„Warhol gab dir einen Schlüssel“

FORM ODER INHALT Ulli Lommel ist Schauspieler und Regisseur. Er arbeitete mit Rainer Werner Fassbinder, Andy Warhol produzierte zwei seiner Filme. In Hollywood drehte er über 40 teils krude Streifen. Nun arbeitet er in Bremen an einem „Anti-Musical“. Ein Gespräch über Warhols „Factory“, Daniel Küblböck und die Politik des Horrorfilms

■ geboren 1944 in Zielenzig (heute: Sulecin, Polen) als Sohn der Schauspielerin Karla von Cleef und des Humoristen und Schauspielers Ludwig Manfred Lommel. Zahlreiche Umzüge.

■ Erster Bühnenauftritt mit vier Jahren. Besuchte ab 1960 die UFA-Nachwuchsschule Berlin. Erster Filmauftritt 1962 („Ich bin auch nur eine Frau“).

■ Arbeitete ab 1969 vor und hinter der Kamera mit Rainer Werner Fassbinder. Lommels erste eigene Regiearbeit war „Haytabo“ („Eddie geht weiter“, 1971), es folgten rund 40 weitere Filme, zuletzt „D.C. Sniper“.

■ „The Factory – Marilyn Monroe in Andy Warhols Traumfabrik“ (Buch und Regie: Ulli Lommel) hat am 12. Mai in der Bremer Schwankhalle Premiere.

INTERVIEW ANDREAS SCHNELL

taz: Herr Lommel, sie haben einige Jahre Ihrer Kindheit im niedersächsischen Wildeshausen verbracht. Kennen Sie Bremen noch von früher?

Ulli Lommel: Ja. Meine Mutter hat erzählt, dass ich als Sechsjähriger stundenlang vor den Stadtmusikanten gestanden habe und gar nicht weg wollte. Die waren damals sehr groß. Als ich jetzt wiederkam, konnte ich gar nicht glauben, dass die so klein sind.

Und seitdem waren Sie nie wieder hier?

Einmal für eine Lesung und einmal für einen Auftritt bei „3 nach 9“. Das war im April letzten Jahres. Davor bin ich fast 55 Jahre nicht hier gewesen. Wir wohnten damals ein bisschen außerhalb von Wildeshausen. Wir hatten ein Haus mit 10.000 Quadratmetern Wald. Da hab ich früher immer Cowboys und Indianer gespielt. Neulich sind wir zu dem Haus gefahren. Das gibt es noch, der Wald ist komplett weg. Da steht jetzt ein Haus neben dem anderen. Dabei ist das nicht mal im Zentrum von Wildeshausen.

Der letzte Film, in dem Sie mitgespielt haben, „Daniel – Der Zauberer“ von 2009, wird in der Internet Movie Database unter den 100 schlechtesten Filmen aller Zeiten aktuell auf Platz 4 geführt. Er handelt von Daniel Küblböck.

Ich war für ein Wochenende in Deutschland und las in den Zeitungen die Hasstiraden über Daniel. Ich dachte: Warum flippen denn die Leute aus wegen dem armen Teufel? Da bin ich zu einem Konzert von ihm gegangen und habe das Gegenteil gesehen: Zehntausend Leute, die geweint haben. Das war unfassbar, was sich da abspielte. Und weil ich schon immer davon fasziniert war, wie in Deutschland mit Emotionen umgegangen wird, hab ich gesagt: Ich und mein Bruder begleiten dich mit der Kamera und nehmen das alles auf.

Und dann?

Als der Film herauskam, gab es die wahnsinnigsten Reaktionen, genau wie auf Daniel selbst. Die Süddeutsche hat eine Hymne geschrieben, andere Zeitungen haben es gehasst. Da war ich wieder da, wo ich damals bei Fassbinder schon war: bei der Kontroverse.

In Ihrem Buch „Zärtlichkeit der Wölfe“ erzählen Sie von all den Menschen, die Sie getroffen haben: Fassbinder, Warhol, Curd Jürgens, Mohammed Ali, William S. Burroughs, Orson Welles oder Klaus Kinski. Und von einigen, die Sie nicht getroffen haben: Marilyn Monroe etwa. Passt er in diese Reihe?

Irgendwie passt er da schon rein. Wenn man sich erinnert, dass Andy Warhol damals Filme gemacht hat wie „Trash“ oder „Flesh“, die wurden zum Teil ja zerfetzt. Andy nannte die ja selbst Trash. Und Daniel Küblböck ist für viele eben auch Trash. Das finde ich aber auch sehr schön daran. Dass es nicht mittelmäßig ist.

Ist das eine Leitlinie für Ihre Arbeit: die Extreme zu suchen? Sie haben in den vergangenen Jahren ja vor allem Horrorfilme gedreht.

Ja. Wobei ich den Horrorfilm so benutzt habe wie die Kommunisten zur Zeit des Film Noir: Ich habe das Genre benutzt, um das rüberzubringen, was ich rüberbringen wollte. In „Zodiac Killer“, in dem ich auch die Hauptrolle spiele, verarbeite ich meine Lieblingsthemen, vom Raubtierkapitalismus bis zu der Tatsache, dass Werte wie Freiheit, Gleichheit oder der Amerikanische Traum nur ein Witz sind. Viele Horror-Fans hat das total genervt. Aber eigentlich sind das keine Horrorfilme, sondern einfach meine politischen Statements.

Sie haben beinahe systematisch die Geschichte der Serienmörder bearbeitet, von Fritz Haarmann über den „Green River Killer“ bis hin zum Heckenschützen von Washington: Um den geht es in Ihrem letzten Film, „D.C. Sniper“ – auch ein politischer Film?

Oh ja! Ich hab versucht, den Film in Deutschland zu verkaufen, da hat man mir gesagt, der würde von der FSK verboten, weil er staatsgefährdend sei. Weil dieser Film mit den so genannten Terrroristen sympathisiert, wenn man so will. In dem Moment, wo man pausenlos bei ihnen ist, entsteht Sympathie. Das nervt mich bei den ganzen Tatort-Geschichten so, dass du immer mit der Polizei bist. Daraus entsteht Sympathie für die Polizei, für den Staatsanwalt, für den Richter. Und gerade gegen die und deren Methoden wende ich mich in meinen Serial-Killer-Filmen. Ich sympathisiere in all diesen Filmen mit dem Killer, bin in dessen Hirn. Und zeige von seinem Standpunkt aus, was mir an dieser Gesellschaft nicht gefällt, was ich verlogen finde und so weiter.

Sympathisieren Sie auch mit den Methoden?

Nein. Die sind ja nur der Vorwand. Ich benutze das Genre und zeige, was gezeigt werden muss. Was ja auch realistisch ist, weil das ja wirklich passiert ist. Und dann kann ich da meine ganzen Themen verbraten.

Dem Spiegel haben Sie gesagt, Sie hätten diese Filme gemacht, um Ihre dunkle Seite zu ergründen. Das passt nicht unbedingt zusammen.

Ach, das war nur ein Statement für die, mit denen ich mich nicht über politische Themen unterhalten wollte. Da wollte ich einfach nur das Thema beenden.

Sie haben die letzten 30 Jahre in den USA gelebt.

Ich wollte nie nach Amerika. Amerika war für mich all das, was ich an dieser Welt nicht mochte. Das Land hatte gerade erst den Vietnamkrieg beendet, als ich ankam. Das war das allerletzte Land, das ich besuchen oder in dem ich arbeiten wollte. Aber manchmal kommt es im Leben eben anders, als du denkst. Und als ich 1977 zu Andy Warhol in die Factory kam, hab ich eine Dynamik gespürt, die ich bei Fassbinder vermisst hatte.

Mit dem Sie lange zusammengearbeitet hatten.

Ich habe zwischen 1967 und 1977 zwanzig Produktionen mit Fassbinder gemacht. Der war wie ein Gefängniswärter, der dich in eine Zelle einsperrt und von dir bestimmte Dinge verlangt. Und wenn er Lust hatte, öffnete er die Tür für dich, aber auch nur, um mit dir zu spielen. Bei Warhol war das anders. Da warst du im Gefängnis, bevor du ihn trafst. Aber er hat dir den Schlüssel gegeben, damit du machen kannst, was du willst. Er hat ja alle zu Superstars machen wollen. Das genaue Gegenteil von Fassbinder. Aber es war auch eine Gruppenerfahrung, was mich immer schon interessiert hat.

In der Factory, Warhols legendären Ateliers in New York, traf sich damals alles, was Rang und Namen hatte. Was hat Sie ausgerechnet nach Bremen gebracht, um darüber ein Stück zu machen?

Ich bin im vergangenen Jahr während meiner Lesereise durch ganz Deutschland getingelt und habe unter anderem auch im alten Saal der Schwankhalle aus meinem Buch gelesen. Da dachte ich sofort: Das erinnert mich an die Factory: der Raum, die Atmosphäre. Ich arbeitete schon seit längerem an einem Drehbuch über die Factory. Da kam ich auf die Idee, die Geschichte hier als „Anti-Musical“ zu machen. Nachdem wir jetzt schon seit einigen Wochen proben, bin ich mehr denn je der Meinung, dass die Schwankhalle genau der richtige Ort dafür ist.

Sie haben auch mit Rainer Langhans gedreht, der – wie Daniel Küblböck – ins „Dschungelcamp“ gegangen ist. Auch eine Art Gruppenerfahrung.

Rainer Langhans habe ich neulich zufällig wiedergetroffen. Der vermarktet sich gnadenlos. Sobald da eine Kamera ist, ist er nur noch Produkt, und sobald die Kamera wieder aus ist, kann man ganz normal mit dem reden. Aber das Dschungelcamp und dieser ganze Mist, der im Fernsehen zu sehen ist: Das interessiert mich überhaupt nicht.