Timba!

■ Mit den Fanzines „ÄsicÜkorski“ und „Tell“ fallen zwei weitere Stämme aus dem alternativen Blätterwald

Examens-, Magister- und Doktorarbeiten wurden über sie geschrieben, Indizes angelegt, Kongresse veranstaltet. So manche Biografie heranwachsender Musikfanatiker wäre ohne sie nicht denkbar und – so bilden sich zumindest die Aktivisten gerne ein – die Musik, wenn nicht gar die Kulturgeschichte, wäre ohne ihren Beitrag anders verlaufen.

Doch in den letzten Jahren ging es stetig bergab mit dem Fanzine. Jener Gattung der Privatzeitschrift, die Fans für Fans schreiben und die jeden Mangel an (ortho-)grafischer, journalistischer und betriebswirtschaftlicher Kompetenz mit der bloßen Kraft des Enthusiasmus unschädlich machte, hat viel von ihrer Prominenz eingebüßt. Zwar haben es ein paar Vertreter der Zunft mit fünfstelligen Auflagen bis an den Bahnhofskiosk geschafft, doch jener alternative Blätterwald, in dem noch Anfang der Neunziger Hunderte von Bäumen und Bäumchen grünten, ist heute arg ausgedünnt. Dieses Wochenende fallen zwei weitere Stämme: die Fanzines ÄsicÜkorski und Tell stellen den Betrieb ein.

Damit die Leserschaft nicht allzu traurig ist, wird noch einmal gefeiert – mit Musik, versteht sich. Die beiden Publikationen a. D. haben neben ihren Leserschaften auch Musiker eingeladen, namentlich sind das Sonic Dragolgo aus Japan sowie Jürgen de Blonde und De Portables, beide aus Belgien. Letztere hatten sich erst kurz vor Weihnachten im Knust von einem spärlichen Publikum feiern lassen. Diesmal werden hoffentlich mehr Menschen Zeugen ihrer Songs, die mit dem feinen Auge des Feinmechanikers konstruiert und dem Dynamik-Verständnis von vier Slint-Fans gespielt werden. Intelligenter, unverkrampfter Gitarrenrock, zu dem Metronom-Besitzer ebenso wippen können wie The Sea & Cake-Anhänger.

Jürgen de Blonde kommt aus der gleichen Ecke des belgischen Musikuntergrunds zwischen Elektronik und Gitarre wie die De Portab-les. Während er des öfteren auch als Köhn auftaucht, gehört dieser Abend seiner Arbeit unter eigenem Namen. Schließlich erfreut sich seine Melange aus Laptop-Frickeleien, die durch analoge Effektgeräte gejagt werden, seiner pinkfarbenen Metall-Gitarre und sonnigen Popmelodien zurzeit großer Beliebtheit. Als Köhn ist er dann übrigens am morgigen Sonntag im Goldenen Pudel Club zu Gast.

Der dritte im Live-Bunde ist Kozaburo Narita aka Sonic Dragolgo, ein Japaner, der als Break-Beat-Rabauke in letzter Zeit Tokios Großraumdiskos rotieren lässt. Seine Durchschlagkraft bezieht er dabei zu gleichen Teilen aus einer Vergangenheit in Japans Nippon-Noise-Szene und hyperventilierenden Beatboxen.

Und weil die beiden ihren Abschied nehmenden Fanzines sich stets löblich um einen anderen Ansatz bei der Vermittlung von Musikwissen bemühten, endet das Programm des Abends auch nicht auf der Bühne. So wird neben den Auftritten ein Pop-Quiz das musikalische Wissen der Anwesenden testen, und selbstverständlich möchten es sich die RedakteurInnen nicht nehmen lassen, die eine oder andere Lieblingsplatte aufzulegen. Ob bei dem daraus entstehenden „DJ-Battle“ auch auf uneingeschränkte Solidarität abgezielt wird, ist nicht bekannt.

Gregor Kessler

 Sonnabend, 21 Uhr, Hafenklang (Große Elbstraße 84)