Verletzte bei Stuttgart-21-Protesten: Schmerzensgeld, aber keine Reue

Ba-Wü will die Opfer des Schwarzen Donnerstags entschädigen, bleibt aber uneinsichtig: Das Land hält an der Mitschuld der Betroffenen fest.

Zwei junge Männer tragen eine älteren, der aus den Augen blutet

Nahezu blind: Die Polizei spricht wieder von Mitschuld Foto: dpa

STUTTGART taz | Nun liegt es also vor, das Schadensersatzangebot des Landes für die Opfer des Polizeieinsatzes im Stuttgarter Schlossgarten. 120.000 Euro soll Dietrich Wagner als Ausgleich dafür erhalten, dass er am 30. September 2010 durch einen Wasserwerferstrahl nahezu sein komplettes Augenlicht verlor. Anderen Betroffenen bietet das Land vier- und fünfstellige Beträge, so ihr Anwalt Frank-Ulrich Mann.

Die Summen sind verglichen mit anderen Fällen durchaus angemessen. Doch das Angebot, das der Anwalt des Landes im Auftrag des Polizeipräsidiums Stuttgart vorlegte, hat einen unversöhnlichen Unterton. Die 120.000 Euro für Dietrich Wagner bleiben um 5.000 Euro hinter Forderungen seines Anwalts zurück, auch eine lebenslange Rente will das Land dem Rentner nicht gewähren. Die Begründung lautet, man gehe weiter davon aus, dass die Opfer eine Mitschuld tragen.

Das ist überraschend, denn das Verwaltungsgericht Stuttgart hatte im November vergangenen Jahres festgestellt, die Demonstration gegen das Abholzen der Parkbäume für das umstrittene Projekt Stuttgart 21 sei von der Versammlungsfreiheit gedeckt gewesen. Platzverweise konnte die Polizei also nur bei rechtswidrigem Verhalten der Demonstranten aussprechen. „Der Vorsitzende Richter hat damals gesagt, es sei ihm schleierhaft, wie man von einer Mitschuld der Opfer ausgehen kann“, erinnert sich Anwalt Mann.

Woher kommt also plötzlich wieder der Begriff Mitschuld? Grund dafür könnte sein, spekuliert der Anwalt, dass das federführende Innenministerium nun wieder von der CDU geführt ist, der ein Schuldeingeständnis zum Schwarzen Donnerstag besonders schwer falle. Immerhin war der Protest gegen Stuttgart 21 ein Grund, weshalb die CDU unter Stephan Mappus damals abgewählt wurde.

Doch das Haus von Vizeministerpräsident Thomas Strobl weist die Verantwortung zurück. Die außergerichtliche Einigung zwischen der Polizei und den Opfern des Einsatzes sei vom Ministerpräsidenten initiiert worden, heißt es dort, man sei nicht verantwortlich. Das konkrete Angebot auf Schadensersatz sei vom Polizeipräsidium abgegeben worden. Winfried Kretschmann sagte am Dienstag, er freue sich, dass der Entschädigungsprozess nun in Gang komme. Für die Einzelheiten sei jedoch das Polizeipräsidium zuständig. Dort verweist man zurück ans Innenministerium.

Das Angebot hat einen unversöhnlichen Unterton

Für das Land Baden-Württemberg ist die Formulierung peinlich, denn es wirkt selbst nach einem klaren Urteil und der Entschuldigung des Ministerpräsidenten („Wir können die Ereignisse nicht ungeschehen machen, wir können uns nur aufrichtig und ernsthaft entschuldigen“) uneinsichtig. Dietrich Wagner spricht von „einer weiteren Finte“ des Landes. Der pensionierte Ingenieur hatte immer betont, dass es ihm weniger um die Summe an Schmerzensgeld gehe, sondern darum, dass anerkannt wird, dass er Opfer eines rechtswidrigen Polizeieinsatzes wurde.

Jetzt sagt Wagner, er nehme diese erneute Schuldzuweisung des Landes gleichmütig hin. Er muss nun überlegen, ob er auf das Angebot eingeht. Die Summe klänge zwar nach viel Geld, sagt der 71-Jährige. Doch für eine kleine blindengerechte Wohnung, die ihm das Leben leichter machen würde, reichen die 120.000 Euro in Stuttgart ohnehin nicht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.