich. Das Problem der sinkenden Onlinereichweite scheint die Redaktion auch nicht weiter zu interessieren. taz.de taucht nicht unter den großen Nachrichtenseiten auf. In der IVW-Statistik landete sie im Dezember 2017 auf Platz 50, was die „Visits“ angeht. taz.de hat einen Marktanteil von lediglich 0,21 Prozent. Die vergleichsweise geringen Klickzahlen führen auch dazu, dass die Anzeigenerlöse sehr niedrig sind.

Dabei erreicht die taz in den sozialen Netzwerken viele Menschen (→ These Die taz ist eine Kommune). Wir schaffen es aber nicht, die Likes in Nutzerzahlen auf taz.de umzumünzen: Im Verhältnis zu den Likes bzw. Followern in den Social-Media-Kanälen hat die taz vergleichsweise sehr wenige Zugriffe auf die Webseite, wie eine tazeigene Zusammenstellung ergab. Wir vergleichen uns hier mit anderen “klassischen” Medien. Diese Medien können für Journalismus online aber gar nicht die Benchmark sein. BuzzFeed Deutschland etwa erreicht mit einem Team von etwa einem Zehntel der taz-Redaktion auf Facebook 466.000 Fans.

Die taz will online möglichst viel gelesen werden – einerseits. Deshalb ist es erklärte Strategie des Verlags, entgegen dem Branchentrend auf eine Paywall, also eine Bezahlschranke, zu verzichten und stattdessen auf freiwilliges Bezahlen im Netz zu setzen (taz zahl ich). Alle Inhalte sind kostenlos für alle zugänglich. Diese Strategie hat im Haus Rückhalt. Weniger als 5 Prozent sagen, dass taz.de eine Paywall haben sollte.

Dass taz zahl ich das beste Modell für die Finanzierung von Journalismus ist, das sehen aber auch nur knapp ein Drittel in der Redaktion so (im Verlag ist es mehr als die Hälfte). Und das Geld, das dadurch reinkommt, reicht – zumindest bislang – längst nicht, um den taz-Journalismus zu finanzieren. Wenn wir darüber hinaus mehr Geld einnehmen wollen, müssen wir mehr Menschen erreichen. (→ These Mehr Kapitalismus wagen)

Andererseits gibt es im Haus aber auch eine gewisse Scheu, auf Reichweite zu setzen. Die taz legt offenbar keinen gesteigerten Wert darauf, durch Suchmaschinen gefunden zu werden – und das in Zeiten, in denen immer weniger Nutzer*innen direkt die Startseite ansteuern. Bei Google News etwa ist taz.de schlecht gelistet. Wir sollten künftig – wie alle anderen auch – konsequent Suchmaschinenoptimierung betreiben. Das heißt nicht, dass wir jetzt andere Texte schreiben müssen, sondern dass die Seite unter der Oberfläche so gestaltet wird, dass die Artikel bei Suchmaschinen wie Google prominenter auftauchen. Wir sollten in der Redaktion auch darüber reden, warum manche Texte viel gelesen werden und manche nicht. Ein Klickerfolg liegt nämlich nicht nur an Sex und Hitler – sondern hat auch handwerkliche Gründe.

Im Alltag wird auch nicht systematisch verfolgt, wann und warum Nutzer*innen die Seite verlassen. Würde man das tun, könnte man an den entsprechenden Stellschrauben drehen. Es werden auch grundsätzlich keine besonderen Versuche unternommen, die Nutzer*innen auf der Seite zu halten, zum Beispiel durch kuratierte und womöglich personalisierte Weiterlese-Empfehlungen.

Wir müssen Reichweite wirklich wollen und die kommt nicht von allein. Eine größere Reichweite ist nichts Böses, sondern unabdingbar, wenn die taz überleben will. Die Anzeigenerlöse würden steigen, nach Einschätzung der für taz zahl ich verantwortlichen Mitarbeiterinnen würden wir darüber mehr Geld bekommen. Mehr Klickzahlen kämen auch direkt den Redakteur*innen zugute, über einen Anteil bei der VG-Wort-Ausschüttung – eine willkommene Ergänzung zum vergleichsweise niedrigen Gehalt.

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Die Nutzer*innen besser kennenlernen

Wir wissen wenig über unsere Onlineleser*innen, ihre Interessen und Bedürfnisse. Das ist nicht gut. Auch Datenanalyse muss nicht böse sein, im Gegenteil. Wenn wir mehr über ihr Nutzungsverhalten erfahren, ist das auch im Interesse der Nutzer*innen.

Was wir bisher über sie wissen, widerspricht sich mitunter. Die Zahlen der letzten taz.de-Umfrage (2016) etwa waren alarmierend: Nur 25 Prozent der taz.de-Leser*innen sind weiblich. Für eine Redaktion, die in ihrem Statut festgelegt hat, dass die Redaktion paritätisch besetzt werden muss, ist das ein Skandal. Nach den jüngsten AGOF-Daten (Dezember 2017) wird taz.de inzwischen zu 43 Prozent von Frauen genutzt. Laut der taz.de-Umfrage von 2016 sind die Leser*innen der taz im Netz durchschnittlich 47 Jahre alt – allerdings gaben 22 Prozent der Befragten ihr Alter nicht an. Die jüngsten AGOF-Zahlen zeigen einen deutlichen Schwerpunkt bei den 20- bis 39-Jährigen. Alles also doch kein Skandal? Auch die AGOF bekommt ihre Daten über Umfragen.

Alle Angaben, auch die von Analysetools wie Google Analytics, müssen kontinuierlich hinterfragt werden. Aber wir müssen auch versuchen, solche Daten zu bekommen. Denn wenn wir den Mythos taz mit ins 21. Jahrhundert mitnehmen wollen, müssen wir wissen, ob Menschen zwischen 20 und 30 überhaupt noch etwas mit der taz anfangen können.

Hinzu kommt, dass wir aufgrund zu wenig fundierter Analyse nicht wissen, wie unsere Leser*innen taz.de oder unsere App nutzen. Wir haben ein externes und zwei interne Trackingtools, diese werden jedoch kaum genutzt beziehungsweise die damit erhobenen Daten nicht strategisch verwertet. Wann wird welche Art Text geklickt? Wie lange bleiben sie wo? Wann steigen die Leser*innen aus einem Text aus und woran könnte das liegen? Welche Themen interessieren sie in der App? Für die Android-App wissen wir nicht einmal, ob und wann die Leser*innen die taz lesen, weil der Download automatisch läuft, sobald eine Internetverbindung per WLAN besteht.

Aus Befragungen wissen wir außerdem, dass sich Nutzer*innen kaum mit den App-Einstellungen beschäftigen. Die Erwartungshaltung ist: Die Ansicht soll schon bestmöglich konfiguriert sein. Nur: Ist sie das auch? Finden sich die Nutzer*innen in unseren Einstellungen zurecht? Wir wissen es nicht. Denn solche Fragen werden bislang weder gestellt noch können sie wirklich beantwortet werden.

Ändert man das, kann es Konflikte geben mit der sehr strengen Datenschutzkultur in der taz, insbesondere der EDV-Abteilung. Aber sollten wir höhere Datenschutzstandards ansetzen, als es die Leser*innen im Zweifel selbst tun? Was haben Nutzer*innen davon, wenn zwar Google und Facebook alles über sie wissen, ihre Lieblingszeitung im Netz aber nicht in der Lage ist, sich stärker nach ihren Bedürfnissen auszurichten?

Das Erheben und Sammeln von Daten muss kein schmutziges Geschäft sein, das im Hintergrund über gesetzte Cookies läuft. Das neue App-Projekt xMinutes etwa fragt die Nutzer*innen spezifisch nach ihren Daten und erklärt, warum man diese gern hätte und was das für die Nutzerin bedeutet, wenn sie sie preisgibt. Also: Wenn du mir sagst, wo du wohnst, kann ich dir prioritär Nachrichten aus deiner Gegend anzeigen.

Möglich wäre auf taz.de etwa eine Opt-in-Lösung mittels Overlay. Das heißt: Standardmäßig wird nicht getrackt. Aber ein Overlay weist darauf hin, dass wir das gern machen möchten, erklärt, warum, und gibt den NutzerInnen im Idealfall die Möglichkeit, auch in einzelne Methoden einzuwilligen und andere abzulehnen. Eine entsprechende Einwilligungslösung wird zumindest für Cookies mit dem Inkrafttreten der E-Privacy-Verordnung ohnehin Pflicht werden.

Wer freiwillig erzählen will, wie er oder sie unsere Angebote nutzt, dem oder der sollten wir auch zuhören. Uns muss dabei aber bewusst sein: Das Sammeln und Auswerten von Daten kostet Zeit und Arbeitskraft.

Wir brauchen ein Analysetool, welches von allen entscheidenden Abteilungen und Ressorts im Haus unterstützt und verwendet wird. Das aufkeimende Interesse der Printredakteur*innen an Klickzahlen sollten wir nutzen, um das neue Tool im Haus zu etablieren (die Auswahl und Implementierung eines Trackingtools ist ein bereits gesetztes Projekt der Webmaster*innen im Frühjahr 2018).

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Unsere Kommune soll größer werden

taz-Inhalte sind offenbar gerade in diesen Zeiten beliebt. Junge Medien wie das deutsche BuzzFeed haben Themen rund um soziale Gerechtigkeit mittlerweile als eine ihrer inhaltlichen Schwerpunkte definiert. Auch Vice nimmt sich Themen wie Rassismus oder Rechtsextremismus an. Diese Inhalte dürften also „ziehen“ und wir müssten viele neue junge Leser*innen dazugewinnen– trotzdem sinkt unsere digitale Reichweite.

Die Gründe dafür sind vermutlich vielfältig. Der Punkt ist: Wenn wir etwa eine monatelange Recherche über rechtsextreme Umtriebe im Reservistenverband der Bundeswehr veröffentlichen, ist dieser bei Google News nicht gut zu finden. Nicht einmal, wenn man nach dem exakten Titel sucht. Und selbst wenn man „taz“ mit in das Suchfeld schreibt, steht oben nicht der taz-Text, sondern eine Zusammenfassung unserer Recherche auf Vice Deutschland.

Die Vermutung liegt nahe, dass Vice Deutschland etwas besser macht. Nur was? An entscheidenden Positionen im Haus gelten Standards im Netz wie Search Engine Optimization (SEO) als nette Spielerei, aber nicht als essenziell. Durch Reichweitenverlust entsteht der taz ein finanzieller Nachteil (weniger taz-zahl-ich-Abschlüsse) und eine zunehmend frustrierte Redaktion, die schließlich auch gelesen werden möchte.

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Ein Social-Media-Ressort gründen

Die Kommune der taz – das ist unser Social Media- und Community-Team. Das klingt erst einmal groß, meint aber nur zwei Redakteur*innen, die jeden Werktag die Kommentare auf taz.de und unseren Facebook-Kanal pflegen. Der Instagram-Account der taz wird von der Verlagsabteilung Digitale Transformation betreut, der Twitter-Account vom Site-CvD von taz.de. Andere Kanäle betreuen einzelne Mitarbeitende aus eigenem Antrieb nebenbei. Die Umsetzung einer Social-Media-Strategie ist also schwierig, wenn die Betreuung der Kanäle in verschiedenen Händen liegt.

Unser Kommunen-Team trägt maßgeblich zum Erfolg der taz im Netz bei – obwohl sie nur montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr besetzt ist. Samstags wird der komplette Social-Media-Auftritt von eine*r taz.de-Redakteur*in nebenbei gepflegt. Warum investieren wir nicht in einen Bereich, der offensichtlich Wachstumspotenzial hat?

Eine Social-Media-Redakteurin berichtete von ihrem Frust, weil die Kommune „am Ende der Versorgungskette“ sei – Texte werden in der Regel erst in Print gedacht, erscheinen dann auf taz.de und dann irgendwann, wenn ein virales Thema vielleicht längst schon wieder uninteressant ist, könne dann der taz-Kommentar dazu auf Facebook geteilt werden. Verena Schneider, Online-CvD meint: „Social Media ist momentan unser größter Wachstumsbereich mit der größten Reichweite. Ich halte eine eigene Social-Media-Abteilung deshalb für sehr sinnvoll.“

Lasst uns also eine richtige Abteilung Kommune gründen, die sich aus einem Guss um die Social-Media-Kanäle der taz kümmert. Auch die LeserInnenbriefe-Redaktion, die sich bisher um die Leser*innenbriefe in der Printzeitung kümmert, sollte integriert werden. Denn Leser*innen sind Leser*innen, egal ob sie heute eine Mail schreiben oder morgen einen Facebook-Post.

Um Texte erfolgreich an möglichst viele Leser*innen zu bringen, müssen wir mit Blick auf Social Media unsere Arbeitsabläufe hinterfragen (vgl. These Der Tag hat 24 Stunden). Und vor allem gehört zur Arbeit der Kommune mehr, als nur mit denen zu kommunizieren, die wir bereits kennen. Wir müssen uns auch systematisch auf die Suche nach neuen Mitgliedern machen und schauen, wo diese überhaupt unterwegs sind.

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Neues Publikum finden

Unsere verschiedenen journalistischen Produkte haben unterschiedliche Leser*innen. Mal sind sie älter, mal männlicher, mal mehr in Großstädten, mal mehr in Familien lebend. Eines haben allerdings alle miteinander gemein: „Die Beziehung zur taz ist Teil einer Haltung.“ So beschreibt es Bernd Blöbaum, langjähriger Leiter der Leser*innenbefragungen der taz.

taz-Leser*innen würden fast gleichermaßen bei der nächsten Bundestagswahl Die Linke oder Die Grünen wählen und sind in hohem Maße politisch und sozial engagiert. Kurzum: taz-Leser*innen sind „links-grün versifft“, egal auf welchem Kanal sie die taz lesen.

Wir wissen also, welche Haltung das Publikum hat – und dass das Alter dabei keine Rolle spielen muss. Bei einer sinkenden Reichweite im Netz müssen wir uns also noch stärker fragen, wo wir die Leser*innen von morgen finden. Wie wollen sie angesprochen werden? Welche Themen interessieren sie im Speziellen?

Diese Fragen müssen uns jeden Tag beschäftigen, weshalb wir dringend ein Team brauchen, das auf die Suche nach der Kommune von morgen geht.

In anderen Häusern haben solche Abteilungen den Namen „Audience Development“ – bei uns wäre es eine Art Kommunencasting, das neue Team wäre auch Teil der Abteilung „Kommune“.

Instagram, Snapchat, WhatsApp – you name it. Es gibt immer mehr Orte in der digitalen Welt, an denen wir taz-Leser*innen treffen könnten. Wir versuchen es nur zu wenig. Denn vielleicht sind all die sozialen Netzwerke überhaupt nicht interessant, sondern nerdige Umweltforen oder E-Mail-Listen. Wir müssen es schlicht ausprobieren.

Welche Newsletter-Formate lohnen sich? Sollten wir Snapchat nicht ausführlicher testen? Sollten wir mehr Arbeit in die Pflege der kleinen Community der Facebook-Alternative Diaspora verwenden, weil diese aus zwar weniger, aber dafür umso engagierteren Leser*innen besteht? Investieren wir in Arbeit mit Chatbots im Messenger. Nur aufgrund des persönlichen Engagements von zwei Mitarbeiter*innen sammeln wir derzeit Erfahrungen mit den Messaging-Apps Telegram und WhatsApp.

Neue Plattformen entdecken

Gerade ist die Medienbranche wieder aufgeregt, weil Facebook seinen Algorithmus in der Form geändert hat, dass nun Beiträge von Freund*innen und Familie priorisiert angezeigt werden, Medien weniger. Wird das uns Medien nun in eine Krise katapultieren? Eher nicht. Aber diese Nachricht ist eine Erinnerung daran, dass wir uns von einzelnen Unternehmen nicht abhängig machen dürfen.

Facebook kommt bisher als Vertriebs- und Kommunikationsweg für unsere digitalen Inhalte eine zentrale Bedeutung zu. Die erfolgreichsten Texte auf taz.de sind diejenigen, die über Facebook geteilt wurden. Wollen wir also unsere Reichweite erhöhen, muss es unser Ziel sein, Texte prominent auf Facebook zu teilen – oder wir finden, neue und interessante soziale Plattformen. Schließlich sind laut der neuesten ARD-ZDF-Onlinestudie nur ein Drittel der Deutschen regelmäßig auf Facebook.

Wir bleiben im Netz unabhängig, wenn wir uns nicht auf die Zusammenarbeit mit zwei großen Firmen fokussieren. Die taz darf sich deswegen nicht auf einen oder zwei Social-Media-Kanäle konzentrieren, sondern muss viele Vertriebs- und Kommunikationswege ausprobieren und gegebenenfalls nutzen. Dieses beständige Trial and Error ist Arbeit.

Bisher haben wir auch kein Konzept, zu welchen Themen und mit welchen Inhalten wir Newsletter als Form der Leser*innenerweiterung nutzen wollen. Wir haben einen täglichen und einen wöchentlichen Newsletter. Der tägliche Newsletter kündigt meist nur die gedruckte taz an und verzeichnet derzeit sinkende Nutzer*innenzahlen. Es ist auf taz.de nicht möglich, einzelnen Autor*innen per Newsletter zu folgen oder einen Newsletter für Veranstaltungen zu abonnieren.

Wir verstehen Newsletter bisher nicht als redaktionelles Produkt – als Form, Journalismus zu machen. Dabei sind Newsletter und Briefings in mancher Hinsicht eine digitale Entsprechung zur Tageszeitung, weil sie an einem fixen Moment die Weltlage oder die Berichterstattung zu einem bestimmten Thema bündeln und so für die Leser*innen Orientierung schaffen. Dieses Format stärker zu nutzen macht uns auch unabhängiger von den Algorithmen von Facebook und Google.

Newsletter sind noch immer erfolgversprechend. Gerade erst ließ the New Yorker wissen, dass ein Großteil seiner Digitalstrategie auf Newslettern aufbaue. Sie funktionieren, weil sie auf ein bestimmtes Interesse zugeschnitten werden. Die Leipziger Queerfeministin könnte etwa einen Newsletter mit unserer Berichterstattung zu Genderthemen bestellen. Oder nur zu unserem Schwerpunkt zum Paragrafen 219a.

Schlechte Suchmaschinen-Ergebnisse ernst nehmen

Immer wieder beschweren sich Kolleg*innen, dass man taz.de-Artikel bei Google schlecht findet – sowohl bei der regulären Suche als auch bei der News-Suche. Ist das nur ein Bauchgefühl oder stimmt das?

Wohl alle konkurrierenden Webseiten betreiben aktiv SEO – Search Engine Optimization, Suchmaschinenoptimierung. Bei einem benachbarten Onlinemedium, das wir besucht haben, sitzen die dafür Verantwortlichen direkt beim Chefredakteur. Sie prüfen permanent, ob neue Artikel in Suchmaschinen prominent auftauchen. Auch die Redaktion ist eingebunden, sie ändert etwa Überschriften, wenn Texte schlecht abschneiden, oder den Aufbau eines Textes, wenn Leser*Innen schnell abspringen. Entsprechende Tools für die Analyse werden selbstverständlich eingesetzt – bei uns nur begrenzt und nur von einigen wenigen in der Onlineredaktion. Die meisten in der Redaktion dürften mit dem Begriff noch nie in Berührung gekommen sein.

Die Webmaster haben taz.de nach eigenen Angaben so aufgebaut, dass die Seite alle technischen Voraussetzungen erfüllt, um von Google gefunden und gelistet zu werden. Die Frage ist: Wie gut?

Einige Zahlen deuten deutlich darauf hin, dass wir bei Suchmaschinen unterdurchschnittlich abschneiden. 2012 hat die externe Agentur The Reach Group eine SEO-Analyse von taz.de vorgenommen und etliche technische Mängel ausgemacht, etwa im HTML-Code oder bei der Einbindung von Videos, auf redaktioneller Ebene waren Dachzeilen oft zu kurz oder Teaser nicht suchmaschinentauglich. Die Empfehlungen sind damals laut unserer Webmaster, „soweit nachvollziehbar“, umgesetzt worden. Eine weitere Evaluierung oder erneute externe Analyse gab es in den letzten sechs Jahren nicht, trotz der einbrechenden Reichweite von taz.de.

Eine Stichprobe eines taz-Webmasters hat im Dezember ergeben, dass von unserer Reichweite bei Google etwa 1,5 Prozent von Google News kommt. Eine Auswertung des SEO-Tools SimilarWeb ergab 4 Prozent. Tagesspiegel, Frankfurter Rundschau, Zeit und Berliner Zeitung erzielen laut des gleichen Tools 10 bis 13 Prozent ihrer Suchmaschinenreichweite mit Google News. Eine Auswertung unserer Google-News-Performance mit dem Tool Sistrix ergab, dass unsere Reichweite Anfang 2016 von einen Tag auf den anderen massiv eingebrochen ist. Eine Erklärung konnte hierfür nicht gefunden werden.

Dass taz.de-Artikel bei Google News wahnsinnig schlecht gelistet werden, zeigt zum Beispiel folgendes Suchszenario:

Am Morgen des 24. 01. gibt es zu vier Themen, die der taz wichtig sind, je einen Artikel im oberen Bereich der taz.de-Startseite. Alle sind seit dem Vorabend online. Bei der Suche auf der deutschen Google-News-Seite wurden die ersten 20(!) Ergebnisseiten angeschaut.

Die Texte:
Kommentar Türkei-Offensive Syrien: Mit zweierlei Maß gemessen
Bioverbände zum Schutz vor Wölfen: Vergrämen, nicht töten
Vorgezogene Wahl in Venezuela: Maduro will schnell gewählt werden
AfD-Kandidaten für Bundestagsausschüsse: Ungeeignet, ungeeignet, ungeeignet

Die Ergebnisse zu den Suchbegriffen:
„Türkei“: Kein einziger taz.de-Text taucht auf.
„Wolf“: Kein einziger taz.de-Text taucht auf.
„Venezuela“: Kein einziger taz.de-Text taucht auf. (Unter einem kleinen Bild von Präsident Maduro steht klein „taz.de“.)
„AfD“: Erster taz.de-Text auf Ergebnisseite 9. (Nicht der aktuelle, sondern ein alter, der aktuelle taucht nicht auf.)

Wie sieht es bei der noch wichtigeren, normalen Google-Suche aus? Hier haben wir mit dem SEO-Tool Alexa ermittelte Zahlen: Prozentual an unserer Reichweite kam bei uns in einem Zeitraum von vier Wochen, verglichen mit 10 anderen News-Webseiten, relativ wenig von Google (inklusive Google News) – rund 25 Prozent unserer Reichweite. Bei der Berliner Zeitung waren es 45 Prozent, beim Tagesspiegel 39 Prozent – bei Zeit Online aber auch nur 27 Prozent.

Die Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen, weil die verwendeten Tools ungenau sind. Aber sie zeigen tendenziell, wo wir stehen, und sie entsprechen unserer Hauspolitik. Wir haben relativ viele Zugriffe aus sozialen Netzwerken – die werden auch von einem eigenen Team bespielt. Wir haben viele Leser*innen, die taz.de direkte aufsuchen – was auf Leser*innen hindeutet, die uns ansteuern, weil sie uns kennen. Wir haben relativ wenig digitale Laufkundschaft über die Suchmaschinen – hier investieren wir auch keine Ressourcen.

Letztlich wissen wir nur: Wir schneiden bei Google News schlecht ab, wie viel Traffic dadurch verloren geht, ist unklar. Ob wir bei der normalen Google-Suche besser abschneiden könnten und was wir dazu tun müssten – unklar. Unklar heißt: Das Problem wird im Haus von technischer Seite kleingeredet oder schlicht ignoriert. Mitunter scheint es auch, als gebe es gar keinen Willen, sich mit der Suche auf Google auseinanderzusetzen, weil Google ein fieser Monopolist ist.

Tatsächlich ist Google aber die Suchmaschine, mit der sich die Deutschen durchs Netz navigieren: 97,73 Prozent nutzen Google auf dem Smartphone, 87,67 Prozent auf dem Desktop.Wenn wir gefunden werden wollen, müssen wir dort zu finden sein. Ganz zu schweigen von der Frage, wie wichtig andere News-Kanäle für uns sein könnten. Upday etwa, der laut dem Branchenblatt Journalist wichtigsten Nachrichten-App Deutschlands, oder Apple News.

Es bedarf einer genauen Untersuchung, herauszufinden, warum unsere Reichweite online sinkt. Dazu gehört eine detaillierte technische Analyse und eine fundierte Prüfung, auch mit externer Beratung, ob wir mit besserer Suchmaschinenoptimierung nicht doch etwas ausrichten könnten. Die taz-Webmaster halten die Möglichkeiten technischer Optimierungen allerdings für kostspielig und begrenzt. Es sei insgesamt eine „ziemliche Lotterie“, sagt Fil Moritz, Teamleiter der Webmaster*innen. „Google formuliert bei ungefähr allen ihren Hinweisen zu SEO: Insofern ist das eine Maßnahme, die helfen kann, aber nicht muss.“

Eine aktivere Suchmaschinenoptimierung würde jedenfalls auch redaktionelle Abläufe beeinflussen: Möglicherweise müssten Artikel online nachbearbeitet werden, durch neue Überschriften oder neue Schlagworte in den Dachzeilen, falls Google News nicht anspringt.

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Wir müssen taz.de verbessern

Die taz-Mitarbeitenden selbst sind keine großen Fans von der Gestaltung von taz.de. Nur 12,7 Prozent halten taz.de für nutzerfreundlich, unter den Redakteur*innen sind es sogar nur 7,8 Prozent. Die taz-Webseite bietet der Redaktion auch vergleichsweise wenig Flexibilität, die journalistischen Inhalte zeitgemäß zu präsentieren. Die technische Weiterentwicklung der Seite hält schlicht nicht Schritt mit den sich verändernden Möglichkeiten und Anforderungen des Onlinejournalismus. taz.de wurde 2013 zum letzten Mal erneuert. Viele technische Limitierungen wurden bereits vor Jahren erkannt – und bleiben bestehen. Die Einführung der Mobilseite hat sich – wenig überraschend – positiv auf die Nutzer*innenzahlen ausgewirkt. Aber mit der Attraktivität bzw. Usability der Seite scheint es Probleme zu geben. Jedenfalls ist die Verweildauer auf der mobilen Seite gering. Ein*e mobil*e Nutzer*in klickt im Schnitt nur auf etwa 1,6 Seiten.

Die Webseite permanent weiterentwickeln

Es reicht heute nicht mehr, alle paar Jahre die Webseite zu relaunchen. Technische Anforderungen und Nutzungsgewohnheiten ändern sich schnell. Wir müssen taz.de in Zukunft in einer Art permanentem Relaunch schneller anpassen, und sei es, dass erst mal eine Beta-Version veröffentlicht wird. Denn: „If you are not embarrassed by the first version of your product, you’ve launched too late“, wie es der Gründer des Karrierenetzwerkes LinkedIn einmal sagte. Die Nutzer*innen können damit umgehen, und gerade die taz-Community sollte bereit sein, wertvolles Feedback zu geben, das dann rasch umgesetzt werden kann.

Dass technische Neuerungen nicht schnell genug umgesetzt werden, zeigt sich beispielhaft an einem Format, das die taz früh einsetzte und das eine Zeit lang sogar ein Markenzeichen von taz.de war: der Liveticker, etwa von politischen Großereignissen wie Protesten gegen Castortransporte. Wir setzen dafür auf taz.de aber keine spezielle Software ein, der Liveticker wird als normaler Artikel angelegt. Er kommt daher heute vergleichsweise unattraktiv daher. Vor allem ist die Bedienung sehr umständlich und langsam – ganz und gar nicht „live“.

Die technischen Grenzen sind im Grunde bei allen Elementen zu beobachten, die zeitgemäßen Onlinejournalismus ausmachen. Die Einbindung von Fotos, interaktiven Grafiken und Videos auf der Seite ist nur sehr beschränkt möglich, ganz zu schweigen von komplexeren datenjournalistischen Projekten. So kann man etwa nicht direkt von von einem Artikelteaser auf eine Unterseite zu verlinken, auf der ein Datenjournalismusprojekt veröffentlicht wird. Es gibt keine Möglichkeit, selbst Videos auf taz.de zu publizieren, es können lediglich Videos eingebunden werden, die auf externen Plattformen wie Youtube oder Vimeo veröffentlicht wurden.

Die Webseite relaunchen

Die taz-Webseite und die dahinterliegenden Arbeitsstrukturen müssen rasch auf einen Stand gebracht werden, der eine kontinuierliche Weiterentwicklung der taz.de-Seite leicht ermöglicht. Die Seite braucht grundsätzlich ein klareres Erscheinungsbild, das an den Bedürfnissen der Onlineleser*innen ausgerichtet ist.

Darüber hinaus gibt es einige konkrete Änderungsvorschläge: Onlineartikel sollten auf mehrere Seiten aufgeteilt werden. Dabei geht es weniger darum, dass dadurch die Zugriffszahlen erhöht werden. Nach außen würde das aber den Leser*innen einen Hinweis geben, wie lang der Text ist, und nach innen hätte man wie bisher im Print eine Größe, mit der man Texte planen kann („Schreib mal zwei Online-Seiten!“).

Längere und aufwendigere journalistische Formate (etwa Reportagen aus der taz am wochenende oder der täglichen „Nahaufnahme“) verdienen es, auf taz.de opulenter und ansprechender präsentiert zu werden. Kommentierende und glossierende Formate sowie Kolumnen sind in der Regel nur anhand von Stichwörtern in Dachzeile und Teaser als solche zu erkennen. Den Leser*innen wäre geholfen, wenn ihnen das Erscheinungsbild des Textes von vorneherein vermitteln würde, was für eine Art Text sie erwartet. Das ist insbesondere wichtig für Leser*innen, die per Link auf die Seite kommen und gar keine Ahnung haben, in was für einer Rubrik der Artikel veröffentlicht wurde.

Die taz wird stark als Autor*innenzeitung wahrgenommen, das haben wir bislang nicht gut aufs Netz übertragen. Lasst uns die Personalisierung auf taz.de stärken. Wieso kann man nicht künftig alle Texte einer/eines Autor*in abonnieren? Und vielleicht gleich weitere Leseempfehlungen dazu? „Lieblingsautor*in XY hat auch gelesen: Text A, B, C.“

Ein weitere, radikale Idee, die gut zur taz passen würde: Die Seite komplett werbefrei machen. Wir nehmen ohnehin vergleichsweise wenig Geld mit Onlinewerbung ein – mit sinkender Tendenz. Der Großteil der Erlöse kommt durch sogenannte Restplatzvermarktung herein: Wir nehmen rund 100.000 Euro im Jahr ein. Um diesen Bereich kümmert sich eine Person in Vollzeit. Wenn wir komplett auf Onlineanzeigen verzichten, wäre das ein enormer Imagegewinn, der die relativ geringen Einnahmeverluste vielleicht mehr als ausgleichen könnte. Während alle anderen sagen: Ihr müsst den Adblocker ausschalten, sagen wir: Ihr braucht den Adblocker gar nicht. „Eine Homepage ohne externe Werbung wäre ein Alleinstellungsmerkmal der taz, welches wir sicher gut für die Werbung für taz zahl ich nutzen können“, sagt Ralf Klever, der Leiter der EDV-Abteilung.

Momentan entfallen 40 Prozent des Datenvolumens von taz.de auf die Anzeigen. Die vielen Requests und Cookies von Vermarktern und Werbekunden würden wegfallen. Die Seite lädt ohne Werbung in 1 bis 2 Sekunden, mit Werbung dauert es 10 bis 40 Sekunden – abhängig vom Zeitpunkt, dem genutzten Browser, der Netzanbindung etc.

Das Risiko sowohl von böswilligen Angriffen auf die Nutzer*innen als auch von unbeabsichtigten Problemen durch den Fremdcode entfiele. Damit auch der erhöhte Wartungsaufwand durch die Webmaster*innen, den das mit sich bringt.

Google behauptet, sie berücksichtigen die Ladezeiten grundsätzlich bei der Bewertung, wie wertvoll eine Seite für die Nutzer*innen ist und damit beim Ranking. Wie das aber gegen andere Kriterien gewichtet wird und ob es konkret in unserem Fall überhaupt zum Tragen kommt, bleibt unbekannt.

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Sonderprojekte online mitdenken

Redaktionelle Sonderprojekte der taz werden noch immer vorrangig als Sonderseiten oder -Ausgaben geplant – also als Printprodukte. Dafür gibt es zwei Gründe: Die Abläufe sind eingeübt, bei Layout, Redaktion, im Verlag. Es gibt dafür ein eigenes Grundlayout, von Fall zu Fall sogar eigene redaktionelle Kapazitäten, sogar in Form von Stellen. Eine achtseitige ausklappbare Megataz ist in Absprache mit dem Vertrieb einfacher umzusetzen als eine einheitliche Bildsprache auf taz.de für einen begrenzten Zeitraum.

Hinzu kommt: Für Sonderausgaben gibt es eine eingeübte Vermarktung. Sie können im Einzelhandel beworben werden, die Anzeigenabteilung versucht besondere Anzeigen zu akquirieren, es werden Probeabos angeboten. Für Online gibt es keine vergleichbare Strategie. Der Versuch, das „taz zahl ich“-Overlay thematisch an eine besondere Berichterstattung anzuknüpfen – wie zum Klimagipfel in Paris im Herbst 2015 –, ist nicht geglückt. Hier müssen neue Wege gefunden werden.

In der Printzeitung machen wir uns ausführlich Gedanken darüber, wie thematische Schwerpunkte präsentiert werden. Auf taz.de gehen Sonderprojekte bislang eher unter. Wir sollten deren Onlinepräsentation in Zukunft von vornherein mitdenken.

Online mehr bieten als Text

Online wird noch immer dominiert vom geschriebenen Wort, ergänzt um einige Fotos. Das ist nicht das, was Nutzer*innen heute erwarten. Zu den beschriebenen technischen Hindernissen kommt hinzu, dass es schlicht niemanden gibt, der sich im täglichen Betrieb ernsthaft um die Produktion von multimedialen Inhalten kümmert. Videos, Audios und interaktive Grafiken werden hauptsächlich in bestimmten Projektphasen erstellt (zum Beispiel Fußball-EM oder G20) oder wenn sich ein*e oder mehrere Redakteur*innen aus eigenem Antrieb neben ihrer eigentlichen Arbeit darum kümmern. Wir müssen also schauen, dass wir diese digitalen Formate von Projekten in den Alltag bringen, es braucht für sie klare dauerhafte Zuständigkeiten und Ressourcen.

Da Videos technisch und personell relativ aufwändig sind, liegt besonders auch in Audioformaten für die taz viel Potenzial. Podcasts und ähnliche Formate werden in näherer Zukunft wohl weiter an Bedeutung gewinnen, nicht zuletzt durch die aufkommenden Sprachassistenten wie Alexa und Co. Diese sind auch mit begrenzten Mitteln qualitativ hochwertig herzustellen.

Auch im Bereich Datenjournalismus liegt großes Potenzial, wie einzelne Projekte bereits belegt haben, etwa über Fluchtrouten nach Europa oder Polizeitote. Die taz und Datenjournalismus passen zusammen. Die LeserInnen erwarten von der taz, dass sie politische, ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Missstände aufdeckt und erklärt. Hinweise auf diese Missstände werden in der Zukunft noch viel mehr als heute in großen Datensätzen versteckt sein, die man nur durchschauen kann, wenn man computergestützt arbeitet. Datenjournalismus muss man also erst einmal als einen journalistischen Zugang verstehen – der am Ende in ganz unterschiedliche Formate münden kann. Momentan fehlen in der taz allerdings nötige Freiräume und Kontinuitäten, diese Art von Journalismus zu machen. So entgehen uns taz-Geschichten.

Es bräuchte realistisch nur ein kleines Team, bestehend aus Datenjournalist*in, Programmierer*in und Webgrafiker*in, das eigenständig recherchieren, Projekte entwickeln und je nach Projekt mit weiteren Kolleg*innen aus dem Haus kooperieren kann. Entwickler*innen näher in die journalistische Arbeit einzubinden – oder Journalist*innen zu ermöglichen, programmieren zu lernen – wird eine Zukunftsherausforderung für die digitale Transformation in der taz. Datenjournalismus ist zwingend, wenn wir das Thema Digitale Demokratie besetzen wollen.

Zusätzlich zu dem Datenjournalismus-Team sollten mehr Redakteure in der Verwendung von Tools geschult werden, mit denen im Alltag relativ leicht taz.de-Artikel mit kleineren Grafiken und Diagrammen angereichert werden können.

Den taz-Moment ins Netz holen

Die Seite 1 der taz gehört fast ebenso zum Markenkern der taz wie die publizistische Unabhängigkeit unseres Hauses. Die Seite 1 ist oft überraschend, sie ist der institutionalisierte Regelbruch. Mal geht das Bild über die ganze Seite, mal ist es eine ikonografische Schwarz-Weiß-Zeichnung, mal eine alberne Collage.

Dieser taz-Moment, wie wir intern den Charakter der Seite 1 bezeichnen, findet auf taz.de praktisch nicht statt. Wenn es ihn online gibt, dann auf Facebook oder Twitter, wenn die Seite 1 geteilt wird oder unser Social-Media-Team einen kommentierenden Bildpost schafft. Etwa zur Bundestagswahl, als sie bei den ersten Prognosen die AfD in Diagrammen in Braun statt Blau markiert haben.

Spinnen wir weiter: Sollte es irgendwann keine gedruckte Tageszeitung mehr geben, wird es auch keinen täglichen taz-Moment mehr geben. Was müssen wir also tun, damit dieser die Transformation ins Digitale schafft? Für die gedruckte Zeitung ist ein Redakteur pro Tag ausschließlich mit der Entwicklung der Seite 1 beschäftigt, in enger Zusammenarbeit mit Layout und Fotoredaktion. Außerdem wird in einer kurzen Konferenz am frühen Nachmittag mit Vertreter*innen der Fachressorts die Idee der Seite 1 besprochen.

Für taz.de hieße das, einen ähnlichen Aufwand zu betreiben. Eine Webentwickler*in/-grafiker*in müsste beteiligt sein. Nun ist taz.de kein abgeschlossenes Produkt wie die gedruckte Tageszeitung. Deshalb sollte es diesen taz-Moment auch mehrmals am Tag zu taz-Schwerpunktthemen geben oder ganz ritualisiert dreimal am Tag: zum Frühstück, in der Mittagspause und vorm Abendbrot.

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Der Tag hat 24 Stunden

Wie wir unsere Arbeitsweise an die Gegenwart anpassen

Wir arbeiten in der taz heute fast so, als sei das Internet nicht erfunden worden. Die Produktion der täglich gedruckten Ausgabe setzt den Rahmen für die meisten Abläufe im Haus – angefangen beim Abgabetermin am Nachmittag für einen aktuellen Text bis hin zur Layoutabteilung, die mit Webdesign nichts zu tun hat. Online ist manchmal ein bisschen first, meistens aber very last. So ist heute keine taz zu machen. Wir müssen ein Produktionsmodell einführen, das Themen und Geschichten ins Zentrum rückt und dabei alle Veröffentlichungsplätze bedient. Dafür brauchen wir Planungsabläufe und Kommunikationswege, die besser funktionieren als eine Morgenkonferenz und ein großer Mailverteiler. Damit unsere Leser*innen online zum Frühstück frische Nachrichten von heute bekommen und nicht den Rest vom Vortag, sollten wir ein Schichtsystem einführen. Über Nachrichtenroutinen hinaus brauchen wir auch Freiräume für Projekte. Eine taz mit Behinderung oder ein deutsch-türkisches Onlinemagazin machen uns besonders. Solche Initiativen benötigen aber feste Ansprechpartner*innen, praktische Unterstützung und manchmal auch einfach ein klares Ende.

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© Judith Schwyter

„Wir sollten endlich im Redaktionsworkflow auf ‚online first‘ umstellen. Ich wäre schwer dafür.“

Anna Böcker, Social-Media-Redakteurin

Einleitung

Die taz-Redakteur*innen bezeichnen die mobile Webseite inzwischen mit Abstand als den wichtigsten Kanal der taz, noch vor der täglichen Printausgabe, 91 Prozent halten ihn für „wichtig“ oder „sehr wichtig“ (→ These Wir sind keine Zeitung mehr). Dieses durchaus erstaunliche Ergebnis der Mitarbeitendenbefragung steht in völligem Kontrast dazu, wie die allermeisten im Haus jeden Tag arbeiten. Von den Abläufen her betrachtet ist die taz weiterhin vor allem eine gedruckte Tageszeitung.

Zwar diktieren uns heute nicht mehr ausschließlich die Schlusszeiten der Druckerei. Texte entstehen inzwischen nicht mehr nur primär für Print, auch wird verstärkt über die Anforderungen an Onlinetexte gesprochen, in hausinternen Arbeitsgruppen wurden Schritte in diese Richtung erarbeitet. Doch das sind nur zaghafte Anpassungen an die Herausforderungen der Gegenwart, keine grundsätzliche Neuorientierung.

Die Organisation der journalistischen Arbeit ist in der Grundstruktur die einer klassischen Papierzeitung geblieben. Seit Oktober letzen Jahres beginnt die Redaktionskonferenz sogar eine Viertelstunde später. Die Motive dafür sind grundsätzlich richtig, den Fachressorts soll mehr Zeit gegeben werden, um den Tag für Online und Print zu planen. Aber dadurch verzögert sich je nach deren Dauer der Zeitpunkt, ab dem neue Texte geschrieben werden. Außerdem geht es bei den Diskussionen noch immer überwiegend um die Produktion von Printtexten, die dann auch online publiziert werden, aber zu selten direkt um Veröffentlichungen auf taz.de bzw. anderen Kanälen.

Der Umzug ins neue taz-Haus im Sommer 2018 bietet die Möglichkeit, Arbeitsstrukturen zu überdenken, auszuprobieren und gegebenenfalls anzupassen, bevor sich Routinen einschleichen und der Strukturkonservatismus wieder festigt. Die Chance sollten wir nutzen. Wenn nicht jetzt, wann dann.

Wir müssen die Produktion neu organisieren

Die Inhalte sind uns wichtig, wir informieren und erzählen Geschichten. Wir identifizieren Themen, über die wir berichten wollen – und landen dann ziemlich schnell bei der Frage, auf welcher Seite in der Zeitung wir den Artikel veröffentlichen wollen. Das muss sich ändern, wenn die taz den Sprung ins digitale Zeitalter schaffen will.

Die Debatten über journalistische Inhalte der nächsten Stunde, des nächsten Tages, der nächsten Wochen oder Monate muss zunächst format- und kanalunabhängig geführt werden. Dafür muss sich die inhaltliche Planung komplett von den Rhythmen und den Zwängen der Printproduktion lösen – um die beste Umsetzung der Nachricht oder Geschichte zu garantieren, ob aktuell oder langfristig. So kann sich auch die Printzeitung weiterentwickeln, aufbauend auf der 2017 eingeführten neuen Struktur und dem neuen Layout.

Im Vergleich zur Konkurrenz haben wir ein großes Privileg: Wir brauchen uns keine Gedanken zu machen, ob nun ein Text hinter einer Paywall verschwinden soll oder nicht – unsere Inhalte sind prinzipiell online. Auch gab es bei der taz nie eine eigenständige Onlineredaktion, die komplett parallel zur Printredaktion arbeitet. taz.de war immer ein weiterer Kanal neben der Zeitung, unseren Journalismus auszuspielen. Wir können nun also die Kanäle schlicht anders organisieren und gewichten.

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Online neu denken

Traditionell kommt bei der taz erst das Papier und dann das Netz. Von den Arbeitsstrukturen bis hin zur Bezahlung von freien Autor*innen nach Zeile ist alles an Print ausgerichtet. Online hing immer am Ende der Verwertungskette. Erst wenn ein Text fit to print ist, können sich die Onliner*innen ihn holen und für die Webseite aufbereiten. Inzwischen werden Texte auch „online first“ veröffentlicht. Dafür müssen sie aber fit to publish gemacht werden und die Printkolleg*innen mitspielen, wenn die Onliner*innen plötzlich darum bitten, den Text bis 12 Uhr fertig zu machen – weil ein Aufmacher fürs Internet fehlt.

Unter der Woche ist die Arbeitsaufteilung wie folgt: Fachressorts (von Inland bis Wahrheit) produzieren ihre eigenen Seiten, das Ressort taz Eins plant, betreut und produziert die Seiten 1–5 der gedruckten Ausgabe. Die Onlineredaktion mit täglich sieben Personen– besetzt von 8 bis 20 Uhr – wählt täglich ein Dutzend Texte aus der Printproduktion aus und macht die Texte für taz.de fertig und produziert neben einigen Nachrichtentickertexten zusätzlich fünf bis zehn Artikel, die zuerst oder ausschließlich online erscheinen. Printtexte, die nicht von der Onlineredaktion ausgewählt wurden, werden zum Teil in den Fachressorts produziert, teils am nächsten Tag noch vom taz.de-Ressort produziert. Manche Texte werden nie für taz.de aufbereitet, sind aber in der Archivversion trotzdem für alle zugänglich.

Ein taz.de-CvD ist für den Haupttwitteraccount der taz zuständig (@tazgezwitscher), nicht aber für den Facebook-Auftritt (außer am Wochenende, weil dann die Kommune, die Social-Media-Abteilung, nicht besetzt ist) und auch nicht für den Instagram-Account (das macht der Verlag). Aber über dieses Durcheinander können sich die Kolleg*innen gar nicht so viele Gedanken machen. Denn taz.de schwebt wie ein Raumschiff im zweiten Stock der taz und muss sich jeden Tag mit ziemlich banalen Fragen umherschlagen. Wer bezahlt den im Netz längeren Text der Korrespondentin eigentlich, wenn er in der Printzeitung dann nur kürzer erscheint? Im Zweifel müssen sie mit dem Textauftrag warten, bis das entschieden ist. Wie motiviert man den Fachredakteur, einen Text für online schneller fertig zu schreiben? Wie organisiert man das Korrekturlesen – die Korrekturabteilung ist bisher nur für die Printzeitung da? Ist ein Foto gefunden, darf man es auch benutzen? Die Fotoredaktion hat mit Online nur am Rande zu tun.

Die Arbeitsbelastung in der taz.de-Redaktion ist hoch, für eigene Texte bleibt wenig Zeit, noch weniger für Experimente. Die Unzufriedenheit ist groß, genauso wie der Personalverschleiß. Ressorleiter*innen powern sich aus und wechseln schließlich den Arbeitsgeber oder ziehen sich wieder auf einfache Redakteur*innenstellen zurück. Für strategische Planungen bleibt wenig Muße. Und die Gesamtredaktion sieht keine Notwendigkeit, Mittel umzuschichten oder das Ressort zu entlasten. Manche blicken auch herablassend auf die Kolleg*innen. Das führt zu einer Wagenburgmentalität der Onliner*innen, die auch nicht förderlich ist.

Häufig kommt am Freitag eine E-Mail, in der steht, man möge am Samstag von zusätzlichen Texten absehen, weil: genug zu tun. Das klingt seltsam abweisend, ist aber damit zu erklären, dass samstags taz.de schlicht nicht genügend Personal zur Verfügung hat, um neben der Betreuung der Webseite noch Autor*innentexte zu produzieren.

Die taz.de-Redaktion hat aus der Unzufriedenheit heraus vor kurzem einen ressortinternen Reformprozess angestoßen. Die Kolleg*innen arbeiten an unterschiedlichen Modellen, die unter anderem Verlagerung der Onlineproduktion in die Fachressorts (analog zur Printproduktion) oder Fokussierung auf Social Media beinhalten.

Um alle geforderten Aufgaben zufriedenstellend erfüllen zu können, so hatte es das Ressort vorgerechnet, müsste sein Personal verdoppelt werden. Diesen Wunsch hat die Geschäftsführung wenig überraschend bereits abgelehnt, und eine Personalaufstockung wäre auch nicht sinnvoll. Denn auch in diesem Fall würde das seltsame verschränkte Nebeneinanderher zwischen Print und Online beibehalten werden, mit den beschriebenen negativen Folgen.

Als Produktionsressort hat sich taz.de überlebt, wenn wir wirklich ernsthaft die digitalen Verbreitungswege ins Zentrum rücken wollen. Deshalb sollten wir als taz ein Produktionsmodell entwickeln, das in der Gegenwart besser funktioniert und zugleich für die Zukunft gewappnet ist.

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Ein neues Produktionsmodell entwickeln

Wenn die taz in Zukunft erfolgreich sein will, braucht sie vor allem eines: gute und relevante Artikel mit möglichst exklusivem Inhalt. Denn am Ende klickt keine*r auf taz.de, um das zu lesen, was überall steht. Und die Printzeitung muss natürlich auch inhaltlich glänzen, um gegen die große Konkurrenz im Kampf um Aufmerksamkeit und Geld eine Chance zu haben.

Bei uns gehen viele Ressourcen durch ineffiziente Arbeitsstukturen und einen zu hohen Verwaltungsaufwand in der Redaktion verloren. Das können wir uns nicht leisten. Es passiert nicht selten, dass ein Dutzend Kolleg*innen in der morgendlichen Konferenz in aller Ausführlichkeit bedauern, dass leider niemand Zeit hat, den wichtigen Text zum Thema XY zu recherchieren und zu schreiben. Dann ist fast schon Mittagessenszeit. Ein anderes Beispiel: In der Zeit, in der taz.de-Redakteur*innen mit Fachressorts verhandeln müssen, wer jetzt eigentlich welchen Anteil an einem bestimmten Artikel bezahlt, könnten die beteiligten Personen mitunter selbst je einen Text schreiben. Manchmal werden Texte sogar zweimal unabhängig voneinander redigiert.

Technisch sind wir durch das im Herbst 2015 eingeführte neue Redaktionssystem gut aufgestellt. Dieses vereinfacht es, einen Text – egal ob erst für Print oder erst für Online produziert – für den jeweils anderen Kanal zu Verfügung zu stellen. Das dauert nur wenige Minuten. Wenn eine Person denselben Text für beide Kanäle produziert, hat das den Vorteil, dass die eine Person sich nur einmal mit dem Text beschäftigen muss. Derzeit ist es etwa so, dass eine Onlineredakteurin den Text erneut lesen muss, um Titel und Teaser zu schreiben sowie ein Foto, Links und weitere Elemente einzufügen.

Die taz kann in Print und Online viel effektiver produziert werden, wenn die Strukturen angepasst und klarer werden. Wir dürfen nicht mehr in erster Linie in Veröffentlichungsplätzen denken, sondern in Themen und Geschichten. Diese werden dann in der Regel zunächst digital ausgespielt, können aber auch zuerst auf einem Platz in der Printzeitung landen, etwa in der taz am wochenende. Im neuen Workflow würde die Korrektur alle Texte lesen.

Wir haben dafür zwei mögliche Modelle angedacht, wie wir in Zukunft auf den verschiedenen Kanälen unsere journalistischen Inhalte veröffentlichen können: ein dezentrales Modell mit einer Stärkung der Ressorts und ein zentraler angelegtes mit einem Produktionsdesk.

Zentrales Produktionsmodell: Mehr Raum für Recherchen

Die taz wird von Inhalten getrieben, deshalb sollte der Fokus darauf liegen, tolle Inhalte zu generieren, die dann kompetent auf den passenden Kanälen veröffentlicht werden. Deshalb gibt es in diesem Modell eine klare Trennung von Aufgaben. Die Redakteur*innen der Fachressorts sind in Zukunft Autor*innen und Reporter*innen, die Texte recherchieren und schreiben.

Eine möglichst kleine Zahl an Redakteur*innen kümmert sich kompetent und effizient um die Produktion der Artikel. Von einem zentralen Produktionsdesk aus bespielen diese alle aktuellen Veröffentlichungskanäle (Online, Print, App und alle zukünftig neuen) und koordinieren die Arbeit mir der Redaktion der taz am wochenende. Am P-Desk sitzen auch Vertreter*innen der Fotoredaktion (print und online integriert), des Layouts und der Grafik. Auch die Kommune ist hier angedockt. Ebenso könnte hier ein Newsteam sitzen, das schnell eigene Artikel schreiben kann.

Die Ressorts sind durch entsandte Planungsredakteur*innen am P-Desk vertreten (das können die Ressortleiter*innen sein, müssen es aber nicht), so dass auch das publizistische Interesse und die inhaltliche Kompetenz der Ressorts gewahrt bleibt. Die Produktionsredakteur*innen arbeiten teils dauerhaft am Desk, teils rotieren sie für mindestens einen Monat aus den Ressorts. Das bringt zwei Vorteile mit sich. Erstens: Am P-Desk ist Fachexpertise zu vielen Themen vorhanden. Zweitens: Da auf diese Weise Fachredakteur*innen für eine Weile nicht als Autor*in zur Verfügung stehen, ergibt sich für die Ressorts die Notwendigkeit, weitere Autor*innen aufzubauen, die zu dem jeweiligen Thema Texte schreiben können. Die Expertise wird dadurch auf mehrere Köpfe verteilt und wir müssen in Zukunft weniger hören, dass zum Thema XY leider niemand etwas schreiben kann, weil der/die zuständige Fachredakteur*in leider gerade nicht da ist. Dieser Zustand wird heute in Redaktionskonferenzen immer wieder bemängelt.

Wir bekommen bei dieser Produktionsstruktur schneller bessere Artikel, weil sich die Redakteur*innen stärker auf die Recherche und das Schreiben konzentrieren können und durch die effizientere Produktion Ressourcen frei werden. Die Autor*innen müssen und sollen aber nicht unbedingt nur große eigene Geschichten schreiben, es kann auch mal der schnelle auf Agenturmaterial basierende Text sein, dem sie jedoch durch ihre Expertise oder eigenes Material Mehrwert verschaffen.

Jede*r Autor*in hat klare*n Ansprechpartner*in und muss sich nicht erst die Finger wundtelefonieren, um ein Thema absprechen zu können. Umgekehrt wird er nur vom jeweils zuständigen Planungsredakteur angesprochen, weswegen er sich besser auf seine Tätigkeit konzentrieren kann. Und wer als planender Redakteur*in ein Thema mit anderen Ressorts absprechen will, muss nicht durchs Haus irren, sondern fragt einfach seine Kolleg*innen am P-Desk – Absprachen zwischen den Ressorts sind in dieser „ständigen Redaktionskonferenz“ schnell und unbürokratisch möglich. Auch die Vertreter*innen der Kommune können Themen, die sie in den sozialen Netzwerken identifizieren, schnell und unkompliziert einbringen.

Insbesondere die Produktion der täglichen Printzeitung wird durch das P-Desk deutlich vereinfacht. Bisher hat jedes Ressort mindestens eine*n Print-Produzent*in, die nacheinander mit Fotoredaktion und Layout sprechen und dann in einem relativ kurzen Zeitfenster Texte redigieren müssen. Diese Arbeit kann am Desk effizienter organisiert werden, es braucht dafür weniger Arbeitskraft. Ein und dieselbe Person kann sich etwa um die Produktion der Online- und Printversion eines Textes kümmern, allein das spart schon eine Menge Zeit. Es kommt nicht mehr vor, dass derselbe Text zweimal redigiert wird.

Wir haben derartige Modelle regelmäßig und erfolgreich bei zeitlich begrenzten Sonderausgaben erprobt. Für den Regelbetrieb hat das Wochenend-Ressort im Sommer 2017 einen Produktionsdesk gegründet, dessen Mitglieder rotieren. Damit wurden grundsätzlich sehr gute Erfahrungen gemacht, obwohl Fotoredaktion und Layout noch nicht am P-Desk sitzen und nach wie vor Ressourcen verloren gehen, weil die CvDs für Absprachen viel telefonieren und durchs Haus rennen müssen.

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Dezentrales Produktionsmodell: Ressorts machen Online

Die Idee eines zentralen Produktionstisch hat einen Haken: die Autonomie der Ressorts in der taz. Jedes Ressort organisiert sich die tägliche Produktionsarbeit so, wie es das für richtig hält. In manchen Ressorts produziert nicht nur eine Person am Tag, in anderen immer dieselben. Was auf den Inlandsseiten in der Zeitung erscheint, bestimmt das Inland allein. Eine Zentralisierung der Produktion greift in diese autonome Struktur ein. Deshalb wäre ein weiterer Ansatz, dass die Ressorts in ihrer individuellen Organisation der Arbeit frei bleiben und aus ihren Ressorts heraus ihre Texte für taz.de produzieren. Dezentral.

Erhalten bleiben würde ein zentrales Desk mit Themenchef*in, Nachrichtenchef*in, Site-CvD – also der Person, die die Seite fährt – und einen sogenannten Org-CvD, der sich um organisatorische Fragen kümmert. So hätte jedes Ressort nicht nur die Hoheit über seine gedruckten Seiten, sondern auch über die entsprechenden Onlinerubriken.

Ein ähnlicher Ansatz wurde bereits versucht umzusetzen, das sogenannte Satellitenmodell. Die Onlineredaktion wurde bis auf die genannte Basis aufgelöst und die Redakteur*innen in die Fachressorts verteilt. Für manche hat das sehr gut funktioniert. Onlineredakteur*innen konnten zunehmend inhaltlich arbeiten und so ihre Arbeit kreativer gestalten. Andere Onlinekolleg*innen machten aber die Erfahrung, dass sie in den Fachressorts dann den gleichen Job machen mussten wie zuvor: Texte für online produzieren, als Journalist*innen fühlten sie sich nicht ernst genommen. Dieser Versuch der Print-Online-Verschränkung wurde frustriert beendet. Die Onlineredakteur*innen schlicht zu „verteilen“ ist keine erfolgversprechende Lösung.

Eine Verlagerung von Onlineaufgaben in die Ressorts muss also einhergehen mit der gleichzeitigen Verlagerung von Onlinekompetenzen. Die kann von einzelnen, neuen Personen ausgehen, aber auch von gelerntem Wissen in den Ressorts. Technische und finanzielle Unterstützung spielt dabei natürlich eine Rolle. Wenn in den Ressorts keine originäre Onlinekompetenz vorhanden ist, würde dieses Produktionsmodell im schlechtesten Falle dazu führen, dass taz.de von 8 bis 14 Uhr leer bleibt, weil die Ressorts weiterhin erst ihre Texte für die gedruckte Zeitung und dann erst fürs Netz produzieren.

Eine Artdirektion einführen

Stell dir vor, die taz bekommt ein neues Erscheinungsbild, und auf dem wichtigsten Medium, der Webseite, wird sie nicht umgesetzt. Diese Situation hatten wir im Herbst 2017. Die Hintergründe sind vielfältig. Einer ist sicherlich, dass das Erscheinungsbild der taz stets von außen erdacht wird und von Grafiker*innen im Haus dann umgesetzt wird. Oder werden müsste.

Es ist schon schwierig genug, ein extern entwickeltes Printlayout im Haus konsequent umzusetzen. Noch schwieriger ist es, wenn es nicht nur um die gedruckte Zeitung geht. Wer sich die taz in ihren verschiedenen Kanälen von außen betrachtet, wird feststellen: Sie sieht immer ein bisschen anders aus. Dass Textbilder bei Facebook das neue Logo tragen und ein neues Design bekommen haben, ist Ergebnis der Initiative einzelner Mitarbeiter*innen. Es hat drei Monate gedauert, bis das neue taz-Logo auch auf taz.de zu sehen war, bis heute findet es sich im Netz in unterschiedlichen Rottönen, z. B. bei den verschiedenenen Twitteraccounts. Auch das neue Printlayout erscheint hier und da in Varianten, die so eigentlich nicht vorgesehen sind.

Die Redaktion sieht in diesem Bereich großen Veränderungsbedarf, 70 Prozent sagen, die taz sei „überhaupt nicht“ oder „eher nicht“ visuell.

Wir brauchen also eine Artdirektion, die dafür verantwortlich ist, den optischen Auftritt der taz zu überblicken, weiterzuentwickeln und ihn auf den verschiedenen Erscheinungswegen anzupassen. Dazu gehört die Seite 1 der Wochenendausgabe genauso wie der gestaltete Zitatekasten auf Facebook und die Platzierung des Logos in Filmen. Da der Bereich Infografik im Magazinjournalismus wichtiger wird, ist es eine Überlegung wert, ob wir ihn nicht für eine engere Zusammenarbeit ins Haus holen sollten, derzeit liegt er in den Händen einer externen Agentur.

Die Artdirektion würde über Fotoredaktion und Layout stehen, die derzeit gleichermaßen gestalterische Ansprüche erheben, die in der Produktion auch gern einmal zu Streit führen. Strukturell erweist es sich auch als schwierig, dass die Fotoredaktion Teil der Redaktion ist, während das Layout zum Verlag gehört. Dabei sind Gestaltung und Layout elementare Teile des journalistischen Produkts.

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Die Korrespondent*innen stärker einbinden

Die taz hat ein weites Netz an Korrespondent*innen, deutschland- und weltweit – ein bemerkenswert großer Pool angesichts der überschaubaren Honorare, die die meisten bekommen, und ein Schatz für die tägliche, oft schnelle Berichterstattung. Der Anspruch an die Arbeit der (in der Mehrzahl freien) Korrespondent*innen ist heute aber deutlich anders als zu taz-Gründungszeiten. War es damals eine enorme Bereicherung, wenn sie an ihrem Standort die Nachrichtenlage auf Basis der lokalen Medien zusammenfassen und analysieren konnten, gelingt das im Onlinezeitalter auch Redakteur*innen in Berlin. Die Korrespondent*innen müssen heute also verstärkt eigene Ideen, Themen und möglichst exklusive Geschichten einbringen. Das ist in der jetzigen Struktur leider nicht so gut möglich.

Fest angestellte Inlandskorrespondent*innen

Inlandskorrespondent*innen sollen künftig festangestellte taz-Reporter*nnen an strategisch günstigen Standorten sein, die voll oder zumindest einen Großteil ihrer Zeit für die taz arbeiten. Im Zweifel muss dafür die Zahl der Korrespondent*innen mittelfristig verringert werden. Die Korrespondent*innen liefern je nach Bedarf für alle Ressorts vor allem gute und exklusive Vor-Ort-Geschichten, auch für die Reportageplätze. Das tun sie bisher zu wenig, mitunter auch, weil sich solche Geschichten für sie aufgrund der Bezahlung nach Zeile finanziell nicht lohnen.

Durch diese Neuerung kämen wir – ohne übermäßig großen Ressourcenaufwand – zu deutschlandweit relevanten Themen und Geschichten, die nicht in Berlin spielen. Als Autor*innen und Expert*innen für bestimmte Themen können die Korrespondent*innen nach Bedarf auch Texte schreiben, die nicht unbedingt mit ihrem direkten geografischen Berichtsgebiet zu tun haben.

Regionalreport*innen auf Zeit im Ausland

Aus finanziellen Gesichtspunkten ist es nicht realistisch, dass alle Korrespondent*innen fest angestellt sind oder eine ausreichend große Pauschale bekommen, um davon leben zu können. Ein wichtiger Schritt wäre vor diesem Hintergrund, die Bezahlung der Autor*innen vom Zeilengeld zu lösen und sich am Arbeitsaufwand zu orientieren. Andernfalls lohnen sich aufwändigere Geschichten, die wir gern aus dem Ausland hätten, für die Korrespondent*innen nicht. Es ist nicht nachvollziehbar, warum ein*e Autor*in für einen schnell geschriebenen Nachrichtentext genauso viel (bzw. wenig) Geld bezahlt bekommt wie für eine Reportage, für die viel mehr Zeit und Anstrengung investiert werden muss.

Um die Auslandsberichterstattung der taz zu erweitern, können künftig zusätzlich zu festen Korrespondent*innen zeitlich befristet (z. B. 6 Monate bis 2 Jahre) Regionalreporter*innen in momentan publizistisch als wichtig erachteten Weltregionen eingesetzt werden. Das steigert nicht nur die Qualität und Vielfalt der Berichterstattung aus jenen Regionen, sondern macht auch möglich, motivierten und gut ausgebildeten jungen Kolleg*innen (z. B. Exvolontär*innen) eine vorläufige Perspektive zu bieten, bis eine andere Stelle frei wird. In Projektform könnten wir dafür auch eine zusätzliche Finanzierung erschließen, wenn etwa Genoss*Innen oder Unterstützer der Panter Stiftung Geld beisteuern und dafür mitbestimmen können, aus welcher Region verstärkt berichtet wird. Ein Teil der Finanzierung kann dadurch gewährleistet werden, dass sie (je nach Zeitzone) taz.de-Nachtschichten übernehmen, ohne dafür nachts arbeiten zu müssen.

Wir brauchen einen neuen Arbeitsalltag

Die Orientierung auf die Produktion der Printausgabe zeigt sich exemplarisch daran, zu welcher Zeit Texte fertig werden und damit auch für online bereitstehen: Die Stoßzeit liegt zwischen 12 und 16 Uhr, also unmittelbar vor den Schlusszeiten der jeweiligen Printseiten. Texte, die früher da sind, werden von den Fachressorts zum Teil liegen gelassen und erst zum Druckschluss hin angefasst.

Bis dahin sind auf taz.de wenige eigene aktuelle Texte zu finden und manchmal erweckt die Seite sogar den Eindruck, sie sei vom Vortag. Die jüngste Neuerung nach der kleinen Strukturreform der Chefredaktion, eine Kolleg*in an den Onlinedesk zu entsenden, um schnell eigene Texte zu schreiben (der/die „Libero/a“), kann da nur sehr begrenzt gegensteuern.

Ein zweites Beispiel ist die Nachrichtenlücke zwischen Donnerstag, 18 Uhr, und Sonntag, 15 Uhr, die sich vergrößert hat durch die kleinere Zahl an Nachrichtentexten in der Print-Wochenendausgabe. Selbst wenn wir keine klassische Newsseite sein wollen: Hier fehlt Kontinuität, die nötig ist, um die Präsenz der taz online zu sichern.

Die Arbeitszeiten flexibler gestalten

Die Arbeitszeiten der meisten Ressorts orientieren sich an der Printproduktion. Aus Onlinesicht betrachtet beginnen die Ressorts zu spät, Text zu generieren. Viele Redigate beginnen meist erst wegen des Drucks durch den Seitenschluss. Aktualisiert werden Texte meist nur auf Eigeninitiative, das gegen 19.30 Uhr verschickte ePaper hat keinen eigenen Redaktionsschluss.

Für eine starke Präsenz auf taz.de und in den sozialen Medien wie auch zur Stärkung des besonders finanziell ertragreichen App ist es daher notwendig, dass auch am frühen Morgen und am Abend Personal zur Verfügung steht.

Unter den Redakteur*innen besteht nach unserer Mitarbeitendenbefragung durchaus die Bereitschaft, Früh- oder Spätschichten zu übernehmen: Spätschichten bis 22 Uhr würden fast 40 Prozent machen, Frühschichten ab 6 Uhr immerhin ein gutes Viertel. Eine schnell umsetzbare Möglichkeit wäre, ein Kernzeitenmodell einzuführen, das die Ressorts selbst organisieren: Einige Kolleg*innen könnten freiwillig früher kommen und dafür früher gehen bzw. später kommen und dafür länger bleiben, so dass eine breitere Zeitabdeckung über den Tag gewährleistet ist.

Wichtig ist grundsätzlich, dass auch die Arbeitsstrukturen in anderen Abteilungen angepasst werden, wenn die Redaktion die Arbeitszeiten ausdehnt. Bei der Reform der Wochenendausgabe etwa hat das Layout nur zögerlich Arbeitsstrukturen und-zeiten angepasst. So wechselte etwa lange Zeit die Zuständigkeit für die Gestaltung der Seite 1 ein Tag vor Ende der Produktion – und die neue Layouter*in fand dann eine andere Ästhetik besser oder hatte keine Zeit, weiter am Entwurf zu feilen.

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Unsere Kommunikation verbessern

Ein Medium in mindestens drei Geschwindigkeiten herzustellen – stundenaktuell, tagesaktuell, wochenaktuell – ist anspruchsvoll. Auch innerhalb einzelner Ressorts wird teilweise gleichzeitig in mehreren Geschwindigkeiten gearbeitet. Das scheint so weit zu klappen, jedenfalls wird die Zusammenarbeit innerhalb der Ressorts insgesamt als sehr gut bewertet. Mehr als zwei Drittel der Antwortenden gaben in der Mitarbeiter*innenbefragung dafür die Note eins oder zwei auf einer fünfstufigen Skala.

Schwieriger gestaltet sich offenbar die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Ressorts, die verschiedene Kanäle bespielen. Mehr als die Hälft der Redakteur*innen sind mit der Kooperation zwischen Print und Online nicht oder überhaupt nicht zufrieden. Im Falle der Zusammenarbeit zwischen den sogenannten aktuellen Ressorts (Inland, Wirtschaft + Umwelt, Ausland) und dem Wochenendressort beträgt dieser Wert knapp 50 Prozent.

Wir müssen also unsere Zusammenarbeit verbessern. Das betrifft die Produktion, aber auch allgemein die Kommunikation im Haus. Damit ist nicht nur der von fast 40 Prozent als „häufig zu rau“ empfundene Umgangston gemeint, sondern auch die technischen Möglichkeiten der Kommunikation und deren Organisation sind ein Problem. In unserer hausinternen Umfrage war eines der großen Themen in den freien Antwortfeldern: „Abteilungen müssten mehr miteinander kommunizieren.“

Viele wichtige Informationen dringen nicht zu den beabsichtigten Empfänger*innen durch. Die Gründe dafür sind vielfältig. In manchen Fällen geben die Ressortleiter*innen Informationen nicht weiter. Übergaben sind mitunter deshalb schwierig, weil nicht einmal die Hälfte aller Kolleg*innen im Haus in Vollzeit arbeitet. Oft ist unklar, wer gerade die*der richtige Ansprechpartner*in in einem Ressort ist, die Adressliste ist nicht unbedingt aktuell.

Es gibt Mailadressen und Mailverteiler, die in der internen Adressliste stehen und an die Kolleg*innen auch E-Mails schicken, die aber nur unregelmäßig oder gar nicht gelesen werden. Unsere interne taz-Startseite (eine Art Intranet) ist historisch gewachsen und zumindest für Nachgeborene recht unübersichtlich und sie enthält auch nicht alle wichtigen Informationen. Wer zum Beispiel nachschauen will, wie nach der Layoutreform die Eigenschreibweisen der taz lauten, findet diese Information nicht dort, sondern muss dafür in seinen Mails ein PDF-Dokument suchen, das irgendwann herumgeschickt wurde.

Es gibt auch keinen Kommunikationskanal, mit dem zuverlässig alle Mitarbeitenden erreicht werden können. Offizielle Ankündigungen bis hin zu den Einladungen zu Redaktionsversammlungen und internen Stellenausschreibungen werden standardmäßig über den „tagesthema“-Mailverteiler verschickt, aber die Mails darüber erhalten nicht alle. Eine große Minderheit von Mitarbeiter*innen hat sich – entnervt vom Klatsch und Tratsch darin – abgemeldet. Wenn es um Absprachen im kleineren Rahmen geht, ist nicht immer ersichtlich, wer in einen Mailverteiler aufgenommen wurde und wer nicht.

Wir müssen also in der taz Wege der Kommunikation erarbeiten, die einfacher, zugänglicher und übersichtlicher sind als bisher. Als Alternative zur E-Mail setzen viele Redaktionen und andere Unternehmen, in denen im Team gearbeitet wird, inzwischen das Onlinetool „Slack“ ein, bei dem Kolleg*innen wie bei einem Messenger direkt angesprochen werden können, es aber auch möglich ist, dauerhaft oder punktuell in Chaträumen zu bestimmten Themen zu diskutieren. In der taz wird bereits die Open-Source-Variante „Riot“ getestet, es sollte rasch ein Umsetzungskonzept erarbeitet werden.

Hier könnten auch neue Kolleg*innen vorgestellt werden. „Und wer bist eigentlich du?“ ist in einem Haus wie der taz mit insgesamt fast 230 Mitarbeiter*innen eine gängige Frage. Layouter*innen wissen zum Teil gar nicht, wie die Person aussieht, mit der sie gerade am Telefon die Inlandsseiten besprechen. Das verändert die Kommunikation. Bei einem Gemeinschaftsprojekt wie der taz sollte es eine zentrale Rolle spielen, dass sich Mitarbeiter*innen erkennen und kennenlernen können.

Die Einführung eines neuen zentralen Themenplanungstools geht ebenfalls in die richtige Richtung, funktioniert aber in der Praxis bisher nur eingeschränkt, weil es in der Handhabung offenbar zu kompliziert ist und nicht von allen Redakteur*innen konsequent eingesetzt wird. Hier zeigt sich eine Schwierigkeit: tazler*innen wollen nicht zu Workshops oder Weiterbildungen verpflichtet werden, so fehlt ihnen zum Teil das praktische Wissen für die tägliche Arbeit.

Vielleicht sollten wir im Zuge eines neuen Produktionsmodells auch unser Konferenzwesen konsequenter reformieren. Die große Morgenkonferenz hat Tradition und ist nicht zuletzt als soziale Plattform wichtig. Hier debattiert die taz, welche Themen an diesem Tag für sich wichtig sind. Hier werden Argumente ausgetauscht und auch einmal persönliche Erfahrungen über Hasskommentare im Netz. Für die konkrete Planung der Zeitung und der weiteren Kanäle hat die Konferenz aber de facto jetzt schon an Bedeutung verloren, weil dafür ein Treffen um 9.45 Uhr nicht mehr ausreicht und es dafür eigentlich auch zu spät am Tag stattfindet.

Vielleicht müssen wir die Morgenkonferenz noch stärker zu dem machen, was sie seit der jüngsten Blattreform zu werden verspricht: zu einem wichtigen thematischen Impulsgeber. Konkrete kleinteilige Produktionsfragen werden dann wohl auch offiziell besser auf anderem Wege geklärt. Bereits jetzt werden vor der großen Redaktionskonferenz auf kurzem Weg zwischen 9 und 9.15 Uhr die großen Themen des Tages geklärt – zwischen Nachrichten- und Themenchef*in und Vertreter*innen der Fachressorts.

Wichtig ist auch: Was auf einer Konferenz besprochen wird, muss in einem Protokoll festgehalten werden für jene Kolleg*innen, die nicht an der Konferenz teilnehmen können – wahnsinnig praktisch geteilt über das eben beschriebene Kommunikationstool.

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Wir sollten Projekte tazzig koordinieren

Die taz unterscheidet sich von anderen Medien in den Freiheiten, die einzelne Redakteur*innen haben. 70 Prozent aller tazler*innen sind voll und ganz bis eher zufrieden mit den Möglichkeiten, Ideen im Haus umzusetzen. Eine Redakteurin kann innerhalb eines Projekts Teamleiterin werden, ein Kulturredakteur zum politischen Berichterstatter.

Die taz ist ein projektfreudiges Haus. Zum Vorteil der Marke: Sonderprojekte wie taz meinland, taz gazete oder taz leicht sind unerlässlich für die Profilschärfung. Hinzu kommen noch Sonderseiten wie etwa zum Tod von Benno Ohnesorg oder zu einer Fußball-WM. Mit Projekten bleiben wir im Gespräch – mit dem nötigen Aufwand.

Ein*e Redakteur*in schrieb im Zuge unserer Umfrage: „Es gibt viele Kleinprojekte , die aber nicht mal im Haus richtig gut bekannt sind.“ So bleibt für die Handelnden oft das Erfolgsgefühl aus (etwa durch Feedback von Kolleg*innen). Stattdessen stellt sich ein Überforderungsgefühl ein: „Wenn zu viel Arbeit von zu wenigen Leuten gemacht wird, merken das oft nur die Betroffenen selbst.“

Projektarbeit normalisieren

Unzählige Projekte halten die taz lebendig – sie schlauchen aber auch, weil sie immer zusätzlich zu den alltäglichen Arbeiten kommen. Hier schlagen wir ein beherztes Lernen von Google vor: 20 Prozent der Arbeitszeit aller Redakteur*innen sollte frei für Projektarbeit sein. Das würde dem Fakt Rechnung tragen, dass Projektarbeit in der taz ohnehin für viele bereits zur redaktionellen Realität gehört – und es würde diejenigen ermuntern, die sich bisher kaum an Sonderprojekten beteiligen.

Ein Projekt kann etwa eine Sonderausgabe sein, eine Podcast-Reihe oder auch ein Praktikum in der Onlineredaktion, um zu verstehen, wie diese arbeitet. So bekommen wir Raum für Experimente. Wer weiß, vielleicht entdeckt ein*e Kolleg*in beim Rumprobieren ein journalistisches Format, das für uns perfekt geeignet ist – und dieses machen wir dann einfach immer.

Eine Jury entscheiden lassen

Quasi täglich wachsen in der taz neue Ideen und Projekte. Einen Überblick hat niemand. Manche Projekte enden einfach, weil die verantwortliche Person das Haus verlässt. Manche hängen an einer Person, ohne dass irgendjemand davon Kenntnis hat. Manche laufen gut, manche laufen schlecht. Die Gründe kennen wir nicht, aus Erfolgen wie Misserfolgen können wir nicht lernen.

Was wir liebevoll „Orchideengarten“ nennen, muss auch gepflegt werden. Was wird neu gepflanzt und welche Blume ist schon so verwelkt, dass man sie rausnehmen muss? Wir sollten uns gemeinsam für oder gegen Projekte entscheiden. Nicht jedes Mal in Form einer Mitarbeitendenversammlung, sondern indem wir für zwei Jahre eine drei- bis fünfköpfige Jury aus Redaktion und Verlag bestimmen. Diese Jury entscheidet dann alle drei Monate über die neue Projekte und die Fortführung von bereits bestehenden. Bisher werden Gelder für Projekte jeweils einzeln beantragt. Es sollte einen Projekttopf geben, den die Jury verantwortet. Wer Verantwortung trägt, entscheidet. Das ist ein altes taz-Prinzip.

Diese bewusste Entscheidung für oder gegen Projekte würde einerseits helfen, einzelne Projekte stärker zu betreuen, sie stärker zu bewerben und somit die Marke taz zu stärken. Dieser Prozess würde auch helfen, die Motivation der Mitarbeiter*innen zu sichern. Ein Grund des Gefühls der Überforderung im Haus ergibt sich auch aus der Projektvielfalt. Eine Werbeabteilung kann besser arbeiten, wenn sie drei Projekte bewerben muss anstatt zehn. Projekte sollten in Zukunft systematisch evakuiert werden. Heute lernen wir viel zu wenig aus den Fehlern, die andere schon gemacht haben, und erfinden Dinge neu, zu denen schon super Konzepte entwickelt wurden.

Den Überblick bewahren

Eine Jury kann nur einen Teil der Arbeit übernehmen, den es braucht, um Projekte zum Erfolg zu bringen und damit dann auch ordentlich auf die Kacke zu hauen (nach außen) oder sie zu verstetigen (nach innen). Dazwischen braucht es eine Projektsteuerung. Welche Beteiligte müssen informiert werden? Wann sollte das Projekt abgeschlossen sein? Und ganz banal: Wie läuft’s eigentlich so?

Wir brauchen eine*n Manager*in für die Schnittstellen von Redaktion und Technik, das, was man in anderen Häusern CvD nennt. Das Projekt, ein Datenanalysetool zu finden, das den Anforderungen der Fachabteilungen entspricht und gleichzeitig auch für ganz einfache Redakteur*innen lesbar ist, zieht sich seit fast zwei Jahren, womöglich schon länger. Hier eine Person zu haben, die sich des Projekts annimmt, mit den verantwortlichen Personen spricht, alle Anforderungen einsammelt, Sitzungen einberuft und Protokolle verschickt, würde den Prozess erheblich beschleunigen. Das ist ein eigener Job – keiner, den eine Ressortleiter*in noch nebenbei machen kann.

Diese Scharniere braucht es immer mehr. In einer zunehmend komplexeren Medienlandschaft kommen wir mit den klassischen Rollen in einem Medienhaus nicht mehr aus. Technik beeinflusst die Inhalte, Inhalte wirken auf die Technik, vor allem wenn Redaktion und Verlag sich um viele Kanäle kümmern müssen. Dazwischen muss viel abgestimmt werden.

Ähnlich ist es mit dem Überblick über redaktionelle Projekte, auch da brauchen wir eine Person, die den Überblick behält. Wir sind in der taz außerdem nicht gut darin, Dinge zu beenden. Aus Idealismus. Aus Gewohnheit. Weil der Arbeitsaufwand nicht richtig eingeschätzt wird, um das Projekt weiterbringen zu können. Hier braucht es eine Person, die nachfragt: Wie läuft’s? Wo brauchst du Hilfe?

Diese*r Projektmanager*in hat den Überblick über alle redaktionellen Projekte und würde sozusagen die Geschäftsführung der Projektjury sein. Auf die Projekte, die in dieser Runde ausgewählt werden, setzt sich die*der Projektmanager*in drauf und fragt über deren Verlauf nach. Unsere Position des Redakteurs für besondere Aufgaben erfüllt bereits die Funktion, Sonderausgaben auch mit der nötigen Organisation im Verlag zu organisieren: Pressemitteilungen, Anzeigen, Veranstaltungen und mehr. Ein*e Projektmanager*in für redaktionelle Projekte würde sich um all jene Initiativen kümmern, die unabhängig von Sonderseiten entstehen.

Einen Hub-Raum schaffen

Zahlreiche​ ​große​ ​Unternehmen​ ​verfügen​ ​​über​ ​sogenannte Hubs​ ​oder​ ​Acceleratoren.​ ​Das​ ​sind​ ​Stipendienprogramme,​ ​die​ ​jungen​ ​Start-ups​ ​für​ ​​einige​ ​Monate​ ​eine​ ​räumliche​ ​Anbindung​ ​ans​ ​Unternehmen​ ​sowie​ ​häufig Mentoring​ ​und​ ​finanzielle​ ​Unterstützung​ ​anbieten.​ ​​Die​ ​Start-ups​ ​erhalten​ ​in​ ​einer​ ​Phase​ ​der​ ​Unsicherheit​ ​dagegen​ ​einen​ ​Arbeitsraum​ ​und​ ​einen Referenz-​ ​und​ ​Bezugspunkt. Die Unternehmen​ bekommen ​so​ ​bereits​ ​in​ ​sehr​ ​frühen​ ​Phasen​ ​Einblick​ ​in​ ​interessante​ ​neue, technische​ ​Entwicklungen.

Die​ ​taz-Marke​ ​ist​ ​so​ ​stark,​ ​dass​ ​sie​ ​von​ ​einem​ ​solchen​ ​Accelerator-Programm​ ​ebenfalls profitieren​ ​könnte.​ ​In​ ​zahlreichen​ ​Feldern​ ​der​ ​digitalen​ ​Entwicklung​ ​–​ ​etwa​ ​im​ ​Hinblick​ ​auf Visualisierung,​ ​OpenData,​ ​Video-Integration​ ​–​ ​gibt​ ​es​ ​hinreichend viele​ ​auch​ ​gesellschaftspolitisch​ ​motivierte​ ​EntwicklerInnen,​ ​für​ ​die​ ​die​ ​taz​ ​ein​ ​interessanter Referenz-​ ​und​ ​Kooperationsraum​ ​sein​ ​könnte.​

Im Zentrum stünden vor allem journalistische Fragestellungen – mit innovativen technischen Antworten. Ein Modellprojekt läuft bereits – noch ohne den passenden Raum. Derzeit arbeitet die taz mit dem linken Archiv apabiz, dem Blog „Der Rechte Rand“ und der Open Knowledge Foundation zusammen an einer Recherche. Das Projekt ist auf sechs Monate angelegt und wird von uns mit 20.000 Euro unterstützt. Entstehen wird dabei eine neuartige Datenbank.

Der​ ​taz Hubraum​ ​wäre also ein​ ​Raum​ ​in​ ​der​ ​taz,​ ​in​ ​dem​ ​für​ ​die​ ​Dauer​ ​von​ ​jeweils einem bis sechs Monaten ein Team aus Redakteur*innen, Entwickler*innen und Designer*innen an einem Projekt arbeiten können. Projekte können aus der taz heraus entstehen, aber auch von anderen, aus der Open-Source-Community oder auch von freien Entwickler*innen, an uns herangetragen werden. Sie sind immer vom Inhalt getrieben, sollen aber auch jeweils einen neuen technischen Weg gehen.

Den physischen Ort für solch ein Projekt gibt es im neuen Haus: das „taz Gedächtnis“ im sechsten Stock, in den das taz-Archiv einziehen wird. So könnten Synergie-Effekte entstehen: Dort, wo Geschichte und Geschichten archiviert werden, werden auch die Ideen der Zukunft gedacht.

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Journalismus kollaborativ angehen

Im Onlinezeitalter sind Kooperationen inzwischen selbstverständlich. Es gibt mittlerweile Recherchenetzwerke wie etwa zwischen Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR oder auch zwischen Berliner Morgenpost und dem rbb. Auch in der taz gab es bereits Kooperationen mit der Redaktion des Politikmagazins „Monitor“ und dem NDR. Die Zusammenarbeit schafft Synergieeffekte, manche Recherche und Berichterstattung erfordert mehr Ressourcen, als sie ein Medienhaus hat. Kooperieren – das tun wir bereits hin und wieder, aber nicht systematisch.

Mit anderen Medien zusammenarbeiten

Aktuell ist das genannte Projekt mit dem Archiv apabiz, dem Rechten Rand und der Open Knowledge Foundation gestartet. Versuche wie dieser sind wichtig, gerade als kleinerer Player in der Medienlandschaft.

Eine weitere Form der Kooperation kann es sein, Artikel von kleineren Medien oder Special-Interest-Medien auf taz.de zu veröffentlichen und offensiv auf die Quellen zu verweisen. Für einige Medien gäbe das eine größere Aufmerksamkeit, gleichzeitig würden wir als taz unser publizistisches Angebote erweitern. Beispiele sind etwa Artikel des Magazins enorm, die auf Spiegel Online erscheinen, oder die Beiträge des Videobloggers Tarik Tesfu, der mit „Tariks Genderkrise“ auch auf bento erscheint.

Hausintern gibt es solche Kooperationen bereits mit Le Monde diplomatique und futurzwei. Angebote von außen bekommt die taz immer wieder – nur fehlt es an einer Struktur im Haus, diese Kooperationen auch zu verstetigen und zu pflegen.

Mit der Journalistenausbildung zusammenarbeiten

Immer wieder gibt es in der taz Kooperationen mit Universitäten oder anderen Einrichtungen der Journalistenausbildung. Die Nachwuchsjournalist*innen machen dann oft eine nette Beilage. Wieso binden wir nicht den Nachwuchs besser ein und lassen ihn zusammen mit uns was Tolles Neues entwickeln? Ein Storytellingformat auf taz.de oder ein Snapchat-Projekt wären Beispiele. Auch mit den renommierten Journalistenschulen, von denen regelmäßig Praktikant*innen zu uns kommen, könnten wir viel stärker projektweise zusammenzuarbeiten. Die jungen Kolleg*innen sind gut, motiviert für Experimente und freuen sich über Veröffentlichungen.

Keine Strukturen sind auch keine Lösung

Wie wir Personalentwicklung endlich ernst nehmen

Die taz ist heute kein Projekt mehr, sondern ein mittelständisches Unternehmen mit Angestellten, die Rechte haben. Etwa das Recht, dass Selbstorganisation nicht zur Selbstausbeutung wird. Auch taz-Mitarbeiter*innen wollen gesehen und wertgeschätzt werden. Auch taz-Mitarbeiter*innen wollen sich weiterentwickeln. Und dafür brauchen sie Chef*innen, die sich um sie kümmern. Und diese brauchen eine Personalabteilung, die sie bei der Mitarbeiter*innenentwicklung, Arbeitsverträgen und Stellenausschreibungen unterstützt. Wir schreiben über Arbeiter*innenkinder, Inklusion und Menschen mit Migrationsgeschichte, aber tun nicht genug dafür, dass sich Vielfalt auch unter unseren Mitarbeiter*innen widerspiegelt. Diversity ist keine Mode, sondern ein zentraler Anspruch an die taz. Nur wenn wir es schaffen, unsere weiße Biomarktwelt zu öffnen, können wir als Medium relevant bleiben.

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© Judith Schwyter

„Die taz ist ein Dschungel, in dem alles geht – wer in der taz am besten vernetzt ist oder am lautesten in den Dschungel reinruft, kommt am besten voran.“

taz-Verlags-Mitarbeiter*in in der Umfrage

Einleitung

Die Umfrage unter allen Mitarbeitenden der taz für diesen Report hatte ein widersprüchliches Ergebnis: Etwa die Hälfte der Befragten stimmten der Aussage zu, in der taz herrsche ein zu rauer Ton. Genauso viele meinten aber auch, das Klima in der taz sei sehr kollegial. Die taz kann beides: Handkuss und Arschtritt. Diese, nun ja, gewisse Schizophrenie ist sicherlich auch ein Grund, weshalb das Verhältnis zur taz ein sehr emotionales ist. Knapp 77 Prozent aller Befragten sind aus Überzeugung bei der taz. Das Herz ist bei der taz. Wenn die taz dann enttäuscht, dann fühlt es sich für manch einen wie eine Trennung von der Liebe seines Lebens an. Von der „Frau seiner Träume“, wie Fritz Teufel die taz einst nannte. Warum gehen?

Manche sind gegangen, weil sie einfach mal etwas anderes machen wollten. Manche, weil sie schlicht abgeworben wurden und die Veränderung, meistens verbunden mit einer Gehaltsverbesserung, sehr gelegen kam. Manche sind aber auch einfach gegangen, weil sie es in der taz nicht mehr ausgehalten haben. Weil die Umgangsformen nicht gingen, weil sie schlecht behandelt wurden, weil sie schlicht ausgebeutet wurden. Und manche gehen, weil sie bei der taz auf der Stelle treten.

Ein*e Mitarbeitende*r sagt: „Die Perspektive, sich weiterzuentwickeln, ist mäßig und meines Erachtens nur durch Weggang zu ermöglichen. Das führt mittel- bis langfristig dazu, dass gute Leute woanders arbeiten, die sich vorher in der taz ausprobiert und gelernt haben. Die taz ist Rekrutierungszentrum und Laboratorium zugleich. Das ist toll, aber die langfristige Qualität leidet darunter und andere Leserschichten erreicht man damit auch nicht, weder print noch online. Vorschlag: Die Arbeit muss besser entlohnt werden, und Entwicklungsperspektiven müssen klar und transparent kommuniziert werden.“

Dieses Zitat aus der Mitarbeitendenbefragung fasst die beiden Punkte zusammen, die zum Hauptfrust der Belegschaft führen: Bezahlung (→ These Mehr Kapitalismus wagen) und berufliche Weiterentwicklung. Wir brauchen Strukturen. Wer zu viel arbeitet und dafür zu wenig Feedback bekommt, der wird irgendwann frustriert. Warum reiße ich mir hier eigentlich den Arsch auf? Für das wenige Geld?

Beziehungen sind Arbeit. Beziehungen sind besonders viel Arbeit, wenn man es anders machen möchte als standardmäßig vorgesehen. Wenn nicht einfach die Frau die Putzaufgaben und die Erziehung übernimmt. Wenn nicht einfach eine Entscheidung des Chefs unhinterfragt stehen bleibt.

Die taz hat immer versucht, nicht nur die bestehenden Verhältnisse infrage zu stellen, sondern selbst auch neue zu schaffen. Sowohl in der Organisationsform als auch in der Zusammensetzung der Redaktion. Wer aber denkt, die Verhältnisse ändern sich von allein, macht es sich zu einfach. Der einfachste Weg ist immer, es so zu machen wie immer. Nur kommt dabei dann eben immer das Gleiche heraus: Geschichten von Männern über Männer. Eine vorrangig weiße Redaktion mit abgeschlossenem Studium. Wir sollten es besser machen.

Diversity gehört in unsere DNA

Die taz, das sind doch die mit der weiblichen Chefredakteurin, mit der Frauenquote. Als im September 2015 nach 16 Jahren weiblicher Chefredaktion ein Mann auf den Posten der Redaktionsleitung berufen wurde, gründete sich in der taz die Arbeitsgemeinschaft Antidiskriminierung. Gab es wirklich keine geeignete Frau für diesen Posten? Ist „wir sind bereit für einen Mann“ ein Argument? Und: Wie steht es überhaupt mit der Gleichberechtigung in der taz?

Mittlerweile sind unter der aktuellen Chefredaktion so viele Frauen in Führungspositionen wie noch nie zuvor. Schön. Aber bedeutet Diversity nicht mehr als Frauen in Führungspositionen? Die Arbeit der AG Antidiskriminierung hat sich verändert. Mittlerweile ist das Bild größer: Welche Chancen haben Nichtakademiker*innen in der taz? Warum machen wir es Menschen mit Behinderungen nicht leichter, in der taz arbeiten zu können? Und wie kriegen wir es eigentlich zusammen, dass wir Multikulti feiern, aber unter den Mitarbeitenden so weiß sind wie der Rest der Gesellschaft nicht?

Wir müssen uns fragen: Welche Bedingungen müssen für Diversity in der taz geschaffen werden? Auf Initiative und mithilfe der AG Antidiskriminierung ist im November 2017 bereits ein Prozess gestartet worden: Über 100 Mitarbeiter*innen haben an Diversity-Workshops teilgenommen, aus denen zu konkreten Themen nun AGs entstehen. Die Ergebnisse gibt es im Juni 2018.

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Warum wir die Frauenquote qualitativ messen müssen

Barbusig haben 1980 die Frauen in der taz eine Quote erstritten, die auch im Redaktionsstatut der taz verankert ist: „Es werden solange bevorzugt Redakteurinnen eingestellt, bis die Hälfte der Mitglieder des jeweiligen Ressorts Frauen sind.“ Ob die Ressorts sich auch daran halten, überprüft niemand systematisch. Mittlerweile sind auch die Führungspositionen in der taz zu 50 Prozent von Frauen besetzt. Alles ganz gleichberechtigt also. Trotzdem stimmten in der Mitarbeitendenumfrage 35,5 Prozent der Verlagsmitarbeiter*innen und 40,7 Prozent der Redaktion der Aussage zu, dass Männer und Frauen in der taz nicht dieselben Chancen haben.

Einzelne interne Erhebungen bei der Redaktionskonferenz zeigen, dass der Redeanteil von Männern mitunter 85 Prozent beträgt. Oft sind die Artikel der ersten Seiten der gedruckten taz oder die Startseite von taz.de ausschließlich mit Männern bebildert. 2014 ergab eine interne Auswertung, dass nur 35,5 Prozent der Texte in der taz von Frauen geschrieben werden. Wie diesen Widerspruch auflösen?

Nach fast 38 Jahren Frauenquote in der taz sollten wir uns also fragen, was wir noch tun können. Weil eine Quote anscheinend nicht ausreicht, um die Arbeit von Frauen in der taz gleichermaßen sichtbar zu machen wie die der männlichen Kollegen, um eine Welt zu zeigen, in der Frauen ebenfalls 50 Prozent ausmachen.

Hier ist eine gezielte Förderung wichtig – von allen Seiten. Ressortleiter*innen müssen in ihrem Bereich Themen stärken, die von Frauen besetzt werden. Stark nachgefragte Themenfelder wie Innenpolitik brauchen auch starke Autorinnen. Ein Vorschlag aus der Mitarbeitendenumfrage ist auch eine formale Änderung: „Was der taz sonst noch fehlt: ein Redaktionsstatut, das die Frauenquote nicht nach Köpfen, sondern Stellen berechnet.“

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Warum ein Panter-Volontariat nicht genug ist

Zum Thema Diversity gibt es einerseits seit Jahren Anstrengungen mit dem Panter Volontariat, junge Menschen mit besonderen Biografien in die taz zu holen. Hier wird hausintern immer wieder kritisiert, dass Volontär*innen dann aber nicht standardmäßig auch eine Stelle im Haus angeboten werden kann. So droht das Volontariat als Feigenblatt zu verkommen.

Unsere Panter Volontär*innen sind sichtbare Minderheit in der taz. Wer einer Redaktionskonferenz der taz beiwohnt, wird nicht weiße Personen im Raum an einer Hand abzählen können. Die wenigen, die in dieser Zählung dann dabei sind, machen mitunter sogar Rassismuserfahrungen mitten in der taz. Keine bös gemeinten Kommentare, klar, aber als anders markiert zu werden in einem Haus, in dem sich alle als Teil von etwas Ganzem fühlen, tut weh. Um hier das Verständnis zu stärken, auch dafür sind die Diversity Workshops da.

Beim Thema Menschen mit Migrationsgeschichte und people of color spielen die Inhalte der Zeitung ebenfalls eine Rolle. Eine ältere Forschung der Berliner Professorin Margreth Lünenborg ergab zwischen 2005 und 2008, dass in der taz im Vergleich zu anderen Medien zwar am häufigsten über Migrant*innen geschrieben wurde, aber vor allem als Opfer.

Diese Studie würde eine Aktualisierung verdienen. Trotzdem müssen wir uns fragen, ob wir auch emanzipatorische Formen finden, um über Migrant*innen, Themen von people of color zu berichten, sie schlicht in unsere Bildsprache integrieren – oder sie einfach als Expert*innen zu einem ganz anderen Thema zu Wort kommen lassen.

Warum Diversity auch den alten Knacker meint

Die Abwehrhaltung ist ja verständlich: Wenn jetzt alle auf die Jungen und Schönen schauen – was wird denn dann aus mir altem Knacker? Zum Glück haben die alten Knacker ganz gut ausgeprägte Egos und stellen sich diese Frage gar nicht so stark. Alte Frauen schon eher. Wo ist mein Platz in dieser neuen hippen Welt, in der junge Frauen rasend schnell in Führungspositionen kommen, für die ich selbst jahrelang kämpfen musste?

Diversity heißt, dass Platz und Aufmerksamkeit für alle da ist. Nicht nur für die Jungen und Schönen, auch für die Alten und Weisen. Nicht nur für Akademiker*innen. Nicht nur für Menschen ohne Behinderung. Man muss sie aber auch suchen und nicht einfach darauf warten, dass sie von allein kommen. Die Verantwortung für eine stärker gemischte Zusammensetzung der Redaktion tragen alle Ressort- und Abteilungsleiter*innen selbst.

Und wenn dann mehr von denen da sind, die die taz mehr zu einem Abbild der Gesellschaft machen, dann muss man sich auch um sie kümmern. Eine blinde Person braucht vielleicht ein paar Hilfestellungen mehr. Ein Berufsanfänger ein besonders ausgiebiges Redigat. Und der störrische alte Mann aus der Gründergeneration der taz, auch der braucht die Gewissheit, dass er noch gesehen wird.

Mitarbeitende brauchen Fürsorge

Mehr als die Hälfte der tazler*innen sind mit ihrem Job sehr oder überwiegend zufrieden: 86 Prozent der Redakteur*innen sagen, dass sie „im Großen und Ganzen“ so journalistisch arbeiten können, wie sie wollen. 75 Prozent loben ausdrücklich die Möglichkeit, eigene Ideen umzusetzen.

Sehr unzufrieden sind die Mitarbeitenden erwartungsgemäß mit dem geringen Gehalt. Mehr als die Hälfte aller tazler*innen bemängelt aber auch, dass die Arbeitsbelastung in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen sei. Und fast die Hälfte aller Mitarbeitenden sind unzufrieden mit den Möglichkeiten der beruflichen Weiterentwicklung.

Gerade wenn die einfache Option der Gehaltserhöhung nicht drin ist: Die taz muss sich mehr und intensiver um die Mitarbeiter*innen kümmern. Sie muss Strukturen entwickeln, die eine berufliche Weiterentwicklung besser ermöglichen.

Wir sollten im Haus auch stärker eine positive Evaluationskultur etablieren. Es gibt regelmäßig eine Blatt- bzw. Sitekritik, aber auf individueller Ebene gibt es wenig Rückmeldung zur Arbeit. Wieso feiern wir nicht einfach mal Texte, die besonders gut geklickt werden? Wieso loben wir nicht die Kollegin, die eine tolle Veranstaltung organisiert hat? Wieso sagen wir nicht öfter mal, wie toll wir sind?

Warum Personalentwicklung ein Job sein muss

In den offenen Kommentarfeldern unserer hausinternen Umfrage kamen am häufigsten Anmerkungen zu einem Thema, das sich unter „Personalentwicklung“ zusammenfassen lässt. Immer wieder ist im Haus der Wunsch nach einer Personalabteilung zu hören. Die haben wir nämlich nicht.

Ein Verlagsmitarbeiter wünscht sich eine Ansprechpartnerin für Personal, die nicht die Geschäftsführung ist, eine andere Mitarbeiterin möchte einen Ort, um Entwicklungsperspektiven zu besprechen: „Auch wenn es wenig Aufstiegsmöglichkeiten gibt, wollen sich Menschen ab und zu verändern und weiterentwickeln.“

Eine Personalabteilung ist aber nur ein Teil der Lösung. Eine Personalabteilung ersetzt nicht das wichtige Feedback der leitenden Kollegin. Ressortleiter*innen müssen sich um ihr Ressort kümmern. Kümmern können. Oft ist in der taz der Ansatz, dass die fleißigste Person Ressortleitung machen kann. Fleiß und Gestaltungswillen sind nur ein Aspekt von guter Führung. Ein anderer ist Empathie. Zu sehen, wenn es einer Kolleg*in schlecht geht.

Diesen genauen Blick kann keine Chefredaktion für 120 Personen liefern, auch keine Geschäftsführung für noch mal so viele Personen. Das können nur die Ressort- und Abteilungsleiter*innen für ihre Bereiche. Chefredaktion und Geschäftsführung müssen die Leitungen aber in die Lage versetzen, das tun zu können. Eine Personalabteilung würde den Ressort- und Abteilungsleiter*innen helfen, sich intensiver um Möglichkeiten zu kümmern, den Arbeitsalltag der Mitarbeitenden entsprechend den spezifischen Bedürfnissen zu verändern und zu gestalten. Und sie könnte einen Vertrag so formulieren, dass er nicht zigmal vor Unterzeichnung hin- und zurückgeschickt werden muss, weil etwas nicht stimmt.

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Warum außer Haus arbeiten auch toll ist

Allzu groß scheint der Wunsch nach einer technischen Dienstausstattung auf den ersten Blick nicht zu sein. In der Umfrage für diesen Report gaben auf die Frage, wohin Geld fließen solle, 0 Prozent der Redakteur*innen an: Kameras, Laptops, Diensthandys. Unter den Verlagsmitarbeiter*innen waren es immerhin 2 Prozent. Die Frage war auch hart: Mitarbeitende mussten sich für eine Antwort entscheiden, wohin zusätzliches Geld fließen sollte. Die große Mehrheit gab „Höhere Honorare für Mitarbeitende“ an.

Wenn die taz in der digitalen Welt unterwegs sein will, sollte sie trotzdem dafür sorgen, dass ihre Mitarbeitenden dazu in der Lage sind. Ein Dienstlaptop ist wichtig, um von unterwegs arbeiten zu können, wenn wir schneller sein wollen. Und ein Smartphone brauchen Redakteur*innen, um etwa für Liveblogs Videos, Tweets und schnelle Textbeiträge für die taz zu produzieren.

Die taz sollte den Mitarbeitenden, die das wünschen und im Arbeitsalltag benötigen, Diensthandys und/oder -laptops zur Verfügung stellen. Einen solchen Rechner wünschen sich immerhin ein Drittel der Antwortenden in unserer Befragung. Damit könnten Redakteur*innen direkt von einem Termin aus arbeiten – oder von zu Hause aus.

Insgesamt würden 37,4 Prozent der Redakteur*innen gerne mehr im Homeoffice arbeiten, von den unter 40-Jährigen sind es sogar 51,7 Prozent. Dafür braucht es die technischen Möglichkeiten (Laptop), Zugänge (VPN-Tunnel) und Richtlinien (Betriebsvereinbarung).

Die Frage, die sich direkt anschließt: Wie lässt sich eine Zeitung vom Homeoffice aus machen? Wo finden die taztypischen Debatten statt, wenn die Häfte meines Ressorts nur noch zu Hause hockt? Vorschlag: einfach ausprobieren. In unserem neuen Haus könnte ein Ressort der Testballon sein, ohne feste Computer, sondern mit Dienstlaptops, die auch mit nach Hause genommen werden können und zu jedem beliebigen Termin. Wenn das gut läuft, können wir das Konzept auf das ganze Haus übertragen.

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Warum wir über Schrebergärten sprechen müssen

Wenn wir verstärkt tolle eigene journalistische Inhalte generieren wollen, müssen wir umfassend schauen, in welchen Bereichen wir dafür Ressourcen freisetzen können. In diesem Zusammenhang sollten wir auch über die inzwischen sehr kleinteiligen Ressortstrukturen der taz nachdenken: Wir haben 14 Ressorts mit Leiter*innen in einer Doppelspitze oder ein bis zwei Stellvertreter*innen. Die Größe der Ressorts variiert zwischen knapp drei Stellen bis zu mehr als elf. Ob diese Struktur sinnvoll ist, wird im Haus nicht offen diskutiert.

Einige dieser Ressorts arbeiten sehr eng zusammen, weil sie ähnliche Themenbereiche und Seitenstrecken bespielen; andere haben weniger inhaltliche Anknüpfungspunkte oder Veröffentlichungsplätze, die sie mit niemandem teilen müssen. Dazu kommen Querschnittsressorts wie Online und das Wochenende, die auf die Zuarbeit anderer Ressorts angewiesen sind. Es ist zu prüfen, ob – gerade im Zuge einer Umstrukturierung des Produktionsmodells – ein Zusammenlegen von Ressorts Ressourcen freisetzen würde, weil dadurch zum Beispiel die Kommunikation einfacher und konfliktfreier würde und sich weniger Menschen mit Verwaltungsaufgaben beschäftigten müssten.

Transparenz macht glücklich

Unsichtbarkeit von Arbeit birgt ein großes Frustpotenzial. Das wissen wir aus feministischen Debatten (Stichwort: Care Arbeit), aber auch aus der täglichen Arbeit als Journalist*in. Etwa dann, wenn nach Wochen der Recherche ein 6000-Zeichen-Text entsteht und veröffentlicht wird.

Wenn es gut läuft, wird der Text auf der Redaktionskonferenz besprochen, auf Facebook geteilt und von Leser*innen viel kommentiert. Kann aber auch sein, niemand in der taz sagt etwas dazu und auf Facebook wird er gar nicht mehr gestellt, weil ein Häkchen im Themenplaner nicht gesetzt wurde. Und dann ist alles verpufft.

Wir täten gut daran, Journalismus weniger als Produkt und mehr als Prozess zu verstehen. So können wir einerseits die Arbeit sichtbar machen, die hinter einem einzelnen Text steht. Und wir können die Leser*innen daran teilhaben lassen, was wir tun. So können sie das auch als das wertschätzen, was es ist. Das hat nichts mit prahlerischer Nabelschau für Kolleg*innen zu tun.

Die Frage, wie gut Nichtjournalist*innen Journalismus verstehen und wertschätzen, ist eine der wichtigsten Zukunftsfragen für unseren Beruf. Wir beantworten die am besten, indem wir unseren Journalismus als einen Prozess verstehen, der auch schon mit einem Tweet von der Recherche beginnen kann, und indem wir die Sichtbarkeit der tazler*innen stärken.

Warum wir auf Köpfe setzen sollten

Die taz ist eine Autor*innenzeitung. Das bedeutet etwa, dass es keine „Blattlinie“ in Meinungsthemen gibt, sondern einzelne Meinungen der einzelnen Autor*innen. Auch kann jede*r Autor*in gendern oder nicht gendern, wie er oder sie es möchten. Die taz hat schon viele meinungsstarke Autor*innen gesehen und lässt ihnen möglichst viele Freiheiten. Die Kolumnistin Leyla Yenirce sagte im Zuge der Recherche für den Report: „Ich konnte noch nie so frei und unabhängig schreiben, wie in der taz.“

Zwei der bekanntesten Kolumnist*innen der jüngeren Zeit sind der bis vor kurzem in der Türkei inhaftierte Deniz Yücel und die mittlerweile für Spiegel Online kolumnierende Margarete Stokowski. Im Laufe der Recherche für den Report meinten immer wieder Personen aus der Zielgruppe, dass sie mit Margarete Stokowski das Medium gewechselt hätten. Würde Ulrike Herrmann das Medium wechseln (keine Aufforderung!), würden ihr sicherlich auch nicht unerheblich viele Leser*innen folgen.

Es gibt sie, diese stark nach außen wirkenden Autor*innen. Wenn man sie hat, soll man sie auch zeigen. Auch Bernd Blöbaum meint, die Köpfe der Redakteur*innen sollten bekannter gemacht werden: „Wir haben seit Jahren erfahren, dass die Leute gerne mehr aus der taz erfahren wollen.“ Gesichter schaffen Bindung, aber auch Vertrauen, so Blöbaum weiter: „Je mehr die Menschen über das Medium wissen, über die einzelnen Mitarbeiter*innen, desto leichter fällt es, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen.“

Die taz ist mehr als nur die Redaktion. Legendär waren früher etwa die Kommentare des „Säzzers“ in der taz. Ein Kollege aus dem Verlag, der munter Artikel in der Zeitung kommentiert hat – sichtbar für alle Leser*innen. Medien und vor allem wir könnten auch dadurch wieder interessanter werden, indem wir auch die zeigen, die im Hintergrund arbeiten.

Ein Geschichte kann mit einem Tweet beginnen

In der anerzogenen Angst, eine gute Rechercheidee könnte uns von einem anderen Medium geklaut werden, sprechen wir kaum über unsere Arbeit – bis zum Erscheinen des Artikels. Und selbst dann liefern wir nur ein Ergebnis. Interessante kleine Begegnungen dazwischen mit ihren Erkenntnisprozessen gehen verloren.

Im prozesshaften Journalismus sind die nächtlichen Twittereinträge aus dem Bus mit den ersten Flüchtlingen auf dem Weg zur österreichischen Grenze genauso wichtig wie die Reportage auf der Seite 3 am übernächsten Tag. Die Frage an die Leser*innen dazu, welchen Weg man bei der Eingrenzung des Themas einschlagen soll. Der Facebook-Livestream, bei dem Fragen gestellt werde können, oder die Blattkritik der Leserin in der großen Konferenz.

Es ist auch eine Veranstaltung denkbar, auf der von den Widrigkeiten der Recherche berichtet wird. In der Zeitung und auf der Webseite gibt es dafür bereits Plätze wie den Hausblog oder die „taz Sachen“ auf Seite 2, die noch besser mit solchen Hintergründen bespielt werden könnten.

Warum wir mehr Weiterbildung brauchen

Journalismus als Prozess – das ist etwas anderes, als wie wir bisher gearbeitet haben. Anders, als er an Schulen gelehrt wird. Muss ich ein Zitat auf Twitter auch autorisieren lassen? Und wie mache ich überhaupt einen Livestream, in dem ich zum Beispiel kurz von der Demonstration berichte? Gerade was den Umgang mit neuen Verbreitungswegen betrifft, gibt es noch eine gewisse Unsicherheit in der Belegschaft. Nicht einmal jede*r zweit*e Redakteur*in sagt: „Ich fühle mich den Herausforderungen der digitalen Zukunft im Journalismus gewachsen“, die jüngeren Redakteur*innen (U40) fühlen sich da nur unwesentlich besser aufgestellt als ihre älteren Kolleg*innen.

Wir brauchen daher verstärkt Fortbildungen zum Arbeiten in der digitalen Welt für alle Mitarbeitenden. Da geht es um den Umgang mit sozialen Netzwerken genauso wie Bewegtbild, Audio oder neue Veröffentlichungskanäle. Die Chefredaktion hat im vergangenen Jahr damit begonnen, der Verlag sollte für seine Mitarbeitenden nachziehen. Es braucht für diese Fortbildungsmaßnahmen eine dauerhafte Struktur.

Die taz ist eine Kommune

Wie wir die Gemeinschaft mit unseren Leser*innen neu definieren

Leser*innen als Eigentümer*innen gewinnen – das versuchen heute die Krautreporter in Deutschland und die Republik in der Schweiz. Die taz macht das schon seit 1991. Onlinejournalismus frei zugänglich lassen und zum freiwilligen Zahlen bitten – das propagiert der Guardian in Großbritannien gerade sehr erfolgreich. Und wir mit taz zahl ich schon seit 2011. Einige gute Ideen hatten wir als Erste. Aber an anderen Stellen sind wir schlecht darin, unsere Leser*innen an uns zu binden. Wir haben es bis heute nicht richtig geschafft, mit ihnen im Netz in den Dialog zu treten. Das Feedback der Leser*innen müssen wir viel stärker in unsere Arbeit integrieren – in die Entwicklung unserer Produkte, in unseren Journalismus. Wir wissen, dass die Leser*innen mehr über uns und unsere Arbeit erfahren wollen. Also sollten wir transparenter und nachvollziehbarer arbeiten als bisher. 1991 Genossenschaft, 2011 taz zahl ich. 2021 muss es ein neues Konzept für die Gemeinschaft aller Unterstützer*innen geben: die taz-Kommune – im Netz und offline.

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© Judith Schwyter

„Wir sollten über die Netzwerke das öffentliche Gespräch vielfältiger machen, auch Menschen mit einbeziehen, die sonst eher nicht öffentlich zu Wort kommen, und sie von ihren Erfahrungen berichten lassen.“

Barbara Dribbusch, taz-Redakteurin für Soziales

Einleitung

Laut einer Allensbach-Umfrage vom vergangenen Jahr glauben 42 Prozent der Deutschen, dass am „Lügenpresse“-Vorwurf zumindest ein bisschen was dran sei. Auf 42 Prozent kommt man nicht, wenn man Pegida-Demonstrant*innen, AfD-Wähler*innen und Verschwörungstheoretiker*innen addiert. 42 Prozent sind eine Vertrauenskrise. Wie also (wieder) Vertrauen schaffen?

Die Erkenntnis einer aktuellen Studie der Uni Mainz: Hosen runterlassen funktioniert. Die „Lügenpresse-Hysterie“ würde abebben, weil Medien sich nachvollziehbar machen. Auch Forschungen des Trust Projects, für die zwei Jahre lang Personen in den USA und Europa interviewt wurden, zeigen, dass die Leser*innen wissen wollen, wer eine Geschichte geschrieben oder produziert hat, welche Expertise die Autor*innen haben und ob das Medium, für das sie schreiben, eine bestimmte Richtung bedient. Verkürzt: Leser*innen mögen Hintergrundinformationen und Transparenz.

Wir als taz haben Transparenz schon immer als Prinzip. Unsere Umsätze sind für alle Genoss*innen einsichtig. Es ist ganz einfach: Freund*innen lügen nicht. Wir müssen zu unseren Leser*innen ein Vertrauensverhältnis aufbauen, mit ihnen im Austausch sein, ihnen näher kommen und sie in die Weiterentwicklung der taz mit einbeziehen.

Die taz hat das seit 1978 ja auch ganz gut drauf mit der Leser*inneneinbindung. 1978 erschien nach fünftägiger Produktionszeit in Frankfurt die erste Nullnummer der tageszeitung. Ende desselben Jahres waren bereits Bestellungen für 1.534 Voraus-Abos eingegangen. Die taz konnte also 1979 mit einem ordentlichen Vertrauensvorschuss ihrer Leser*innen in die Produktion einer täglichen Tageszeitung starten. Wir haben schon Crowdfunding betrieben, als es diesen Begriff in Deutschland noch gar nicht gab.

Der Gemeinschaftsgedanke zieht sich weiter durch die Geschichte der taz. Als 1991 die bis dahin überlebensnotwendige Berlin-Förderung wegfiel, reagierte die taz mit der taz-Genossenschaft. 3000 Gründungsmitglieder zeichneten für 3 Millionen D-Mark Anteile und retteten die taz. Das Prinzip „Menschen bezahlen für etwas Geld, ohne direkt einen Gegenwert zu erhalten“ führt im Netz taz zahl ich fort. Leser*innen bezahlen freiwillig einen regelmäßigen monatlichen Beitrag, obwohl alle Inhalte auf taz.de auch kostenlos zugänglich sind.

Wie bei keinem anderen großen Medium in Deutschland stand bei der taz der Gemeinschaftsgedanke immer im Vordergrund. Das ist das Erfolgsrezept der taz, an dem wir festhalten müssen – und ein neues Konzept für Gemeinschaft entwickeln: die Kommune der taz.

Wer ist Mitglied? Genoss*innen, Leser*innen, Mitarbeiter*innen, aber auch derjenige, der der taz nur auf Twitter folgt und sich vom Zufall seines Feeds überraschen lässt – mal ist taz drin, mal nicht. Die taz Kommune verbindet eine linksgrün versiffte Grundhaltung, wie wir wissen (→ These Keine Strukturen sind auch keine Lösung). Und eine hohe Leidenschaft. taz ist Frust und Liebe zugleich. Manche Artikel treiben unsere Leser*innen vielleicht in den Wahnsinn, andere sind so originell, dass einem ein „Dafür wurde die taz gegründet“ aus dem Mund rutscht.

Die Arbeit des Genossenschaftsteams in der taz sollte für die Kommunenarbeit unser Vorbild sein – keine E-Mail bleibt ohne Antwort, Genoss*innen können zu Redaktionskonferenzen kommen, zum Geburtstag gibt es eine Karte. Nur mit ausreichend Liebe und Aufmerksamkeit schaffen wir es, dass die taz Kommune immer weiter wächst. Bisher haben wir immer wieder kreative Wege gefunden, Unterstützung von unserer Kommune zu bekommen. Es wird Zeit, dass wir kreative Wege entwickeln, mit ihnen auch in Austausch zu treten.

Wir üben uns im Kommunizieren

Wenn die Redakteur*innen in der Vergangenheit gebeten wurden, sich mehr um die Pflege der Online-Community zu kümmern, hat das viele Fragen aufgeworfen: Wie lässt sich das in den Arbeitsalltag integrieren? Wie können Themenideen von Leser*innen regelmäßig zu Themenideen für die taz werden? Und wie gehe ich ganz persönlich damit um, wenn die Kommentare unter die Gürtellinie gehen?

So kommt es, dass nicht alle Redakteur*innen die Kommentare unter ihren Artikeln lesen oder mit ihrem Autor*innen-Profil in die Diskussion einsteigen. Teilweise sind die Autor*innenprofile nicht auf dem aktuellsten Stand oder werden gar nicht gepflegt oder genutzt. Für ein Medium, das wegen seiner Community-Arbeit schon zu analogen Zeiten bekannt war, kommt das einer Bankrotterklärung nahe. Wir haben fantastische Fachautor*innen und interessierte Leser*innen. Bringen wir sie zusammen!

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Kommentarspalten reformieren

Die taz rühmt sich, schon seit der Gründung ein analoges soziales Netzwerk zu sein. Der Austausch und Dialog mit den Leser*innen und die Debattenkultur innerhalb des Hauses waren immer eine zentrale Funktion der taz. Sie hatte eine Vorreiter*innenrolle. Wir müssten also eigentlich wissen, wie es geht. Sieht man sich aber die Kommentarspalten unter Artikeln auf taz.de an, trifft man man auf einen traurigen Ort. Wir interagieren nicht. Die Kommentarschreiber*innen bleiben unter sich. Manchmal fragen wir uns schon, warum wir die Kommentarspalte überhaupt haben.

Andere Medien versuchen verstärkt, Redakteur*innen auch als Kommentator*innen auftreten zu lassen. Einige Häuser schalten die Kommentarfunktion nur unter ausgewählten Artikeln frei. Oder nur für diejenigen Leser*innen, die auch für die Inhalte zahlen. Eine neue Idee hatte letztes Jahr der norwegische Rundfunk NRK: Die Leser*innen wurden gebeten, drei inhaltliche Fragen zu beantworten, bevor sie für die Kommentarspalte freigeschaltet wurden. Die vorausgegangene Problemanalyse war: Oft werden nur der Titel und ein paar Zeilen des Textes gelesen. Die Kommentare sind entsprechend oft ein Abbild von Reflexen statt Reflektion.

Wir müssen den Austausch mit Leser*innen im Netz weiterentwickeln. Das ist die Chance von netzbasiertem Journalismus: direkt Feedback, neue Ideen oder auch mal Unterstützung zu bekommen. Kommentarspalten sind aber nur eine Antwort auf die Frage, wie wir im Netz miteinander kommunizieren wollen. Vielleicht gibt es noch ganz andere?

Wie diese Kommunikation aussehen kann, wollen wir nicht im stillen Kämmerlein erdenken. Sondern es so angehen, wie es bisher für die taz immer am innovativsten war: Zusammen mit unseren Leser*innen. Im neu geschaffenen taz Hubraum sollte sich für drei Monate ein Team aus Redakteur*innen, Leser*innen, Entwickler*innen zusammensetzen, um ein neues Konzept zu entwerfen(→ These Der Tag hat 24 Stunden).

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tazler*innen auf unorthodoxe Mission schicken

Die Umfrage für den Report hat gezeigt: Ein Drittel der Redaktion meint, taz-Redakteur*innen sollten mehr mit ihren Leser*innen interagieren. Eine Idee dafür, wie das aussehen könnte: Wir werden zu taz-Missionar*innen. Einzelne Mitarbeiter*innen oder jedes Ressort, jede Abteilung könnte gezielt einen eigenen Fanclub aufbauen, der dazu aufgerufen wird, die taz-Inhalte in sozialen Netzwerken zu verbreiten. Auch diese „Missionar*innen“ erhalten regelmäßig eine individuelle Ansprache, um sie auf Texte aufmerksam zu machen. Sie können gleichzeitig Themen und Inhalte vorschlagen und sind explizit angehalten, unsere Inhalte weiterzuverbreiten oder in Wikipedia zu verlinken.

Man könnte dem Fanclub der taz-EDV beitreten, die dann die aus ihrer Sicht interessantesten Artikel der taz von heute teilt – und vice versa. Wichtig ist bei den Markenbotschafter*innen vor allem, dass die Fanclubs gepflegt werden, auch über Jahre. Sonst fühlen sich die Leser*innen nicht ernst genommen.

Das hätte den Effekt, dass wir gezielt nach Multiplikator*innen suchen können, die sich für die jeweiligen Fachthemen interessieren (die Nerds im EDV-Fanclub). Das könnte auch unsere Reichweite in Suchmaschinen deutlich erhöhen: Ein Text über ein Klimawandel-Thema, der vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung oder dem Deutschen Wetterdienst verlinkt wird, steigt in der Relevanz für eine Suchmaschine deutlich an, sagen die Webmaster.

Die taz-ID für alle einführen

In vielen Verlagsabteilungen gibt es Mitarbeiter*innen, die sich um die Belange unserer Kund*innen kümmern. In der Abo-Abteilung, in der Genossenschaft, bei taz zahl ich oder im taz Shop. Wir arbeiten mit unterschiedlichen technischen Systemen und strategischen Herangehensweisen. Bei uns kann ein Mensch Genossin sein, taz-Shop-Kunde, bei taz zahl ich mitmachen und auf taz.de kommentieren – die jeweilige Abteilung sieht immer nur den Ausschnitt, mit dem sie sich befasst. Dabei ist ein*e taz-Kund*in ein*e taz-Kund*in. Und für die wollen wir einen runderen Service.

Wenn Frau Güzel anruft, um ihr Abo für den Urlaub auszusetzen, kann sie gleichzeitig sagen: „Dafür bezahle ich in der Zeit gerne für taz zahl ich. Und bitte bestellen Sie den Newsletter für mich, damit ich nach meinem Urlaub weiß, was los war.“ Solche Wünsche müssen dann nicht mehr zwischen den Abteilungen hin- und hergeschoben werden und gehen möglicherweise verloren, sondern können aus einer Hand erfüllt werden.

Dafür sollte es auch eine technische Verknüpfung geben. Der Traum der EDV-Abteilung der taz sollte zum Traum des ganzen Hauses werden: die taz-ID. Mit der könnten sich Nutzer*innen in einen eigenen Bereich einloggen und dort die eigenen Abos verwalten, Beiträge hoch- oder runterstufen, Urlaube einplanen, vergangene Kommentare auf taz.de ansehen … Letztlich wäre das auch eine Entlastung für die Abteilungen im Haus, die mit unseren Kund*innen Kontakt haben.

Die taz-ID wäre auch eine Verbindung zwischen taz-Mitarbeiter*innen und Leser*innen, Genoss*innen oder anderen Unterstützer*innen. Wir hier in der taz haben schon eine taz-ID, mit der wir uns etwa auf taz.de anmelden können. Weitet man die Möglichkeit für Leser*innen, Genoss*innen und andere regelmäßige Unterstützer*innen aus, könnten diese gebrandet werden, zum Beispiel mit einem Tatzen-Tattoo auf dem Profilbild. Werden sie auf taz.de aktiv, also vor allem, wenn sie kommentieren, sind sie als Power-User erkennbar. Das unterstützt ihre Kredibilität. Und auch wenn die Möglichkeit nach wie vor besteht, sich als „Tunix202324“ zu registrieren und anonym zu posten, ist das ein Schritt, um in den Kommentarspalten Persönlichkeiten sichtbarer zu machen. Das hebt aller Erfahrung nach das Niveau der Debattenkultur.

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Wir öffnen uns

Könnte es sein, dass die taz als Produkt enttäuscht? Folgen wir der Abokurve in den nächsten Jahren weiter nach unten und der Mitgliederkurve der Genossenschaft weiter nach oben, dann heißt das irgendwann, dass die Idee taz stärker überzeugt als das journalistische Produkt. Das mag vielleicht eine Zeit lang gut gehen, rein theoretisch könnte die Marke taz in Zukunft auch ohne Journalismus überleben. Aber nur theoretisch, denn dafür wurde die taz nicht gegründet.

Die taz existiert nur durch und mit ihren Leser*innen. Dieses wertvolle Gut müssen wir nutzen, um die Bedürfnisse unserer Leser*innenschaft besser kennenzulernen. Denn nur zufriedene Leser*innen bleiben uns treu, empfehlen uns weiter und helfen uns so, zu überleben. Natürlich wollen wir keine gefällige Zeitung werden, die ihren Leser*innen nach dem Mund schreibt – doch zu wissen, was unsere Zielgruppe möchte, ist einfach eine gute Sache und macht uns stärker.

Wenn wir besser wissen, was unsere Leser*innen wollen, können wir bessere Produkte entwickeln. Wenn die taz sich analog und digital von ihren Leser*innen inspirieren und kritisieren lässt, werden wir (wieder) mehr zu einem Produkt, welches seinen Leser*innen gehört und ihre Interessen trifft. Besinnen wir uns darauf, was uns unterscheidbar macht. Unsere Anfassbarkeit. Die Leser*innen und die Nähe zu ihnen sind das Fundament der taz.

Die Leser*innen testen lassen

Es gibt viele subjektive Wahrheiten in der taz. Wenn es etwa darum geht, eine neue Mobilversion umzusetzen, wird ein Meinungsbild aus dem ganzen Haus zusammengetragen, am Ende kompromisslerisch der kleinste gemeinsame Nenner veröffentlicht. Schlau wäre es gewesen, die Leser*innen zu sogenannten Usability-Tests einzuladen, damit diejenigen, die taz.de auf ihren Mobilgeräten dann auch lesen sollen, sagen können, was für sie funktioniert und was nicht.

Im Netz lassen sich die Leser*innen leicht und schnell beteiligen. Überschriften auf taz.de könnten in zwei Varianten ausgespielt werden, ein sogenanntes AB-Testing. Das ist kein Clickbaiting, sondern schlicht der Test, welche Ansprache besser funktioniert. Genauso könnten mehrere Entwürfe der Seite 1 für die taz am wochenende einer Leser*innen-Gruppe gezeigt werden, um zu schauen, welche Variante bei denen besser ankommt, für die wir die Zeitung am Ende machen.

Das Leseverhalten sollten wir nicht nur online erforschen, sondern auch für die gedruckte Zeitung, etwa mit dem sogenannten Reader-Scan-Verfahren: Wie orientieren sich die Leser*innen auf den Seiten? Was lesen sie überhaupt und wo steigen sie aus? Welche Rubriken verstehen die Leser*innen, welche nicht? Gerade für die taz am wochenende, deren Abozahlen stagnieren, wären diese Informationen sehr wichtig.

Die Leser*innen kritisieren lassen

Innovativ wäre es auch, in der morgendlichen Redaktionssitzung nicht ausschließlich Kolleg*innen aus dem Haus und Journalist*innen anderer Häuser die Zeitung oder die Webseite kritisieren zu lassen, sondern diejenigen, von denen wir mehr haben wollen: Leser*innen – und potenzielle Leser*innen.

Professionelles Feedback ist wichtig, aber was uns fehlt, ist der Dialog mit Nichtjournalist*innen über unsere Arbeit. Also Austausch, der über lineare Formen wie Leser*innenbriefe und Kommentare hinausgeht. Mit Nichtjournalist*innen sind dabei nicht nur taz-Genoss*innen gemeint. Diejenige, die das Probeabo gerade nicht verlängert hat, ist in der Mischung vielleicht genauso wichtig wie der langjährige Abonnent oder die Abiturientin, die die taz noch nie in der Hand hatte.

Wir können interessante Personen direkt einladen: Geschichtsprofessorinnen und Landwirte, Pfleger und Start-up-Gründerinnen. Den Schreiber eines interessanten Leserbriefes oder die besonders aktive Kommentatorin.

Wir als taz erhalten dadurch mehr direkten Kontakt zu unseren Leser*innen. Also zu Menschen, die nicht aus den inneren Logiken des Medienbetriebs heraus kritisieren und uns daher vor Augen führen, wo wir unverständlich bleiben – und welche unserer Stärken wir selbst vielleicht gar nicht mehr sehen.

Wir kommen kuscheln

Ein großes Trauma der taz-Geschichte ist das Projekt NRW. Im bevölkerungsreichsten Bundesland schaffte es die Zeitung nicht, mit einer Regionalausgabe Fuß zu fassen. Geld von Genoss*innen ging verloren, Mitarbeiter*innen mussten entlassen werden. Bisher halten sich die Regionalteile in Berlin und im Norden mit Büros in Hamburg und Bremen – allerdings unter selbst tazintern besonderer Ressourcenknappheit, mit ebenfalls sinkenden Einnahmen. Muss das sein?

Die taz ist einst aus über 30 Initiativen hervorgegangen, verteilt auf ganz Westdeutschland. In ihren Anfängen war die taz also eine Art dezentrales journalistisches Netzwerk. Auch hier war die Nähe zum Lokalen damals sehr innovativ. Und könnte es wieder sein: Eine Studie der Uni Mainz zum Medienvertrauen in Deutschland von 2017 zeigt, dass das Vertrauen in den Journalismus zwar seit 2015 wieder steigt, dennoch finden viele Menschen, dass sich das, was sie in ihrem Umfeld wahrnehmen, nicht genügend in den Medien spiegelt. Die Medien hätten den Kontakt verloren.

Im vorigen Jahr sind wir mit taz meinland auf Tour durch Deutschland gegangen, haben mit Menschen in Crottendorf in Sachsen und Hagen in Nordrhein-Westfalen diskutiert. Andere Medien starteten vor der Bundestagswahl 2017 ähnliche Projekte. Ein Effekt der Präsidentschaftswahlen in den USA im Jahr davor – kaum ein Medium hatte die Wahl von Donald Trump überhaupt als möglich betrachtet. Das Anwachsen der AfD zeigte, in Deutschland ist Ähnliches möglich: eine Presse, die keine Erklärung für ein Wahlergebnis haben würde, weil man bestimmte Gebiete, bestimmte Gruppen einfach ignoriert hatte.

Medien müssen die Nähe zu den Leser*innen suchen. Lokale Berichterstattung schafft das naturgemäß am einfachsten. Weil hier gute Berichterstattung für das Publikum auch am leichtesten überprüfbar ist, kann sie Vertrauen schaffen. Das taz-Beispiel NRW zeigt aber auch: Vor Ort zu sein ist mitunter teuer. Wenn Lokaljournalismus gleich eine eigene Redaktion mit gedrucktem Regionalteil bedeutet, scheint die Zukunft dafür nicht sehr aussichtsreich. Hohe Kosten stehen einer sinkenden Auflage gegenüber.

Trotzdem brauchen wir lokalen Journalismus. Unter unseren Facebook-Fans leben die meisten in Hamburg und Berlin. Auch aus den Fokusgruppenbefragungen wissen wir, dass eine große Nachfrage besteht an Themen und Texten aus großen Städten wie Berlin und Hamburg, wo die Regionalteile diesen Bereich abdecken. Auf taz.de werden die Ressorts Nord und Berlin verhältnismäßig viel direkt über die Navigation angeklickt (Ressortreiter auf taz.de nach Klickzahl sortiert: Politik, Berlin, Gesellschaft, Nord, Kultur, Öko, Wahrheit, Sport. etracker 2017).

Die Städte erobern

In mittelgroßen, tendenziell linken Städten ohne links-kritische Lokalberichterstattung könnten wir durch ein stärkeres Einbinden unserer Korrespondent*innen vor Ort neue Zielgruppen ansprechen. Nicht nur mit Texten, sondern auch in Form von interessanten Veranstaltungen, Diskussionsrunden und Workshops.

Wir müssen uns die Städte zurückerobern! Dabei können wir ruhig kreativer werden. Die taz kann nicht nur Podiumsdiskussion. Durchs Haus schwirren schon Ideen für unkonventionellere Formate – vom Strickclub bis zum Überschriften-Workshop oder zu Public-Viewing-Events. Überraschend viele Menschen kamen am Abend der Bundestagswahl ins taz Café, um zusammen mit uns die Ergebnisse anzuschauen und zu bewerten.

Eine Art Testkanal ist die einmal pro Woche im Berlin-Teil erscheinende Leipzig-Seite. Zwei Kolleginnen vor Ort recherchieren, schreiben und produzieren jede Woche eine Seite für die in Ostdeutschland erscheinende Ausgabe und für taz.de. Die Kolleginnen treiben einen hohen Aufwand, das Marketing vor Ort oder etwa bei Facebook hält allerdings nicht Schritt, um das Projekt weiter bekannt zu machen. Wenn wir mehr in die Städte gehen wollen, müssen wir das zum schmalen Preis hinkriegen und als oberste Priorität haben, dass auch irgendwer das mitbekommt.

Derzeit erarbeitet ein Team der taz Nord an einem Report speziell zum Thema Regionaljournalismus.  Auf die Ergebnisse sind wir gespannt.

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Große Show machen

Die Welt wird immer digitaler – nicht ganz. Die Buchbranche beispielsweise erlebt einen Boom mit analogen Lesungen und Veranstaltungen. Auch in der taz können wir diesen Trend nachverfolgen. Veranstaltungen sind immer wieder rappelvoll. Teilweise, weil wir mit großen Namen wie Didier Eribon oder Laurie Penny locken können, aber auch einfach, weil unsere Themen einen Nerv treffen.

Warum gerade jetzt in der digitalisierten Welt so viele Menschen sich für ganz analoge Events interessieren? Die Recherchen für diesen Report geben nur Hinweise: In den Fokusgruppenbefragungen wurden Veranstaltungen mehrmals als gute Möglichkeit „ins Gespräch“ zu kommen erwähnt. Gerade Kontroversen seien interessant. Während in den taz-Publikationen zeitlich versetzt mal diese Meinung und mal jene zu einem Thema veröffentlicht wird, treffen sie in einer Veranstaltung aufeinander. Und wenn man selbst mitmischen möchte, kann man sich dabei direkt zu Wort melden.

2017 hat eine Entwicklungsgruppe einen Leitfaden entwickelt, was beim Planen und Durchführen einer taz-Veranstaltung zu beachten ist. Dass es eine große Lust daran gibt, lässt sich regelmäßig im taz Café sehen. 2017 gab es 68 Veranstaltungen von taz-Redakteur*innen. Die Umfrage unter Mitarbeitenden ergab, dass 68 Prozent der Redakteur*innen und 83 Prozent der Verlagsmitarbeiter*innen Veranstaltungen als journalistischen Kanal wichtig bis sehr wichtig finden. Dieser Kanal hat nur ein Problem: Ihm fehlt das Geschäftsmodell.

Bei „Spiegel Live“ in Clärchens Ballhaus in Berlin lesen und diskutieren auch unsere taz-Autor*innen – gegen Eintritt. Bei uns ist alles kostenlos. Vielleicht ist der Umzug ins neue Haus ein guter Moment, um die Kostenlos-Kultur in Sachen Veranstaltungen zu überdenken – vor allem, wenn man bedenkt, dass das Gelingen einer guten Veranstaltung – also spannende Gäste, viel Publikum, gute Berichterstattung – eine aufwändige Aufgabe ist. Warum nicht ein Veranstaltungsabo etablieren? taz-Genoss*innen und -Abonnentinnen könnten vergünstigten oder kostenlosen Eintritt erhalten. Es könnte auch einen Newsletter zu taz-Veranstaltungen geben(→ These Wir sind keine Zeitung mehr).

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Menschen verkuppeln

Von Genossinnen und Genossen kommt öfter der Wunsch, bestimmte Angebote mit anderen Genoss*innen teilen zu können. Beispiel: Wir haben ein Ferienhaus in Frankreich und wollen es ähnlich Gesinnten anbieten. Auch schlägt die Liebe unter taz-affinen Menschen immer wieder zu. Auf der Genossenschaftsversammlung 2016 verliebten sich Marlis K. und Max S., Autor Kai Lippens erhielt im Sommer 2017 als Reaktion auf seinen Artikel „Amore über sechzig“ in der Wochenendausgabe fast 100 Zuschriften von Frauen.

Es gibt einen großen Markt für Kontaktanzeigen jenseits von Tinder, Parship und Co. Etwa die alternative Partnerbörse Gleichklang, auf der Mitglieder gezielt etwa nach Veganer*innen suchen können, aber euch Reisepartner*innen oder Freundschaften finden. Auch analog haben Kontaktanzeigen noch Erfolg: „Irgendwann mache ich mir im November mein Feuer an mit taz. Und beim Knüddeln sehe ich in der Wochenendausgabe eine Kontaktanzeige: ‚Sängerin und Filzerin möchte die Liebe leben‘. Darauf habe ich geantwortet – die Anzeige war vom Mai! – und die von der taz haben es noch hingekriegt, die zuzustellen. Dann ist Claudia gekommen, wir haben zusammen Tango getanzt, […] und sie wohnt jetzt im dritten Jahr hier“ (aus „Mensch, Gottfried, der autarke Selbstversorger“, Menschen hautnah, ZDF

Warum also nicht die Community der taz besser vernetzen? Die Genossenschaft hatte die Idee bereits, wir würden sie gern weiterführen: Eine Kleinanzeigen-Internetseite oder -App für tazler*innen. Für Ferienhäuser, Wohnungen, Kontakte, Freundschaften, Verkäufe, Dienstleistungen. Die Anzeigen könnten für Genoss*innen und Abonnent*innen kostenlos sein, ansonsten vielleicht ein paar Euro pro Zeile kosten. Wir bräuchten ein Template, welches wir auf einer Seite von taz.de einbauen, mit dem die Anzeigen erstellt und angezeigt werden können. Eine gute Suchfunktion ist ebenfalls unerlässlich.

Epilog

2021 beginnt jetzt

Das hier ist kein Zukunftsplan für die taz. Wir, die Autor*innen dieses Reports, sehen diese 225.000 Zeichen Text als Beginn eines dringend notwendigen Prozesses. Wir müssen jetzt diskutieren und entscheiden, wie wir in Zukunft arbeiten. Der Umzug in unser neues Haus kommt da wie gerufen. Wir sind in Bewegung, den Schwung sollten wir nutzen. Wir alle. Die Transformation der taz ist die Aufgabe aller im Haus, sie ist kein Prozess mit Anfang und Ende, sie ist der andauernde Normalzustand. Wir machen es uns zu einfach, wenn wir darauf warten, dass „die da oben“, also Geschäftsführung und Chefredaktion, das Ding schon schaukeln werden. Entweder wollen wir Chef*innen, die entscheiden und über deren Entscheidung man sich dann aufregen kann, oder wir wollen mitbestimmen.

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Das Team hat mit vielen im Haus gesprochen und eine große Lust an Neuem gefunden. Nur – womit anfangen? Dieser Report reißt viele Themen an, außerdem haben wir viele Ideen zusammengestellt, die während der Arbeit in den vergangenen neun Monaten auftauchten. Was wie wichtig und richtig ist, darüber gibt es auch im Report-Team ganz unterschiedliche Meinungen. Wir haben uns dafür entschieden, auch Umstrittenes stehen zu lassen. Weil Ideen, die heute vielleicht auf den ersten Blick absurd wirken, zu ganz handfesten Vorschlägen heranreifen können.

Worin wir uns einig sind: Wir brauchen noch in diesem Jahr einen Wandel in der Kultur, der Struktur und der Organisation der taz.

1) Kohle

Wir müssen Geld verdienen wollen. Wenn wir so weitermachen wie bisher, können wir in drei Jahren die laufenden Kosten nicht decken. Sollte 2021 der Verkauf der gedruckten täglichen Ausgabe tatsächlich eingestellt werden, dann fehlen uns, falls sich die Entwicklung fortsetzt wie bisher, insgesamt rund 28.000 Abonnent*innen für App und ePaper und die taz am Wochenende sowie zusätzlich rund 20.000 taz zahl ich-Unterstützer*innen. Wir könnten also direkt dichtmachen oder zur Rettungskampagne aufrufen. Wir können uns von dieser Entwicklung überraschen lassen. Wir können uns aber auch darauf vorbereiten.

2) Strategie

Wir müssen eine digitale Strategie entwickeln – und umsetzen. Wir müssen Online als Gesamtaufgabe der Redaktion begreifen und organisieren. Wir müssen in diesem Jahr unsere Arbeitsweisen so umstellen, dass Texte nicht erst online gehen, nachdem sie für die Zeitung produziert worden sind. Das ist Aufgabe des ganzen Hauses. Eine entsprechende Produktionsstruktur müssen wir gemeinsam entwickeln. Die taz muss zu einer digitalen Marke werden.

3) Reichweite

Wir müssen Ja zur Reichweite sagen. Wir wollen mehr davon. Deshalb müssen wir dringend die Kommune stärken, sie als eigenes Ressort ausgründen, die an sieben Tagen in der Woche neue Zielgruppen erschließt und 100 Prozent taz gibt: Inhalt, Humor und ein enges Verhältnis zu unserem Haus. Wir brauchen Personen, die die Kunst der Suchmaschinenoptimierung beherrschen und sich mit Webdatenanalyse beschäftigen. Und wir müssen einen taz.de-Relaunch in Angriff nehmen, der den Wünschen und Bedürfnissen unserer Leser*innen entspricht und der uns endlich ermöglicht, taz-Momente auch im Netz zu leben.

Und was wird aus der gedruckten Tageszeitung? Was ist mit der Losung von Karl-Heinz Ruch, dass es diese im Jahr 2021 nicht mehr geben wird?

Diese Frage ist zweitrangig. Denn sie holt die Aufmerksamkeit zurück auf ein Produkt, an das wir uns schon viel zu lange klammern. Dieser Report schaut nicht zurück, wir schauen nach vorn. Denn die interessante Frage ist nicht, ob und wann Print stirbt, sondern wie die taz der Zukunft aussieht. Eine Idee dafür ist dieser Report. Der Report ist eine Anregung, Strukturen zu schaffen, die uns für den Wandel fit machen. Strukturen, in denen wir auch eine super Tageszeitung machen können, solange es die noch gibt. Die aber genauso gut funktionieren, wenn Print tot ist. Da spielt digitale Stärke eine Rolle, aber eben auch Personalentwicklung oder die Art, wie wir Journalismus machen.

Dieser Report liefert ein paar harte Bretter, die es zu bohren gilt. Aber auch ein paar Spanplatten. Ideen wie eine Projektjury könnten wir einfach umsetzen. Journalismus als Prozess statt als Produkt anzugehen – das ist Aufgabe jeder einzelnen Redakteurin und kann jeden Tag umgesetzt werden.

2021 beginnt jetzt. Wenn wir es wollen. Wenn es in Zukunft nicht mehr heißt „Das haben wir aber schon immer so gemacht“, sondern wenn sich jede*r Einzeln*e fragt: „Vielleicht könnte es ja auch mal ganz cool sein, es anders zu machen.“ Unsere Recherchen in der taz haben gezeigt: Viele Probleme wurden erkannt. Es gibt Bereitschaft, etwas zu ändern. Es gibt eine Lust auf Experimente. Diese Lust braucht aber eine Struktur. Verantwortliche Personen, Arbeitsgruppen, Projektaufträge. Und sie braucht natürlich Geld. Geld und Geduld.

Die Umstellung wird mit Sicherheit anstrengend, aber: Sie schafft auch neue Freiräume und mehr Arbeitszufriedenheit, sie kann Spaß machen. Wir brauchen bessere Strukturen, wenn wir das in Zukunft weiter machen wollen: guten, aufklärerischen, linken Journalismus. Dafür wurde die taz vor 40 Jahren gegründet. Es sollte sie noch weitere 40 Jahre geben. Mindestens.

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Wie es jetzt weitergeht

Dieser Report ist öffentlich. Denn: Wir wollten Austausch. Einen Monat lang konnten Mitarbeiter*innen, Leser*innen und Unterstützer*innen der taz auf dieser Seite ihre Einschätzungen mit uns teilen, Ideen einbringen. Es sind tolle Ideen dabei. Zum Beispiel die eines Soli-Abos: Dann kostet die taz zwar mehr, aber ein Teil des Geldes geht an eine NGO. Oder der Wunsch, unseren Artikeln im Netz ein ruhigeres Layout zu schenken. Manche finden, wir sollten lieber eine reduzierte Tageszeitung machen anstatt gar keine. Andere meinen: Vergesst das mit der gedruckten Tageszeitung ganz und fokussiert euch aufs Digitale.

Über zwei Monate haben wir als Gruppe alle Ressorts und Abteilungen der taz besucht, um über den Report zu sprechen. Der Report hat viele beflügelt. Aber natürlich auch für Diskussionsstoff gesorgt. Ist das nicht alles total neoliberal? Müssen die Redakteur*innen jetzt einfach noch mehr arbeiten und dann hoffen, dass die Klicks im Netz stimmen? Der Report konnte Lust auf Experimente machen. Die Idee eines linksradikalen Internetportals für junge Menschen namens Krawallo machte die Runde. Krawallo fanden manche irre gut, andere irre schlecht, es gab schon eine hausinterne Bewerbung als Redakteur dafür.

Feedback auf den Report bekamen wir auch von Branchen-Kolleg*innen. Eine Woche nach der Vorstellung des Reports innerhalb der taz Ende Februar hatten wir die Webseite für alle Interessierten zugänglich gemacht. Viele lobten die Transparenz und Schonungslosigkeit. Ein taz-Genosse schrieb uns: „Sehr gute Recherche, sehr gute Selbsteinschätzung. Toll, dass es bei der taz ohne externe Gutachter geht. Als Leser kann ich nur ja sagen, macht es, probiert es aus! Kompliment und viel Erfolg bei der Umsetzung!“

Die häufigste Frage bei allen Ressort- und Abteilungsbesuchen, bei den etwa 200 Rückmeldungen auf der Webseite des Reports, per E-Mail von Kolleg*innen, Leser*innen oder aus der Branche, war ganz eindeutig: Und wie geht’s weiter? Wir, die Reportgruppe, haben einen Prozess angestoßen, den jetzt die Verantwortungsträger*innen in der taz weiterführen können. Den Staffelstab haben wir mit der taz-Hausversammlung am 11. Juni 2018 an Geschäftsführung, Chefredaktion, Betriebsrat, Vorstand und Redak­tions­rat der taz übergeben – in Form des 151-seitigen ausgedruckten Reports mitsamt der Kommentare. Nun freuen wir uns auf die Zukunft und sagen an dieser Stelle „Tschüß!“

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Info

Hintergründe zum Report

Wie muss die taz von morgen aussehen? Mit dieser Frage auf dem Zettel hat sich im Mai 2017 ein Rechercheteam auf Initiative der Chefredaktion zusammengetan, um neben der täglichen taz-Arbeit zur Zukunft zu forschen. Ein Innovationsreport sollte entstehen, wie andere Häuser von New York Times bis Zeit ihn bereits erstellt haben. Diese hausinternen Recherchen sind meistens geheim, die Ergebnisse unter Verschluss. Weil dabei mitunter Sachen zutage treten, die man nicht unbedingt in der Öffentlichkeit wissen möchte. Die vielleicht peinlich sind. Nach außen soll alles glänzen, auch wenn es drinnen kräftig am Rauchen ist. Transparenz ist aber unser Prinzip. Wir haben nichts zu verbergen – auch nicht die vielen guten Ideen, die in diesem Report stehen.

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Dieser Report ist öffentlich, weil wir unseren Leser*innen gehören. Wir sind nicht irgendwelchen Konzerninteressen oder einzelnen Verleger*innen im Hintergrund verpflichtet, sondern den vielen Eigentümer*innen, die die taz möglich machen. Sie sollen mitbekommen, was wir vorhaben. Sie können wertvolles Feedback geben.

Basierend auf unseren Recherchen skizzieren wir in sechs Thesen, was sich in der taz ändern sollte, damit wir unseren Journalismus noch möglichst lange betreiben können. Teils haben wir sehr konkrete Vorschläge, teils Ideen, die weiter ausgearbeitet werden müssen. Aber natürlich gibt es noch viel mehr Möglichkeiten. Kann sein, dass wir sie übersehen haben, vielleicht am Ende auch weggelassen haben, weil sie uns zu utopisch erschienen oder zu kleinteilig. Es ist auch nicht auszuschließen, dass wir Dinge neu erfunden haben, für das schon längst jemand im Haus ein Konzept in der Schublade liegen hat – das wir aber nicht gefunden haben.

Wir freuen uns auf Euer Feedback! Bis zum 31. März 2018 gibt es die Möglichkeit, alle Inhalte auf dieser Seite zu kommentieren. Erst danach ist der Report vollständig: Wenn auch über die Themen darin diskutiert wurde.

Die taz-Mitarbeiter*innen unter euch werden sich fragen: Warum steht da jetzt 2021? Zuvor war mal von 2022, dann 2023 die Rede. Es gibt zwei Gründe: Uns als Reportgruppe wurde bei der Recherche klar: Es ist nicht sinnvoll, zu weit in die Zukunft zu blicken. Eine Menge Dinge sollten besser gestern als morgen verändert worden sein. Aber, so würden Moloko es singen: The time is now. Das Feld der wilden Zukunftsprognosen können andere bestellen.

Der zweite Grund: 2011 prognostizierte Karl-Heinz Ruch, Geschäftsführer der taz, dass es in zehn Jahren unter der Woche keine gedruckte taz mehr geben werde und es deshalb einen Fokus auf die Wochenendausgabe und die taz im Netz geben müsse. Kurz bevor die zehn Jahre verstrichen sind, unterziehen wir die These und die Ableitungen daraus einem Realitätscheck. Stirbt die gedruckte Tageszeitung wirklich? Und wenn ja: Wie können wir überleben, wenn die Erlöse aus Print immer weiter zusammenschmelzen?

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Wer wir sind

V.l.n.r.: Luise Strothmann, Katrin Gottschalk, Bert Schulz, Harriet Wolff, Sebastian Erb, Ingo Arzt, Nicola Schwarzmaier © Karsten Thielker

Katrin Gottschalk
kommt aus Dresden und lebt seit 2007 in Berlin. Seit April 2016 ist sie stellvertretende Chefredakteurin der taz. Inhaltlich beschäftigt sie sich am meisten mit Feminismus und den digitalen Veränderungen im Journalismus. Von 2011 bis 2016 war sie beim Missy Magazine und dort unter anderem als Chefredakteurin für den Relaunch der Webseite verantwortlich. Bei der Recherche für den Report hatte sie seit langem wieder das Gefühl, dass sich das Studium der Kulturwissenschaften doch gelohnt hat: Archive durchwühlen, teilnehmende Beobachtung, qualitative Interviews – hat alles geholfen. Erleuchtung brachten für sie die Fokusgruppengespräche mit Nichtleser*innen in Hamburg und Berlin: Was die taz von anderen Medien unterscheidet, ist Sympathie. Menschen mögen uns, selbst wenn sie uns nicht lesen. Weil wir nahbar sind und noch immer die besten Titelseiten machen. @k_gottschalk

Ingo Arzt
39, ist seit bald zehn Jahren in der taz und schreibt im Ressort Wirtschaft und Umwelt über Finanzmärkte, Klimawandel, Energiepolitik. Recherchierte in Japan, Russland und den USA. Davor war er Korrespondent in Baden-Württemberg, gründete ein Magazin, das bankrott ging, programmierte, bereiste die Welt und war sehr viel Praktikant. Verzockte sein erstes selbst verdientes Geld an der Börse und pflegt seitdem eine sehr ausgeprägte Hassliebe zum Kapitalismus. Studiert hat er, staatlich diplomiert, Elektrotechnik, danach auf der Fernuniversität Hagen Philosophie und Politik, aber ohne Abschluss. Kann mit Zahlen umgehen, rechnet gern Zeug aus. Schreibt als Hobby über alles, was im Weltall los ist. Ach ja: Ist auch mal Journalistenschüler auf der DJS in München gewesen. @Ingo_Arzt

Svenja Bergt
ist Redakteurin im Ressort Wirtschaft und Umwelt. Ihre inhaltlichen Schwerpunkte sind Themen aus dem Bereich Netzökonomie und Verbraucherschutz. Zuvor hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet.

Sebastian Erb
hat Sozialwissenschaften in Düsseldorf und Brüssel studiert und die Deutsche Journalistenschule in München absolviert. Seit 2011 ist er in der taz. Als Redakteur der taz am wochenende arbeitet er als CVD mit fremden Texten oder schreibt als Reporter selbst welche. Zusammen mit einem Kollegen recherchierte er 2016 die taz-Keyloggeraffäre und spürte den tatverdächtigen Ex-taz-Redakteur in Südostasien auf. Er hat den kürzesten Fluss der Welt nachgemessen und wurde mit der Bühnenversion dieser Geschichte erster Reporter-Slampion. Als Gastredakteur in Brasilien und Iran und bei sonstigen Recherchen im Ausland schaute er sich gern an, wie die Journalistenkolleg*innen dort arbeiten. Überrascht hat ihn, wie viele gute Ideen aus allen möglichen Bereichen es in der taz schon gab – aus denen dann aber bisher leider nichts wurde. @seberb

Bert Schulz
hat im Jahr 2000 während eines Praktikums eine der letzten wirklich existenziellen Krisen der taz miterleben dürfen, als – wie es schien von einem Tag auf den anderen – kein Geld mehr da war, um alles Wichtige zu bezahlen. Inzwischen ist er Leiter der Berliner Regionalredaktion, einem der größten Ressorts im Haus, das manchmal mehr selbst(ständig) machen muss, als ihm lieb ist. Er hat in drei Städten Politikwissenschaft studiert und vor der taz bei drei anderen Zeitungen gearbeitet. Während der Recherche des Reports hat er sich oft darüber gewundert, wie viele Medien derzeit im Blindflug in Richtung Zukunft unterwegs sind, also weder wissen, worauf sie inhaltlich und formal setzen sollen, noch wie künftig Geld verdient wird im Journalismus. @bertschulz

Nicola Schwarzmaier
arbeitete in Köln beim Fernsehen, in Berlin als Onlineredakteurin und kam 2012 zur taz. Sie begann in der Onlineredaktion, wechselte 2013 in den Verlag und betreut dort den Auftritt der Verlagsinhalte auf taz.de und in den sozialen Medien. Ende 2016 gründete sie gemeinsam mit Aline Lüllmann die Abteilung „Digitale Transformation“, die sich um die Rentabilität der taz im Digitalen kümmert. Sie glaubt: Auch wenn die taz bei digitalen Entwicklungen nicht unbedingt Vorreiterin ist, so versteckt sich unter ihrem etwas angestaubten Image doch erstaunlich viel Potenzial. Seit neun Jahren stets an ihrer Seite: Chibi, ein kleiner Mischlingshund. @alocinia

Luise Strothmann
wuchs auf einem Bauernhof auf, arbeitete in einer Hamburger Bäckerei und als Statistin am Mecklenburgischen Staatstheater. Dann studierte sie Politikwissenschaft und Journalistik und kam 2009 als Volontärin zur taz. Nach ihren ersten Texten ernannte sie ein Kollege zur Fachredakteurin für Sexualität und Landwirtschaft. 2010 wurde sie Redakteurin der Wochenendausgabe, dort betreut sie die Titelgeschichten. Seit 2016 ist sie stellvertretende Leiterin der taz am wochenende. Während der taz Report entstand, wurde ihr drittes Kind geboren. Sie ist davon überzeugt, dass Journalist*innen von Biobäuer*innen lernen können: Viele Menschen sind bereit, mehr Geld für ein Ei zu bezahlen, das nicht im Käfig gelegt wurde – seit sie wissen, dass Ei nicht gleich Ei ist. Wenn wir es als Teil unserer Arbeit verstehen, zu vermitteln, wie unabhängiger Journalismus gemacht wird, werden mehr Menschen bereit sein, uns darin zu unterstützen. @lus_berlin

Harriet Wolff
ist seit Ende 2013 Redakteurin bei der „Wahrheit“. Außerdem schreibt sie für die taz Reportagen und Kolumnen aus Gesellschaft und Politik, gern auch aus Frankreich. Eigentlich ist sie Münchnerin und hat dort auf der Deutschen Journalistenschule gelernt. Seit 1999 lebt sie als Autorin in Berlin. Zuversichtlich hat sie während der Recherche zu diesem Report gemacht, wie viele im Haus aktiv dabei sind, dass die taz sich thematisch und inhaltlich stärker öffnet – auf allen Kanälen. @Harriet12047

Wie wir gearbeitet haben

Für diesen Report sind wir verschiedenen Vermutungen nachgegangen: Irgendwie sind wir nicht digital genug. Irgendwie sind wir inhaltlich nicht so stark, wie wir es gern sein würden. Und irgendwie achten wir viel zu wenig darauf, was unsere Leser*innen von uns wollen. Also sind wir erst einmal losgezogen und haben uns angeschaut, was wir über unsere Leser*innen wissen.

Blöbaum-Befragungen

Eine wichtige Quelle waren die seit Jahren regelmäßig von Prof. Dr. Bernd Blöbaum (Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster) durchgeführten Leser*innen- und Unterstützer*innenbefragungen. Die älteste Befragung war von 2003, die neueste von 2016.

Umfrage unter allen Mitarbeitenden

Wir haben auch eine eigene Onlineumfrage in der taz durchgeführt. Zur Teilnahme an dieser Umfrage eingeladen wurden alle festangestellten Mitarbeitenden in Redaktion und Verlag (in Berlin, Hamburg und Bremen) sowie Pauschalist*innen, die in einem nennenswerten Umfang für die taz arbeiten. Abgefragt wurden u. a. Arbeitszufriedenheit, Produktzufriedenheit, Einschätzungen und Ideen zur Arbeitsorganisation. Knapp die Hälfte der Angeschriebenen hat an der Umfrage teilgenommen, was eine gute Rücklaufquote ist. Da 77 Prozent (Verlag) bzw. 69 Prozent (Redaktion) der Teilnehmenden ihr Alter angegeben haben, lassen sich einzelne Antworten (mit kleiner Einschränkung) auch auf Altersgruppen aufsplitten. Wenn eine Person eine Frage übersprungen hat, wurde diese Person bei der Auswertung dieser Frage nicht mit einberechnet.

Fokusgruppenbefragungen

In einer E-Mail hatten wir unsere Genoss*innen aufgerufen, uns mit Menschen zu verbinden, die eigentlich wunderbar zur taz passen würden, sie aber nicht lesen. Das Angebot: Zwei Wochen taz in welcher Form auch immer lesen (täglich gedruckt, gedruckt am Wochenende, in der App, im Browser) und im Anschluss mit uns darüber sprechen. Wir haben vor allem nach Frauen gesucht, nach Menschen unter 30 und nach Menschen über 60. Insgesamt 61 Personen haben sich verbindlich für eine Befragung bei uns angemeldet, mit 13 Personen sprachen wir im Rahmen von drei Fokusgruppenbefragungen in Berlin und Hamburg.

Thementische

Wir haben Workshops mit taz-Mitarbeiter*innen und externen Expert*innen organisiert, um über bestimmte Themen zu sprechen: die Weiterentwicklung der taz App, Community und Regionaljournalismus.

Grundsatzdebatte im Haus

Was heißt taz heute und morgen? Was bedeutet Haltung, ohne sich vereinnahmen zu lassen? Was bedeutet Unabhängigkeit in einem Netz? Am 9. Januar 2018, 40 Jahre nach der Vorstellung der taz beim Tunix-Kongress 1978, haben wir über diese Fragen zusammen mit sechs Gästen, Redaktion und Verlag drei Stunden lang diskutiert. Der Konferenzraum in der taz war bis in die letzte Ecke voll.

Exkursionen in die Medienwelt

Wir haben im Zuge der Recherche dutzende Expert*innen aus der Medienbranche getroffen, haben an Branchenevents teilgenommen, wir haben andere Redaktionen im In- und Ausland besucht und uns angeschaut, wie diese arbeiten. Wir haben uns in unserem eigenen Haus umgeschaut und mit aktuellen und ehemaligen taz-Mitarbeiter*innen gesprochen, wir haben Feedback von Genoss*innen bekommen und wir haben uns mit diversen kommunikationswissenschaftlichen Studien einen Überblick verschafft über Mediennutzungsverhalten, Journalismustrends und Vertrauensforschung.

Dank & Kontakt

Wir danken allen taz-Mitarbeiter*innen, allen Expert*innen, allen Leser*innen und allen Genoss*innen, die sich die Zeit genommen haben, mit uns über die Zukunft der taz zu sprechen.

Mitarbeit
Jörn Kabisch (Redigat)
Stefan Mahlke (Korrektur)
Martin Kaul (Idee taz Platin und taz Hub-Raum)

Amna Franzke, Anna Böcker, Malte Kreutzfeldt und Ulrike Hermann (Stargäste im Video)

Webseite
Judith Schwyter (Video & Bilder)
David Reissner, Kommunikation.Sanliegen (Design & Programmierung)

Kontakt
zukunft@taz.de

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