Das Gespenst der Schwarzen Hand

■ Auf dem Balkan ist ein Krieg der Hacker ausgebrochen. Keine Website ist mehr sicher, nationalistische Hetzer brechen in Webserver ein. Wer dahintersteckt, ist bislang unbekannt, im Verdacht steht auch der B

Ein Hacker-Gespenst geht um, im ehemaligen Jugoslawien – das Gespenst der Schwarzen Hand. Keiner will mit ihr etwas zu tun haben, keiner will ahnen, wer sich dahinter verbirgt, und dennoch, unaufgerufen, immer wieder an anderer Stelle schwärzt die Hand das Netz. Keine Web-Seite zwischen Skopje und Ljubljana ist vor ihr sicher.

Alle Mächte des kriegsgeschüttelten Balkan, so scheint es, haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen das Gespenst verbündet, dalmatinische Freaks und kroatische Nationalisten, slowenische Bürokraten und albanische Emigranten, Schweizer Internet-Provider und niederländische Bosnien-Unterstützer.

Der erste Gegenschlag ließ nicht lange auf sich warten: Als Rache für einen Schwarze-Hand-Anschlag auf das Sprachrohr des kroatischen Tudjman-Regimes, Vjesnik (www.vjesnik.com), verwüsteten Zagreber Hacker den Zugang zur Internetseite der Serbischen Nationalbibliothek in Belgrad. Gar nicht in Hackermanier meldeten sich die Attentäter zur selben Zeit bei den Hofschreibern des jugendlichfeindlichen Regimeblattes. Sie drohten, daß sie auf ihre Weise in „unanständigen Botschaften“ gegen die Machenschaften „serbischer Hacker-Terroristen“ auf serbischen Webseiten protestieren würden.

Zweifel, ob es sich tatsächlich nur um Computerfreaks handelt, sind angebracht. Erstmals machte die Schwarze Hand Anfang Oktober auf sich aufmerksam, als die kosovo-albanische Exilzeitschrift Zeri i Kosoves (www.zik.com) und ihr Internet-Betreiber im schweizerischen Aarau von serbischen Propagandatexten und Emblemen verhunzt wurden. Plötzlich stand auf der Startseite „Willkommen bei den größten Lügnern und Mördern der Welt“. Über dem Doppeladler des albanische Staatswappens lag die serbische Trikolore, und darunter stand: „Das bleibt noch so lange Eure Fahne, solange es Euch Albanaken noch gibt.“

Der Provider von Aarau ortete den Albaner-Hasser schon nach kurzer Zeit und konnte die Datenspur nach Polen verfolgen. Provider und Hacker gaben sich sogar ein Stelldichein über einen Chat- Kanal – mit Folgen. Denn während der Schweizer Geschäftsmann den unbekannten Eindringling zu beschwichtigen versuchte, wurde dieser immer aggressiver und drohte, die gesamten Anlagen in Aarau mit Viren zu zerstören. Um diese Drohung zu unterstreichen, ließ der polnische Erpresser aus der Ferne die Festplatte abstürzen, auf der das Archiv von Zeri i Kosoves gelagert war.

Seither ermittelt die Schweizer Bundespolizei. Sie hält es für möglich, daß hinter der Schwarzen Hand keine Hacker, sondern der Belgrader Geheimdienst SDB steht. Der Zürcher Polizeisprecher Philipp Kronig erläutert, daß nach eidgenössischem Recht der Diebstahl oder die Zerstörung ziviler Daten durch eine Organisation eines fremden Staates ein geheimdienstlicher Akt sei, für dessen Aufklärung die Staatschutzbehörde eingeschaltet werden könne, die ihrerseits mit geheimdienstlichen Methoden Klarheit in die Sache bringen müsse.

Inoffiziell ist zu hören, daß auch die Regierungen in Albanien, Makedonien, Kroatien und Slowenien ihre Nachforschungen aufgenommen haben. Überall auf dem Balkan glauben Netzbetreiber unbekannte Eindringlinge bemerkt zu haben, die vor allem politische Homepages und Foren von Friedensgruppen zum Absturz bringen wollten. Und da alles Böse derzeit aus Belgrad kommt, führen diese Anzeichen natürlich alle in die südliche Donau-Metropole.

Zu Recht? Wegen der langjährigen Kriegsabenteuer und der seit 1993 verhängten Uno-Handelssanktionen hat sich in Rest-Jugoslawien noch keine eigenständige Internet-Kultur und -Unkultur entwickelt. Was an Cyber-Strukturen existiert, wurde von westlichen Computer-Freaks mitaufgebaut, etwa vom Za-mir-Netz, („Für- Frieden“) (www.peacenet.org/balkan) oder von der holländischen Experimentiergruppe „xs4all“, die neben dem in Deutschland verbotenen Anarcho-Blatt radikal auch für unzählige Pazifistenblätter aus Serbien, Bosnien oder Kroatien Webseiten aufbereitete. Heute laufen über xs4all die Real-Audio-Versionen der in Serbien bedrohten freien Stadtradios (www.domovina.xs4all.nl/bcs/index.html).Aus diesen Kreisen kann die Schwarze Hand nicht stammen. Andere Kreise gibt es jedoch nicht. Oder doch? Gar nicht ins Bild paßt die Website, die sich der Sohn des Diktators Slobodan Milošević aufgebaut hat (www.discomadona .co.yu). Rallye-Rennfahrer Marko Milošević präsentiert sich mit Links, über die man schnell auf dubiose Welt-Verschwörungsseiten stößt. Eine davon ist die des selbsternannten Anti-Viertes-Reich- der-Deutschen- und Anti-Nato- Künstlers Andrej Tisma, der in Pop-art eine Homepage „Fürs humanitäre Bombenabwerfen auf Serbien“ entwickelt hat (members .tripod.com/aaart/bomb.htm).

Auf der anderen Seite schafft es die offizielle Propagandamaschinerie nicht, attraktive Webseiten für Surfer aufzubauen, die sich einmal den serbischen Standpunkt im blutigen Balkangemetzel zu Gemüte führen möchten. So gelingt es „Tanjug“, der Stimme des Präsidenten, bis heute nicht, Informationen klar zu strukturieren, der Real-Player für Live-Nachrichten in Serbisch und Englisch läßt sich schon seit Monaten nicht starten(www.yugoslavia.com/news/default.htm). Die Seite von Landesvater Milošević ist so öd, daß sie aus dem WWW eigentlich verbannt werden müßte

(www.sps.org.yu/ljudi/smilosevic.html),was auch für Ehefrau Mirjana (www.mmarkovic.com)gilt. In ihrem philosophischen Grundwerk, den „Geschichten zwischen Tag und Nacht“, träumt die First Lady vom Großserbischen Reich und hetzt gegen Slowenen, Kroaten, Bosnier und Albaner, verunglimpft deren politische Führer als „Separatisten“ und „Serbenhasser“, die sich mit „feindlichen Kräften in der islamischen Welt, in Deutschland und im Vatikan“ verbündet hätten – ein Link zur Schwarzen Hand würde zur Denkerin Milošević passen. Karl Gersuny

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