Der linke Bürger und sein Widerspruch

DEBATTE Im Berliner taz-Café liest der taz-Redakteur Stefan Reinecke aus seiner Biografie über Hans-Christian Ströbele. Der 76-jährige Grünen-Politiker ist nicht ganz einverstanden mit der Darstellung – und will nun seine eigene Version schreiben

Ströbele, Ex-RAF-Anwalt, Mitgründer der taz und der Grünen, 1980 Foto: ap

Aus Berlin Gereon Asmuth

„Ich habe ja“, erzählt eine ältere Besucherin ihrer Sitznachbarin, „im Mai 63 in Tübingen am selben Tag die Prüfung abgelegt wie Gudrun Ensslin.“ Aber damals, schiebt die Frau mit dem roten Halstuch schnell nach, damals habe man ja noch nicht wissen können, wohin sich das alles entwickele. Das mit An­dreas Baader und der RAF.

Es geht an diesem Mittwochabend im rappelvollen taz-Café in Berlin um ein Stück deutscher Geschichte, linker Geschichte vor allem – und ihrer schwierigsten Episode. Auf dem Programm steht „Ströbele“, die 464 Seiten starke, gerade erschienene Biografie über Hans-Christian Ströbele, den einstigen RAF-Anwalt, den Mitgründer von taz und Grünen, den wohl bekanntesten Kreuzberger, der nicht einmal in Kreuzberg wohnt, oder schlicht „den Christian“, wie ihn viele hier nennen.

Das Buch hat der taz-Redakteur Stefan Reinecke geschrieben. Der sitzt vorne auf dem Podium und liest zunächst einmal ein Kapitel, das 1961 spielt. Ströbele und die Bundeswehr. Reinecke zitiert aus Briefen, in denen der junge Soldat, Spitzname Struppi, von einem Urlaub berichtet. Von einer Geschichte mit einer Miss Nordsee. Aber auch, wie Ströbele mit seiner „beinharten Neigung, die Abläufe zu stören“, es schafft, von Gewaltmärschen oder dem Singen von zumeist aus der Nazizeit stammendem Liedgut befreit zu werden, wie er zum Vertrauensmann gewählt wird, und wie er schließlich als Einziger die Zivilcourage hat, seine Beförderung zum Gefreiten öffentlich abzulehnen – aus Protest gegen Entscheidungen der Vorgesetzten.

Das, so folgert Reinecke, sei nicht nur ein bescheidener Beitrag zur Demokratisierung der Bundeswehr gewesen. Es zeichne auch den späteren Ströbele vor – den selbstbewussten Rechtsanwalt und Dissidenten, der mit den Regeln gegen die Autorität kämpfe.

Ströbele, betont Reinecke im Gespräch mit Elke Schmitter, die die Moderation des Abends übernommen hat, sei ein linker Bürger. Denn anders etwa als Joschka Fischer habe Ströbele immer auch eine bürgerliche Existenz gehabt. Verheirateter Rechtsanwalt mit Eigentumswohnung. Genau das habe ihn gereizt, sagt Reinecke: „Mich hat interessiert, was es bedeutet, ein linker Bürger in der Bundesrepublik zu sein.“ Und ob dies noch ein Modell für die Zukunft sei. Oder nur in der Vergangenheit funktioniert habe.

Dann springt Reinecke in die schwierigste Episode dieser Vergangenheit. Er liest aus dem Kapitel über die 70er Jahre, als Ströbele Anwalt der ersten Generation der RAF war und dann selbst verhaftet wurde.

Wegen Unterstützung der kriminellen Vereinigung wurde er Jahre später sogar zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil er am Informationsaustausch der Gefangenen untereinander und mit Unterstützern draußen beteiligt gewesen war.

Der Vorwurf: Der Hungerstreik der Gefangenen gegen ihre Isolationshaft habe in erster Linie dazu gedient, Nachwuchs für die RAF zu mobilisieren.

„Ich kann bis heute nicht begreifen, dass die Unterstützung hungerstreikender Gefangener strafbar sein soll“, sagt der ehemalige RAF-Anwalt Ströbele. Die Behauptung, der Hungerstreik sei nichts als ein Propagandatrick von Andreas Baader gewesen, sei Quatsch

Hans-Christian Ströbele habe damals, schreibt Reinecke, die RAF als Teil der linken Großfamilie gesehen, die durch die 68er-Bewegung geadelt worden sei, die er retten müsse.

Das kann der alte, im Widerspruch geübte Mann so nicht stehen lassen. Der 76-Jährige, der bis dahin in der vorletzten Reihe sitzend zugehört hat, kommt nach vorn und nimmt auf dem für ihn bereitstehenden Stuhl Platz. „Ich kann bis heute nicht begreifen, dass die Unterstützung hungerstreikender Gefangener strafbar sein soll“, sagt Ströbele.

Die Behauptung, der Hungerstreik sei nichts als ein Propagandatrick von Andreas Baader gewesen, sei Quatsch. „Ich habe das anders erlebt“, sagt Ströbele. Er malmt mit dem Kiefer und schüttelt sanft den Kopf, wenn der 20 Jahre jüngere Reinecke später erklärt, dass man „die Sache zwar aus der Zeit beschreiben“ müsse, er sich als Vertreter einer anderen Generation aber auch einen anderen Blick darauf erlaube.

Ströbele lobt dennoch Reineckes Buch. Es sei „sehr wichtig“, denn es sei ein Katalysator, der ihn dazu bringe aufzuschreiben, „wie es wirklich war“. Das Publikum applaudiert. Sein Buch werde viel dicker, als die jetzt vorliegende Biografie. „Ich werde das mit Interesse lesen“, sagt Reinecke.