Urteil im Prozeß um Silvio Meiers Tod

■ Haftstrafen für Messerstecher / Gericht schließt politischen Hintergrund aus / Freunde haben kein Vertrauen in die Justiz

Unter Ausschluß der Öffentlichkeit verkündeten die Richter gestern im Prozeß um den Tod des 27jährigen Ostberliner Hausbesetzers Silvio Meier das Urteil: Die drei Angeklagten, die sich in dem Verfahren selbst als Hooligans bezeichneten, wurden zu Freiheitsstrafen von viereinhalb und dreieinhalb Jahren sowie zu acht Monaten auf Bewährung verurteilt. Der 17jährige Hauptangeklagte Sandro S., der Silvio Meier am 20.November 1992 auf dem U-Bahnhof Samariterstraße in Friedrichshain mit mehreren Messerstichen in die Brust getötet hatte, wurde des Totschlags für schuldig befunden. Die beiden Mitangeklagten, der 18jährige Sven M. und der 17jährige Alexander B., wurden wegen versuchten Totschlags beziehungsweise Körperverletzung und Beteiligung an einer Schlägerei verurteilt. Die Strafen beziehen sich darauf, daß auch zwei Freunde von Silvio Meier mit Messerstichen lebensgefährlich verletzt wurden.

Sämtliche Verhandlungstage des Jugendstrafverfahrens hatten unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattgefunden. Auch der Verlobten des Getöteten und dessen Eltern hatte der Vorsitzende Richter Lange den Zutritt zum Saal verwehrt. Dem Prozeß als Nebenkläger beizuwohnen war für sie nicht möglich, weil das im Jugendgerichtsgesetz nicht vorgesehen ist. Auf einer Kundgebung am ersten Verhandlungstag war noch einmal deutlich zum Ausdruck gekommen, daß Silvios Freunde überhaupt kein Vertrauen in die Justiz setzen. Was sie am meisten empört, ist, daß Polizei und Staatsanwaltschaft hartnäckig jeglichen politischen Tathintergrund dementierten. Denn nicht nur für Silvios unmittelbare Freunde steht fest, daß der 27jährige ganz gezielt „ermordet“ worden ist und daß die Täter „zum Umfeld organisierter Nazis“ gehören. Die Urteilsbegründung des Gerichts, die Justizsprecher Bruno Rautenberg gestern für die Presse zusammenfaßte, ist für Silvios Freunde nichts anderes als eine Bestätigung dafür, daß sie der Justiz zu Recht mißtrauten.

Laut Rautenberg haben die Richter festgestellt, daß das Geschehen „nicht schicksalhaft“ über Silvio und seine drei Begleiter kam, sondern von den später Geschädigten „mit ausgelöst“ worden sei. So habe Silvio nach einer zufälligen Begegnung und Rempelei im U-Bahnhof einem der Hooligans einen Deutschland-Aufnäher von der Jacke gerissen und den weglaufenden Mann gegen eine Wand gestoßen. Die Hooligans hätten daraufhin überlegt, ob sie Silvio und dessen Freunden hinterherlaufen sollten, und hätten zwei Butterflymesser gezogen. In diesem Moment seien die Hausbesetzer zurückgekommen, weil die U-Bahn weg war und sie ein Taxi nehmen wollten. Als die Angeklagten mit den Messern zustachen, so Rautenberg, habe die Gruppe um Silvio Meier nunmehr „berechtigte Notwehr“ geleistet. Auf die Frage nach einem politischen Tathintergrund sagte der Justizsprecher: Laut Beweisaufnahme sei keiner der Angeklagten in einer politischen Organisation. Der Umstand, daß sie in dem von rechtsgerichteten Jugendlichen frequentierten „Judith-Auer-Club“ verkehrt hätten, sei nur wegen des dortigen Alkoholkonsums vor der Tat im Urteil erwähnt worden.

Der 22jährige Ekkehard S., der durch die Messerstiche lebensgefährlich verletzt worden war, blieb gestern gegenüber der taz dabei: „Es war Mord und versuchter Mord, sie wollten uns abstechen.“ Der Angriff sei der Höhepunkt einer Serie von Angriffen von Rechten aus dem Judith-Auer-Club gewesen. Was Ekkehard S. der Justiz am meisten vorwirft, ist, daß sich die Angeklagten weder im Prozeß noch im Knast damit „auseinandersetzen müssen“, warum sie rechtsextrem seien und „weshalb sie so etwas tun“. Plutonia Plarre