Wenn eine Schule zum Flüchtlingsheim wird...

■ In Castrop–Rauxel klatschten Anwohner Beifall zum Überfall auf ein Flüchtlingsheim und fotografierten das „Schauspiel“ der Zerstörung / Bürgerinitiativen gegen und für Bangladeschi / Breite öffentliche Diskussion, Kundgebung und Demo / SPD nicht sonderlich engagiert / Kritik an städtischer Kasernierung der Flüchtlinge

Von Petra Bornhöft

Castrop–Rauxel (taz) - Durch die nächtliche Ruhe des dörflichen Stadtteils Becklem am Rande von Castrop–Rauxel knattern Motorräder. Vor der alten Schule springen acht bis zehn Behelmte von ihren Suzukis und Yamahas. Sie stürmen auf den Schulhof, reißen am Gebäude alle Außenlampen ab und unterbrechen so die Stromversorgung. Pflastersteine fliegen durch die Scheiben in Wohn– und Schlafräume von fünfzehn bengalesischen Flüchtlingen. Jemand wird durch Splitter verletzt. Im Toilettenhäuschen fliegt erst das WC–Becken zu Boden. Danach steigen die Angreifer aufs Dach und werfen Dachpfannen auf den Hof. Das geräuschvolle und lebensgefährliche „Bombardement“ gegen die Flüchtlinge stößt bei den Nachbarn nicht auf Widerspruch. Im Gegenteil, sie liegen im Fenster oder fotografieren das „Schauspiel“ von ihrer Terrasse aus. Niemand aus den umliegenden Eigenheimen verständigt die Polizei. Stattdessen sollen Anwohner Beifall geklatscht und die Täter zu weiteren Zerstörungen angefeuert haben - so jedenfalls berichteten die verschreckten Bangladeschi kurz nach dem Überfall Ende Oktober. Seither ist das „Problem Becklem“ Gegenstand heftiger Diskussionen in der ganzen Stadt. „Anwohner mauern“ Bisher ergebnislos indes fahndet die Kripo nach den Tätern. Wohl auch deshalb, „weil die Anwohner mauern“, so ein Polizeisprecher. Die solchermaßen Beschuldigten wehren sich, sie hätten fest geschlafen und nichts gehört. Das sagen Hausbesitzer, deren Grundstück unmittelbar an die Schule grenzt, und die sich öffentlich darüber beschweren, seit Ankunft der Flüchtlinge nachts immer wieder „durch lautes Räuspern“ der Bengalesen geweckt zu werden. Aufmerksam verfolgten die Nachbarn jede Bewegung der Asiaten, „litten“ beim Kaffeetrinken unter dem Anblick „nackter Oberkörper im Freien“, sahen gar, wie jemand „direkt neben unserem Swimmingpool sein kleines Geschäft“ verrichtete. Kein Zweifel, daß Flüchtlinge, „egal ob Inder, Syrer oder Neger“ in Becklem unerwünscht sind. Als im August nämlich bekannt wurde, daß die Schule übergangsweise als Flüchtlingsunterkunft dienen sollte, protestierte die frisch gegründete „Interessengemeinschaft Becklemer Bürger“ (IG) bei der Stadt. In Briefen, anonymen Flugblättern und über die Lokalpresse mobilisierten die Rechtschaffenen gegen eine „Nutzungsänderung der Schule“. „In unserem reinen Wohngebiet ist ein Asylantenheim nicht zulässig“, empörte sich Unterschriftensammler Karl–Heinz Graef, Sprecher der IG, in einer Podiumsdiskussion vor 230 Anwesen den. Die Antwort auf die Frage, wo denn Flüchtlinge wohnen sollten, wenn nicht im Wohngebiet, blieb der Verfasser von anonymen Aufrufen schuldig. Selbstverständlich seien Mitglieder der Interessengemeinschaft keine Ausländerfeinde. „Wir wollen die Ghettosierung der Bangladeschi verhindern“, verteidigt sich die Initiative und kritisiert die „unzumutbaren Lebensumstände in der Schule“. Ratten in Massenunterkünften Sozialamtsleiter Friedhelm Denter rechtfertigt die Unterbringung der Bangladeschi in dem baufälligen Gebäude als Notmaßnahme. Für 230 Flüchtlinge habe die Verwaltung 1986 Wohnraum beschaffen müssen. Bestehende Übergangsheime seien überfüllt. Eine Unterbringung in Sozialwohnungen sei für Ledige nicht gestattet, außerdem finde die Stadt keine Vermieter. Daß der Beamte hier streckenweise an der Wahrheit vorbeischlidderte, kritisierten kirchliche Mitarbeiter und die GAL während einer von der WAZ initiierten Podiumsdiskussion. Ein GALier berichtete von Löchern im Fußboden, aus denen Ratten hervorkriechen. In anderen Städten leben Asylbewerber sehr wohl in Sozialwohnungen, wußte ein kirchlicher Mitarbeiter, der mehrmals darauf hinwies, daß der Stadt solche Wohnungen angeboten worden seien. So nährte sich der Verdacht, daß die Verwaltung „ihre besten Mietobjekte“ (Pfarrer Harald Rohr) aus finanziellen Erwägungen nicht aufgeben will. Über 20 DM pro Quadratmeter zahlt das Land der Kommune für die Flüchtlingsheime, „mehr als genug um einen Sozialarbeiter einzustellen, der sich um die Probleme der Tamilen und Bengalesen kümmert“, forderten Teilnehmer der Veranstaltung vergeblich vom städtischen Sozialdezernen ten. Binnen kürzester Zeit gelang es dagegen einer Bürgerinitiative, einen Deutschlehrer für die Becklemer Asylsuchenden zu besorgen. Unmittelbar nach dem Überfall gründete sich die Gruppe, deren Mitglieder Flugblätter verteilen, die verängstigten Asiaten besuchen, für sie Kleider und Fahrräder sammeln. „Wir tun nur das, was die Pflicht jedes Demokraten ist“, erklärt Jürgen Trockel, „unabhängig davon ob das Asylverfahren positiv ausgeht, oder den Flüchtlingen die Abschiebung droht“. Allerdings, da ist Trockel knallhart, dürfe „die verdammte Parteipolitik nicht reinspielen“. „Keine Emotionen schüren“ Der SPD ist kein übertriebenes Engagement nachzuweisen. Die beim Kanzlerkandidaten unverkennbare Aussöhnung mit dem real existierenden Rassismus zeigt Früchte. So appellierten die Genossen öffentlich an „anständige Menschen, gegen das Unrecht zu protestieren“, wenn es „auch unterschiedliche politische Auffassungen bei der Beurteilung des vielschichtigen Themas Asylgewährung“ gebe. Sichtlich schwer fällt es den Sozialdemokraten, die politische Dimension der Gewalttätigkeiten überhaupt wahrzunehmen. Vor einer Diskussion über das „Problem Becklem“ hinaus schrecken sie zurück. „Man darf nicht weiter Emotionen schüren“, lautete die Ablehnung gegenüber einem von der GAL initiierten Schweigemarsch durch den Stadtteil. Mit dem gleichen, auf Scheinfrieden und Verdrängung abzielenden Argument verweigerte die katholische Kirche in Becklem Räume für die Podiumsdiskussion. „Dezentrale Lösung des Problems“ So blieb es GAL und evangelischer Kirche überlassen, den Zusammenhang von drohender Aushöhlung des Asylrechtes, vollzogener Schließung der Grenzen, Pressekampagnen und konkreten Gewalttätigkeiten auszuleuchten. Daß Deutsche mit Worten und Taten Ausländer prügeln, erklärte Pfarrer Harald Rohr vor 150 Kundgebungsteilnehmern mit der „Verkörperung des uralten Sündenbockes. Dem Bürger, der es zu etwas gebracht hat, schaut auf einmal aus braunen Gesichtern die verdrängte Erkenntnis an, daß die Welt gar nicht so heil und sicher ist, wie wir es gern möchten.“ Harald Rohr forderte, für die Flüchtlinge geeignete Wohnungen zur Verfügung zu stellen. Eine Forderung, die von den Bangladeschi und Tamilen in Castrop selber gestellt wird, „weil wir in Wohnungen zu viert oder sechst weniger leicht bombardiert werden können und außerdem nicht so leicht Streit untereinander bekommen“, so der Bengalese Nuur. Die öffentliche Debatte in der Stadt scheint inzwischen die Verwaltung bewegt zu haben, von ihrer Idee einer erneuten Kasernierung in einem anderen Stadtteil Abstand zu nehmen. Sozialdezernent Gafert versprach, sich für eine „dezentrale Lösung“ einzusetzen. Damit könnte vielleicht „das Problem Becklem“ konkret, und im Sinne der SPD gelöst werden. Politisch gären Ausländerfeindlichkeit und Neofaschismus weiter in der schweigenden Mehrheit. „Sowas wie an der Schule passiert bestimmt bald wieder“, fürchtet ein Bewohner des Stadtteils. Nachdenklich stimmte Teilnehmer des Schweigemarsches durch Becklem, daß zwei Wochen nach dem Überfall, an dem demolierten und nicht reparierten Toilettenhäuschen immer noch in großen Lettern steht: „Asylanten raus aus Becklem“. Sozialamtsleiter Denter entschuldigte sich im Gespräch mit der taz etwas unwirsch: „Das müssen unsere Leute wohl übersehen haben. Machen Sie es doch selber weg!“